de fr it

OrbeGemeinde

Politische Gemeinde des Kantons Waadt, Bezirk Jura-Nord vaudois sowie Herrschaft und ehemaliger Bezirk. Neben der Stadt Orbe, die auf einem Hügel in einer Flussschleife der Orbe liegt, umfasst die Gemeinde mehrere Weiler (Les Granges-Saint-Germain, Les Granges-Saint-Martin, Montchoisi, Le Puisoir). Um 280 Urba, 1179 versus Orbam, deutsch früher Orbach. 1416 266 Feuerstätten; 1798 1662 Einwohner; 1850 1923; 1900 2080; 1950 3565; 1980 3985; 2000 5139; 2010 6242.

Ansicht von Osten bzw. von der Orbeebene auf die Stadt mit der Kirche und den Ruinen des Schlosses. Ölgemälde von Henri-Jules Carrard, um 1830 (Musée d'Orbe, Fondation Pro Urba; Fotografie Claudine Glauser).
Ansicht von Osten bzw. von der Orbeebene auf die Stadt mit der Kirche und den Ruinen des Schlosses. Ölgemälde von Henri-Jules Carrard, um 1830 (Musée d'Orbe, Fondation Pro Urba; Fotografie Claudine Glauser). […]

In römischer Zeit stand auf der Anhöhe Boscéaz ein Gutshof, dessen Mosaike erhalten sind. Das am Weg zum Jougnepass und an der Schnittstelle wichtiger Verkehrsachsen (Verbindung Jura-Alpen und Rhein-Rhone) gelegene Orbe ist seit jeher ein Durchgangsort. Im Mittelalter bildeten die linksufrige villa Tavellis mit der Pfarrkirche Saint-Germain und die rechtsufrige villa Tabernis mit der Kirche Saint-Martin die beiden Brückenköpfe beim Orbeübergang am Fuss des Hügels, auf dem die Burg und der Marktflecken angelegt waren. 888 im Besitz Rudolfs I. wurde Orbe eine Pfalz der hochburgundischen Herrscher (zweites Königreich). In einer Münzstätte wurden Denare im Namen Konrads des Friedfertigen geschlagen. Nach dem Tod des letzten Rudolfingers 1032 wurde das Gebiet ins Heilige Römische Reich eingegliedert. Kaiser Heinrich IV. überliess es 1076 Graf Wilhelm II. (in der französischen Geschichtsschreibung Wilhelm der Grosse) und damit dem Einfluss des Herzogtums Burgund. Um 1168 gelangte eine Hälfte der Herrschaft Orbe an Amadeus II. von Montfaucon, Graf von Montbéliard. 1183 gehörten die Kirchen und ein Grossteil von Orbe dem Kloster Baulmes, dessen Güter dem Priorat Payerne zufielen. Das Priorat Romainmôtier besass ab 1139 die Kapelle Notre-Dame und verwaltete 1275 auch das angrenzende, gegen Ende des 11. Jahrhunderts errichtete Spital. Amadeus III. von Montfaucon-Montbéliard liess Orbe um 1235 befestigen (Bourg-Vieux und Bourg-Neuf). 1233 wies die Burg einen runden Bergfried auf. Die Anlage erlaubte die Kontrolle über die Strasse, die unter Umgehung von Les Clées den Jura erschloss und in der Gegenrichtung nach Lausanne führte. Zusammen mit Echallens bildete Orbe eine burgundische Enklave inmitten der Besitzungen Savoyens und des Fürstbistums Lausanne. Girard de Montfaucon gewährte Orbe das gleiche Stadtrecht wie Moudon, das seine Witwe Jaquette von Grandson 1352 bestätigte. Durch Erbgang fiel die Herrschaft 1379 an die Grafen von Montbéliard, 1410 an Ludwig von Chalon, Fürst von Orange. Nachdem Orbe 1475 zum ersten Mal von den Eidgenossen eingenommen und danach durch Hugo von Chalon zurückgewonnen worden war, empfing Karl der Kühne Anfang 1476 in Orbe die eidgenössischen Gesandten. Nach Ende der Burgunderkriege fiel das Gebiet des Hauses Chalon diesseits des Juras an Bern und Freiburg, die Orbe zusammen mit Echallens 1484-1798 als gemeine Herrschaft Orbe-Echallens verwalteten. 1798 unterstützte eine Mehrheit der Stadtbevölkerung gegen den Widerstand der Notablen die Helvetische Revolution. Während des Stecklikriegs, als sich die Regierung der Helvetischen Republik in der Folge ihrer Kapitulation nach Lausanne zurückzog, wurde Orbe im September 1802 kurzzeitig von Föderalisten besetzt. 1798-2006 war Orbe Hauptort des gleichnamigen Bezirks.

1363 sind zwei Syndics und mehrere Rechtskundige (prudhommes) erwähnt, die dem Ort vorstanden. Ende des 14. Jahrhunderts wurde ein städtischer Rat gewählt, der seine Befugnisse Statthaltern übertrug. Herrschaftsvertreter waren der Vogt, der Kastlan und der Mistral, die je verschiedenen Gerichten vorsassen und Stadtbürger als Geschworene zur Seite hatten. Ein Vitztum und ein Meier vertraten das Priorat Romainmôtier. Unter bernischer Herrschaft wurde Orbe von einem Zwölferrat und einem Rat der Vierundzwanzig geleitet. Dem Gericht sass ein Vogt vor, der abwechselnd von Bern und Freiburg ernannt wurde. Das Rathaus entstand 1786-1789. Vor der Reformation standen in Orbe sechs Kirchen und Kapellen: Saint-Germain (vermutlich 7. Jh., Pfarrkirche), Saint-Martin (10. Jh.), die beiden zu Romainmôtier gehörenden Notre-Dame-des-Vignes (12. Jh.) und die Spitalkapelle Notre-Dame (12. Jh., um 1405-1407 nach einem Brand wiederaufgebaut), Saint-Eloi (1424) sowie die Kirche des Klosters Sainte-Claire, das 1427 auf Anregung Johannas von Montbéliard gegründet und mit dessen Leitung die heilige Colette von Corbie betraut worden war. 1554 führte Orbe die Reformation ein. Altäre, Kapellen und Kirchen wurden zerstört; erhalten blieb einzig die Kirche Notre-Dame, die zur Pfarrkirche wurde und 1521-1525 sowie 1687-1690 grössere Veränderungen erfuhr.

Berittene Soldaten am Eingang der Schokoladefabrik Orbe während des Streiks vom März 1907. Fotografie von Jacques Spalinger, erschienen in der Zeitschrift La Patrie suisse, 1907, Nr. 353 (Historisches Lexikon der Schweiz, Bern).
Berittene Soldaten am Eingang der Schokoladefabrik Orbe während des Streiks vom März 1907. Fotografie von Jacques Spalinger, erschienen in der Zeitschrift La Patrie suisse, 1907, Nr. 353 (Historisches Lexikon der Schweiz, Bern). […]

Die Holzbrücke Pont des Granges oder Pont-du-Vua ist im 12. Jahrhundert belegt. Der steinerne Pont Saint-Eloi oder Pont du Moulinet wurde 1424 mit Mitteln errichtet, die der Eremit Girard Borrellier gesammelt hatte. Der 1826-1830 von Henri Perregaux weiter flussabwärts gebaute Grand-Pont zählte damals zu den grössten Brücken im Kanton. 1871 kaufte Julien Rod die ab dem 15. Jahrhundert belegte Mühle am linken Ufer. 1880 neu errichtet und 1902 ans rechte Ufer verlegt, waren die Mühlen der Moulins Rod SA bis 1999 in Betrieb. Die 1848 eröffnete Brasserie d'Orbe (später Fertig Frères SA) bestand bis 1974. 1892 baute die Société des Usines de l'Orbe ein Stauwehr zur Stromerzeugung für die Eisenbahnlinie Orbe-Chavornay. 1901 wurde die Compagnie des forces motrices des lacs de Joux et de l'Orbe gegründet. Die im selben Jahr errichtete Schokoladefabrik Peter bot so viele Arbeitsplätze, dass die Bevölkerung in zehn Jahren um über tausend Personen wuchs. 1907 kam es dort zu einem Streik, der auf andere Ortschaften im Kanton übergriff und zu einem Truppeneinsatz führte. Das Unternehmen Peter schloss sich 1904 und 1911 mit den Schokoladeproduzenten Kohler und Cailler zu einer Gruppe zusammen, die 1929 von Nestlé übernommen wurde. 1968 wurde in der Fabrik in Orbe eine Kaffeeproduktionsstätte des Nestlé-Konzerns Schweiz eingerichtet. Anlässlich der Trockenlegung der Sümpfe Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die Strafanstalten in der Orbeebene (Bochuz), zu denen ein grosser Landwirtschaftsbetrieb gehört. Der Bau der Autobahnen A1 und A9 (1989) beschleunigte Orbes Wirtschaftsentwicklung und seinen Wandel zur Wohngemeinde. Anfang des 21. Jahrhunderts bildete die Stadt ein Zentrum der Nahrungsmittelindustrie, das eng mit dem Centre de technologie de l'environnement (TecOrbe, 2006) zusammenarbeitete.

Quellen und Literatur

  • J. Ogiz, Orbe à travers les siècles, 1895 (Neudruck 2001)
  • F. Barbey, «Orbe sous les sires de Montbéliard et de Chalon», in Revue historique vaudoise 19, 1911, 136-142, 161-170, 193-203, 289-296, 321-330, 369-380
  • L. Junod, Orbe, 1955
  • Helvetia Sacra V/1, 1978, 577-583
  • L. Desponds, Fabrique d'Orbe, 2001
Von der Redaktion ergänzt
  • Auberson, Laurent: Orbe, histoire et architecture. De la fin de l'Antiquité au XXe siècle, 2022.
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
um 280: Urba
1179: versus Orbam
Endonyme/Exonyme
Orbach (früherer deutscher Name)

Zitiervorschlag

Fabienne Abetel-Béguelin: "Orbe (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.05.2020, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002540/2020-05-29/, konsultiert am 27.04.2025.