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Tibet

Ausgedehntes Hochland am Fuss des Himalaya, dessen grösster Teil eine der fünf sogenannten Autonomen Regionen der Volksrepublik China bildet. Seine Lage zwischen China und Indien macht Tibet zu einem strategisch wichtigen Gebiet. Die Tibeter, die teils in verschiedenen Provinzen Chinas, teils in der Autonomen Region Tibet leben, verfügen über eine starke religiöse, kulturelle und soziale Identität. Nach der Chinesischen Revolution von 1911 proklamierte der Dalai Lama, der geistige und weltliche Führer der Tibeter, die Unabhängigkeit eines Teils von Tibet. Die Grenzen des unabhängigen Tibets variierten bis zur Gründung der Volksrepublik China 1949 je nach Verlauf der innerchinesischen Konflikte. 1950 setzte Peking der Autonomie Tibets ein Ende und unterwarf die gesamte Region wieder unter seine Kontrolle. Die letzten Chorherren vom Grossen St. Bernhard, die 1933 nach Tibet gekommen waren, mussten das Hochland verlassen. 1959 flüchtete der Dalai Lama und bildete im Ausland eine tibetische Exilregierung.

Das Schicksal der tibetischen Flüchtlinge in Indien und Nepal löste in der Schweizer Öffentlichkeit grosse Anteilnahme aus. Dank dieser sowie der Unterstützung von Geologen, Entwicklungshelfern wie Toni Hagen, und Alpinisten wurden Hilfskomitees zugunsten Tibets gegründet. Zu Beginn der 1960er Jahre kamen die ersten Flüchtlinge aus Tibet in die Schweiz. Sie wurden vor allem im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen sowie in Rikon (Gemeinde Zell ZH) untergebracht, wo die Industriellen Henri und Jacques Kuhn die Errichtung eines Tibet-Instituts (ab 1967 eine tibetische Mönchsgemeinschaft) ermöglichten.

1963 bewilligte der Bundesrat die Aufnahme von maximal 1000 Tibetern in der Schweiz. Ein Jahr später kam er einer Anfrage des Dalai Lama nach und erlaubte ihm, in Genf ein Büro für seinen persönlichen Vertreter in der Schweiz zu eröffnen. Sowohl dieser Beschluss wie auch andere politische Gesten lösten umgehend chinesische Reaktionen aus. Die Schweizer Regierung verwies in ihrer Antwort jeweils auf ihre Neutralität und humanitäre Tradition sowie auf ihren Willen zur Integration der Flüchtlinge. 1966 lebten 579 Tibeter in der Schweiz, 2010 mehr als 3000, womit die Schweiz über die grösste tibetische Gemeinschaft in Europa verfügt. Verschiedene Organisationen unterstützen die Tibeter und deren Kultur, so seit 1973 die Tibet-Gemeinschaft der Schweiz und Liechtenstein. Seit 1977 besteht ein zweites Kloster und Studienzentrum auf dem Mont-Pèlerin (Gemeinde Chardonne). Während der Besuche des Dalai Lama in der Schweiz hielt sich der Bundesrat jeweils zurück, um Konflikten mit China aus dem Weg zu gehen. Unter der Bevölkerung, aber auch im Parlament geniessen die Tibeter sowohl aus religiös-kulturellen als auch aus politischen Gründen nach wie vor grosse Sympathien. Dies zeigte sich 1999 während des Besuchs des chinesischen Staatschefs, als auf dem Bundesplatz eine pro-tibetische Demonstration stattfand. Trotzdem betrachtet die Schweizer Regierung Tibet offiziell als festen Bestandteil der Volksrepublik China. Sie versucht jedoch vor allem im Rahmen der bilateralen Gespräche über die Menschenrechte, die sie seit 1991 mit China führt, auf die Menschenrechtslage, den Schutz der Minderheiten und die Wahrung des kulturellen Erbes in Tibet hinzuweisen.

Quellen und Literatur

  • EDA, Dok.
  • C. Schmidt, Exil Schweiz: Tibeter auf der Flucht, 2009
Weblinks
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GND

Zitiervorschlag

Marc Perrenoud: "Tibet", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.02.2014, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006643/2014-02-25/, konsultiert am 13.04.2024.