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Auvernier

Ehemalige politische Gemeinde des Kantons Neuenburg, Bezirk Boudry, am Nordufer des Neuenburgersees, bildet seit 2013 mit Bôle und Colombier die Gemeinde Milvignes. 1011 Averniacum. 1750 520 Einwohner; 1850 677; 1900 875; 1950 1021; 2000 1533; 2010 1597; 2012 1559.

Auvernier: Situationskarte 2012 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2019 HLS. 
Auvernier: Situationskarte 2012 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2019 HLS. 

Urgeschichte

Unmittelbar nach der Entdeckung der Pfahlbauten in Obermeilen am Zürichsee im Winter 1853-1854 (Pfahlbauer) wurden 1854 die Seeufersiedlungen in Auvernier bekannt, eine der reichsten prähistorischen Fundstätten der Schweiz. Auvernier-La Saunerie und Auvernier-Les Graviers gehören zu den 56 Ufersiedlungen der Schweiz, die im Unesco-Welterbe Aufnahme fanden. In einem 1,5 km langen Uferstreifen zwischen Colombier-Paradis Plage im Südwesten und Auvernier-Port im Nordosten liegen neben- oder teilweise übereinander zehn Fundkomplexe mit frühgeschichtlichen Siedlungen, die zwischen dem 4. und 1. Jahrtausend v.Chr. bewohnt waren.

Die Grabungsgeschichte von Auvernier umfasst drei Hauptphasen: 1854-1919 grub und forschte man begeistert, aber völlig planlos. Die Ausgrabungen waren wie eine märchenhafte Goldquelle, welche die archäologischen Museen weltweit mit Fundstücken versorgte. Auf der ersten internationalen Tagung für Ur- und Frühgeschichte, die 1866 in Neuenburg stattfand, wurden die Gäste zum "Antiquitätenfischen" eingeladen. Es sind jedoch aus dieser Zeit weder brauchbare Pläne noch Beschreibungen der stratigrafischen Befunde bekannt. 1876 wurde eine megalithische Grabanlage aus dem Neolithikum entdeckt, die sogenannte Allée couverte, die in der frühen Bronzezeit wieder genutzt worden war. 1919-1920 führte Paul Vouga bei La Saunerie Sondiergrabungen durch und bestimmte erstmals sorgfältig die stratigrafische Abfolge der neolithischen Kulturen in Europa. Er unterschied vier Schichten vom frühen Neolithikum bis zum sogenannten Äneolithikum. Nach Grabungen von André Leroi-Gourhan (1948) und Samuel Perret (1948-1950) wurden 1964-1975 umfangreiche Notgrabungen auf dem Gelände der künftigen Nationalstrasse A5 durchgeführt. Unter der Leitung von Jean-Pierre Jéquier und Christian Strahm, später von Michel Egloff und Béat Arnold, wurden 18'500 m² mittels Spundwandkästen wie auch durch Tauchgrabungen untersucht.

Die von Vouga erkannten und inzwischen neu benannten Kulturschichten brachten vielfältige Ergebnisse für die Naturwissenschaften wie auch für die Geschichte der ersten Acker- und Viehbauern vom mittleren Neolithikum bis zur späten Bronzezeit. Unterbrochen von hohen Wasserständen, welche die Uferzonen unbewohnbar machten, bestanden in Auvernier Siedlungen der Cortaillodkultur (La Saunerie, Hafen), der Lüscherzkultur (La Saunerie, Brise-Lames, Ruz Chatru, Graviers, Ténevières) und der Auvernierkultur (Nomenklatur durch Strahm nach dessen Grabungen bei La Saunerie) sowie der Frühbronzezeit (Hafen) und der Spätbronzezeit (Auvernier-Nord, Brena). Mit der systematischen dendrochronologischen Untersuchung der Eichenpfähle konnten die Besiedlungsphasen innerhalb des Zeitraums 3850-850 v.Chr. datiert und oft auch die Abfolge der Häuser und Dörfer rekonstruiert werden. Die Grabungen lieferten grundlegende paläoethnografische Erkenntnisse über langfristige Entwicklungen im Bauwesen und in der Keramik, über die wechselnde Bedeutung der Jagd und der Viehzucht, über die – häufig mit Griff oder Stiel erhaltenen – Werkzeuge wie auch zum Übergang vom Stein zum Kupfer und später zur Bronze. Sie brachten zudem eine reiche Sammlung von Korbwaren aus der späten Bronzezeit hervor.

Von der Antike bis zur Gegenwart

Aus gallorömischer Zeit sind in Auvernier eine römische Niederlassung und eine Jupiterstatuette bekannt. 1011 gehörte der Ort zu den Gütern, die König Rudolf III. von Burgund seiner Frau Irmingard schenkte. Im Spätmittelalter herrschten die Grafen von Neuenburg, deren Macht vom Ende des 14. Jahrhunderts an gewachsen war, über Auvernier, allerdings nicht uneingeschränkt: Die Herren de Colombier, ihre Vasallen, hatten leibherrliche Rechte über Personen und Grundbesitz inne, und auch das Domkapitel Lausanne besass hier zahlreiche Güter. 1357 erlaubte Graf Ludwig von Neuenburg den Einwohnern, den Wald von Cottendart zu nutzen, was zu Konflikten mit benachbarten Berechtigten führte. Im 15. oder frühen 16. Jahrhundert kauften sich ortsansässige Leibeigene von der Leibherrschaft los und wurden Ausbürger von Neuenburg. 1599 verzichteten fast alle Neuenburger Ausbürger, darunter auch jene von Auvernier, auf das Bürgerrecht, das die Einwohner von Auvernier erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder erlangten. Bis 1848 gehörte das Dorf zur Mairie La Côte. 1477 wurde in Auvernier, dem grössten Dorf der Pfarrei Colombier, die Kapelle Saint-Nicolas erbaut. Spätestens 1532 erfolgte der Übertritt zur Reformation. Erst 1878 wurde Auvernier eine selbstständige Pfarrei. Die beiden traditionellen Wirtschaftszweige in der frühen Neuzeit waren Fischerei und Weinbau. Der Wein wurde bis nach Solothurn und Bern verkauft. Im ausgehenden 18. Jahrhundert arbeiteten einige Einwohner in den Baumwolldruckereien am Unterlauf der Areuse, im 19. Jahrhundert in den Fabriken von Serrières. 1888 liess sich die Ecole cantonale de viticulture (später Service cantonal de viticulture) in Auvernier nieder. Auch nach dem Bau des Bahnhofs (1859-1860) an den Linien Neuenburg-Verrières und Neuenburg-Yverdon sowie der Strassenbahn Neuenburg-Boudry (1892) entwickelte sich Auvernier nur wenig und blieb ein Weinbauerndorf. Als 1970-1977 die Autobahn gebaut wurde, konnte eine Strand- und Erholungszone errichtet werden.

Quellen und Literatur

  • Courvoisier, Jean: Les districts de Neuchâtel et de Boudry, 1963, S. 249-279 (Les monuments d’art et d’histoire du canton de Neuchâtel, 2).
  • Courvoisier, Jean: Auvernier, 1964.
  • Mitteilungsblatt der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, 8, 1977, Nr. 30/31, S. 65 (48 Titel).
  • Cahiers d'archéologie romande, Nr. 15-16, 1979; Nr. 23-25, 1982; Nr. 37, 1987; Nr. 45, 1988; Nr. 46, 1989; Nr. 63-64, 1995.
  • Revue neuchâteloise, Nr. 88, 1979.
  • Histoire du Pays de Neuchâtel, Bd. 1, 1989.
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
1011: Averniacum
Endonyme/Exonyme
Auvernier (Französisch)
Avernach (Deutsch früher)

Zitiervorschlag

Michel Egloff; Germain Hausmann: "Auvernier", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.04.2019, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002823/2019-04-03/, konsultiert am 28.03.2024.