de fr it

CasparDecurtins

Titelseite des ersten Bandes seiner Rätoromanischen Chrestomathie, 1896 (Universitätsbibliothek Basel).
Titelseite des ersten Bandes seiner Rätoromanischen Chrestomathie, 1896 (Universitätsbibliothek Basel).

23.11.1855 Trun, 30.5.1916 Trun, katholisch, von Trun. Sohn des Laurenz Christian, Arztes und Landammanns der Cadi, und der Margaretha Katharina geborene de Latour, Tochter des Caspar Theodosius de Latour, Schwester des Caspar de Latour. 1879 Anna Maria Lucia Geronimi, Kaufmannstochter, von Ilanz. Nach dem Besuch der Gymnasien in Disentis und Chur (bis 1875) studierte Caspar Decurtins Geschichte, Kunstgeschichte und Staatsrecht in München und Heidelberg (Dr. phil. 1876), danach ein Semester in Strassburg. Aufgewachsen im aufgeklärt-liberalen Latour-Kreis, wurde Decurtins 1874 nach dem Wandel zum Ultramontanen von der Zofingersektion Chur ausgeschlossen; ab 1875 gehörte er dem Schweizerischen Studentenverein (StV) an. Seine politische Laufbahn führte vom Landammann der Cadi (1877-1883) und Bündner Grossrat (1877-1904) in den Nationalrat (1881-1905). Hier gehörte Decurtins zum sozialpolitischen Flügel der Katholisch-Konservativen; er war ab 1888 Vorstandsmitglied und 1902-1905 Präsident der katholisch-konservativen Fraktion. Im Kanton war er ab 1885 katholisch-konservativer Führer der Föderaldemokratischen Allianz. Als erklärter Ultramontaner stand Decurtins dennoch in der Sozialpolitik der sozialistischen Linken näher als den Katholisch-Konservativen. Sein diesbezügliches Motto lautete: "Der Hunger ist weder katholisch noch protestantisch". Als Landammann der Cadi führte Decurtins nach 1877 die Restaurierung des Klosters Disentis durch und schaltete die Katholisch-Liberalen in der Surselva aus. Romtreu in allem und dem Ideal der ländlichen Demokratie anhängend, verteidigte er allgemein die Volksrechte: im Kanton Graubünden die Gemeindeautonomie und auf Bundesebene den Föderalismus als Garanten der politischen und kirchlichen Interessen der Katholiken. Als Sozialpolitiker und Sozialwissenschaftler genoss Decurtins internationalen Ruf. 1887 gründete er mit Herman Greulich, Heinrich Scherrer und Theodor Curti den interkonfessionellen Arbeiterbund und das Arbeitersekretariat, 1889 mit Ernst Feigenwinter den Katholischen Männer- und Arbeiterverband. 1897-1909 gehörte er als Gründungs- und Vorstandsmitglied dem Schweizerischen Bauernverband an. Er begründete mit Feigenwinter und Joseph Beck innerparteilich die katholisch-soziale Richtung und entwickelte mit Bundesrat Louis Ruchonnet und den Nationalräten Curti und Georges Favon die eidgenössische Sozialpolitik. Mit Favon initiierte Decurtins 1887 den ersten (und einzigen) internationalen Arbeiterschutzkongress, der 1897 in Zürich Christen und Marxisten vereinte. Decurtins war auch einflussreicher Vertreter einer sozialkonservativen Bauern- und Gewerbepolitik. Der Universalität und den Widersprüchen seines Geistes und seiner Gelehrsamkeit wie seinem Charakter war schwer beizukommen. Er konnte im gleichen Atemzug die Scholastiker, Mazzini und Lassalle loben und Papst Leo XIII. verehren, an dessen Sozialenzyklika "Rerum novarum" (1891) er als Berater mitgewirkt hatte. Decurtins arbeitete nach 1890 an der Bildung einer katholischen Partei auf eidgenössischer Ebene, verhinderte jedoch gleichzeitig eine solche in Graubünden. Als Verfechter seiner Ideen war er von apostolischem Eifer beseelt und rücksichtslos gegenüber Freund und Feind. In den 1890er Jahren schmolz seine Wählerbasis im Kanton zunehmend, und als die Konservativen nach 1900 mit dem Freisinn auf die Bürgerblockpolitik gegen die Linke einschwenkten und mit katholisch-konservativen Arbeiter- und Handwerkerorganisationen seine christlich-sozialen konkurrenzierten, zog sich Decurtins enttäuscht aus der Politik zurück. 1905-1913 unterrichtete er als Professor für Kulturgeschichte an der Universität Freiburg, die ihm als Mitgründer vor allem die Rekrutierung der ersten Professoren zu verdanken hat. Von grosser kulturgeschichtlicher und literarischer Bedeutung ist Caspar Decurtins' "Rätoromanische Chrestomathie", das Herzstück der sogenannten rätoromanischen Renaissance der Jahrhundertwende. Ein unglücklicher Kampf gegen den Modernismus verbitterte seinen Lebensabend.

Quellen und Literatur

  • Bibliotheca Romontscha, Disentis, Nachlass
  • Gruner, Bundesversammlung 1, 613 f., (mit Werk- und Literaturverz.)
  • J. Flury, Decurtins Kampf um die Kirche, 1997
Weblinks
Weitere Links
e-LIR
Normdateien
GND
VIAF

Zitiervorschlag

Adolf Collenberg: "Decurtins, Caspar", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.05.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003565/2009-05-08/, konsultiert am 13.12.2024.