31.12.1889 Cossonay, 11.4.1958 Paris, reformiert, von Château-d'Œx. Sohn des Edouard, Handelsagenten, Gemeinderatspräsidenten von Lausanne (1910) und Grossrats, und der Ella geborene Schenk. 1915 Mathilde Golaz, Tochter des Donat Golaz. 1912 Dr. iur. der Universität Lausanne. Anwalt. Major.
Marcel Pilet-Golaz amtierte 1921-1928 als freisinniger Grossrat der Waadt und 1925-1928 als Nationalrat. 1926 bekämpfte er das Streikrecht für Beamte. Am 13. Dezember 1928 wurde er als Nachfolger des Waadtländers Ernest Chuard in den Bundesrat gewählt; er leitete 1929 das Departement des Innern und 1930-1939 das Post- und Eisenbahndepartement. 1930 richtete er das Amt für Elektrizitätswirtschaft, 1935 das eidgenössische Amt für Verkehr ein, das eine bessere Abstimmung der Verkehrsträger Schiene und Strasse gewährleisten sollte. Zur Förderung des Rundfunks erteilte er sechs nationalen Sendern eine Betriebskonzession. Als Departementschef von Post und Bahn sozusagen grösster Arbeitgeber des Landes, blieb Pilet-Golaz seiner sozialpolitischen Linie treu, die ihm schon bei seiner Wahl 1928 die Feindseligkeit der Sozialdemokraten und einiger Linksfreisinnigen eingebracht hatte. So fand die deflationistische Politik seines katholisch-konservativen Bundesratskollegen Jean-Marie Musy zur Sanierung der Staatsfinanzen seine Unterstützung.
Während seiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident nach 1934 ersetzte Pilet-Golaz am 2. März 1940 Giuseppe Motta an der Spitze des Politischen Departements. In dieser Doppelfunktion war er mit der tiefen Verunsicherung konfrontiert, welche die Schweiz nach der Niederlage Frankreichs im Juni erfasste. Die mit den übrigen Bundesräten abgesprochene Rede, die er am 25. Juni 1940 hielt, sollte die Nation beruhigen. Seine ungeschickte Rhetorik und zweideutige Äusserungen über eine autoritäre Erneuerung der Demokratie lösten grosse Zweifel über seine Absichten aus, und Pilet-Golaz unternahm nichts, um diese Missverständnisse zu klären. Der Empfang von Vertretern der Nationalen Bewegung der Schweiz, die offen den Anschluss der Schweiz ans Deutsche Reich forderten, am 10. und 14. September desselben Jahres vergrösserte die Vorbehalte ihm gegenüber vielmehr noch, was seinem Ruf dauerhaft schadete.
Pilet-Golaz' Aufgabe war es, die bundesrätliche Politik der Neutralität umzusetzen. Er liess seine Kollegen zwar nicht an der engen Beziehung teilhaben, die er zum deutschen Minister in Bern unterhielt, aber seine Haltung während der akuten diplomatischen Krise im Juli 1940 nach Gefechten zwischen der Luftwaffe und Schweizer Jagdfliegern und seine Stellungnahmen zu den wiederholten Beschwerden des Reichs gegen die Schweizer Presse oder bei Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland lassen keine Zweifel an seinem Willen aufkommen, die Unabhängigkeit und das Gebiet der ab November 1942 von den Achsenmächten eingeschlossenen Schweiz zu verteidigen. Allerdings schien Pilet-Golaz zumindest bis Herbst 1942 von einem Sieg Deutschlands überzeugt gewesen zu sein. Die unvorsichtige Ausdrucksweise, die wohl aus Berechnung erfolgte, vermochte Berlin mehrfach zu täuschen, sowohl bezüglich der Entschlossenheit seiner demokratischen Überzeugung wie auch seiner Absicht, die absolute Neutralität der Schweiz zu wahren. 1943 griff die Deutschschweizer Presse Befürchtungen auf, die im Bundeshaus kursierten; einige Artikel rückten Pilet-Golaz' Haltung in die Nähe jener von Bundesrat Arthur Hoffmann, der sich 1917 bei dem Versuch, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln, kompromittiert hatte und zurücktreten musste. Besonders schädigend für sein Ansehen war der Vergleich mit dem von ihm wenig geschätzten General Henri Guisan, der ebenfalls aus der Waadt stammte. Der Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit führte im Dezember 1944 zu Pilet-Golaz' Rücktritt, nachdem die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Moskau gescheitert war. Marcel Pilet-Golaz zog sich auf sein Anwesen in Essertines-sur-Rolle zurück. Auf eine Veröffentlichung seiner Memoiren verzichtete er, ebenso auf jeden Versuch, seine Politik zu verteidigen.