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ReichenauD

Ehemaliges Benediktinerkloster in der Gemeinde Reichenau (Region Baden), Bistum Konstanz, auf der Insel Reichenau im Bodensee. Die Abtei Reichenau wurde 724 vom Wanderbischof Pirmin im Auftrag des karolingischen Hausmeiers Karl Martell gegründet. Pirmin musste die Reichenau 727 verlassen. Abt Heddo wurde 732 nach Uri verbannt und gab sein Amt 734 auf. Um 730/746 wurde die Reichenau ein karolingisches Hauskloster und war 737-782 in Personalunion mit dem Bistum Konstanz verbunden. Um 746 sollen jeweils zwölf Mönche zur Instruktion nach Murbach, Niederaltaich (Niederbayern) und Pfäfers entsandt worden sein. Die Frühgeschichte des Konvents, der um die Mitte des 8. Jahrhunderts rund 100 Mönche zählte, wurde in der jüngsten Forschung teilweise in Frage gestellt. Unter Waldo ging die Reichenau zur Professformel Benedikts von Aniane über. Waldo und Heito hatten am karolingischen Hof eine bedeutsame Stellung inne. Die Bautätigkeit (Neubau Klosterkirche, St. Galler Klosterplan), literarische und monastische Werke (u.a. «Visio Wettini», Verbrüderungsbuch) sowie die Malerei (Buchmalerei, Fresken) veranschaulichen die Blütezeit des Klosters im 8. und 9. Jahrhundert.

Die Grundherrschaft des Klosters umfasste weit gestreuten Besitz am Untersee, im Hegau, in Schwaben und im Thurgau (u.a. Ermatingen, Frauenfeld), wobei vor allem der Besitz in der heutigen Nordschweiz, zwischen der Aare im Westen und dem Zürichsee im Süden, für die Reichenau von zentraler Bedeutung war. Der Besitz im Thurtal, der seinen ursprünglichen Aufbau am längsten bewahrte und im 15. Jahrhundert innert kurzer Zeit verloren ging, gehörte zu den wirtschaftlichen Grundlagen des Klosters, das ihn auch selbst verwaltet hatte. Die Herkunft der Güter im Gebiet der Nordschweiz, bei Chur und am Comersee ist weitgehend unbekannt, doch stammte wohl ein grosser Teil aus karolingischem Besitz. Dem wachsenden Konvent (824 112 Mönche, um 850 134) gehörten Hochfreie aus dem schwäbischen Jura und dem Hegau an. Neben dem Recht der freien Abtwahl (815) und dem eingeschränkten servitium regis (829) erhielt die Reichenau 887 die Freiheit von Zoll und Abgaben in Alemannien. Nach dem Zerfall der Klosterzucht wurde unter Alawich die Gorzer Reform eingeführt, worauf das Kloster eine zweite Blütezeit erlebte, die bis ins 11. Jahrhundert andauerte. Im Investiturstreit war die Reichenau eine Hauptstütze der päpstlichen Partei am Bodensee und verbrüderte sich mit Hirsau, ohne dessen Reform zu übernehmen. Mit dem kaiserlich gesinnten St. Gallen war sie jahrelang in Kämpfe verwickelt. In dieser Zeit verschlechterte sich die Wirtschaftslage des Klosters. Trotz der Konsolidierung im 12. Jahrhundert ging mit Diethelm von Krenkingen, der auch Bischof von Konstanz war, die aktive Reichspolitik zu Ende. Der Klosterbrand von 1235 vernichtete Konvents- und Wirtschaftsgebäude, worauf die Mönche das gemeinsame Leben aufgaben und in eigene Kurien zogen. Nachdem der Bischof von Konstanz Mitte des 13. Jahrhunderts vergeblich versucht hatte, das Kloster an sich zu ziehen, verkauften oder verpfändeten die Äbte immer grössere Teile des Klosterbesitzes. Die Habsburger erwarben 1264 die Vogteirechte über den Besitz im Thurgau. Trotz zahlreicher Inkorporationen setzte sich die Misswirtschaft unter Eberhard und Mangold von Brandis fort. 1367 übergab die Abtei ihren gesamten Besitz einem Gläubigerkonsortium und sank zu einer Grundherrschaft mittleren Umfangs ab. Friedrich von Wartenberg versuchte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch den Verzicht auf die hochadlige Exklusivität eine Reorganisation. Der Abt liess die Klostermauer, das Dormitorium und das Refektorium errichten und begann mit dem Bau des Ostchors des Münsters. 1508 wurde das Kloster jedoch wegen Misswirtschaft ins Bistum Konstanz inkorporiert. Wegen des Widerstands der Habsburger wurde die Inkorporation erst 1540 rechtsgültig. Das Priorat blieb mit zwölf bürgerlichen Mönchen besetzt. Die Absicht dieses Konvents, das Kloster zu reorganisieren, führte 1757 zur Vertreibung der Mönche und zur Aufhebung des Klosters durch ein päpstliches Breve. Eine Gruppe von Mönchen der Mission blieb bis 1799 auf der Insel. Die Reichenau fiel 1803 an das Kurfürstentum Baden. Seit 2000 gehört die Insel Reichenau zum Unesco-Weltkulturerbe.

Quellen und Literatur

  • Germania Benedictina 5, 1975, 503 f.
  • HS III/1, 1059-1100
  • Die dt. Königspfalzen 3, bearb. von H. Maurer, 2004, 493-571
  • T. John, Die Klosterinsel Reichenau im Bodensee, 2006
  • T. Kreutzer, Verblichener Glanz, 2008
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Immo Eberl: "Reichenau (D)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007103/2011-12-23/, konsultiert am 19.03.2024.