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Mexiko

Situationskarte Mexiko © 2004 HLS und Kohli Kartografie, Bern.
Situationskarte Mexiko © 2004 HLS und Kohli Kartografie, Bern.

Auf dem Gebiet des heutigen Mexiko entstandene indigene Hochkulturen und Reiche wurden 1519-1521 von den Spaniern unter Hernan Cortés zerschlagen. Nach 300 Jahren spanischer Herrschaft wurde Mexiko 1821 unabhängig. Nach Jahrzehnten, die vom Gegensatz der antiklerikalen Liberalen und der klerikalen Konservativen, von Bürgerkriegen und Interventionen ausländischer Mächte geprägt waren, sicherten die Liberalen unter Benito Juárez 1866 die mexikanische Unabhängigkeit. Nach der Diktatur unter Porfirio Díaz (1877-1910) und der Mexikanischen Revolution (1910-1917) wurde Mexiko zur föderalistisch verfassten Präsidialdemokratie unter der nationalrevolutionären Partei (1946 Partido revolucionario institucional, PRI). Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Einparteienherrschaft zu innerer Erstarrung. Sie endete nach Korruptionsskandalen, dem Staatsbankrott von 1982, dem Beitritt zur Nafta und dem gleichzeitigen Aufstand in Chiapas 2000 mit dem Wahlsieg des Partido Acción Nacional (PAN).

Zwischenstaatliche Beziehungen

Bereits 1827 wurde ein schweizerisches Konsulat in Mexiko-Stadt errichtet und 1847 in ein Generalkonsulat umgewandelt, was die grossen Erwartungen in der Schweiz hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung ausdrückte. Während des Zweiten Weltkriegs übernahm die Schweiz für Italien ein Schutzmandat in Mexiko. Erst 1945 wurde eine schweizerische Gesandtschaft in Mexiko eröffnet; Mexiko errichtete ein Jahr später eine Gesandtschaft in der Schweiz. 1958 wurden beide Gesandtschaften zu Botschaften aufgewertet. Die schweizerische Botschaft in Mexiko ist auch für die diplomatischen Beziehungen mit der Dominikanischen Republik, Haiti, Jamaika und Belize zuständig. 1950 wurde ein Handelsabkommen und 1966 ein Abkommen über den regelmässigen Luftverkehr unterzeichnet. 1987 kam es zu einem Schuldenkonsolidierungsabkommen. 1991 unterzeichneten die beiden Staaten ein Memorandum of Understanding über die wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1993 ein Doppelbesteuerungsabkommen und 1995 ein Investitionsschutzabkommen. Mit dem Freihandelsabkommen der Efta-Staaten von 2001 erhielten diese einen mit der Konkurrenz aus der EU und aus dem Nafta-Raum vergleichbaren Zugang zum mexikanischen Markt. Mexiko seinerseits erhoffte sich, Alternativen zur einseitigen Ausrichtung auf den nordamerikanischen Markt aufzubauen.

Einwanderung und Wirtschaftsbeziehungen

Zur Zeit des Vizekönigtums Neuspanien wirkten schweizerische Jesuitenmissionare als Lehrer und Wissenschaftler. Gegen Ende der Kolonialzeit folgten erste Händler und Unternehmer, die auch im 19. und 20. Jahrhundert prägendes Element der schweizerischen Auswanderung nach Mexiko waren. Die wachsende Schweizerkolonie, um 2000 ca. 4000 Personen, davon ein Drittel Doppelbürger, ist auf die Präsenz schweizerischer Firmen in Mexiko zurückzuführen.

Die Glasfabrik Pellandini in Mexiko-Stadt, 1909. Aquarell von F. Suarez (Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona).
Die Glasfabrik Pellandini in Mexiko-Stadt, 1909. Aquarell von F. Suarez (Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona). […]

Nach der mexikanischen Unabhängigkeit begannen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Mexiko mit dem Export von Textilien und Uhren, der im Laufe des 19. Jahrhunderts an Umfang zunahm. Einige schweizerische Handelshäuser in Mexiko spezialisierten sich auf die Einfuhr von schweizerischen Artikeln, ein Grossteil der Waren gelangte aber über den Zwischenhandel nach Mexiko. An der mexikanischen Aussenverschuldung versuchte sich in den 1850er Jahren insbesondere Jean-Baptiste Jecker aus Pruntrut durch Anleihen zu bereichern. Dieses Spekulationsgeschäft endete mit der französischen Intervention (1862-1867). 1900 wurde in Genf die Société financière pour l'industrie au Mexique gegründet. Diese Firma spielte eine zentrale Rolle im europäischen Kapitalexport nach Mexiko. Nach zeitgenössischen Schätzungen beliefen sich die schweizerischen Werte beim Ausbruch der Mexikanischen Revolution von 1910 auf ca. 600 Mio. Franken. 1919 erhielten Schweizer Bankenvertreter Einsitz im International Committee of Bankers on Mexico, das vor allem die während der Mexikanischen Revolution geschädigten US-amerikanischen Finanzinteressen zu schützen versuchte. Zugleich verweigerte die Schweiz die diplomatische Anerkennung der Putschregierung Álvaro Obregóns (1920-1924) und anerkannte erst 1925 die Nachfolgeregierung von Elias Calles. Schweizerische Unternehmen reagierten auf die steigenden Importzölle in Mexiko ab den 1920er Jahren mit vermehrten Direktinvestitionen. Als erstes schweizerisches multinationales Unternehmen nahm Nestlé 1935 in Ocotlán eine Fabrik in Betrieb, die gezuckerte Kondensmilch und Milchpulver produzierte. In rascher Folge wurden weitere Produktionsstätten unter anderem 1944 in Lagos de Moreno, 1955 in Coatepec, 1961 in Toluca, 1963 in Tamuin und 1971 in Chiapa de Corzo eröffnet. Weitere Unternehmen wie Ciba-Geigy, Sandoz und Hoffmann-La Roche folgten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts unterhalten etwa 300 Schweizer Firmen in Mexiko Produktionsstätten, die auf den Nafta-Raum ausgerichtet sind. Sie sind zugleich die Schrittmacher für Importe aller Art aus der Schweiz. Aus Mexiko wurde ab 1998 der in Puebla produzierte Autotyp VW Beetle in die Schweiz eingeführt.

Schweizerische Privatbanken wurden in erheblichem Masse vom Zahlungsmoratorium der mexikanischen Regierung im Jahr 1982 in Mitleidenschaft gezogen. Ein Grossteil der wirtschaftlichen und diplomatischen Kontakte bezog sich in den 1980er Jahren auf Umschuldungsmassnahmen. Insgesamt geriet aber kein schweizerisches Finanzinstitut in unüberwindbare Schwierigkeiten. Vor dem Beginn der wirtschaftlichen Öffnung war die Schweiz der viertgrösste Investor in Mexiko. Mit der Liberalisierung unter Carlos Salinas de Gortari (1988-1994) ist sie auf den zwölften Rang zurückgefallen (ohne die internen Investitionen multinationaler Firmen). Mexiko bleibt nach Brasilien das wichtigste Land für schweizerische Direktinvestitionen in Lateinamerika. Erhebliche Privatguthaben mexikanischer Bürger werden durch die Schweizer Banken verwaltet, darunter auch Geld aus kriminellen Quellen.

Kultureller Austausch

Mexiko ist ein Land, das die Neugier schweizerischer Kulturforscher, Wissenschaftler und Künstler inspirierte. Ein Bericht des in die USA ausgewanderten Berner Gelehrten Adolphe-François Bandelier über eine Forschungsreise zu den Ruinen in Cholula und Mitla im Jahr 1881 gehört nach wie vor zu den Grundlagentexten über altamerikanische und kolonialspanische Archäologie. Gertrud Düby setzte sich ab 1943, lange vor dem Chiapas-Aufstand, für das Volk der Lakandonen ein und erforschte und dokumentierte dessen Lebensumstände. Zur gleichen Zeit erhielt der Schweizer Architekt Hannes Meyer einen Ruf an das Institut für Städtebau und Planung in Mexiko-Stadt. Zum Studium der Architektur reiste 1951-1952 der Schriftsteller Max Frisch nach Mexiko. Ein Teil seines 1957 veröffentlichten technikkritischen Romans "Homo faber" spielt sich in mexikanischen Wüsten- und Urwaldgebieten ab. Der Schweizer Historiker Hans Werner Tobler erforschte die Sozialgeschichte zur Zeit der Revolution und publizierte 1984 "Die mexikanische Revolution", die 1994 in einer spanischen Ausgabe auch in Mexiko erschien.

1965 wurde die erste Schweizerschule in Mexiko-Stadt gegründet. 1993 folgte eine Filiale in Cuernavaca, 2007 eine in Querétaro. Rund 700 Schüler – davon mehr als die Hälfte mexikanische – werden derzeit ausgebildet. Die NZZ hat als eine der wenigen europäischen Tageszeitungen einen Korrespondenten in Mexiko-Stadt stationiert.

Mexikanische Kunst und Literatur erreichte die Schweiz vor allem über die europäischen Metropolen. Die mexikanischen Muralistas beeinflussten den europäischen Surrealismus, und 1998 richtete die Fondation Pierre Gianadda in Martigny eine erste Ausstellung zum Werk von Diego Rivera und Frida Kahlo aus. Neben Carlos Fuentes und Octavio Paz wurden zunehmend auch jüngere mexikanische Schriftsteller in deutscher oder französischer Sprache verlegt und in der Schweiz gelesen. Mexikanische Ess- und Trinkgewohnheiten, oder das, was man dafür hielt, eroberten die schweizerische Konsumgesellschaft über die Vermittlung schweizerischer Mexiko-Touristen oder über den Umweg der USA. Eine der besten Ausstellungen über mexikanisches Kulturgut gelang 1999 dem Musée Rath in Genf unter dem Titel "Mexique ­ terre des Dieux" über präkolumbische Traditionen in Mexiko (und Guatemala). 1969 war Mexiko Gastland am Comptoir Suisse und 1975 an der Muba.

Quellen und Literatur

  • A. Bandelier, Report on Archaeological Tour in Mexico in 1881, 1884 (Nachdr. 1976)
  • H. De Saussure, Voyage aux Antilles et au Mexique, 1854-1856, hg. von L. de Roguin, C. Weber, 1993
  • C. Iffland, A. Galland, Les investissements industriels suisses au Mexique, 1978
  • L. de Roguin, «In Parvo Multa ou le voyage du naturaliste Henri de Saussure aux Antilles et au Mexique de 1854 à 1856», in Musées de Genève 19, 1978, 18-22
  • P. Betschart, «Kapitalschutz und schweiz. Aussenpolitik», in SQ 10, 1984, 57-158
  • B. Veyrassat, Résaux d'affaires internationaux, émigrations et exportations en Amerique latine au XIXe siècle, 1993
  • S. Scheuzger, Aspekte der Beziehungen der Schweiz zu Mexiko und Zentralamerika, 2004

Zitiervorschlag

Thomas Fischer: "Mexiko", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.11.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003379/2009-11-05/, konsultiert am 19.03.2024.