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Vinschgau

Südtiroler Talschaft (italienisch Val Venosta) im obersten Etschgebiet, die zur italienischen Provinz Bozen gehört, von Naturns westlich von Meran bis zum Reschenpass (Malser Heide) reicht, in ihrem oberen Teil an das schweizerische Münstertal und das Unterengadin angrenzt und 2001 34'260 Einwohner zählte. Seit der Bronzezeit lässt sich eine kontinuierliche Besiedlung nachweisen. In der jüngeren Eisenzeit lebte dort der rätische Stamm der Venostes; vom Tartscher Bühel stammt ein Hirschhornfund mit rätischer Inschrift. In neuester Zeit erfolgten Ausgrabungen von rätischen Häusern am Abhang Ganglegg bei Schluderns. Rätische Wall- und Fluchtburgen erschwerten den Römern ab 16 v.Chr. die Eroberung des Gebiets. Trotz des Baus der römischen Via Claudia Augusta um 50 n.Chr. über die Reschenscheideck (niedrigster Alpenübergang) erfuhr das Tal keinen grossen Landesausbau. Im Frühmittelalter ist noch von einer Waldlandschaft die Rede (silva vinestana).

Eine breite Kolonisation des Vinschgaus erfolgte im 10.-13. Jahrhundert durch vorwiegend romanische Siedler, grösstenteils freie Bauern. Die Niederlassung von Leuten deutscher Herkunft ab dem 12. Jahrhundert wurde vor allem vom Kloster Marienberg gefördert. Im Mittelalter bestanden enge Beziehungen zwischen dem Vinschgau und Chur. Schon zu Beginn des 8. Jahrhunderts liess der churrätische Präses Victor für ein Grabmal einen Marmorstein aus dem Vinschgau (de Venosta) kommen. Kirchlich gehörte der Vinschgau ab dem Frühmittelalter zum Bistum Chur. In weltlicher Hinsicht bildete er im Hochmittelalter zusammen mit dem Unterengadin eine eigene Grafschaft. Als Kaiser Konrad II. 1027 die Grafschaften Bozen und Vinschgau dem Bischof von Trient verlieh, kam es im Vinschgau zu Überschneidungen in weltlichen und kirchlichen Belangen. Im Allgemeinen behauptete sich aber Chur, wie das Beispiel von Mortér 1181 zeigt, als der Bischof von Trient als Landesherr die dortige Vigiliuskapelle nur mit Erlaubnis des Bischofs von Chur weihen konnte. Im 13. Jahrhundert errangen die Grafen von Tirol die Landeshoheit über die Grafschaft Vinschgau-Unterengadin. Innerhalb dieses Grafschaftsgebiets besass aber die Churer Kirche im Vinschgau Rechte an Gütern und Leuten, die ihr schon 967 von Kaiser Otto I. übertragen worden waren. Es handelte sich dabei um einen ansehnlichen Besitz, der sich vorwiegend auf den Obervinschgau konzentrierte. Der Bischof von Chur liess seine weltlichen Rechte im Vinschgau durch Vögte und weitere Amtsleute ausüben. Als Vögte amtierten im Spätmittelalter die Herren von Matsch, die sich aber in langjährige Fehden mit den Bischöfen verstrickten. Die zum Bistum Chur gehörigen Gotteshausleute unterstanden einem bischöflich-churischen Gericht in Mals. Vorsteher dieses Gerichts war ein vom Bischof bestellter Hauptmann mit Sitz auf der Fürstenburg. Im 16. Jahrhundert erreichte die Reformation den oberen Vinschgau, vor allem Burgeis, wo vorübergehend sogar ein reformierter Pfarrer wirkte. Das Kloster Marienberg nahm jedoch den Kampf gegen den neuen Glauben und gleichzeitig gegen die rätoromanische Sprache auf, die als Sprache der Reformierten geächtet wurde. 1592 festigte sich die Grenze zwischen Taufers und Müstair und damit auch die Sprachgrenze zwischen Graubünden und Tirol. 1618 kam das Gericht Untercalven, d.h. der politisch noch zum Bistum und Gotteshausbund gehörende Teil des Obervinschgaus, zu Tirol und ging damit für Graubünden verloren. In kirchlicher Hinsicht vermochte sich das Bistum Chur im Vinschgau bis 1816 zu behaupten, dann wurde die Talschaft der Diözese Brixen unterstellt. Seit dem Ersten Weltkrieg (Frieden von Saint-Germain, 1919) gehört der heute noch mehrheitlich deutschsprachige Vinschgau zusammen mit Südtirol zu Italien.

Mit dem Ausbau der Strasse über den Ofenpass 1870-1872 und den Umbrailpass um 1901 setzte ein bescheidener Aufschwung im Waren- und Personenverkehr über die Grenze ein. Ab dem 19. Jahrhundert verdingten sich viele Vinschgauer als Knechte, Mägde, Mähder (Heuer) und Hirten im Münstertal und Engadin. Manche von ihnen nahmen hierauf dort Wohnsitz, assimilierten sich und heirateten. Heute finden Grenzgänger aus dem Vinschgau in der Münstertaler Wirtschaft ihren Verdienst. Andererseits erwarben Münstertaler Bauern landwirtschaftliche Güter im Obervinschgau, die sie immer noch bewirtschaften. Die Sprachbarriere setzt engeren kulturellen Kontakten gewisse Grenzen. Die 2005 mit Hilfe von Schweizer Unternehmen wiedereröffnete Vinschgaubahn Mals-Meran wertet die Tourismusregion Vinschgau weiter auf.

Quellen und Literatur

  • E. Meyer-Marthaler, Unters. zur Verfassungs- und Rechtsgesch. der Grafschaft Vintschgau im MA, Tl. 1, 1940
  • J. Rampold, Vinschgau, 1971 (71997)
  • Der Vinschgau und seine Nachbarräume, hg. von R. Loose, 1993
Weblinks
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Zitiervorschlag

Martin Bundi: "Vinschgau", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.01.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007140/2014-01-22/, konsultiert am 03.11.2024.