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Bolivien

Situationskarte Bolivien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.
Situationskarte Bolivien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.

Seit der Eroberung des Inkareichs durch Francisco Pizarro gehörte Bolivien zum spanischen Vizekönigreich Peru. 1548 wurde die Stadt La Paz gegründet. Bei der Reorganisation der spanischen Kolonien 1776 wurde Bolivien eine eigenständige Intendanzia innerhalb des Vizekönigreichs Rio de la Plata. 1825 erklärte das Land nach fast 25-jährigem Kampf seine Unabhängigkeit und nahm zu Ehren Simon Bolivars den Namen Bolivien an. Zwischen 1884 und 1938 verlor Bolivien nach jeweils verlustreichen Kriegen umfangreiche Gebiete an Chile – seither hat Bolivien keinen Zugang mehr zum pazifischen Ozean –, Argentinien, Brasilien und Paraguay. Gemäss der Verfassung von 1947, die 1960 erneuert wurde, ist Bolivien eine präsidiale Republik; bis in die 1980er Jahre wurden aber die Zivilregierungen mehrfach von Militärregimes gestürzt. Eine grosse Bedrohung für die politische und wirtschaftliche Stabilität des Landes stellte im ausgehenden 20. Jahrhundert die Drogenproduktion dar.

Zwischenstaatliche Beziehungen

Seit 1911 bestehen mit Bolivien konsularische (1935 Generalkonsulat), seit 1946 diplomatische Beziehungen (1962 Gesandtschaft, 1963 Botschaft). 1945 vertrat die Schweiz die Interessen Boliviens in Deutschland und nahm gleichzeitig die französischen Interessen in Bolivien wahr. Die bilateralen Beziehungen wurden durch mehrere Abkommen gefestigt: 1970, 1986 und 1991 Abkommen über Gewährung einer Zahlungsbilanzhilfe von je 10 Mio. Franken an Bolivien; 1973 Abkommen über technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit; 1987 Schuldenkonsolidierungsabkommen sowie 1988 Investitionsschutzabkommen. 1988 besuchte eine bolivianische Regierungsdelegation Bern.

Wanderungsbewegungen

Die Hochebenen in den Anden und die Überschwemmungsgebiete des Amazonas und des Paraguays waren für Agrarkolonien ungeeignet und zogen keine grösseren Einwanderergruppen an. Nur wenige Schweizer suchten deshalb ihr Glück in Bolivien, so zum Beispiel der Uhrmacher David-Henri Grandjean (1774-1845) aus Le Locle, der nicht nur in Chile, sondern auch in Peru und Bolivien vor 1823 Geschäfte betrieb. Adolphe-François Bandelier (1840-1914) nahm ab 1877 an ethnografischen und archäologischen Expeditionen auch in Bolivien teil. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde man sich in Europa allmählich bewusst, dass Bolivien reich an Rohstoffen ist; davon profitierte zum Beispiel das Unternehmen Braillard fils et Cie., das um 1900 mit seinen Schiffen den im Regenwald gewonnenen Kautschuk auf dem Amazonas und dessen Nebenflüssen zur Küste transportierte. Gesamthaft betrachtet blieb die Schweizerkolonie aber immer sehr klein; ein Gesuch für die Einrichtung eines Konsulats in Bolivien aus dem Jahr 1906 wurde beispielsweise nur von 19 Geschäftsleuten unterschrieben. Die Zahl der in Bolivien niedergelassenen Schweizer schwankte zwischen ca. 100 für das Jahr 1932 und ca. 230 für 1950 (Schätzungen). Die Anzahl der Niedergelassenen betrug 1966 123, 1977 253 und 1989 397, diejenige der Doppelbürger 1966 128, 1977 213 und 1989 208. 2000 waren 871 Schweizer (inklusive Doppelbürger) in Bolivien gemeldet.

Wirtschaftliche Beziehungen

Der Handels- und Kapitalverkehr mit Bolivien ist unausgeglichen; die Bilanz ist zugunsten der Schweiz aktiv. Aus der Schweiz werden chemische und pharmazeutische Produkte, Maschinen, Uhren und Apparate nach Bolivien exportiert, während von dort Kaffee und Nickel eingeführt werden. Während des Grenzkrieges zwischen Bolivien und Paraguay (1932-1934) belieferte die schweizerische Rüstungsindustrie Bolivien trotz eines Völkerbund-Embargos. Auch später wurde dem umstrittenen Regime unter Hugo Banzer Kriegsmaterial geliefert. In den 1970er Jahren war Bolivien bei schweizerischen Privatbanken hoch verschuldet.

Bolivien ist seit 25 Jahren ein Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (Deza) unterstützt Aufforstungs-, Infrastruktur- und Landwirtschaftsprojekte. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) finanziert fünf Projekte mit indigenen Bauernorganisationen, die auf eine Verbesserung der gesundheitlichen Grundversorgung abzielen. Die schweizerische Stiftung für technische Entwicklungszusammenarbeit Swisscontact führt seit 1988 ein Gewerbeförderungsprogramm bei Cochabamba durch. Die reformierte Kirche und Hilfswerke wie die Caritas oder die schweizerische Redemptoristen unterhalten andere Projekte, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich.

Quellen und Literatur

  • A. Odermatt, «Entwicklung der "Schweizer Mission" in Bolivien», in Schweiz. Kirchenztg. 139, 1971, 218, 220-221
  • G. Arlettaz, «Emigration et colonisation suisses en Amérique 1815-1918», in SQ 5, 1979, 188 f.
  • P. Fleer, «Das Kriegsmaterialembargo des Völkerbundes im Chacokrieg», in Unheiml. Geschäfte, hg. von W.L. Bernecker, T. Fischer, 1991, 165-181
  • B. Veyrassat, Réseaux d'affaires internationaux, émigrations et exportations en Amérique latine au XIXe siècle, 1993, 73, 309
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Thomas Fischer: "Bolivien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.09.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003392/2006-09-06/, konsultiert am 28.03.2024.