3.3.1927 La Chaux-de-Fonds, 8.6.2016 Neuenburg, reformiert, von Savagnier. Anwalt, Neuenburger Ständerat, sozialdemokratischer Bundesrat.
Pierre Aubert, Sohn des Jules-Alfred Aubert, Anwalts und Notars, und der Susanne-Henriette geborene Erni, wuchs zusammen mit seiner Schwester in einem familiären Umfeld protestantischer und liberal-konservativer Prägung auf. Louis Aubert war sein Grossvater, Jean-François Aubert sein Cousin. Er besuchte das Gymnasium in La Chaux-de-Fonds und schloss sein Rechtsstudium an der Universität Neuenburg 1951 mit dem Lizenziat ab. Als Student trat er der Zofingia bei. Nach einem Studienjahr 1951-1952 in Heidelberg erwarb er sein Anwaltspatent. 1953 heiratete er Anne-Lise Borel, diplomierte Handelssekretärin (1950 Ecole supérieure de commerce Neuenburg), Tochter des Paul-Henri-Léon Borel, Versicherungsvertreters, und der Marie-Anne geborene Calame. Das Paar hatte zwei Kinder.
Nachdem Aubert Partner in der Anwaltskanzlei seines Vaters geworden war, die dieser mit Tell Perrin gegründet hatte, verpflichtete er namentlich Raymond Spira, der Teilhaber der Kanzlei und später Richter am Eidgenössischen Versicherungsgericht wurde. Während seiner Anwaltstätigkeit 1952-1977 nahm sich Aubert gesellschaftspolitischer Themen an. So verteidigte er ab den 1950er Jahren wiederholt Dienstverweigerer sowie Personen, die beschuldigt wurden, eine Abtreibung vorgenommen zu haben. Er forderte 1967 als Christ, dass die reformierte Kirche sich vermehrt sozialpolitischer Fragen annehmen sollte. 1958 trat er – in Abweichung von der Familientradition – der Neuenburger Sozialdemokratischen Partei (SP) bei. Er engagierte sich vorrangig für die Rechte der Frauen und trug dazu bei, dass im Kanton Neuenburg 1959 das Frauenstimmrecht angenommen wurde. Nach seiner Wahl in den Generalrat von La Chaux-de-Fonds, dem er 1960-1968 angehörte (1967-1968 Präsident), forderte er die Einrichtung einer Familienplanungsstelle. 1965 war Aubert Gründungsmitglied der Neuenburger Sektion der Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI), die er als Nachfolger von Jean Treina ab 1970 präsidierte (Naher Osten, Israel). Von seinem Vater übernahm er 1971 den Vorsitz des Touring Clubs Schweiz (TCS) für die Region Montagnes neuchâteloises. Im gleichen Jahr berief ihn der Regierungsrat auf Grundlage des neuen Universitätsgesetzes an die Spitze des Universitätsrats (Universität Neuenburg). 1961-1975 gehörte er dem Neuenburger Grossen Rat an, den er 1969 präsidierte. Als die Neuenburger Ständerätinnen und Ständeräte dank einer Volksinitiative der SP ab 1971 nicht mehr vom Grossen Rat, sondern vom Stimmvolk gewählt wurden, konnte sich Pierre Aubert noch im gleichen Jahr im zweiten Wahlgang gegen den amtierenden Liberalen Blaise Clerc durchsetzen (Bundesversammlung). 1975 wurde er wiedergewählt. Als Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Ständerats (1971-1977) beeinflusste er 1974 massgeblich den Entscheid des Parlaments, die Beiträge der Schweiz an die Unesco um 10% zu kürzen, weil deren Beschlüsse als anti-israelisch wahrgenommen wurden. 1974-1977 gehörte er der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Strassburg an und war dort Generalberichterstatter der politischen Kommission. Im Ständerat wurde er als moderater und konsensorientierter Sozialdemokrat geschätzt. Nachdem Pierre Graber seinen Rücktritt aus dem Bundesrat bekannt gegeben hatte, schlug die Neuenburger SP René Felber als Nachfolgekandidaten vor. Die SP-Fraktion im Bundeshaus stellte jedoch den bei deutschsprachigen und bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentariern bekannteren Pierre Aubert auf. Am 7. Dezember 1977 wurde Aubert von der Bundesversammlung mit 190 Stimmen bei einem absoluten Mehr von 117 im ersten Wahlgang gewählt. Ohne Exekutiverfahrung – Aubert hatte sich zuvor stets geweigert, für den Gemeinderat von La Chaux-de-Fonds zu kandidieren – übernahm er das Politische Departement (ab 1979 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, EDA), dem er bis zu seinem Rücktritt 1987 vorstand, und erklärte gleich zu Beginn seiner Amtszeit, die Politik Pierre Grabers fortführen zu wollen. 1983 und 1987 war er Bundespräsident.
Innerhalb des Departements verschlechterte sich Auberts Beziehung zu seinem Generalsekretär Albert Weitnauer zusehends, der ab 1976 Vorsteher der Politischen Direktion war und 1979 zum Staatssekretär ernannt wurde. Auf Weitnauer, Vertreter einer wirtschaftsfreundlichen Neutralitätspolitik, folgten 1980 Raymond Probst und 1984 Edouard Brunner im Amt. Umgeben von starken Persönlichkeiten, die über eine langjährige Erfahrung in der eidgenössischen Verwaltung verfügten, musste sich Aubert von den Medien wiederholt vorwerfen lassen, sein Departement nicht mit der notwendigen Autorität, Entschlossenheit und Ausdauer zu führen, was auch einige wirtschaftsfreundliche Parlamentsmitglieder, insbesondere aus der Deutschschweiz, aufgriffen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit forderte Aubert ein stärkeres internationales Engagement der Schweiz für die Menschenrechte, ohne der Neutralitätspolitik zu schaden. Aufbauend auf den seit 1948 erfolgten Bestrebungen gewichtete er diesen Aspekt der Aussenpolitik besonders stark. Er befürwortete den Ausbau bilateraler Beziehungen und die Beteiligung an internationalen Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen. Von den Auslandsvertretern verlangte er, dem EDA Menschenrechtsverletzungen zu melden und so oft als möglich informell oder öffentlich Druck auszuüben, was seine politischen Gegner als Naivität oder ungeschickte Einmischung in die Innenpolitik anderer Staaten kritisierten. Der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 und der Ausnahmezustand in Polen ab 1981 verschärften die internationalen Spannungen und verringerten den Spielraum der Schweizer Diplomatie. Während seines Mandats verfolgte Aubert Max Petitpierres Grundsatz der Universalität in der Aussenpolitik weiter. Anders als seine Vorgänger, welche die Schweiz nur selten verlassen hatten, unternahm er während seiner Amtszeit 55 Auslandsreisen, um die Eidgenossenschaft international nicht nur als Finanz- und Handelspartnerin, sondern auch als Akteurin bei den Bemühungen um eine Entspannung der weltpolitischen Lage zu positionieren. 1979 besuchte er Afrika, 1984 Lateinamerika, 1985 den Nahen und Fernen Osten sowie 1982 und 1986 die Sowjetunion. 1979 absolvierte er als erster Bundesrat Staatsbesuche in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, was scharf kritisiert wurde (u.a. als Verschwendung öffentlicher Gelder). Dessen ungeachtet stärkte er die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit.
Auf Bitte der Palästinenser traf Aubert 1981 den Verantwortlichen für die auswärtigen Angelegenheiten der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, Farouk Kaddoumi, in Bern und bot die Guten Dienste der Schweiz für eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts unter der Bedingung an, dass alle betroffenen Parteien einzubeziehen seien. Diese Unterredung löste Reaktionen insbesondere pro-israelischer Kreise aus. Sein Bemühen um diplomatische Kontakte zu den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren der internationalen Politik führten dazu, dass Aubert sich mit Regierungsvertretern Südafrikas traf, im Juni 1986 aber auch Oliver Tambo empfing, den Präsidenten des African National Congress (ANC) und Repräsentanten der wichtigsten Oppositionsbewegung gegen das rassistische Apartheid-Regime. Mit dem Sturz und der Flucht des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos im März 1986 (Philippinen) wurde dessen Vermögen auf Schweizer Banken zu einem aussenpolitischen Problem. In Folge einer Medienmitteilung der Eidgenössischen Bankenkommission hatte die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) einen engen Mitarbeiter Auberts über den von der Familie Marcos beantragten Abzug der Gelder informiert. Dem Aussenminister gelang es, seine Amtskollegen von einer sofortigen Sperrung sämtlicher Bankkonten (u.a. auch beim Schweizerischen Bankverein, SBV, und der Paribas Suisse) zu überzeugen. Dieser dringliche Regierungsentscheid stellte ein Novum dar und legte den Grundstein für künftige Massnahmen gegen illegale Potentatengelder. Noch im gleichen Jahr wurde auch das Vermögen des haitianischen Diktators Jean-Claude Duvalier eingefroren (Haiti).
Pierre Aubert präsidierte 1981 das Ministerkomitee des Europarats. Obwohl die Schweiz 1976 die Europäische Sozialcharta unterzeichnet hatte, gelang es ihm 1984 nicht, das Parlament von deren Ratifizierung zu überzeugen. Spätere Versuche sollten ebenfalls am Widerstand wirtschaftsnaher Kreise scheitern. Auch der Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen (UNO) wurde trotz seiner langjährigen Bemühungen 1986 von Volk und Ständen mit 75,7% Nein-Stimmen abgelehnt. Allerdings gelang Aubert eine Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich, die nicht zuletzt wegen der Steuerflucht französischer Gelder nach dem Wahlsieg der Linken 1981 belastet waren. 1983 stattete François Mitterrand als erster französischer Präsident seit 1910 der Schweiz einen offiziellen Besuch ab. Die beiden befreundeten sich und zwei Jahre später besuchte Mitterrand ihn zusammen mit dem französischen Aussenminister Roland Dumas privat in Auvernier. 1993 ernannte ihn Mitterand zum Grossoffizier der französischen Ehrenlegion.
Nach seinem Rücktritt aus dem Bundesrat auf Ende 1987 zog sich Aubert aus der Politik zurück. 1988 setzte er sich für den internationalen Kampf gegen Fälschungen ein. 1991 erhielt er das Grosskreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik.
Pierre Auberts zentrales Vermächtnis als Bundesrat liegt zweifelsohne in der Bedeutung, welche den Menschenrechten seit seiner Amtszeit in der Schweizer Aussenpolitik zukommt. Hingegen untergruben die internationalen Spannungen und das Nein zum UNO-Beitritt seine Bemühungen um eine politische Öffnung der Schweiz gegenüber Europa und der Welt. Insbesondere in der Führung des EDA wurde er oft als blauäugig, zu warmherzig und zu schwach dargestellt. Dabei stammten seine Kritiker nicht nur aus den Deutschschweizer Wirtschaftskreisen, sondern mit Parteipräsident Helmut Hubacher auch aus seiner eigenen Partei. Die neuere historische Forschung relativiert diese Vorwürfe allerdings und unterstreicht demgegenüber Auberts nachhaltige Verdienste um die Aussenpolitik der Schweiz.