5.2.1941 Pfeffikon, reformiert, von Sins und Rickenbach (LU, von Pfeffikon bis 2012). Unternehmer, Luzerner Nationalrat und Ständerat, freisinniger Bundesrat.
Kaspar Villiger wuchs als jüngstes Kind des Zigarrenfabrikanten Max Villiger und der Dora Charlotte geborene Heiz in Pfeffikon, einer liberalen Hochburg im mehrheitlich katholischen Kanton Luzern, auf. Die reformierte Familie Villiger war im Stumpenland im aargauischen Wynental verwurzelt; sie litt zu Beginn der 1950er Jahre unter Anfeindungen der Tabakindustrie, da der Vater gegen die Kontingentierung des Tabakimports (Tabak) ankämpfte. Villiger besuchte 1957-1960 die liberal geprägte Kantonsschule Aarau und studierte danach Maschinenbau an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Nach Vertiefungen in Regelungstechnik und Aerodynamik schloss er 1966 mit einer Diplomarbeit zur Nukleartechnik ab. Im selben Jahr starb sein Vater und sein älterer Bruder Heinrich Villiger, der als Nachfolger im Betrieb vorgesehen war, bat ihn um Hilfe. Obwohl er sich gerne der Wissenschaft zugewandt hätte, übernahm Kaspar Villiger das Familiengeschäft in der Schweiz, während sein Bruder sich um jenes in Deutschland kümmerte und seine Schwester Monika Villiger den Export leitete. Mit dem Kauf der Buttisholzer Fabrik Kalt erweiterte er 1980 das Unternehmensportfolio um Villiger Velo (Fahrrad). 1973 heiratete er die Primarlehrerin Vera Preisig, Tochter des Bankdirektors Karl Preisig. Das Paar hat zwei Töchter.
1971 ernannte der Aargauische Arbeitgeberverband Villiger zum Präsidenten, womit seine politische Aktivität begann. Im folgenden Jahr zog er für die Liberalen (Freisinnig-Demokratische Partei, FDP) in den Luzerner Grossrat ein. Obwohl eine politische Karriere nicht im Zentrum stand, rückte er 1982 als Ersatzmann für Erwin Muff in den Nationalrat nach (Bundesversammlung); dort gehörte er der Militärkommission an. 1987 wurde Villiger mit einem Glanzresultat in den Ständerat gewählt, wo er in der Geschäftsprüfungskommission und der Verkehrskommission sass.
Nach dem unfreiwilligen Rücktritt der freisinnigen Zürcher Bundesrätin Elisabeth Kopp war der Luzerner Liberale als Kandidat für deren Nachfolge im Gespräch. Am 1. Februar 1989 wurde Villiger im ersten Wahlgang mit 124 Stimmen bei einem absoluten Mehr von 118 Stimmen in den Bundesrat gewählt. Weitere Stimmen erhielten der Urner Nationalrat Franz Steinegger (35), die Zürcher Ständerätin Monika Weber (33), der Zuger Nationalrat Georg Stucky (19) und die Zürcher Nationalrätin Lilian Uchtenhagen (13). Um Interessenkonflikte zu vermeiden, verkaufte Villiger seine Firmenanteile seinem Bruder. 1989-1995 stand er dem Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) und 1996-2003 dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) vor. Villiger bekleidete 1995 und 2002 das Amt des Bundespräsidenten.
An der Spitze des EMD sah Villiger sich mit mehreren Krisen konfrontiert. Dazu gehörten die Volksinitiative zur Abschaffung der Armee, die am 26. November 1989 einen Achtungserfolg von 35,6% Ja-Stimmen erreichte, und die Skandale um die Geheimorganisationen P-26 und P-27 (Nachrichtendienste) sowie um die geheime Personenkartei des EMD, die im Zuge der Fichenaffäre (Staatsschutz) entdeckt worden war. Im November und Dezember 1990 musste sich Villiger zweimal vor Parlamentarischen Untersuchungskommissionen zur Verstrickung seines Departements in diese Skandale äussern und wurde dazu aufgefordert, Gegenmassnahmen zu ergreifen. Nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem überraschenden Ergebnis der Abstimmung über die Abschaffung der Armee reagierte Villiger auf die neuen Verhältnisse und stoppte die für 2010 geplante Armeereform. Stattdessen leitete er mit dem ehrgeizigen Reformziel Armee 95 den bislang grössten Abbau der Schweizer Armee sowie deren Modernisierung ein.
Nach dem Rücktritt des Sozialdemokraten Otto Stich 1995 übernahm Villiger 1996 das EFD. Wegen der Immobilienkrise der 1990er Jahre kollabierten zahlreiche Banken, die Schweizer Wirtschaft stagnierte und die Arbeitslosigkeit nahm zu (Konjunktur). Dank einer kompromissorientierten Finanzpolitik, die mehrere Sparprogramme, die Einführung einer neuartigen Schuldenbremse und die Modernisierung des Finanzausgleichs beinhaltete, gelang es Villiger jedoch, den Bundeshaushalt zu stabilisieren.
Der Bundesbeschluss vom 13. Dezember 1996 verbot die Vernichtung von Akten über nachrichtenlose Vermögen von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung und erteilte dem Bundesrat den Auftrag, eine gesetzliche Lösung zu erarbeiten. Als ein Wachmann 1997 bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) dennoch Vorbereitungen zur Vernichtung derartiger Akten beobachtete, ging er an die Öffentlichkeit (Fall Meili) und löste damit eine Klagewelle in den USA aus. Villiger erkannte die Bedeutung des Themas und trug zur Einsetzung einer Taskforce bei, die dem Aussendepartement unterstellt wurde; am 12. August 1998 erfolgte der Abschluss des Vergleichs zwischen den Grossbanken und den jüdischen Klägern in den USA. Das Gesetzesprojekt geriet jedoch ins Stocken, worauf der Bundesrat 2002 die Federführung vom Justiz- zum Finanzdepartement verschob. Villiger setzte daraufhin eine Expertenkommission ein, um das Anliegen der Selbstregulierung der Banken bei einem zukünftigen Gesetz stärker zu berücksichtigen.
Seine Fähigkeiten als Krisenmanager und Kommunikator stellte Villiger 2001 nach dem Swissair-Grounding erneut unter Beweis. Die nationale Fluggesellschaft musste ihren Flugbetrieb aus Liquiditätsgründen einstellen, da die UBS nicht auf das bundesrätliche Angebot zur Rettung der Swissair eintrat. In der Folge leitete Villiger kurzfristig eine Rettungsaktion ein und nutzte seine Autorität als Vorsteher des EFD und seine Verbindungen, um zusammen mit Unternehmern und Bankiers die neue Airline Swiss ins Leben zu rufen. Nachdem das Stimmvolk am 3. März 2002 in einer Volksinitiative für einen Beitritt zu den Vereinten Nationen (UNO) gestimmt hatte, nahm die UNO-Generalversammlung in New York die Schweiz am 10. September 2002 auf. Als Bundespräsident hielt Villiger die Beitrittsrede, in der er erklärte, dass die Neutralität der Schweiz durchaus mit der Zugehörigkeit zur UNO vereinbar sei. Auf aussenpolitischer Ebene kämpfte er für den Erhalt des Bankgeheimnisses, das er 2003 mit der Aushandlung eines bilateralen Zinsbesteuerungsabkommens mit der Europäischen Gemeinschaft, gültig ab 2005, für die nächsten Jahre sichern konnte. Auf Jahresende 2003 trat er als Bundesrat zurück.
Anschliessend hatte Villiger bis ins Jahr 2009 Verwaltungsratsmandate bei Nestlé, der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft (Swiss Re) und der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) inne. Als die UBS in der Finanzkrise 2009 in massive finanzielle Schwierigkeiten geriet, übernahm er den Posten des Verwaltungsratspräsidenten. Villiger sah das Bankwesen generell in der Krise, wenn auch die Politik in der Verantwortung. Zusammen mit CEO Oswald Grübel erreichte er bis 2012 eine Stabilisierung der Grossbank. Er profilierte sich im Ruhestand mit zahlreichen Publikationen als Erneuerer des Liberalismus. Im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der sogenannten Crypto-Affäre – die gleichnamige Schweizer Firma hatte jahrelang vielen Staaten manipulierte Chiffriergeräte verkauft, was den Nachrichtendiensten der USA und der Bundesrepublik Deutschland umfassende Spionagemöglichkeiten eröffnet hatte – kam Villiger 2020 noch einmal in die Schlagzeilen. Er bestritt jedoch, Bescheid gewusst zu haben und verkündete, der ihm als EMD-Chef unterstellte Geheimdienst hätte ihn nie über diese Tätigkeiten informiert.
Kaspar Villiger entschuldigte sich im Namen des Bundesrats erstmals für die Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. 2003 wurde er mit dem Nanny-und-Erich-Fischhofpreis der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet, 2004 verlieh ihm die Universität Luzern den Ehrendoktor und 2016 erhielt er den Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung.