de fr it

HermanGreulich

Herman Greulich (links) fotografiert an der Delegiertenversammlung der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, die vom 23. bis 25. September 1925 in Bern stattfand (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Fc-0003-01).
Herman Greulich (links) fotografiert an der Delegiertenversammlung der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, die vom 23. bis 25. September 1925 in Bern stattfand (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Fc-0003-01). […]

9.4.1842 Breslau, 8.11.1925 Zürich, ab 1877 von Hirslanden (heute Gemeinde Zürich). Sohn des Johann Gottlieb, Kutschers, und der Rosina geb. Franske, Kindermädchens. 1867 Johanna Kaufmann, Tochter des Heinrich Fürchtegott, Architekten. Herman Greulich wuchs in Breslau in armen Verhältnissen auf, besuchte 1848-1856 die Armenschule, brach eine Lehre als Handschuhmacher aus gesundheitlichen Gründen ab und machte 1857-1862 eine Buchbinderlehre. Erste autodidaktische Studien führten ihn 1859 in die Freireligiöse Gemeinde. Während der Wanderjahre kam Greulich 1865 nach Zürich, wo er als Buchbinder, 1866-1869 als Gehilfe in einem Fotografieatelier arbeitete. Er wurde Mitglied des deutschen Arbeiterbildungsvereins Eintracht, nachdem er sich noch in Deutschland der liberalen Arbeiterbewegung von Hermann Schulze-Delitzsch angeschlossen hatte, wandte sich aber bald dem Sozialismus zu. Neben der Lehre Charles Fouriers, in die ihn Karl Bürkli einführte, beeinflusste ihn Friedrich Albert Lange. Greulich las aber auch unter anderem Schriften von Ferdinand Lassalle, Karl Marx und Friedrich Engels. Nachhaltig prägte die Demokratische Bewegung sein politisches Verständnis.

1867 trat Greulich der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) bei, war Mitbegründer der Zürcher Sektion und nahm an zwei Kongressen der IAA teil. Er gründete Gewerkschaften und eine erste sozialdemokratische Partei (1870), die indes keinen Bestand hatten. Als Redaktor von deren Organ "Die Tagwacht" (1869-1880) forderte er sozialpolitische Verbesserungen, propagierte die gewerkschaftliche Organisation ("Einiges über Gewerkschaften" 1873), bekämpfte den Anarchismus ("Der Staat vom sozialdemokratischen Standpunkt aus" 1877), setzte sich für die Emanzipation der Frau ein und veröffentlichte politische Lyrik. 1873 gehörte er zu den Initiatoren des Schweizerischen Arbeiterbundes, 1877 engagierte er sich für das eidgenössische Fabrikgesetz. 1880-1884 arbeitete Greulich als Kaffeeröster im Konsumverein Zürich, verfasste eine Studie über Fourier (1881) sowie erste statistische Arbeiten. Ab 1884 war er Kanzlist im Statistischen Amt des Kantons Zürich, das er 1885-1887 leitete. 1887 wurde er zum Sekretär des Schweizerischen Arbeitersekretariats gewählt, eine Stellung, die er bis zu seinem Tod innehatte. Als Arbeitersekretär erarbeitete Greulich Grundlagen für eine schweizerische Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung. Seine sozialstatistischen Untersuchungen fanden die Anerkennung der Fachwelt. Er nahm an internationalen Fachkongressen teil und organisierte 1897 den Kongress für internationale Arbeiterschutzgesetzgebung in Zürich. Greulich trat für starke, einheitliche, religiös und politisch neutrale Gewerkschaften ein, postulierte unter anderem Arbeiterkammern und Tarifverträge. Er unterstützte Streiks, warnte aber davor, sie unüberlegt auszurufen. 1905 war er Mitbegründer des Verbands der Gemeinde- und Staatsarbeiter (heute VPOD) und bis 1915 dessen erster Präsident.

Erst spät gelangte Greulich als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei in politische Ämter: 1892-1925 sass er im Grossen Stadtrat Zürichs (1904-1905 Präsident; heute Gemeinderat), 1890-1893, 1896-1899 und 1901-1925 im Kantonsrat, 1902-1905 und 1908-1925 im Nationalrat. In allen Räten setzte er sich besonders für sozialpolitische Belange und das Frauenstimmrecht ein. Gegenüber der sich nach 1900 radikalisierenden Arbeiterbewegung war Greulich kritisch eingestellt. Die Taktik des Generalstreiks lehnte er wie die im Ersten Weltkrieg entstehenden linken Strömungen und später die Kommunisten ab, verteidigte aber den Landesstreik von 1918. In der Zweiten Internationale, an deren Kongressen er wiederholt teilnahm, zählte er zu den herausragenden Persönlichkeiten.

Herman Greulich blieb zeitlebens reformistischen Anschauungen und einem politischen Pragmatismus verpflichtet. Die anstehenden Probleme wollte er im Rahmen der vorhandenen Staats- und Gesellschaftsordnung zwischen gleich starken Partnern lösen und so die Arbeiterschaft am Staat teilhaben lassen. Sein lebenslanger Einsatz für die "Menschwerdung des Proletariats" machte den als "Papa Greulich" Verehrten zum Wegbereiter der schweizerischen Arbeiterbewegung und zu einer ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten vor dem Ersten Weltkrieg. Zugleich leistete er einen wichtigen Beitrag zur Ausgestaltung der schweizerischen Sozialpolitik.

Quellen und Literatur

  • Teilnachlässe in: Privatbesitz, Sozarch, Internat. Institut für Sozialgesch., Amsterdam
  • E. Weckerle, Herman Greulich (1842-1925), 1947, (mit Werkverz.)
  • W. Kuhn, Die Bedeutung Charles Fouriers für die Gedankenwelt Herman Greulichs, 1949, (mit Werkverz.)
  • Gruner, Bundesversammlung 1, 72 f.
  • Gruner, Arbeiter
  • Gruner, Arbeiterschaft
Weblinks
Normdateien
GND
VIAF

Zitiervorschlag

Markus Bürgi: "Greulich, Herman", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.01.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003738/2006-01-19/, konsultiert am 08.12.2024.