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Chile

Situationskarte Chile © 2001 HLS und Kohli Kartografie, Bern
Situationskarte Chile © 2001 HLS und Kohli Kartografie, Bern

In den 1540er Jahren eroberten die Spanier von Peru aus das Inkareich und gründeten 1541 Santiago de Chile; dort hatte ab 1606 die Audiencia, die spanische Verwaltungsbehörde, ihren Sitz. 1776 wurde Chile zu einem Generalkapitanat im Vizekönigreich Peru. Nach ca. 10-jährigem Kampf gegen Spanien erfolgte 1818 die Proklamation der unabhängigen Republik Chile, deren von Diego Portales ausgearbeitete Verfassung von 1833 bis in die 1890er Jahre durch eine starke Stellung des Präsidenten charakterisiert war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts drangen Siedler in das Gebiet südlich des Bío-Bío vor, in dem sich die indigenen Araukaner eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt hatten. Die politische Geschichte Chiles im 20. Jahrhundert war überaus bewegt: Regierungen liberaler, christlich-demokratischer oder sozialistischer Prägung, Regierungen der Volksfront und Militärdiktaturen lösten einander ab. Das autoritäre Regime unter General Augusto Pinochet, der 1973 in einem blutigen Staatsstreich an die Macht kam, wurde gegen Ende der 1980er Jahre in friedlicher Weise beendet: Das von Pinochet anberaumte Plebiszit 1988 brachte diesem eine klare Niederlage. Die 1989 durchgeführten Parlamentswahlen gewannen die Christdemokraten, die das Land ab 1990 in einer Koalition mit den Sozialisten schrittweise demokratisierten. Seit 2000 steht mit Ricardo Lagos wieder ein Vertreter der sozialistischen Partei an der Spitze des Landes.

Zwischenstaatliche Beziehungen

1851 nahm die Schweiz konsularische Beziehungen zu Chile auf und eröffnete ein Konsulat in Valparaíso, das allerdings in den 1890er Jahren geschlossen wurde. Nachdem die bilateralen Kontakte bereits 1897 durch einen Freundschafts-, Niederlassungs- und Handelsvertrag formalisiert worden waren, richtete die Schweiz 1918 in der Hauptstadt Santiago wieder ein Konsulat ein, das 1923 in ein Generalkonsulat, 1944 in eine Gesandtschaft und schliesslich 1957 in eine Botschaft umgewandelt wurde. 1918-1944 war der argentinische Missionschef auch in Chile akkreditiert. Eine diplomatische Vertretung Chiles in Bern bestand ab 1893. Konsulate führte Chile zwischenzeitlich ab 1874 in Zürich, 1911-1915 in Basel und 1916-1918 in Bern (Generalkonsulat), 1916-1920 in Luzern. 2001 bestanden eine Botschaft mit Konsulat in Bern sowie Honorarkonsulate in Freiburg (1997), Basel (1997) und Zürich (1999).

1896 fungierte der Bundesrat als Schiedsrichter in einem Konflikt zwischen Chile und Frankreich, 1900 in einem solchen zwischen Chile und den USA. In beiden Fällen ging es um Eigentumsforderungen ausländischer Firmen. Die offiziellen Beziehungen mit den Regierungsvertretern Chiles waren stets freundschaftlich und unproblematisch, auch diejenigen mit der Junta, die nach der Ermordung des demokratisch gewählten, sozialistischen Präsidenten Salvador Allende die Macht ausübte. Für Irritation sorgte allenfalls, dass die Schweiz auf Bestreben des Kantons Genf 2000 ein Gesuch für die Auslieferung des in Grossbritannien festgehaltenen Generals Pinochet stellte. Diesem wurde allerdings nicht stattgegeben.

Vertieft wurde die Kooperation durch das Clearing- und Transferabkommen (1932-1936), das Handelsabkommen (1956), das Abkommen über Luftverkehrslinien (1960), das Abkommen über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit (1968) sowie verschiedene Schuldenkonsolidierungsabkommen. Während des Zweiten Weltkriegs vertrat die Schweiz die chilenischen Interessen in Deutschland, Italien, Kroatien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Griechenland und Ungarn. Gleichzeitig nahm sie die Interessen Frankreichs und Italiens in Chile wahr, 1947-1948 dann diejenigen Jugoslawiens.

Wanderungsbewegungen

Die ersten Schweizer in Chile waren einzelne Jesuiten wie Johann Jakob Stulz und Josef Imhof, die im 17. und 18. Jahrhundert in der Mission tätig waren. Ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich auch einige Schweizer Kaufleute im Handelshafen Valparaíso an. Zwischen 1845 und 1870 wanderten ein paar hundert Kleingewerbetreibende und Bauern nach Südchile aus, um dort an der von der Nationalregierung vorangetriebenen Agrarkolonisierung teilzunehmen. 1876 starteten in Magallanes (Agua Fresca) unter der Leitung des Freiburgers Albert Conus 70 Schweizer Familien ein schlecht vorbereitetes Siedlungsprojekt, das an den klimatischen Bedingungen und der mangelnden staatlichen Unterstützung scheiterte. 1883-1886 besiedelten 2600 von den chilenischen Behörden angeworbene Kolonisten aus der Deutschschweiz und der französischen Schweiz fruchtbare Ländereien, die weiter nördlich zwischen den Flüssen Bío-Bío und Río Imperial lagen. Nachrichten über die grossen Schwierigkeiten der Siedler (Urbarmachung, Kreditmangel, Raubüberfälle) führten in der Schweiz, nicht zuletzt bei den Bundesbehörden, zu einer gewissen Beunruhigung über das Schicksal dieser Siedler. 1887 reiste Pfarrer François Grin aus Suchy nach Chile; in seinem Bericht schilderte er drastisch das Elend der Siedler und warnte vor der Propaganda der Auswanderungsagenturen. Trotz aller Schwierigkeiten überlebten jedoch einige der Siedlungen, aber nicht als rein schweizerische Dörfer. Viel zu deren Konsolidierung trugen die oft auf schweizerische Initiative gegründeten Schulen, Kirchgemeinden und Wohltätigkeitsvereine bei.

Ungefähr 50% der in Chile eingewanderten Schweizer blieben in städtischen Agglomerationen, vor allem in Valdivia, Osorno und Traiguén. Dort etablierten sie sich als Handwerker, Gewerbetreibende und Kleinindustrielle. Die zweite schweizerische Generation erlebte einen ökonomischen und sozialen Aufstieg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwächte sich der Zustrom der Schweizer ab. Als Folge der von der chilenischen Regierung betriebenen Nationalisierungsmassnahmen verzichteten nach dem Ersten Weltkrieg immer mehr Schweizer auf ihre angestammte Staatsbürgerschaft. Einige Nachfahren schweizerischer Einwanderer wie Hernán Büchi oder Eduardo Frei und dessen gleichnamiger Sohn erlangten als Politiker auf nationaler Ebene Berühmtheit. Gemäss Schätzungen betrug die Zahl der in Chile niedergelassenen Schweizer 1930 1520, 1940 1460, 1946 870 und 1950 1010. Beim Konsulat in Santiago de Chile waren 1952 1249, 1966 871, 1974 379, 1983 411 und 1989 362 Schweizer Bürger immatrikuliert; die Anzahl der Doppelbürger in Chile lag 1966 bei 855, 1974 bei 1227, 1983 bei 1596 und 1989 bei 2307. 1994 waren 3307 Schweizer im schweizerischen Konsulat in Chile gemeldet. Im Jahr 2000 lebten 3750 Schweizer in Chile, davon waren nur 608 keine Doppelbürger.

In der Schweiz waren bis Anfang der 1970er Jahre nur wenige Personen aus Chile sesshaft. Danach kam es zu einem Anstieg der chilenischen Bevölkerung: Über 200'000 Chilenen emigrierten nach dem Militärputsch 1973. Der schweizerische Bundesrat wollte zunächst lediglich 200 Personen aufnehmen. Nach heftigen Protesten änderte die Landesregierung ihre Position; in den nächsten zehn Jahren gewährte die Eidgenossenschaft ca. 1600 politischen Flüchtlingen Asyl. Insgesamt lebten in den 1980er Jahren etwa 6000 Chilenen in der Schweiz. Viele von ihnen fühlten sich aber nie heimisch und entschieden sich während oder nach der schrittweisen Demokratisierung in den 1990er Jahren, nach Chile zurückzukehren. Die Schweiz unterstützte die rückreisewilligen Flüchtlinge mit Zuschüssen an das Nationale Büro für die Rückkehr (Oficina Nacional de Retorno, ONR) 1993 und an das Internationale Migrationsbüro (OIM) 1994. 2000 hielten sich schätzungsweise 8000 Chilenen in der Schweiz auf.

Wirtschaftliche Beziehungen

Die Schweiz exportierte von der Zwischenkriegszeit an chemische Produkte, Uhren, Maschinen und Apparate nach Chile, darunter öfters auch Kriegsgüter. Die chilenischen Sicherheitskräfte benutzten Fliegerabwehrkanonen der Werkzeugfabrik Oerlikon-Bührle, Mowagpanzer, Flugzeuge vom Typ Pilatus Porter und SIG-Gewehre. Die unter der Diktatur ausgebauten Waffenschmieden Sodeco, Cardoen und Famae produzierten auch Schweizer Kriegsgeräte in Lizenz. Die in Santiago niedergelassene chilenisch-schweizerische Handelskammer (Cámara Chileno-Suiza de Comercio) fördert erfolgreich den bilateralen Handel. Chiles Ausfuhr nach der Schweiz hat sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts etwas entwickelt, so dass sich das früher krasse Handelsdefizit verringerte. Die Exporte aus Chile wurden diversifiziert; die Schweiz bezog in den 1990er Jahren Kupfer und andere Erze, Wein, Äpfel, Fischmehl und Wolle aus dem südamerikanischen Land.

Angesichts optimistischer Wirtschaftsprognosen – die chilenische Volkswirtschaft florierte im Ersten Weltkrieg aufgrund der grossen Nachfrage nach Nitrat – emittierten Schweizer Banken in den 1920er Jahren staatliche Anleihen, die Chile zur Ausführung von Infrastrukturprojekten aufgenommen hatte. Der Anteil der Schuldtitel im Besitz Schweizer Gläubiger war mit 5% der gesamten staatlichen Aussenschuld Chiles sehr hoch; nur die USA und England hatten noch grössere Summen in chilenische Wertpapiere investiert. Nach der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren erliess die chilenische Regierung ein Zahlungsmoratorium, das 1935 in eine bis 1948 gültige, für die Inhaber dieser Titel ungünstige Neuregelung umgewandelt wurde. Als Folge dieser Verluste vergaben schweizerische Gläubiger bis in die 1960er Jahre keine grossen Kredite mehr an Chile. Die Verschuldung bei Schweizer Grossbanken betrug noch in den 1980er Jahren weniger als eine halbe Million US-Dollar. Weitere Gründe für die relative Zurückhaltung der Schweizer Investoren waren die starke einheimische und US-amerikanische Konkurrenz, die zeitweise restriktive Praxis gegenüber ausländischen Investoren sowie – damit verbunden – der hohe Anteil, den der chilenische Staat während der Militärdiktatur an der Industrie hielt. Schweizer Kapital war und ist aber in Form von finanziellen Beteiligungen in einigen Branchen vertreten. So sicherten sich zum Beispiel die seit 1933 mit verschiedenen Filialen und Produktionsstätten in Chile präsente Firma Nestlé und einige andere multinationale Unternehmen in ihren Sparten einen beachtlichen Anteil am Inlandmarkt.

Kulturelle Bande und geistiger Austausch

Der Pfarrer Arnold Leutwyler aus Leimbach (AG) richtete 1894 eine grössere, von Schweizern betriebene Schule mit angeschlossenem Waisenhaus in Traiguén ein, die bis 1934 mehr als 2000 Kinder besuchten. 1939 wurde in der chilenischen Hauptstadt die heute noch bestehende Schweizerschule eröffnet. Seit 1901 wirken Lehrschwestern vom Heiligen Kreuz von Menzingen im Süden des Landes. Sie leisten heute wertvolle Arbeit im Dienste der armen Bevölkerung. Auch die Caritas unterhält Projekte im Gesundheits-, Bildungs- und Landwirtschaftsbereich.

Plakat des zürcherischen Solidaritätskomitees "Salvador Allende" von Hugo Schumacher, 1973 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat des zürcherischen Solidaritätskomitees "Salvador Allende" von Hugo Schumacher, 1973 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Die chilenischen Flüchtlinge, die nach der Machtergreifung Pinochets in die Schweiz kamen, beeinflussten insbesondere in den Zentren Zürich, Bern und Genf die Haltung der politischen Linken gegenüber der sogenannten Dritten Welt. Der blutige Umsturz in Chile und die prekäre Situation der Verfolgten schärften das Bewusstsein gegenüber Menschenrechtsverletzungen durch die Militärdiktaturen sowie – wegen der Rolle des CIA und der multinationalen Konzerne – für die Abhängigkeitssituation, in der sich die Entwicklungsländer befanden. Chilekomitees demonstrierten internationale Solidarität mit den offiziell in der Schweiz nicht erwünschten Flüchtlingen. In gemeinsam mit Exilchilenen durchgeführten Demonstrationen, Podiumsgesprächen, Musik-, Literatur- und Filmveranstaltungen wurde auf die Verbrechen der südamerikanischen Juntas und deren Duldung oder Unterstützung durch die Industrieländer hingewiesen. Von Flüchtlingen wurden auch Läden eröffnet, die chilenische und andere südamerikanische Kunstgewerbeartikel vertrieben.

Quellen und Literatur

  • F. Grin, Nos compatriotes au Chili, 1888
  • K. Zbinden, Die schweiz. Auswanderung nach Argentinien, Uruguay, Chile und Paraguay, 1931
  • G. Arlettaz, «Emigration et colonisation suisses en Amérique 1815-1918», in SQ 5, 1979, 135-148
  • F. Schneiter, Die schweiz. Einwanderung in Chile, 1983
  • M. Vuilleumier, Flüchtlinge und Immigranten in der Schweiz, 1989
  • M. Kloter, Schweiz.-chilen. Finanzbeziehungen 1888-1948, Liz. Bern, 1994
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Thomas Fischer: "Chile", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.04.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003394/2009-04-29/, konsultiert am 16.04.2024.