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ZürichKanton

Ab 1351 eidgenössischer Ort, 1798-1803 Kanton der Helvetischen Republik, seit 1803 Kanton der Eidgenossenschaft. Alte Staatsbezeichnungen: Stadt und Landschaft Zürich, Respublica Tigurina bzw. Turicensis, ab 1803 Kanton Zürich. Amtssprache: Deutsch. Französisch Zurich, italienisch Zurigo, romanisch Turitg. Hauptort ist Zürich.

Wappen des Kantons Zürich
Wappen des Kantons Zürich […]
Oro- und hydrografische Karte des Kantons Zürich mit den wichtigsten Ortschaften
Oro- und hydrografische Karte des Kantons Zürich mit den wichtigsten Ortschaften […]

Ab dem 13. Jahrhundert begann die Stadt Zürich vor allem durch Pfandschaft und Kauf ein Territorium zu erwerben, das sich zunächst dem See entlang, dann ins Oberland und ins Knonaueramt erstreckte. Mit dem Erwerb der Grafschaft Kyburg um die Mitte des 15. Jahrhunderts war die Territorialbildung im Wesentlichen abgeschlossen. Vom 16. bis 18. Jahrhundert und alternierend 1803-1848 war Zürich Vorort der Eidgenossenschaft. Vom Bundesbrief 1351 bis zur Bundesverfassung (BV) von 1999 wird Zürich in der Reihenfolge der Kantone an erster Stelle genannt.

Das Kantonsgebiet gliedert sich in das Weinland im Norden, das aus Glatttal, Furttal, Wehntal und Rafzerfeld bestehende Unterland im Nordwesten, das Limmattal im Westen, das zum Teil bereits voralpin geprägte Oberland im Osten, das südlich anschliessende Zürichseegebiet mit den Hügeln des Pfannenstiels und des Zimmerbergs sowie das Sihltal und das hinter der Albiskette liegende Knonaueramt im Südwesten. Es grenzt im Norden an den Kanton Schaffhausen und Deutschland, im Westen an den Kanton Aargau, im Süden an die Kantone Zug und Schwyz und im Osten an die Kantone St. Gallen und Thurgau.

Struktur der Bodennutzung im Kanton Zürich

Fläche (2006)1 728,8 km2 
Wald / bestockte Fläche530,9 km230,7%
Landwirtschaftliche Nutzfläche750,5 km243,4%
Siedlungsfläche347,3 km220,1%
Unproduktive Fläche100,1 km25,8%
Struktur der Bodennutzung im Kanton Zürich -  Arealstatistik der Schweiz

Hauptsiedlungsgebiete sind die Agglomerationen von Winterthur und Zürich. Letztere erstreckt sich der Limmat entlang nach Westen, dem Zürichsee entlang nach Südosten und nach Norden bis ins Glatttal. In Zürich fliesst die Sihl in die kurz zuvor aus dem Zürichsee ausgetretene Limmat. Im Zürcher Oberland liegen der Greifensee und der Pfäffikersee. Die im Kanton St. Gallen entspringende Töss durchläuft das Oberland und mündet wie die Glatt an der Nordgrenze des Kantons in den Rhein. Auch die Thur durchquert in ihrem Unterlauf den Kanton Zürich. Im Südwesten bildet die Reuss auf einer kurzen Strecke die Grenze zum Kanton Aargau.

Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur des Kantons Zürich

Jahr 18501880a1900195019702000
Einwohner 250 698316 074431 036777 0021 107 7881 247 906
Anteil an Gesamtbevölkerung der Schweiz10,5%11,2%13,0%16,5%17,7%17,1%
Sprache       
Deutsch  313 762413 141725 701918 3701 040 168
Italienisch  1 38611 19225 165113 46549 750
Französisch  1 4713 89416 14518 75617 685
Rätoromanisch  1506103 1014 7062 606
Andere  8072 1996 89052 491137 697
Religion, Konfession       
Protestantisch 243 928283 134345 446560 080659 814532 183
Katholischb 6 69030 29880 752193 120406 280380 440
Christkatholisch    5 1583 1891 435
Andere 804 1444 83818 64438 505333 848
davon jüdischen Glaubens 808062 9336 5326 7136 461
davon islamischen Glaubens     3 96166 520
davon ohne Zugehörigkeitc     17 560165 324
Nationalität       
Schweizer 245 125290 225361 010725 413897 684967 156
Ausländer 5 57325 84970 02651 589210 104280 750
Jahr  19051939196519952005
Beschäftigte im Kanton1. Sektor 63 81865 72121 33517 001d17 235
 2. Sektor 118 132124 708253 290175 114141 766
 3. Sektor 45 983105 071242 386516 633588 034
Jahr  19651975198519952005
Anteil am schweiz. Volkseinkommen 20,3%21,3%21,0%20,9%21,9%

a Einwohner, Nationalität: Wohnbevölkerung; Sprache, Religion: ortsanwesende Bevölkerung

b 1880 und 1900 einschliesslich der Christkatholiken; ab 1950 römisch-katholisch

c zu keiner Konfession oder religiösen Gruppe gehörig

d gemäss landwirtschaftl. Betriebszählung 1996

Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur des Kantons Zürich -  Historische Statistik der Schweiz; eidgenössische Volkszählungen; Bundesamt für Statistik

Von der Urzeit bis ins Frühmittelalter

Ur- und Frühgeschichte

Paläolithikum und Mesolithikum

Auswahl der archäologisch untersuchten Fundstellen im Kanton Zürich (A)
Auswahl der archäologisch untersuchten Fundstellen im Kanton Zürich (A) […]
Auswahl der archäologisch untersuchten Fundstellen im Kanton Zürich (B)
Auswahl der archäologisch untersuchten Fundstellen im Kanton Zürich (B) […]

Die Topografie des Kantons Zürich ist bestimmt durch die Gletscher der Eiszeiten, die ausser am Oberlauf der Töss breite Talsohlen mit fruchtbaren Böden und als landschaftsprägende Relikte Seen hinterliessen. Nur in kleinen Gebieten ausserhalb des letzten Eishöchststands konnten sich Fundstellen vor 12'000 v.Chr. erhalten. Die Begehung durch Neandertaler belegt der Faustkeil von Schlieren (120'000 v.Chr.). Mit dem Abschmelzen der Gletscher und der einsetzenden Bewaldung begann die Besiedlung durch den Homo sapiens. Im Spätpaläolithikum (12'000-10'000 v.Chr., Paläolithikum) und im Mesolithikum (9800-6000 v.Chr.) lässt sich die Nutzung der Silexvorkommen an der Lägern nachweisen. Die Quellenlage für diese Zeit bleibt aber dürftig.

Neolithikum und Bronzezeit

Mangels geeigneter Fundstellen ist unklar, wie sich der in Mitteleuropa im 6. Jahrtausend einsetzende Übergang zu Ackerbau und Viehwirtschaft im Gebiet des Kantons Zürich vollzog  (Neolithikum) und welche Rolle die mit wenigen Funden in Zürich-Mozartstrasse und Wetzikon-Robenhausen nachgewiesene Grossgartacher Kultur (4900-4600 v.Chr.) dabei spielte. Diskutiert wird eine schwer nachzuweisende Akkulturation. Die Quellenlage verbessert sich mit dem Auftauchen der Pfahlbauten auf den in klimatisch günstigen Phasen trocken liegenden Uferzonen am Zürichsee, Greifensee und Pfäffikersee. Die dorfartigen Ufersiedlungen dokumentieren eine rund 3000-jährige Abfolge neolithischer und bronzezeitlicher Kulturen, angefangen mit der Egolzwiler Kultur auf dem Kleinen Hafner (4400-4300 v.Chr.). Dort und bei der nachfolgenden zentralschweizerischen Cortaillodkultur (4300-4000 v.Chr.) weisen die Bezüge nach Westen. Gegen 4000 v.Chr. sind am Rhein Elemente der schwäbischen Hornstaader Gruppe fassbar. Der östliche Kultureinfluss wird um 3800 v.Chr. am Zürichsee, unter anderem in Zürich-Mozartstrasse und Meilen-Schellen nachweisbar. In wenigen Jahrzehnten wurde hier das klassische Cortaillod (4000-3800 v.Chr.) durch die mittlere Pfyner Kultur (3750-3650 v.Chr.) abgelöst. Die Verarmung der Keramik in der nachfolgenden Horgener Kultur (3250-2850 v.Chr.), die lange als Ausdruck einer ethnischen Zäsur galt, erwies sich als längerfristiger Trend. Aufgrund der damals vermutlich erfolgten Umstellung vom Brandrodungsfeldbau zur Feld- und Weidewirtschaft (Feldgraswirtschaft, Weiden) wurde der nach wie vor dichte Waldbestand zunehmend aufgelockert. Die Zeit der Schnurkeramik (2750-2500 v. Chr.) zeichnet sich durch eine weite Verbreitung relativ einheitlicher kultureller Merkmale aus. Zwischen 2500 und 1900 v.Chr. fehlen Seeufersiedlungen. Daher ist die Glockenbecherkultur (2500-2300 v. Chr.), etwa durch Siedlungsfunde in Wetzikon-Kempten und Affoltern-Zwillikon, erst sporadisch fassbar und der Beginn der Bronzezeit, ausser durch einzelne Metallfunde, noch kaum dokumentiert.

Taucharchäologische Untersuchung in Greifensee-Böschen (Fotografie Kantonsarchäologie Zürich).
Taucharchäologische Untersuchung in Greifensee-Böschen (Fotografie Kantonsarchäologie Zürich). […]

Die Frühbronzezeit ist mit zwei Sequenzen von Pfahlbauten belegt, 1900-1750 v.Chr. zum Beispiel in Zürich-Mozartstrasse 1a-b und in Greifensee-Starkstromkabel, 1650-1500 v.Chr. zum Beispiel in Wädenswil-Vorder Au und in Zürich-Mozartstrasse. Keramik im Arboner Stil (Arbon) tauchte um 1600 v.Chr. am mittleren Zürichsee auf. Am Übergang zur Mittelbronzezeit (1500-1350 v.Chr.) setzten die Pfahlbauten erneut aus. Erstmals lassen sich Hof- und Streusiedlungen abseits der Seeufer deutlicher fassen. Auch wurden höhere Lagen permanent besiedelt und auf Kuppen entstanden Höhensiedlungen. Charakteristisch sind in Rastern aufgebaute Grabanlagen mit Körper- und Brandschüttungsgräbern (Nekropolen) zum Teil mit Trachtausstattung. Baltischer Bernstein und Glasperlen (Glas) aus Südosteuropa illustrieren den weiträumigen Austausch von Sachgütern und Beisetzungssitten. Die Körpergräber mit Bestattung in gestreckter Rückenlage schliessen an die frühbronzezeitliche Bestattungstradition an. Neu ist die Kremation, die sich in der Spätbronzezeit vollständig durchsetzt. Die strengen Friedhofraster lösen sich in lockere Gruppen auf. Wichtig wurden unverbrannte Gefäss- bzw. Speisebeigaben. Sinkende Seespiegel ab 1050 bis 800 v.Chr. begünstigten noch einmal Pfahlbauten, etwa in Greifensee-Böschen. Am verkehrsgeografisch bedeutenden Zürcher Seebecken bildete sich eine Agglomeration; vor allem im Norden des Kantons entstanden wieder befestigte Höhensiedlungen. Wirtschaftliche Neuerungen zeichneten sich mit der intensiven Wollproduktion, dem Anbau von Hirse und Dinkel sowie den Anfängen der Graswirtschaft ab.

Eisenzeit

Blaue Glasperle mit weisser Spiralauflage aus Regensdorf-Gubrist, Geissberg, um 250 v.Chr. (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann).
Blaue Glasperle mit weisser Spiralauflage aus Regensdorf-Gubrist, Geissberg, um 250 v.Chr. (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann). […]

Um 800 v.Chr. verschwanden die Pfahlbauten, doch zeigte sich in der materiellen Kultur kein Bruch. Die raren Siedlungsspuren umfassen bislang nur vereinzelte Gruben. Für die Hallstattzeit (800-500 v.Chr.) liefern uns Grabhügel, etwa in Kloten-Homberg und Bonstetten-Giebel, Informationen zur sozialen Differenzierung und der Selbstinszenierung einer Elite. Während zwei bis drei Generationen bestatteten hier vermutlich Sippen ihre Angehörigen. Daneben wurden bis 600 v.Chr. flache Einzelgräber in spätbronzezeitlicher Tradition angelegt, etwa in Neftenbach-Steinmöri oder Kleinandelfingen-Buck. Selten sind mediterrane Luxusgüter und technologische Impulse wie scheibengedrehte Keramik, die in einem befestigten und bis in die frühe Latènezeit bestehenden Herrschaftszentrum auf dem Uetliberg nachgewiesen wurden.

Bronzeeimer aus Fällanden, Sinnenriedt, um 80 v.Chr. (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann).
Bronzeeimer aus Fällanden, Sinnenriedt, um 80 v.Chr. (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann). […]

Nach 500 v.Chr. erfolgten die Bestattungen in flachen Körpergräbern, so etwa in Andelfingen-Hochlaufen. Gegen Ende der Latènezeit (500-15 v.Chr.) setzte sich erneut die Brandbestattung durch. Wohlstand und soziale Stellung wurden im Grabbau nicht mehr ostentativ zur Schau gestellt. Aus der Struktur der Friedhöfe, etwa in Elgg-Breiti, lässt sich auf Streusiedlungen schliessen, deren Spuren aber erst am Beispiel einiger befestigter Gehöfte im Norden des Kantons, so in Benken-Hämmenriet und Marthalen-Steinacker, nachgewiesen werden können. In der Folge der keltischen Expansion (Kelten, 4.-3. Jh. v.Chr.) kam es zu einer eigenständigen Münzprägung (Münzen). Die Münzfunde der Spätlatènezeit belegen den zunehmenden Geldverkehr. Der Geldbedarf ergab sich vermutlich aus der Entwicklung von spezialisiertem Gewerbe und Fernhandel in den nun entstehenden befestigten Siedlungen wie dem Oppidum von Rheinau und nach neueren Forschungen auch auf dem Lindenhof in Zürich. Deren Zusammenhang mit den historischen Ereignissen, etwa dem Zug der Kimbern und Teutonen, Ariovist und dem Auszug der Helvetier, bleibt unklar.

Römerzeit

Mit dem Alpenfeldzug von 15 v.Chr. gelangte das Gebiet des Kantons Zürich unter römische Herrschaft. Bereits im Vorfeld war auf dem Lindenhof an der Stelle einer keltischen Vorgängersiedlung ein Militärposten eingerichtet worden, aus dem sich beidseits der Limmat die kleinstädtische Siedlung Turicum entwickelte. Weitere dieser handwerklich geprägten Zentren entstanden spätestens ab 4 v.Chr. in Oberwinterthur (Vitudurum) und nach der Mitte des 1. Jahrhunderts in Obfelden-Lunnern.

«Die neü entdekten altheiten zu Lunnern». Öl auf Leinwand von Johann Balthasar Bullinger, 1742 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
«Die neü entdekten altheiten zu Lunnern». Öl auf Leinwand von Johann Balthasar Bullinger, 1742 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

Administrativ war das Gebiet des Kantons Zürich zunächst der Provinz Gallia Belgica (Belgica), ab dem späten 1. Jahrhundert der Provinz Obergermanien (Germania Superior) zugeordnet. Die Ostgrenze zur Provinz Rätien (Raetia) verlief vermutlich durch den Kanton Zürich. Eine wichtige Strasse führte von Windisch (Vindonissa) durch das Furttal über Kloten nach Oberwinterthur und Bregenz, eine zweite von Zürich, wo sich auch ein Zollposten befand, über Chur zu den Bündnerpässen. Der Zürichsee und die Flüsse spielten eine wichtige Rolle als Transportwege. Ausserhalb der Vici war die Landschaft von Gutshöfen geprägt. Die Anlagen bestanden zunächst aus Holz und wurden ab der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts in Stein ausgebaut. Die Hauptgebäude waren zum Teil mit Wandmalereien, Wandverkleidungen aus Stein, Bodenmosaiken und Ziergärten reich ausgestattet und verfügten über beheizte Räume, so in Buchs, Oberweningen, Seeb und Dietikon. Neben der Landwirtschaft waren Ziegeleien und Töpfereien, bezeugt in Seeb und Wettswil am Albis, wichtige Einnahmequellen.

Umgearbeitetes Kopfstück einer Marsstatuette aus dem römischen Gutshof Oberweningen, 2. Jahrhundert n.Chr. (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann).
Umgearbeitetes Kopfstück einer Marsstatuette aus dem römischen Gutshof Oberweningen, 2. Jahrhundert n.Chr. (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann). […]

Die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Krisen des Römischen Reichs lassen sich anhand der Brandzerstörungen bei zahlreichen Gutshöfen um die Mitte des 3. Jahrhunderts nachweisen. Die Anlagen wurden zwar zunächst weiterbetrieben, nach weiteren Zerstörungen in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts aber grösstenteils aufgegeben. Die Bevölkerung scheint sich hauptsächlich in die befestigten Zentren zurückgezogen zu haben. Mit der Verlegung der Grenze an den Rhein im späten 3. Jahrhundert lag das Gebiet des Kantons Zürich wieder an der Aussengrenze des Römischen Reichs. Entlang des Rheins wurden Wachttürme aus Holz gebaut (Limes). In Oberwinterthur wurde der sogenannte Kirchhügel mit einer Mauer befestigt und in Zürich vielleicht bereits in dieser Zeit das Kastell errichtet. Nach 370 wurde die Grenzsicherung am Rhein weiter ausgebaut und wichtige Strassenverbindungen und -kreuzungen wurden durch Kastelle (Irgenhausen) oder Kleinfestungen (Kloten) gesichert.

Frühmittelalter

Während für das 5. Jahrhundert kaum Funde vorliegen, sind für das 6. und 7. Jahrhundert die Gräber aufgrund der Ausstattung die wichtigste Informationsquelle, büssen indes nach 700 wegen der Aufgabe der Beigabensitte ihre Aussagekraft zum Teil ein. Für das 8. bis 11. Jahrhundert sind archäologische Befunde von Kirchen, einigen wenigen Siedlungen und Herrschaftszentren zu erwähnen. Die schriftliche Überlieferung (Schriftlichkeit) setzt im Wesentlichen in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts mit Urkunden des Klosters St. Gallen ein.

Bevölkerung und Besiedlung

Für die befestigten Orte Zürich und Oberwinterthur ist eine Kontinuität von der Spätantike ins Frühmittelalter belegt, in Elgg und im Raum Bülach und Kloten (mit spätrömischer Festung) zu vermuten. Kultureller Wandel und das Ausbleiben der Kleingeldzufuhr lassen im 5. Jahrhundert die archäologischen Hinterlassenschaften ausdünnen, doch zeugen Grabfunde des 6. und 7. Jahrhunderts in Bülach, Dietikon, Elgg, Winterthur und Zürich von einem Fortleben der gallorömischen Bevölkerung. Einzelne archäologische Überreste germanischer Prägung (Germanen) der Zeit um 400 und möglicherweise auch die Gräber bei Flaach (um 450 bis um 500) sind noch in Zusammenhang mit der spätantiken Grenzsicherung durch germanische Stammesgruppen zu sehen. In den Gräberfeldern von Bülach, Elgg, Winterthur-Marktgasse und Zürich-Bäckerstrasse belegen Bestattungen des mittleren Drittels des 6. Jahrhunderts, die zum Teil einer Oberschicht zuzuweisen sind, die Präsenz fränkisch geprägter Bevölkerungsgruppen. Sie ist mit der Inbesitznahme des Gebiets durch das Merowingerreich nach 531 in Verbindung zu bringen.

Zweiteilige Gürtelgarnitur aus Bronze mit silbernem Filigrandekor. Fund aus dem Gräberfeld Elgg-Ettenbühl, zweites Drittel 6. Jahrhundert (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann).
Zweiteilige Gürtelgarnitur aus Bronze mit silbernem Filigrandekor. Fund aus dem Gräberfeld Elgg-Ettenbühl, zweites Drittel 6. Jahrhundert (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Martin Bachmann). […]

Die Besiedlung durch alemannische Bevölkerungsgruppen (Alemannen) setzte aufgrund der Grabfunde erst im 7. Jahrhundert ein. Charakteristisches Beispiel ist das reich ausgestattete Frauengrab in der Kirche von Bülach. Mit der Grablege in einem Gotteshaus setzte sich die Führungsschicht zunehmend von der breiten Bevölkerung ab. Ab dem 7. Jahrhundert ist zudem ein deutlicher Siedlungsausbau festzustellen, der sich aufgrund der Grabfunde und der Verbreitung der Ortsnamen-Endungen -ikon (7.-8. Jh.) und -wil (ca. 8.-9. Jh.) sowie ab der Mitte des 8. Jahrhunderts aufgrund der urkundlichen Erstnennungen abzeichnet. Schon um 900 kam es im dicht besiedelten Umland von Zürich zwischen verschiedenen Interessengruppen zu Konflikten um Rodungsland.

Über das Aussehen der Siedlungen ist wenig bekannt, was wesentlich auf das Vorherrschen des archäologisch schlecht nachweisbaren Holzbaus zurückzuführen ist. Selbst Kirchen, unter anderem in Winterthur, Wila und Wülflingen, waren anfänglich oft Holzbauten. Im Profanbereich wurde der Steinbau nur ganz ausnahmsweise bei Herrschaftszentren, etwa in Zürich-Lindenhof und auf dem Uetliberg, verwendet. Nach der Aufgabe der Beigabensitte um 700 können zwar weiterhin einzelne Funde und Befunde – wie frühe Burgen auf dem Uetliberg und Stammheimerberg, Herrschaftszentren oder architektonisch hervorgehobene Grablegen wie die in der Stadtkirche Winterthur und der Kirche von Zell – Hinweise auf die soziale Schichtung der Bevölkerung geben. Ab Mitte des 8. Jahrhunderts vermitteln jedoch vor allem schriftliche Quellen Einblick in die vielfältige horizontale und vertikale Gliederung der Gesellschaft in Verwandtschaften und Gefolgschaften sowie den unterschiedlichen Grad an Freiheit. Um diese Zeit wird mit der Beata-Landolt-Sippe im Zürcher Oberland und am oberen Zürichsee exemplarisch eine Adelsfamilie fassbar, bei der sich ein Gruppenbewusstsein zeigt und die die Verfügungsgewalt über ausgedehnte Güterkomplexe und Personen innehatte. Möglicherweise ist die Grabhügelnekropole des späten 7. Jahrhunderts bei Illnau-Studenbrunnenholz mit dieser Sippe in Verbindung zu bringen.

Formen der politischen Ordnung und Christianisierung

Denar von Rudolf II. von Hochburgund (Vorder- und Rückseite), 912/914-919 (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Manuela Gygax).
Denar von Rudolf II. von Hochburgund (Vorder- und Rückseite), 912/914-919 (Kantonsarchäologie Zürich; Fotografie Manuela Gygax). […]

Über die politische Ordnung vom 5. bis 7. Jahrhundert ist wenig bekannt. Nominell gehörte das Gebiet bis 476 zum weströmischen Reich und dürfte in den folgenden Jahrzehnten in den Besitz des Burgunderreichs (Burgunder) gelangt sein, bis es 531 an das Merowingerreich überging, als dessen Amtsträger für das 6.-7. Jahrhundert alemannische Herzöge belegt sind. 743/747 ist erstmals der Zürichgau als Teil des Thurgaus fassbar. Um 760 entstand unter König Pippin der Fiskus Zürich, eine Verwaltungsorganisation, die an Funktionen des alten Kastellorts anknüpfte. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung Zürichs sind auch die frühmittelalterlichen Umbauten am Kastell und der Neubau der karolingischen Pfalz auf dem Lindenhof zu sehen. Zürich war königlicher Ort (806/810) und Zentrum eines bedeutenden Reichsgutkomplexes des Karolingerreichs (Frankenreich). Mit dessen Zerfall konnte sich das zweite Königreich Burgund für kurze Zeit bis in die Region von Winterthur ausdehnen. Für 912/914-919 ist eine Münzprägung in Zürich, in der gleichen Zeit eine nicht vollendete Burg auf dem Uetliberg belegt. Die Schlacht bei Winterthur 919 zwischen König Rudolf II. von Burgund und Herzog Burchard II. von Schwaben machte diesem burgundischen Herrschaftsausbau ein Ende. Zürich wurde zu einem Vorort des Herzogtums Schwaben, dessen Bedeutung sich in zahlreichen Aufenthalten von Königen und Hoftagen zeigt.

Überrest eines Mörtelmischwerks in Embrach, 8. Jahrhundert, vielleicht erst 9. oder 10. Jahrhundert (Kantonsarchäologie Zürich).
Überrest eines Mörtelmischwerks in Embrach, 8. Jahrhundert, vielleicht erst 9. oder 10. Jahrhundert (Kantonsarchäologie Zürich). […]

Die kirchliche Organisation war eng mit weltlichen Strukturen verbunden. So gehörte der Zürcher Raum als Teil der Civitas Helvetiorum im 6. Jahrhundert zum Bistum Avenches/Windisch (Bistümer). Mit der Neuordnung um 600 ging er an das Bistum Konstanz über. Auch wenn die Gallus-Viten (Gallus) im frühen 7. Jahrhundert im Gebiet von Zürich- und Bodensee nur von einer teilweise christianisierten Bevölkerung (Christianisierung) zeugen, so war zumindest die Oberschicht christlich, was aus Kirchenbauten wie dem von Oberwinterthur (6.-7. Jh.) zu erschliessen ist. Die Errichtung weiterer Gotteshäuser im 7.-8. Jahrhundert zeugt von einem Ausbau der kirchlichen Organisation, zumal nach 700 die Bestattungsplätze zur Kirche hin verlegt wurden. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Pfarreiorganisation, die sich über einen langen Zeitraum erstreckte, spielten die Klöster, wobei Rheinau (um 800) neben den Zürcher Abteien Grossmünster und Fraumünster zu den frühesten Gründungen zählt. Das in einer wohl gefälschten Urkunde von 1044 erstmals erwähnte monasterium von Embrach könnte am Ort eines Herrenhofs gestiftet worden sein, worauf der dort ergrabene Steinbaukomplex schliessen lässt.

Herrschaft, Politik und Verfassung vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Hochmittelalterliche Herrschaftsstrukturen

Die adligen und geistlichen Herrschaften im Zürcher Gebiet

Die schwäbischen Herzöge, ab 1079 die Staufer, die auch deutsche Könige waren, behaupteten ihre Stellung als stärkste Macht im Raum Zürich bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Zwar schied 1098 die Reichsvogtei Zürich aus dem Herzogtum aus und gelangte in den Besitz der Zähringer, doch besetzte Friedrich von Schwaben, der spätere Kaiser Friedrich I., Barbarossa, in der Fehde von 1146 die Stadt vorübergehend, und die Staufer blieben im übrigen Kantonsgebiet die wichtigsten Lehensherren (Lehnswesen). Unter dem Herzogtum Schwaben entstanden im Zürcher Gebiet etwa 80 unterschiedliche adlige Herrschaften und Vogteien. Der Adel erbaute sich hier 150-200 Burgsitze und stiftete gegen 100 Kirchen und Klöster.

Pfennig der Fraumünsterabtei Zürich, um 1300 (Münzkabinett der Stadt Winterthur, Inv. S 2902; Fotografie Lübke & Wiedemann, Stuttgart).
Pfennig der Fraumünsterabtei Zürich, um 1300 (Münzkabinett der Stadt Winterthur, Inv. S 2902; Fotografie Lübke & Wiedemann, Stuttgart). […]

Nach dem Aussterben der Zähringer zog Friedrich II. als deutscher König 1218 die Reichsvogtei Zürich wieder an sich und teilte sie auf: Die Gebiete ausserhalb der Stadt wurden an staufische Gefolgsleute verliehen, die Reichsrechte und damit das Blutgericht (Gerichtswesen) in der Stadt und den angrenzenden Siedlungen übte ein Reichsvogt aus; dieser stammte in der Regel aus der Bürgerschaft. Die Stadt war nun keiner erblich-fürstlichen Gewalt mehr unterworfen und galt als reichsfrei (Reichsunmittelbarkeit), ebenso die Stifte Grossmünster und Fraumünster. Das Letztere blieb im Besitz von niedergerichtlichen und grundherrlichen Rechten (Grundherrschaft) sowie der Regalien, vermochte seine Stellung als Stadtherr gegenüber der Stadt aber nicht zu behaupten; das Münzrecht zum Beispiel ging 1425 endgültig an den Rat über. Die Rechte des Reichsvogts und damit die hohe Gerichtsbarkeit gelangten 1400 in den Besitz der Stadt.

Plappart der Stadt Zürich mit Stadt- und Reichswappen (Vorder- und Rückseite), Prägung ab 1425 (Münzkabinett der Stadt Winterthur, Inv. S 1287; Fotografie Lübke & Wiedemann, Stuttgart).
Plappart der Stadt Zürich mit Stadt- und Reichswappen (Vorder- und Rückseite), Prägung ab 1425 (Münzkabinett der Stadt Winterthur, Inv. S 1287; Fotografie Lübke & Wiedemann, Stuttgart). […]

Der Tod von Kaiser Friedrich II. 1250 bedeutete das Ende der staufischen Macht und des Herzogtums Schwaben. Bis um 1300 folgte der Niedergang der meisten der Adelsgeschlechter im Raum Zürich. Die älteren hochadligen Familien waren bis 1264 ausgestorben: die Grafen von Nellenburg 1101/1102, von Lenzburg 1173, die Herzoge von Zähringen 1218, die Grafen von Kyburg 1264. Die rund 25 Freiherrenfamilien wie die von Regensberg, von Eschenbach, von Wädenswil, von Sellenbüren und von Teufen vermochten sich nicht über das 13. Jahrhundert hinaus zu behaupten und ihren Herrschaftsrechten durch die Bildung eines Territoriums Dauer zu verleihen. Das Schicksal ihrer Lehensherren teilten im 14. Jahrhundert die meisten der rund 90 in den Urkunden erwähnten ritterlichen Geschlechter. Nur wer wie die Herren von Landenberg oder von Bonstetten in den Dienst der im 13.-14. Jahrhundert aufkommenden Habsburger trat oder wie die Mülner und Brun Rückhalt in der ausgreifenden Stadt Zürich fand, vermochte sich zu behaupten. Die Habsburger sicherten sich nach 1264 das Erbe der Kyburger und besiegten 1267-1268 zusammen mit der Stadt Zürich die Regensberger. Um 1300 verfügte Habsburg in weiten Teilen des späteren Kantons über die wichtigen Herrschaftsrechte und vermochte im 14. Jahrhundert seiner Macht landeshoheitliche Gewalt zu verleihen. Es entstanden die grossen Vogteien Kyburg, Regensberg, Grüningen und Andelfingen, die durch beamtete habsburgische Vögte auf den Zentralburgen Kyburg, Regensberg, Grüningen und Andelfingen verwaltet wurden. Damit nahmen die späteren zürcherischen Landvogteien Gestalt an und gleichzeitig die Grenzen des nachmaligen Kantons Zürich.

Wie der Adel vermochten sich auch die Stifte und Klöster wie das Zisterzienserkloster Kappel, die Prämonstratenserabtei Rüti, das Dominikanerinnenkloster Töss sowie die Chorherrenstifte in Embrach, St. Martin auf dem Zürichberg, Heiligberg und Beerenberg, die im 12.-13. Jahrhundert auf der Landschaft entstanden waren, gegenüber Habsburg nicht zu behaupten. Sie verfügten zwar zum Teil über beträchtlichen Streubesitz, mussten aber in dieser oder jener Form Habsburg als Schutzmacht anerkennen und die Eingliederung ihrer Angehörigen in die weltlichen Ortsvogteien hinnehmen. Von den Herrschaften der geistlichen Ritterorden, des Lazariterhauses Gfenn sowie der Johanniterkommenden Bubikon, in Küsnacht (ZH) und Wädenswil (Johanniter), war die Herrschaft Wädenswil die bedeutendste; ab 1342 war sie mit der Stadt Zürich verburgrechtet, die ihrerseits ihre Oberhoheit über die Klöster im eigenen Bann ausdehnte.

Siedlungsausbau und Kommunalbewegung

In der hochmittelalterlichen Ausbauphase stiess in den günstiger gelegenen, seit dem Frühmittelalter kontinuierlich besiedelten Räumen die Erweiterung von Ackerflächen bald an Grenzen. Neu erschlossen wurden nun Landreserven in höheren Lagen, besonders im Zürcher Oberland. So wurden in der Umgebung von Wald neue Höfe angelegt. Um 1300 war die neuzeitliche Siedlungsstruktur im Wesentlichen gefestigt. Von Wüstungsprozessen während der spätmittelalterlichen Strukturkrise waren Adelssitze wie zum Beispiel die Burg der von Schauenberg sowie ungünstig gelegene Einzelhöfe und Fluren betroffen, kaum aber auf Dauer grössere bäuerliche Ansiedlungen.

Der Kindermord in Bethlehem. Zwölftes von 27 erhaltenen Wandbildern einer Sequenz an der Südwand im Schiff der Galluskapelle in Oberstammheim, um 1320 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Karl Fülscher).
Der Kindermord in Bethlehem. Zwölftes von 27 erhaltenen Wandbildern einer Sequenz an der Südwand im Schiff der Galluskapelle in Oberstammheim, um 1320 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Karl Fülscher). […]

Bildeten die ländlichen Siedlungen zuvor oft nur einen lockeren Verbund von Hofeinheiten unter verschiedenen Grundherren, so wurden sie im 14.-15. Jahrhundert zu den späteren Flurgemeinden und damit zu den fundamentalen Lebens- und Rechtsgemeinschaften auf der Landschaft. Bis um 1400 war auch ein Netz von etwa 140 Pfarr- und Filialkirchen entstanden, das die spätere Einteilung des Kantons in Kirchgemeinden vorzeichnete. Weil sich in dieser Zeit die Ausbildung der Landeshoheit im zürcherischen Raum stark auf vogteiliche und schirmherrliche, weniger auf grundherrliche Rechte stützte, vermochten die Gemeinden ihre Autonomie in ihren inneren Angelegenheiten vergleichsweise stark zu entwickeln. Im Rahmen des sich herausbildenden Territorialstaats spielten das Dorf und die Kirchgemeinden damals politisch und administrativ noch keine Rolle.

Die Rechte und Pflichten der Dorfbewohner gegenüber den Grund- und Vogtherren wurden in den sogenannten Offnungen schriftlich festgehalten. Als älteste gilt das Hofrecht der Leute zu Ferrach bei Rüti von 1328. 16 Offnungen von zürcherischen Gemeinden stammen aus dem 14. Jahrhundert, 49 aus dem 15. Jahrhundert, weitere wurden im 16.-17. Jahrhundert aufgezeichnet oder erneuert bzw. sind nicht näher datierbar.

Zu den sechs Städten, die es im 12. Jahrhundert in der Ostschweiz gab, zählten Zürich und Winterthur. Das seit dem Aussterben der Zähringer 1218 reichsunmittelbare Zürich bildete in der Folge seine Institutionen der städtischen Selbstverwaltung aus, blieb aber bis zur Mitte des 14. Jahrhundert auf das Stadtgebiet beschränkt. Winterthur entwickelte sich bis um 1200 zu einer städtischen Siedlung, dessen Stadtrecht Rudolf IV. von Habsburg 1264 bestätigte. Die Stadt wurde zu einem wichtigen habsburgischen Stützpunkt und war 1417-1442 vorübergehend reichsunmittelbar. Ferner entstand im 13. und 14. Jahrhundert eine Reihe von kleineren Landstädten mit unterschiedlichem Status. Als Vorburgen der Landvogteisitze befestigt und von ihren adligen Herren mit verschiedenen Privilegien versehen wurden Kyburg, Regensberg, Greifensee und Grüningen. Glanzenberg und Maschwanden waren kurzlebige Gründungen, die 1267 in der Regensberger Fehde bzw. 1309 nach der Ermordung König Albrechts I. zerstört wurden. Eglisau und das erst 1803 zum Kanton Zürich gekommene Rheinau verdanken ihre Entstehung unter anderem ihrer Lage an Übergängen über den Rhein. 1371 bzw. 1384 übertrugen die Habsburger Elgg und Bülach das Winterthurer Stadtrecht; die beiden Orte gelten als letzte in der Schweiz, denen städtische Privilegien zuteil wurden. Über Märkte verfügten im 14. Jahrhundert auch Andelfingen, Pfäffikon und Uster.

Die Bildung des Zürcher Territorialstaats im Spätmittelalter

Die Stadt Zürich im 14. und 15. Jahrhundert

Entwicklung des Zürcher Herrschaftsgebietes
Entwicklung des Zürcher Herrschaftsgebietes […]

Im 13. Jahrhundert profilierte sich die Stadt Zürich allmählich als politische Kraft und in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts trat der Rat zunehmend selbstständig handelnd auf. 1304 wurden die städtischen Satzungen im sogenannten Richtebrief aufgezeichnet und systematisch geordnet. Die Politik der Stadt zielte zunächst auf die Wahrung des Friedens und ihrer Unabhängigkeit, nach 1350 auf den Erwerb eines Territoriums (Territorialherrschaft). Bis 1450 lavierte Zürich dabei zwischen dem Heiligen Römischen Reich, Habsburg und den Eidgenossen; diese beeinflussten als verbündete oder gegnerische Mächte auch die zürcherische Innenpolitik.

Im Kampf der Staufer 1245-1249 gegen den Papst (Heiliger Stuhl) stand Zürich, das sich als Kommune gegen die Geistlichkeit in der Stadt und insbesondere gegen das Fraumünster durchsetzen musste, auf der Seite des Kaisers. Der Wahrung des Friedens diente 1255 der Beitritt zum Städtebund in Worms, dem 1327, 1331 und 1376 weitere solche Bündnisse im schwäbischen Raum folgten (Schwäbischer Städtebund). In die Zeit des Interregnums 1256-1273 fielen Waffengänge gegen den Adel wie 1259 die Wellenberger Fehde und 1267-1268 die Regensberger Fehde. Zu Habsburg war das Verhältnis unter König Rudolf I. gespannt; nach dessen Tod suchte Zürich sich des habsburgischen Drucks zu entledigen und schloss 1291 ein befristetes Schutzbündnis mit Uri und Schwyz, erlitt aber bei Winterthur 1292 eine Niederlage und wurde im selben Jahr von Herzog Albrecht belagert. Der Friede brachte einen Vergleich mit Habsburg, der bis 1350 Bestand hatte.

Nach der Brun’schen Zunftrevolution von 1336 lebte Zürich in fortwährender Spannung mit den Gegnern der neuen Verfassung, die in Rapperswil (SG) Zuflucht fanden. Nach dem vereitelten Umsturzversuch 1350 der Brun-Gegner besetzte Zürich Rapperswil und suchte ein Bündnis mit den Habsburgern. Als diese ein Bündnisangebot der Zürcher ausschlugen, zerstörte Zürich die Burgen der Rapperswiler und verbündete sich 1351 mit den Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden sowie Luzern, wobei sich die Stadt das freie Bündnisrecht vorbehielt. Der folgende Krieg gegen Habsburg und das Reich, in dessen Verlauf Zürich dreimal belagert wurde, endete 1355 mit dem Regensburger Frieden.

Mit dem Bund von 1351 war die eidgenössische Ausrichtung der Zürcher Politik noch keineswegs festgelegt. Zunächst stärkten zwar Richtungskämpfe im Inneren 1373 und 1393 im Schönohandel die antihabsburgische Haltung; 1386-1389 verwüstete ein Kleinkrieg zwischen der Stadt und Habsburg die Landschaft, und der folgende Waffenstillstand von 1394 dauerte nur bis zur Eroberung des Aargaus 1415. Nach 1430 aber verfolgte Zürich, von König Sigismund aus dem Haus Luxemburg bis 1437 mit zahlreichen Privilegien ausgestattet und durch den Erwerb eines Territoriums gestärkt, eine betont unabhängige Politik als Reichsstadt. Die damit verbundene Abwendung von den Eidgenossen gipfelte im Alten Zürichkrieg, in dessen Verlauf Zürich 1442 ein Bündnis mit den auf den Königsthron zurückgekehrten Habsburgern schloss, militärisch aber unterlag. Nach dem Friedensschluss von 1450 gab es für Zürich ausserhalb des eidgenössischen Bunds keinen politischen Spielraum mehr. Unter Zürichs Beteiligung schieden Habsburg (1460 Eroberung des Thurgaus, 1467 Kauf von Winterthur) und das Reich im Schwabenkrieg als Machtfaktoren südlich des Rheins aus (1499). Das Reich diente Zürich zwar noch bis um 1650 als Quelle der Herrschaftslegitimation, an den Reichstagen nahm die Stadt jedoch seit der Reichsreform 1495 nicht mehr teil. 1654 wurde die Nennung des Reichs aus dem Geschworenen Brief gestrichen.

Der Erwerb der Landschaft durch die Stadt Zürich

Die Reichsstadt Zürich sicherte sich von 1350 bis zur Reformation ein Territorium, das im Wesentlichen dem späteren Kanton entsprach. Mit Ausnahme des 1415 eroberten zürcherischen Freiamts wurde das Gebiet durch Kauf oder Pfandschaft erworben. Möglich machte diese Entwicklung die Schwäche der adligen und geistlichen Herrschaftsträger, aber auch die eigene Stärke. Den stadtzürcherischen Stiften Fraumünster und Grossmünster gelang es nicht, eine unabhängige politische Stellung zu erringen und sich eine Basis für einen spätmittelalterlichen Territorialstaat zu schaffen.

Ihren Einfluss auf die Landschaft, besonders am See, förderte die Stadt durch die Aufnahme von adligen und bäuerlichen Ausbürgern, zum Teil von ganzen Vogteiverbänden, sowie den Abschluss von Burgrechten, so 1342 mit den Johannitern zu Wädenswil. Ferner erwarben Stadtzürcher Adlige wie die Brun oder Mülner selbst Herrschaften und traten diese später der Stadt ab. Wichtig waren ferner Privilegien wie das Vogteirecht über den Zürichsee (1362) oder das Recht, frei gewordene Reichslehen (Lehen) zu verleihen (1365), mit denen das Reich die Stadt begabte.

Wappenscheibe des Stadtstaats mit seinen Herrschaften. Glasgemälde von 1544 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Wappenscheibe des Stadtstaats mit seinen Herrschaften. Glasgemälde von 1544 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

Bis um 1400 gelangten vor allem Vogteien in der Umgebung der Stadt und am See in Zürichs Hand: 1358 Zollikon, 1384 Küsnacht, Meilen und Höngg, 1385 Thalwil, 1393-1440 die Höfe, 1400 Erlenbach, 1400 und 1491 Wiedikon, 1400 und 1418 Vier Wachten, 1405 Männedorf und 1406 Horgen. Nach 1400 folgten die grossen Ämter, die mit zentralen Verwaltungsburgen verbunden waren: 1402 Greifensee von den Grafen von Toggenburg, 1408 Grüningen von den habsburgischen Dienstleuten Gessler, 1409 Regensberg (mit Bülach) von den Habsburgern, 1424-1442 und erneut 1452 Kyburg von den Habsburgern, 1434 Andelfingen von den Landenbergern und 1496 Eglisau von den Gradnern. Abgerundet wurde das Territorium durch den Erwerb kleinerer Vogteien: um 1423 Wollishofen, um 1424 Rümlang, 1428 Oerlikon, 1432 Altstetten, um 1439 Wipkingen, 1464 Stammheim, 1469 Regensdorf, 1487 und 1511 Birmensdorf, 1489 Dübendorf, 1503 Hedingen, 1512 Knonau und 1532 und 1538 Wettswil. Winterthur und Stein am Rhein wurden 1467 und 1484 zürcherisch, wobei diese Städte ihre Sonderrechte aus der Zeit ihrer Reichsunmittelbarkeit bewahrten. Die Klöster, Stifte und Ordenshäuser auf der Landschaft kamen im 15. Jahrhundert durch Burgrechte, Verträge oder kraft Schirmvogteigewalt (Kastvogtei) unter die Landeshoheit von Zürich, so ab 1403 schrittweise die Klosterherrschaft Kappel.

Mit den Vogteien waren zumeist die landeshoheitlichen Rechte wie das Hochgericht, das Steuer- und das Mannschaftsrecht sowie die Aussenpolitik verbunden, die sich im 14. Jahrhundert ausgebildet hatten. Gemäss den Kauf- und Pfandverträgen wurden in der Regel die Vogteien als Verwaltungs- und Rechtskörperschaften so belassen, wie sie erworben worden waren. Wohl aber griff die Stadt bereits im 15. Jahrhundert durch den Erlass von Mandaten in die Justiz und Verwaltung ein, was mehrfach zu Unruhen wie 1441 im Grüningerhandel oder 1489 im Waldmannhandel führte. Die Kompetenzen der niederen Gerichte, die nicht im Besitz von Zürich waren, wurden nach 1480 straffer gefasst und gegenüber den hohen Gerichten abgegrenzt.

Nach der Überwindung der spätmittelalterlichen Agrarkrise und der Verwüstungen im Sempacherkrieg und im Alten Zürichkrieg hatte sich die dörfliche Selbstverwaltung ausgebildet. Gegen 1500 regelten erste Einzugsbriefe die Aufnahme neuer Dorf- und Kirchgenossen. Nach 1466 wurden über 20 Pfarreien gegründet, 1464-1524 entstanden zahlreiche Kirchenbauten, zumeist als Unternehmungen der Kirchgenossen selbst.

Regieren und Verwalten im Ancien Régime

Das Zürcher Regiment, der Staat und die Staatsverwaltung

Politisches System Zürichs im 18. Jahrhundert
Politisches System Zürichs im 18. Jahrhundert […]

Die sogenannten Fundamentalsatzungen, unter denen der Geschworene Brief den ersten Rang einnahm, waren die Grundordnung der Stadt, nicht aber der Landschaft. Stadt und Landschaft bildeten ein Doppelgemeinwesen, das nicht durch eine Verfassung, sondern durch die höchste Gewalt bzw. das Regiment vereinigt war. Dieses bestand seit dem 15. Jahrhundert aus dem Bürgermeister, dem Kleinen Rat und Grossen Rat der Stadt Zürich mit insgesamt 212 Ratsherren. Gewählt wurde das Regiment, das auch die Ober-, Landvögte und Amtsverwalter stellte, durch Konstaffel und Zünfte der Stadt sowie in Selbstkooptation; wählbar waren nur Stadtbürger.

Ein gemeinsames Bürgerrecht gab es nicht. Die Landleute besassen das sogenannte Landrecht, das im 16. Jahrhundert aus der hoheitlichen Schirmgewalt entstanden war und durch die Land- und Obervögte, im 18. Jahrhundert durch den Kleinen Rat erteilt wurde. Der Besitz des Landrechts war Voraussetzung, um auf der Landschaft Gemeindegenosse zu werden. Die Stadtbürger besassen ihr eigenes Stadtbürgerrecht.

Die Gesetzgebung des Rats, die in Form von Satzungen, Mandaten und Ordnungen erfolgte, war je nach ihrem Zweck für die ganze Bevölkerung, oft aber auch nur für die Stadt oder das Land bestimmt. Dies galt besonders für die Polizeimandate, die im 17. und 18. Jahrhundert auf allen Gebieten der Verwaltung erlassen wurden. Eine bedeutende Rolle spielten die Sittenmandate. Deren Handhabung in der Stadt und über Stadtbürger auf der Landschaft geschah durch die Reformationskammer, über Landleute durch die Land- und Obervögte. Das zivile Recht unterschied sich je nach Herkommen von Vogtei zu Vogtei. Das sogenannte Stadt- und Landrecht von 1715 erneuerte zwar das alte zivile Recht von 1553 in systematischer Form, galt aber nur für die Bürger der Stadt Zürich sowie für die Angehörigen der Vogteien in Stadtnähe. Auf der Landschaft blieben die Gerichte und die Gerichtssprengel zahlreich, obwohl der Rat im 17. Jahrhundert einige niedere Dorfgerichte aufhob, andere zugunsten der Obervögte in ihren Kompetenzen beschnitt. Für eine gewisse Vereinheitlichung der Rechtsprechung sorgte die Praxis der Vögte, das Recht gemäss den städtischen Satzungen auszulegen, wo dies die Amts- und Vogteirechte zuliessen. Ab Ende des 15. Jahrhunderts konnte in Zivilsachen an den Rat appelliert werden; eine halbamtlich gedruckte Sammlung der bürgerlichen und Policey-Geseze und Ordnungen, lobl. Stadt und Landschaft Zürich erschien 1757-1793 in sechs Bänden. Ausser in den Vogteien Kyburg, Grüningen, Sax-Forstegg und bis 1646 Wädenswil sowie in den Munizipalstädten Winterthur und Stein am Rhein, die über eigene Hochgerichte verfügten, waren dem Rat auch die schwereren Straffälle zur Beurteilung vorzulegen.

Das Notariatswesen interessierte nicht zuletzt die städtischen Kreditgeber. Bis um 1650 wurden in allen Vogteien Landschreibereien eingerichtet. Die Landschreiber, die fast ausschliesslich aus der Stadt stammten, führten die Grund- und Gerichtsprotokolle, fertigten Kauf- und Schuldbriefe sowie die Urteils-, Weisungs- und Appellationsbriefe aus. Als Privileg der Stadtbürger blieb diesen das Recht vorbehalten, selbst Privaturkunden auszustellen, die öffentlichen Urkunden gleichgestellt waren.

Der Staatshaushalt (Öffentlicher Haushalt) war nicht zentralisiert und nicht von den Finanzen der Stadt geschieden. Die Ämter und Vogteien führten je eigene Rechnungen. Der in der Reformation an den Staat gelangte Klosterbesitz wurde in elf Schaffnereien verwaltet, von denen sich sieben, Winterthur, Stein am Rhein, Kappel, Küsnacht, Rüti, Töss und Embrach, auf der Landschaft befanden. Amtsübergreifende Funktionen kamen dem Seckelamt für die weltlichen und dem Obmannamt für die Klosterämter zu. Zentralisiert war seit dem 16. Jahrhundert die Rechnungskontrolle durch den einflussreichen Rechenrat, der alle Rechnungen abnahm, sich auf Umritten bei den Vögten und Amtsverwaltern über deren Tätigkeit orientierte und auch ein eigenes Archiv führte.

Die Staatseinnahmen setzten sich vor allem aus Grundzinsen, Zehnten sowie den Erträgen der Regalien (Zölle und Handel von Salz) zusammen. Ein Staatsschatz wurde ab 1670 gebildet und zum Teil im Ausland, hauptsächlich in Klöstern und Stiften im süddeutschen Raum, angelegt. Im 18. Jahrhundert wurden die Kapitalerträge zur bedeutendsten Einnahmequelle. Allgemeine Steuern, bereits unter den Habsburgern ein hoheitliches Recht als Gegenleistung für Schutz und Schirm, erhob Zürich nur zeitweise, so 1417-1470 und 1628-1646, damals zur Finanzierung der Rüstungsauslagen und der Stadtbefestigung während des Dreissigjährigen Kriegs.

Musterung von Truppen auf der Landschaft im Jahr 1585. Illustration aus der Chronik von Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 33, Fol. 272v und 273r).
Musterung von Truppen auf der Landschaft im Jahr 1585. Illustration aus der Chronik von Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 33, Fol. 272v und 273r). […]

Zur Landeshoheit gehörte das Mannschaftsrecht, das seit Mitte des 15. Jahrhunderts kaum mehr infrage gestellt wurde. Eine stehende Truppe kannte Zürich nicht. Die Miliz war im 16. Jahrhundert in der Stadt durch Konstaffel und Zünfte organisiert, auf der Landschaft im Rahmen der Vogteien. Die Erfahrungen im Dreissigjährigen Krieg führten ab 1624 zur Neueinteilung der Mannschaft nach Militärquartieren. Die höheren Offiziersstellen blieben den Stadtbürgern vorbehalten, Landleute konnten es lediglich bis zum Hauptmann bringen. Der inneren Sicherheit, vornehmlich dem Kampf gegen den Bettel und das Vagantentum, diente ab 1736 ein Dutzend Patrouillenwächter. Im Unterschied zur Stadtwache nahmen diese ihre polizeilichen Aufgaben im ganzen Kanton wahr.

In der Zürcher Verwaltung bestanden vor allem seit dem 17. Jahrhundert zahlreiche Kommissionen, die die Geschäfte selbst erledigten oder für den Rat vorbereiteten und über je eigene Kanzleien verfügten; entschieden wurde stets im Kollegium. Das Verwaltungsschriftgut lässt Modernisierungsschritte erkennen, die besonders um 1540 mit der Anlegung von Amtsbüchern und um 1700 in der Führung von Akten und der Registratur erfolgten. Keine grundsätzlichen Änderungen hingegen erfuhren die konstitutionellen Prinzipien des Staats, die auf der Unterscheidung von Stadt und Land sowie den Vogteien beruhten. Wohl aber wurde der Staatsaufbau seit dem 16. Jahrhundert in bedeutsamer Weise ergänzt. Die Flurgemeinden und Pfarreien wurden zuständig für öffentliche Aufgaben wie das Armenwesen, den Unterhalt der Strassen oder die Gefahrenabwehr und erhielten damit politisches Gewicht. Zu einflussreichen Beamten wurden die Untervögte und Weibel, die dem Staat wie auch den Gemeinden gleichermassen verpflichtet waren. Sie wurden vom Rat aus den Dreiervorschlägen der Angehörigen ihrer Amtsbezirke gewählt.

Reformation und Staatskirche

Vor der Reformation gehörten Stadt und Landschaft Zürich zum Fürstbistum Konstanz, doch griff die Stadt bereits im 15. Jahrhundert kraft ihrer Landeshoheit und ihrer Vogteirechte in die bischöfliche Gewalt ein, indem sie dem Klerus Steuern auferlegte, Geistliche vor ihr Gericht zog, neue Pfarreien bildete, die Ökonomie der Klöster überwachte und selbst Fragen des Gottesdienstes regelte. In einem grundsätzlichen Konflikt mit dem Bischof behauptete die Stadt 1497 ihre kirchenhoheitlichen Ansprüche. Die Entwicklung fand ihren Abschluss mit der vom Rat geförderten und 1523-1525 von Huldrych Zwingli durchgeführten Reformation. Mit dieser gingen die kirchlichen Rechte des Bischofs von Konstanz im zürcherischen Gebiet an den Rat über, der nun höchste weltliche und kirchliche Gewalt zugleich wurde.

Als Folge der Reformation wurden alle Klöster und Stifte auf zürcherischem Gebiet mit Ausnahme des Grossmünsters aufgehoben (Säkularisation). Die Klostergüter wurden zu städtischem Besitz und als sogenannte Klosterämter verwaltet; die Überschüsse waren an das zentrale Obmannamt abzuliefern. Die Einkünfte dieser Ämter sollten primär für die Kirche und deren Aufgaben Verwendung finden (Almosenordnung von 1525), dienten aber auch anderen Zwecken wie zum Beispiel der Tilgung von Staatsschulden und dem Kauf von Herrschaftsrechten. Zur Bestreitung der Pfarrgehälter sowie für Schul- und Armenwesen blieb das Kirchgemeindegut den Ortskirchen überlassen.

Hauptkirche des reformierten Kantons wurde das Chorherrenstift Grossmünster, das seinen Besitz, abgesehen von den Vogteirechten, weiterhin selbst verwaltete. In der Nachfolge Zwinglis wurde der erste Pfarrer am Grossmünster, ab dem 17. Jahrhundert unter dem Titel Antistes, zum Vorsteher der Geistlichkeit; gewählt wurde er durch den Grossen Rat. Die theologische Ausbildung erfolgte an der 1525 eröffneten Prophezey, die ab dem 17. Jahrhundert Carolinum (Akademien) hiess. Zur Prüfung und Ordination der Kandidaten wurde ein Examinatorenkonvent unter dem Vorsitz des Grossmünsterpfarrers bzw. Antistes geschaffen, der aus Vertretern des Rats, der Stadtgeistlichkeit und den Chorherren bestand. Er wurde zum kirchlichen Verwaltungs- und Aufsichtsorgan unterhalb des Rats, war eine von dessen beratenden Kommissionen und zudem Aufsichtsbehörde über die Lehrer in der Stadt sowie auf der Landschaft. Der Selbstzensur der Geistlichkeit, der Wahl neuer Dekane sowie der Festigung des Standesbewusstseins diente die ab 1528 jährlich zweimal abgehaltene Synode unter dem Vorsitz des Antistes und im Beisein von Ratsherren. 1525 wurde ein städtisch-kirchliches Ehegericht geschaffen, das an die Stelle des bischöflich-konstanzischen Gerichts trat und für das ganze zürcherische Gebiet zuständig war (Sittengerichte). Als Grundordnungen der Zürcher Kirche erliess der Rat 1525 eine erste Gottesdienstordnung, 1532 eine erste Prädikantenordnung, 1550 eine erste Synodalordnung. Auch über Bibelausgaben, Bekenntnis, Katechismus und Gesangbücher lag der Entscheid und die Verantwortung bei Bürgermeister und Rat.

Die Staatskirche bot dem Rat die Möglichkeit, neben den territorial begrenzten weltlichen Vogteien eine Verwaltung aufzubauen, die für sein gesamtes Herrschaftsgebiet Geltung hatte. Die in Zürich ausgebildeten, in den Kapiteln und der Synode als Stand zusammengefassten Geistlichen hatten bei ihrer Ordination der Obrigkeit den Gehorsamseid abzulegen. Sie rekrutierten sich seit dem 17. Jahrhundert durchwegs aus Stadtbürgern und waren nicht nur Seelsorger, sondern auch staatliche Beamte. Ab dem 16. Jahrhundert führten sie die Tauf-, Ehe- und Totenbücher, fertigten im 17. und 18. Jahrhundert Bevölkerungsverzeichnisse an, berichteten an die Behörden über Vorkommnisse, verlasen und erläuterten obrigkeitliche Mandate von der Kanzel und beaufsichtigten das Armen- und Schulwesen in ihren Gemeinden. Die Kirchgemeinden stellten 1526 sogenannte Ehegaumer auf, die sich unter dem Namen Stillstand zu Gemeindekirchenpflegen entwickelten (Stillstandsordnungen von 1656, 1684, 1711 und 1758).

Im Rahmen des obrigkeitlichen Kirchenregiments bewahrte sich die Zürcher Geistlichkeit dennoch eine vergleichsweise grosse Unabhängigkeit, besonders wenn ihr starke Antistites vorstanden. Diese äusserte sich unter anderem im Wächteramt, das die Geistlichkeit auch gegenüber der weltlichen Obrigkeit wahrnahm und das in Form der «Fürträge und Bedenken» institutionalisiert war. Diese an den Rat gerichteten Eingaben betrafen vor allem im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur kirchliche, sondern auch politische Themen. In der Frage der Soldbündnisse (Fremde Dienste) standen die Vorsteher der Kirche an der Spitze der innerstädtischen Opposition; die ab 1642 neu errichtete Stadtbefestigung kam, nicht zuletzt auf Betreiben der Geistlichkeit, zum Schutz der reformierten Religion zustande. Jeder neue Grossrat wiederum hatte zu schwören, die Kirche mit seinem Leben und seinem Vermögen zu schützen. Das Regiment stand als weltliche und geistliche Obrigkeit in der Pflicht, die Gebote der Kirche durchzusetzen.

Bis zur Reformation besass der Rat in 17 Gemeinden das Kollaturrecht, bis ins 18. Jahrhundert stieg diese Zahl durch den Erwerb dieser Patronatsrechte und die Neuschaffung von Kirchgemeinden auf rund 250. Kollaturen besass Zürich auch ausserhalb seines Hoheitsgebiets, so im Thurgau und im St. Galler Rheintal. Nach der Reformation war zudem das Ehegericht für die Angehörigen der reformierten Konfession in den gemeinen Herrschaften zuständig. Zürcher Geistliche versahen das Pfarramt in reformierten Gemeinden im Reich, vor allem in der Pfalz.

Aussenpolitik, Zürich als Vorort der Eidgenossenschaft

Mit dem Schwabenkrieg 1499 wurde Zürich zum führenden Ort der Eidgenossenschaft. Bis zur Reformation fanden die meisten Tagsatzungen in Zürich statt. Weil die Eidgenossen damals als Militärmacht, als Verbündete des Papstes und Gegner Frankreichs bis 1515 in Oberitalien (Mailänderkriege) eine herausragende Rolle spielten, wurde Zürich auch zu einem bedeutenden Ort der europäischen Politik und Diplomatie.

Die Niederlage in der Schlacht von Marignano und die Kritik am Pensionenwesen hatte in Zürich weitergehende Folgen als in den übrigen eidgenössischen Orten. Den Ewigen Frieden mit Frankreich 1516 trug Zürich zwar mit, verweigerte aber 1521 als einziger Ort den Abschluss der folgenden Soldallianz und machte 1526 den Pensionenherren den Prozess; der Pensionenbrief von 1513 wurde zu einer der Fundamentalsatzungen der Stadt. Die Reformation führte Zürich in die Isolation: Der Stadt drohte der Ausschluss von der Tagsatzung. Den Alleingang beendeten die christlichen Burgrechte von 1527-1530 mit den inzwischen zur Reformation übergetretenen Städten Konstanz, Bern, St. Gallen, Biel, Mülhausen, Basel, Schaffhausen und zuletzt auch mit Strassburg und der Landgrafschaft Hessen; auch die meisten Gemeinden in den Ostschweizer Herrschaften hatten sich der Reformation zugewandt. Nun setzte sich Zwinglis Politik, wenn nötig mit Gewalt in der gesamten Eidgenossenschaft die Reformation einzuführen, durch. 1529 begann Zürich den Krieg gegen die katholischen Orte, annektierte das Territorium des Fürstabts von St. Gallen und vermochte im ersten Kappeler Landfrieden gewisse Vorteile zu erringen (Landfriedensbünde), erlitt aber im Zweiten Kappelerkrieg 1531 eine entscheidende Niederlage (Kappelerkriege). Im zweiten Kappeler Landfrieden musste Zürich das Scheitern seiner konfessionellen Eroberungspolitik akzeptieren und sich der Übermacht der katholischen Orte, die die Mehrheit an der Tagsatzung bildeten, auch in den gemeinen Herrschaften fügen. Trotzdem entwickelte sich Zürich zur führenden Kraft im schweizerischen Protestantismus und spielte eine zentrale Rolle bei der Einigung der reformierten Kirchen der Eidgenossenschaft (Consensus tigurinus, Helvetische Bekenntnisse).

Aussenpolitisch zwang die Niederlage bei Kappel die Stadt für längere Zeit zur Passivität und zu einer Politik der Besitzstandswahrung. Einerseits verzichtete Zürich im Schmalkaldischen Krieg 1546-1547 auf eine offene Unterstützung der Protestanten im Reich, hielt sich andererseits 1549 auch vom Soldbündnis mit Frankreich und anderen Mächten fern. Die politische Zurückhaltung, die wirtschaftliche Bedeutung für die Innerschweiz sowie das Ansehen im Ausland führten dazu, dass Zürich im 16. Jahrhundert wieder in die Rolle als Vorort in gemeineidgenössischen Angelegenheiten hineinwuchs. An den eidgenössischen Tagsatzungen in Baden und nach 1712 in Frauenfeld hatte der Zürcher Bürgermeister bis 1798 den Vorsitz inne. Der Ratssubstitut besorgte ab 1715 die Kanzleigeschäfte, und die diplomatische Korrespondenz mit dem Ausland führte über Zürich.

Mit der Überwindung seiner Isolation um 1550 trat Zürich in politischen Fragen wieder entschiedener auf. Als einziger Ort setzte er sich für die protestantischen Glaubensflüchtlinge aus Locarno ein, die er 1555 aufnahm. Die von den katholischen Orten eingeschlagene Politik der konfessionellen Bündnisse beantwortete Zürich 1572 durch das Schutzbündnis mit Bern, Basel und Schaffhausen, dem 1584 ein solches mit Genf und 1588 mit Strassburg folgte. Versuche von Zürich und den anderen reformierten Städten, mit den katholischen Orten einen Ausgleich zu finden, blieben ohne Erfolg. 1587 liess der Rat einen Auszug von 3000 Mann nach Frankreich zur Unterstützung der Hugenotten zu, der aber in einer blutigen Niederlage endete (Tampiskrieg). Doch der Kurswechsel in der Allianz- und Solddienstfrage war angebahnt und aus wirtschaftlichen sowie politischen Gründen wohl auch unausweichlich. Ein erstes, zwölfjähriges Soldbündnis gemeinsam mit Bern 1612 kam mit dem protestantischen Markgrafen von Baden-Durlach zustande. 1614 folgte die Allianz mit Frankreich, 1615 eine solche mit Venedig.

Venezianische Galeere auf einem 1789 zusammengesetzten Glasgemälde, um 1630 (Kulturstiftung DessauWörlitz, Gotisches Haus; Fotografie KsDW, Bildarchiv, Heinz Frässdorf).
Venezianische Galeere auf einem 1789 zusammengesetzten Glasgemälde, um 1630 (Kulturstiftung DessauWörlitz, Gotisches Haus; Fotografie KsDW, Bildarchiv, Heinz Frässdorf). […]

Die Zürcher Bündnisse standen im Zusammenhang mit den Machtverhältnissen inner- und ausserhalb der Eidgenossenschaft. Die Verträge nach 1600 mit Frankreich und Venedig wurden im Vorfeld des Dreissigjährigen Kriegs durch die bedrohliche Stärke des mit den katholischen Orten verbündeten Spanien begünstigt. Im Schwedischen Krieg 1630-1635 bewog das unklare Kräfteverhältnis die Stadt, von einer möglichen Allianz mit Schweden abzusehen, obgleich eine Kriegspartei darauf hinwirkte. 1715 erneuerte Zürich das Bündnis mit Frankreich nicht mehr, unter anderem weil dieses ein Sonderbündnis mit den katholischen Orten, den Trücklibund, geschlossen hatte und durch seine Macht das europäische Gleichgewicht überhaupt bedrohte; ausserdem war durch die Verfolgung der Hugenotten und der Waldenser, die vorübergehend und in grösserer Zahl auch in Zürich Aufnahme fanden, der konfessionelle Friede erheblich gestört. Nun wandte sich Zürich vermehrt den protestantischen Mächten Niederlande, Brandenburg und England (Grossbritannien) zu, mit denen traditionell gute Beziehungen bestanden. Mit den Niederlanden wurde 1693 eine Militärkapitulation abgeschlossen. 1706 folgte ein Bundes- und Hilfsvertrag mit Graubünden, das seinerseits im selben Jahr eine Allianz mit Venedig und 1713 eine mit den Niederlanden einging; die Kapitulation mit Venedig erneuerten Zürich und Bern 1706. Im Siebenjährigen Krieg 1756-1763 sympathisierte Zürich mit Preussen. Ein formelles Bündnis mit Frankreich kam erst 1777 wieder zustande als Gegengewicht zu Österreich, dem unter Josef II. Expansionsabsichten, unter anderem mit Blick auf die ehemals habsburgische Vogtei Kyburg, nachgesagt wurden.

Innereidgenössisch zielte die Politik von Zürich auf eine Revision des Kappeler Landfriedens, um in der Regierung der gemeinen Herrschaften die Parität zwischen den reformierten und den katholischen Orten herzustellen. Unter der schwedischen Bedrohung wurde dies im Matrimonial- und Kollaturstreit 1630-1632 für den Thurgau und das Rheintal erreicht. 1656 scheiterte der Versuch, im Ersten Villmergerkrieg die Landfriedensrevision militärisch zu erzwingen. Erst der Erfolg im Zweiten Villmergerkrieg 1712 führte zur konfessionellen Parität bei der Besetzung von Landvogteistellen in den gemeinen Herrschaften und zur Vorherrschaft von Zürich und Bern in der Eidgenossenschaft.

In der Rolle als Vorort, in der die Stadt in gemeineidgenössischen Fragen die Bundesinteressen zu wahren und zwischen den eidgenössischen Orten und den ausländischen Mächten zu vermitteln hatte, war Zürich eine durchaus von allen Orten anerkannte politische Führungsmacht, wenngleich Bemühungen zum Beispiel von 1655, die eidgenössischen Bünde in einer einzigen Urkunde zusammenzufassen, scheiterten, und die Stadt gelegentlich eines Vorort-Tons im Verkehr mit den Bundesgenossen bezichtigt wurde. Auch vertrat Zürich seine eigenen Interessen weiterhin mit Nachdruck, wenn dies notwendig wurde. Noch um 1770 drohte ein Waffengang mit Schwyz um die Rechte am Zürichsee.

Die Zürcher Landschaft und das städtische Regiment

Untertanen leisten ihrem Gerichtsherrn den Eid. Ausschnitt einer Täfermalerei in der Gerichtsstube des Schlosses Wülflingen von Christoph Kuhn, um 1759 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Karl Fülscher).
Untertanen leisten ihrem Gerichtsherrn den Eid. Ausschnitt einer Täfermalerei in der Gerichtsstube des Schlosses Wülflingen von Christoph Kuhn, um 1759 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Karl Fülscher). […]

Zu den Vogteien, die nach 1500 in den Besitz von Zürich gelangten, gehörten jene der Klöster und Stifte, insbesondere die hohen Gerichte, die das Grossmünster über Höfe in der Umgebung von Zürich besessen hatte (Fluntern, Albisrieden). 1539 wurde die Herrschaft Bonstetten, 1544 die Vogtei Laufen, 1549 die Herrschaft Wädenswil, 1587 die Vogtei Hegi durch Kauf erworben, 1651 die hohen Rechte über das Rafzerfeld, 1694 das Niedergericht Flaach-Volken und 1696 die Gerichtsherrschaft Altikon. Bis 1759 bildeten Wülflingen und Buch am Irchel eine private Gerichtsherrschaft, zu der auch das Blutgericht gehörte. Das Hochgericht über Ramsen, Dörflingen, Hemishofen wurde 1770 von Österreich gekauft. Zuletzt erwarb die Stadt 1790 die Herrschaft Bubikon mit dem niederen Gericht über die Ortschaft Bubikon und 1797 die Hälfte der Gerichtsherrschaft Turbenthal. Vornehmlich aus konfessionellen Gründen wurden 1583 die in der Grafschaft Thurgau gelegenen Herrschaften Steinegg sowie 1614 Weinfelden und Pfyn gekauft, ferner 1694 Neunforn, Hüttlingen und Wellenberg, 1615 die Freiherrschaft Sax-Forstegg im Rheintal.

Im 18. Jahrhundert gab es innerhalb des Zürcher Territoriums immer noch rund 30 Gerichtsherrschaften in fremdem Besitz. Sie bestanden oft aus einem Schloss, dem niederen Gericht, dem Jagdrecht, Ehaften und Frondiensten. Ab dem 16. Jahrhundert war es möglich, gegen Urteile der Gerichtsherren an den Zürcher Rat zu appellieren. Konflikte mit diesen mehrten sich im 17. und 18. Jahrhundert, weil die Gewalt des Rats die gerichtsherrlichen Rechte zwar nicht grundsätzlich, wohl aber faktisch zu überlagern begann.

Vogteien und Gerichtsherrschaften Zürichs um 1750
Vogteien und Gerichtsherrschaften Zürichs um 1750 […]

Die Vogteien wurden in der Regel so belassen, wie sie seit dem 14. Jahrhundert erworben worden waren. Verwaltet wurden sie durch städtische Vögte, die als Nachfolger der früheren Besitzer Vollzugsbeamte des Rats waren. Die stadtnahen Obervogteien (die inneren Vogteien) verfügten über keine Verwaltungssitze und wurden weitgehend als städtische Amtskreise betrachtet, in denen auch das städtische Recht zur Anwendung gelangte; die Obervögte behielten ihren Wohnsitz in der Stadt. Die grossen Landvogteien (die äusseren Vogteien) Kyburg, Grüningen, Greifensee, Andelfingen, Eglisau, Regensberg, Knonau, Wädenswil und Sax-Forstegg, bei denen die Herrschaftsrechte als Pertinenzen der Zentralburgen verstanden wurden, verwalteten Landvögte mit Residenzpflicht; sie behielten ihren Status als eigenständige Rechtskörperschaften weitestgehend. Kyburg und Grüningen hatten Herrschaftsgerichte mit der Blutgerichtsbarkeit. Die Angehörigen der Herrschaft Regensberg bildeten einen besonderen Stand, besassen ein beschränktes Steuerrecht und verfügten ab 1665 über ein Amtshaus. Im 16. Jahrhundert wurden die Herrschaftsrechte der Vogteien mit ihren zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen in Ergänzung zu den Offnungen der Gemeinden aufgezeichnet.

Bis zur Reformation waren die Beziehungen zwischen der Stadt und der Landschaft noch nicht durch das herrschaftliche Übergewicht der Stadt bestimmt. In den zahlreichen Konflikten wie dem Grüningerhandel 1440-1441, dem Waldmannhandel 1489, den Beschwerden von 1513, dem Lebkuchenkrieg 1515-1516, den Wädenswiler Unruhen von 1523-1524, den Unruhen und Beschwerden von 1524-1525, dem Streit um die Urteile des Landtags von Grüningen 1528 sowie den Unruhen von 1531-1532, ging es letztlich um das Verhältnis von Landeshoheit und landschaftlicher Autonomie (ländliche Unruhen). Die Händel wurden durch eidgenössische Spruchbriefe (1441, 1489, 1528), durch gegenseitigen Vertrag (1516) oder durch Ratsentscheide (1524, 1525, 1532) beigelegt. Dabei wurden die hoheitlichen Rechte geschützt, aber auch die Freiheiten der Landschaft bestätigt. Den zweiten Kappeler Landfrieden unterzeichneten Stadt und Landschaft gemeinsam, und noch im Kappelerbrief 1532 verpflichtete sich die Stadt, gegen den Willen der Landschaft keine Burgrechte mit auswärtigen Mächten einzugehen oder Kriege zu beginnen. Die Landschaft ihrerseits gelobte im Mailänderbrief 1516, unter sich keine Verbindungen mehr abzuschliessen und sich nicht mehr mit Gewalt gegen die Stadt zu erheben.

Als das Zürcher Regiment nach der Reformation auch zur geistlichen Obrigkeit wurde, verlor die Landschaft das Recht, in Angelegenheiten des Staats mitzusprechen. Die Stadt bzw. das Regiment schwang sich zur obersten Gewalt auf, die Landschaft wurde zum abhängigen Glied. Die ab 1439 ergangenen Volksanfragen (Ämteranfragen) wurden nach 1533 kaum und nach 1584 gar nicht mehr durchgeführt. Die Waldmann’schen Spruchbriefe zog der Rat zwischen 1550 und 1650 ein und behauptete von ihnen im Stäfnerhandel 1795, sie seien kraft obrigkeitlichen Souveränitätsrechts für ungültig erklärt worden. Überhaupt schloss sich die Stadt ab dem 16. Jahrhundert zusehends ab und machte die Bildung, das Handwerk, die Fabrikation und den Handel sowie die Pfarrer- und Offiziersstellen weitgehend zum Monopol der Stadtbürger. Aufnahmen in das städtische Bürgerrecht gab es ab 1659 keine mehr.

Abgesehen von Widerstand in Steuerfragen 1599 und 1645-1646 fügte sich die Landschaft in diese Ordnung und blieb auch im Bauernkrieg von 1653 ruhig. Konflikte um Souveränitätsfragen hatte das Regiment 1712 und 1777 vorab mit der eigenen Bürgerschaft auszufechten. Mit Landesangehörigen kam es erst 1784 im Steinerhandel und 1795 im Stäfnerhandel zu Schwierigkeiten. Auf diese reagierte die Stadt mit militärischen Massnahmen, untergrub damit allerdings die eigene Legitimation als nachsichtige und väterliche Obrigkeit.

Im Vergleich zu ausländischen Staaten übte die Stadt keine absolutistische Herrschaft über die Landschaft aus. Die Gemeinden wurden zu Korporationen mit wichtigen öffentlichen Aufgaben. Auf ihr Mitwirken war der Rat mangels effizienter Herrschaftsmittel angewiesen. Landleuten und Gemeinden blieb die Klage vor dem Rat möglich, der diese in Konflikten nicht selten auch gegen die eigenen Vögte schützte; über das Verhalten ihrer Pfarrer wurden die Gemeinden von den Kapitelvorstehern jährlich befragt. Von weitgehender Autonomie in ihren inneren Angelegenheiten, die bedeutender war als zum Beispiel in Bern, zeugen die ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Gemeindearchive. Vergleichsweise hart hingegen lasteten im 18. Jahrhundert die zünftische Ausschliesslichkeit, die Beschränkung ihrer gewerblichen und industriellen Entfaltung durch die Stadt auf der Landschaft. Die fehlenden staatspolitischen Rechte wurden erst nach der Französischen Revolution zum Problem.

Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur vom Hochmittelalter bis ins 18. Jahrhundert

Bevölkerung und Siedlung

Demografie

Grundlage für die Schätzung der Bevölkerungszahlen im Spätmittelalter bilden die Steuerbücher, die aus dem 14. Jahrhundert für die Stadt und aus dem 15. Jahrhundert auch für die Landschaft vorliegen. Als frühe Volkszählungen gelten die ab 1634 bis um 1750 von den Pfarrern geführten Bevölkerungsverzeichnisse. 1771 führte die Naturforschende Gesellschaft eine Zählung durch; eingehend mit der Demografie beschäftigte sich damals der Statistiker Johann Heinrich Waser.

Bis zum Ende des hochmittelalterlichen Landesausbaus hatte sich die Bevölkerungszahl verdoppelt bis verdreifacht und erreichte nach 1300 einen ersten Höchststand, mit dem eine Verknappung der Nahrungsgrundlage einherging. Die 1349 einsetzenden Pestzüge und die vielen Kriege des Spätmittelalters führten zu einem Einbruch der Bevölkerungszahlen, der erst nach 1450 wettgemacht wurde. 1467 hatte die Stadt Zürich gegen 5000, das übrige Kantonsgebiet etwa 35'000 Einwohner.

Das nach der Krise des Spätmittelalters einsetzende Wachstum dauerte bis um 1570. Damals zählte der Kanton rund 80'000 Einwohner. Die erneute Verknappung der Nahrungsmittel und klimabedingte Missernten (Ernte) bis 1590 sowie die Pestzüge von 1611, 1629 und 1635 führten zu starken Bevölkerungschwankungen mit Verlusten bis zu 40% und insgesamt zur Stagnation. Bis um 1680 folgte abermals ein starkes Wachstum auf rund 130'000 Einwohner; der letzte Pestzug 1668 traf nur wenige Gegenden («Ustertod») und verursachte kein Massensterben mehr. Erneute Missernten bei ohnehin knappen Ressourcen auf einer nächsten Spitze der frühneuzeitlichen Klimaverschlechterung leiteten um 1690 einen weiteren massiven Bevölkerungseinbruch ein.

Mit der Protoindustrialisierung im 18. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung erneut, da die Verlagsindustrie neue Lebensgrundlagen schuf und die Möglichkeit eröffnete, Familien zu gründen. Bis 1800 stieg die Einwohnerzahl von 115'000 auf 179'000 an, mit einer Unterbrechung nur während der Hungersnot 1770-1771. Das Wachstum folgte dabei der Industrie: Die Bevölkerung des im 17. Jahrhundert noch wenig besiedelten Oberlands nahm um über 100% zu; stark wuchs sie auch in der stets dicht besiedelten Seegegend. In den Ackerbaugegenden des Weinlands und Unterlands hingegen nahm die Bevölkerungszahl bis 1771 sogar ab, um erst danach wieder etwas zu steigen; um 1700 gehörten sie zu den am dichtesten, um 1800 zu den am wenigsten dicht besiedelten Regionen. Die Städte Zürich und Winterthur nahmen nach 1650 keine Neubürger mehr auf und wuchsen nur noch unbedeutend. Zürich hatte um 1800 rund 10'000 Einwohner. Am Ende des Ancien Régime war der Kanton Zürich mit 179'000 Einwohnern nach Bern der bevölkerungsreichste Kanton unter den eidgenössischen Orten.

Siedlungs- und Kulturformen

Durch den Kanton Zürich zieht sich entlang der Linie Knonau-Zürich-Winterthur, die das tiefer gelegene Mittelland (Unterland, Weinland, Reussgegend) und das Hügelgebiet der Voralpen (Oberland, Seegebiet, Albiskette) scheidet, eine Kulturgrenze, die Bedeutung hatte für Siedlungsformen, Wirtschaft und Volksleben.

Die nördlichen und westlichen Gebiete zeichneten sich ab dem ausgehenden Spätmittelalter durch geschlossene Acker- und Weinbaudörfer, gemeinsame Bewirtschaftung der Fluren und Nutzung der Allmenden aus (Agrarzonen). Der Bau von Häusern ausserhalb der Dörfer war nicht möglich. Die Zahl der bäuerlichen Betriebe wurde durch hohe Einzugsgebühren beschränkt, was ein Wachstum nach 1700 kaum mehr zuliess. In den Siedlungen herrschte das Mehrzweckbauernhaus vor, das Wohn- und Wirtschaftsteil unter einem First vereinigte. Der Hof als der Mittelpunkt des Lebens, die Geschlossenheit der Dörfer und die Schollengebundenheit gingen einher mit einer konservativen, die Tradition und das Kollektiv betonenden Gesinnung.

Mehrzweckhaus in Baltenswil (Gemeinde Bassersdorf). Lavierte Federzeichnung von Johann Ludwig Meyer von Knonau, um 1750 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Mehrzweckhaus in Baltenswil (Gemeinde Bassersdorf). Lavierte Federzeichnung von Johann Ludwig Meyer von Knonau, um 1750 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

In den höher gelegenen südlichen und östlichen Gegenden herrschten kleine Weiler und Einzelhöfe (Einzelhofsiedlung), oft ohne kollektive Wirtschaftsordnung, vor. Landbau wurde ab etwa 600 m zumeist in Form der Egartenwirtschaft (Feldgraswirtschaft) betrieben, weshalb auch das Verbot, ausserhalb der Siedlungen neue Häuser zu errichten, unbekannt war. Wegen der geringen oder fehlenden Allmenden waren Nutzungsrechte weniger wichtig als in den Ackerbauregionen, die Einzugsgebühren vergleichsweise gering. Diese Verhältnisse begünstigten im 17. und 18. Jahrhundert die Ausbreitung der Heimindustrie (Heimarbeit) und förderten das Bevölkerungswachstum sowie die Binnenkolonisation des Oberlands. Es entstanden neue Siedlungen, Häuser und Hausteile (Flarzhaus). Im 18. Jahrhundert war das Oberland eine der am stärksten industrialisierten und am dichtesten bevölkerten Gegenden Europas. Die individuelle Wirtschafts- und Siedlungsweise machte das Oberland empfänglich für nonkonformistische und oppositionelle Bewegungen.

Wirtschaft

Die Wirtschaft im Spätmittelalter

Die Stadt Zürich nahm im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert eine bedeutende Stellung unter den Wirtschaftsplätzen Oberdeutschlands ein. Mit beträchtlichem Aussenhandel verbunden war die Seidenfabrikation, die sonst nur in wenigen Städten nördlich der Alpen, etwa in Köln, Regensburg und Paris, Fuss fasste; der Rohstoff wurde in Italien bezogen, die Erzeugnisse bis an den Niederrhein sowie nach Polen, Österreich und Ungarn ausgeführt. Die wirtschaftliche Blüte endete um 1350 im Zusammenhang mit der Brun’schen Zunftrevolution von 1336 und den nachfolgenden Wirren, die sich bis zum Alten Zürichkrieg hinzogen. Um 1470 war Zürich eine Handwerkerstadt ohne bedeutende Handelsverbindungen.

Auf der Landschaft führte der Bevölkerungsverlust nach 1350 zu einem Rückgang der Getreidefläche bis zu 25%. Der Nahrungsdruck nahm ab, Grundherren hatten Schwierigkeiten, ihre Güter dauerhaft zu verleihen. In den günstig gelegenen Gegenden am See und im Weinland war vermehrt Wein- und Gemüsebau, in den höheren Gebieten des Oberlands und südlich des Sees Viehwirtschaft möglich. Auch eine Zunahme der agrarischen Nebengewerbe ist feststellbar.

Nach 1450 kam es aufgrund der wachsenden Bevölkerung zunehmend zu Nutzungskonflikten; die Grenzen zwischen den Flurgemeinden wurden endgültig ausgeschieden. Mit der steigenden Bedeutung des Bodenertrags wuchs das Interesse der Stadtbürger, ihr Geld auf der Landschaft anzulegen (Geldwirtschaft). Die zunehmende Sorge um den Getreidebau als der wichtigsten Nahrungsgrundlage war nach 1480 Anlass zu Verboten, Ackerland (Ackerbau) umzunutzen. Der Versuch, die Landschaft zu ruralisieren und Handel sowie Handwerk in der Stadt zu zentralisieren, war ein Grund für den Sturz von Hans Waldmann 1489. Die eidgenössischen Spruchbriefe bestätigten die wirtschaftlichen Freiheiten der Landschaft weitgehend.

Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe im Ancien Régime

Im Spätmittelalter waren über 95% der Landbevölkerung vornehmlich in der Landwirtschaft beschäftigt. Bis 1800 sank dieser Anteil auf 65%. Diese Entwicklung wurde möglich durch die textile Heimarbeit, die im 17. und 18. Jahrhundert den Bewohnern voralpiner Gegenden neue Lebensgrundlagen eröffnete.

In den Ackerbaugebieten wurde der Feldbau noch im 18. Jahrhundert zumeist im Rahmen der traditionellen Zelgenordnung und Dreifelderwirtschaft betrieben. Die Erträge hielten nicht mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt; sie scheinen, wie aus den Zehnterträgen geschlossen werden kann, nach dem Dreissigjährigen Krieg sogar abgenommen zu haben. Oft wurden nur noch Äcker in Dorfnähe hinreichend bebaut, abgelegene Fluren aber liegen gelassen, weil das schwäbische Getreide günstiger eingeführt werden konnte. Die zunehmende Produktionsteilung zwischen dem Agrarland Schwaben und dem industrialisierten Zürich führte dazu, dass im 18. Jahrhundert rund 40% des benötigten Getreides aus Schwaben stammten und am Ende desselben Jahrhunderts nur noch rund 10% des auf dem Zürcher Kornmarkt (Kornpolitik) umgesetzten Getreides im Zürcher Gebiet angebaut wurden. Vom Ausland verhängte Fruchtsperren in Kriegszeiten und während Missernten wie 1770-1771 trafen die Bevölkerung deshalb hart und hatten grosse Hungersnöte zur Folge. Erst danach milderte das Aufkommen der Kartoffel die Abhängigkeit vom Getreide.

Nach 1750 unternahmen die in der ökonomischen Kommission der Naturforschenden oder physikalischen Gesellschaft um Hans Caspar Hirzel vereinigten Physiokraten Anstrengungen, die Landwirtschaft im Rahmen der bestehenden Staatsordnung und unter Beibehaltung der Grundgefälle zu reformieren, um die Abhängigkeit vom Getreideimport zu vermindern. Sie verhalfen Jakob Gujer, genannt Kleinjogg, zu europäischer Bekanntheit als Musterbauern. Eine zürcherische Besonderheit waren die sogenannten Bauerngespräche, die die Physiokraten zur Verbesserung der Anbaumethoden mit Landleuten führten. Den Bestrebungen allerdings, die bäuerlichen Gemeinden zum Beispiel zur Aufteilung ihrer Allmenden und zur Abschaffung des allgemeinen Weidgangs zu bewegen, setzten die festgefügte Wirtschaftsordnung sowie die vergleichsweise hohe Autonomie der Zürcher Gemeinden Grenzen.

Kleinhändler bietet Kellen, Löffel und Weinhähne feil. Kupferstich aus den Zürcherischen Ausruff-Bildern von David Herrliberger, 1748 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Kleinhändler bietet Kellen, Löffel und Weinhähne feil. Kupferstich aus den Zürcherischen Ausruff-Bildern von David Herrliberger, 1748 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

In den höher gelegenen Zonen erfolgte im 17. und 18. Jahrhundert eine Spezialisierung auf die Vieh- und Milchwirtschaft, während im Weinland, am Zürichsee, in den Vororten der Stadt Zürich und am rechten Ufer der Limmat der Weinbau traditionell eine bedeutende Rolle spielte. Bereits im 17. Jahrhundert wurde der Landbau durch regionale Nebengewerbe ergänzt, die über den eigenen Bedarf hinaus produzierten. Sie verliehen der Zürcher Landschaft schon im 18. Jahrhundert den Charakter einer differenzierten Wirtschaftsregion. Im Rafzerfeld entwickelte sich eine ausgedehnte Strohhutflechterei, um Rümlang eine Strumpfstrickerei, im Weinland wurde Hanf (Gewerbepflanzen) angebaut und verarbeitet, im unteren Tal der Töss vertrieben Schneckenfarmen ihre Erzeugnisse bis nach Italien. Durch die Fabrikation von hölzernen Gerätschaften wurde das obere Tösstal als Chellenland bekannt.

Das Handwerk in Zürich und Winterthur war zünftisch organisiert und besass das Marktmonopol, das ländlichen Handwerkern und Krämern (Kleinhandel) nur an wenigen Tagen den Zutritt zum städtischen Markt gewährte. Einige Berufe wie zum Beispiel jener des Goldschmieds durften nur in den Städten ausgeübt werden. Ferner waren Tavernen, Metzgereien, Mühlen und andere Gewerbe als Ehaften bewilligungspflichtig. Ansonsten war es dem ländlichen Handwerk, besonders dem vielfältigen Baugewerbe unbenommen, für den regionalen und überregionalen Markt zu produzieren. Oft geschah dies neben der kleinbäuerlichen Tätigkeit in der Landwirtschaft. Ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind in den Akten nähere Bezeichnungen für Landleute als Schuhmacher, Schneider, Weber (Bekleidungsindustrie) und weitere Berufe häufig; sie zeugen von einem breiten Landhandwerk, das in die traditionelle ländliche Gesellschaft integriert war. Vor allem im 17. Jahrhundert wurden einige Berufe wie die Seiler, Glaser oder Posamenter in die städtischen Zünfte inkorporiert. Damit waren allerdings keine stadtbürgerlichen Rechte verbunden, wohl aber die Pflichten und der Schutz der Handwerksordnungen. Die Initiative ging dabei zum Teil von den Handwerksmeistern auf der Landschaft aus, die sich so vor Konkurrenz schützten.

Handel und Verkehr – die Zürcher Fabriques

Die ab 1650 erfolgreich für den Export produzierende Textilindustrie wurde zu einem massgeblichen Faktor der Zürcher Wirtschaft (Exportwirtschaft) und zur Grundlage der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Ausgangspunkt war das nach 1450 in der Stadt Zürich aufkommende Baumwollgewerbe (Tüchli), das unter keine zünftische Beschränkung mehr fiel und frei ausgeübt werden konnte. Wichtig für die weitere Entwicklung waren die reformierten Flüchtlinge aus Locarno (1555), die dem Tuch- und Leinwandgewerbe ausländische Märkte erschlossen und die Verarbeitung von Seide und Wolle einführten. Gefördert wurde das industrielle Unternehmertum durch das während der Reformation erlassene Pensionen- und das im 16. Jahrhundert bestehende Solddienstverbot, das die städtische Elite neue Erwerbsmöglichkeiten suchen liess.

In der Periode 1560-1660 entwickelten sich städtische Familienfirmen, die Handel, Verlag und Manufaktur von noch einfachen Textilprodukten aufbauten (Verlagssystem). Gleichzeitig wuchs der Einfluss der Fabrikanten auf die Politik, indem sie vermehrt Ratsstellen besetzten und Bürgermeister stellten. Die Rohstoffe für die städtischen Firmen wurden noch weitgehend in Stadtnähe verarbeitet; am oberen See und im Oberland begannen ländliche Unternehmer mit der Organisation eines selbstständigen Leinen- und Baumwollgewerbes für die regionalen Märkte. Die auf die Hochkonjunktur ab 1620 folgende Stagnation und die Krise um 1650 waren zum Teil eine Folge der verloren gegangenen Zollprivilegien in Frankreich.

Nach 1660 setzte eine erneute Konjunktur ein, die auf einer Verfeinerung und Diversifizierung der Produkte beruhte. Sie schwächte sich in der Subsistenzkrise nach 1690 ab und ging 1710 zu Ende. Zürich war der erste Ort nördlich der Alpen, der reine und für den Druck geeignete Baumwolltücher herstellte (Zeugdruck), und im 18. Jahrhundert, wie schon im 14. Jahrhundert, neben Basel eine der wenigen seidenverarbeitenden Regionen im deutschsprachigen Raum. Zum Erfolg trugen nach 1685 hugenottische Flüchtlinge (protestantische Glaubensflüchtlinge) bei, denen allerdings nur befristet Aufenthaltsrecht eingeräumt wurde. Zu einer wichtigen Institution wurde das 1662 gegründete Kaufmännische Direktorium, das Qualitätsstandards und Löhne festlegte, das Post- und Botenwesen aufbaute und bestimmenden Einfluss auf die staatliche Gewerbe- und Handelspolitik ausübte. Um 1700 sicherte sich die städtische Kaufmannschaft das Monopol in der Fabrikation von Seidenstoffen und der Veredelung von Baumwollprodukten. Auch Winterthur wurde im sogenannten Fabrikhandel 1715-1719 diesen Restriktionen unterworfen.

Unter diesen Bedingungen, die allerdings nicht immer durchzusetzen waren, folgte von 1720 bis zur Französischen Revolution eine weitere Hochkonjunktur, die nur um 1770 von einer kurzen Krise unterbrochen wurde und bis nach 1790, als englisches Maschinengarn den europäischen Markt zu erobern begann, fortdauerte. Im Auftrag der städtischen Kaufleute wurden die Rohstoffe, nun vor allem Baumwolle, durch die Vermittlung ländlicher Unternehmer im industrialisierten Oberland zu Garn oder rohem Tuch verarbeitet, während die bereits mechanisierte Seidenindustrie in stadtnahen Manufakturen angesiedelt war.

Im 16. Jahrhundert lag Zürich hinsichtlich seiner Kapitalkraft hinter Basel, Genf oder St. Gallen zurück. Staat und Private waren bei Bedarf auf auswärtige Kredite angewiesen, eigentliche Bankiers gab es in Zürich keine. Erst im 17. Jahrhundert schuf die Textilindustrie die Basis für eine selbstständige Finanzwirtschaft; die Stadt wurde unabhängig von fremden Geldgebern. Der sogenannte Pfund- und Fabrikzoll, eine Abgabe auf die an Fremde verkauften Waren und auf exportierte Textilien, wurde nach 1617 zu einer wichtigen Quelle der Staatseinnahmen. Kaufleute wie die Werdmüller wandten sich um 1650 dem Geld- und Wechselgeschäft zu und wurden marchands-banquiers. Im 18. Jahrhundert galt Zürich dank seiner Exportindustrie als reich, erreichte aber als Handels- und Finanzplatz nicht die Bedeutung anderer Schweizer Städte. Die Zürcher Firmen wahrten ihren Charakter als solide Familienunternehmen, die sich selbst finanzierten. Bankgeschäfte betrieben in Zürich nach 1750 sieben Firmen. Eine staatliche Leihbank, die Gelder anlegte und Kredite vergab, war die 1754 gegründete Zinskommission und spätere Bank Leu. Der Handel konzentrierte sich auf den Einkauf in Oberitalien (Bergamo) und den Absatz entlang des Rheins bis nach Holland und England sowie ins Elsass und nach Lyon. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts versuchten Zürcher und Winterthurer Kaufleute im Überseehandel Fuss zu fassen und wichen in einer Zeit wachsender Spekulationslust vom Grundsatz der Selbstfinanzierung ab, was nach der Französischen Revolution zu Verlusten und Firmenzusammenbrüchen führte.

Auf der Landschaft nahmen die Bauern seit dem 16. Jahrhundert vermehrt durch Grundpfande versicherte Kredite vornehmlich bei städtischen Geldgebern auf. Die Realteilung im Erbrecht, welche die Auszahlung der Miterben oder die Teilung der Höfe erforderlich machte, sowie der sinkende Zinssatz führten in den folgenden 200 Jahren zu einer enormen Verschuldung des landwirtschaftlichen Besitzes (Agrarverschuldung). Während der Agrarkonjunktur des Dreissigjährigen Kriegs belasteten manche Grossbauern, unter anderem zur Arrondierung ihres Besitzes, ihre Güter zu hoch und gingen Konkurs, als nach 1648 der Import von billigerem Getreide aus Oberschwaben wieder einsetzte. Die Verschuldung und die Besonderheiten des Zürcher Pfandrechts, das die subsidiäre Haftung aller Eigentümer der belasteten Liegenschaften kannte, riss im 18. Jahrhundert bei Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners die Mithaften mit in den Konkurs; verschiedentlich, so in Thalheim an der Thur 1723-1727, fallierte dabei die gesamte Einwohnerschaft eines Dorfs. Häufig war im 18. Jahrhundert die Belastung durch die in Geld zu entrichtenden Kapitalschuldzinsen höher als die Grundzinsen und Zehnten.

Mit dem Bevölkerungswachstum vom 16. bis 18. Jahrhundert und dem Entstehen einer Heimarbeiterbevölkerung wuchs die Abhängigkeit Zürichs vom Import lebenswichtiger Güter wie Getreide, Salz und später auch Holz. Im Interesse der Konsumenten, aber auch aus fiskalischen Gründen verstärkte die Obrigkeit im 17. und 18. Jahrhundert die Kontrolle über den Handel solcher Waren. Mittel waren das Verbot des Zwischenhandels und des Wuchers sowie Monopolisierung und Preisregulierung. Weil die Kornlieferanten in Schwaben günstiger produzierten, förderte Zürich nach dem Dreissigjährigen Krieg den Direktimport durch ausländische Produzenten. Um die Preise tief zu halten, unterwarf die Stadt gleichzeitig die einheimischen Kornhändler einer Patentpflicht und wies ihnen zur Vermeidung von Konkurrenz ausländische Märkte zu. Für Notzeiten legte der Staat bereits im 16. Jahrhundert Fruchtvorräte an (Vorratshaltung). Später taten dies auch Zünfte und Gemeinden. Der durchschnittliche Getreidepreis auf dem Zürcher Kornmarkt (Fruchtschlag) wurde wöchentlich ermittelt und daraus der Preis des Mehls und des Brots für die Stadt und das Land festgesetzt. Ähnlichen Regulierungen zugunsten des Konsumenten waren auch der Handel mit Schlachtvieh und der Preis des Fleisches (Fleischtaxe) unterworfen. Im Salzhandel erlangten Kaufleute um den Winterthurer Melchior Steiner 1655 durch Monopolverträge mit dem Tirol und Bayern eine überragende Stellung. Gegen Steiner führte die Stadt Zürich in der Folge einen eigentlichen Wirtschaftskrieg, dem dieser schliesslich zum Opfer fiel und der um 1675 zur staatlichen Monopolisierung des Salzhandels führte. Unter staatliche Aufsicht gestellt wurde im 18. Jahrhundert zunehmend das Forstwesen der Landgemeinden. Vermehrt reguliert und zum Teil monopolisiert wurde auch die Versorgung der Stadt mit Brenn- und Bauholz (Holzwirtschaft), nachdem 1763 festgestellt worden war, dass die Einfuhr von nur sechs Landleuten am See abhing.

Die Zürcher Gesellschaft nach der Reformation

Die Gesellschaftsordnung

Das Spätmittelalter war durch hohe soziale Mobilität geprägt. Der frühere Adelsstand verschwand; Zuzügern wie Hans Waldmann oder Huldrych Zwingli waren steile Karrieren möglich. Das änderte sich ab dem 16. Jahrhundert. Zum Schutz der städtischen Privilegien wurden im 17. Jahrhundert der bürgerliche und der nichtbürgerliche Stand streng geschieden. Die Stadt Zürich und auch Winterthur nahmen keine Landleute mehr ins Bürgerrecht auf. Nur die Stadtzürcher waren regimentsfähig, nur sie hatten die Bundesbriefe beschworen und waren folglich Eidgenossen. Den Standesunterschied betonten unterschiedliche Kleider- und Aufwandsmandate. Zugang zum Stand der Geistlichkeit hatten ab dem 17. Jahrhundert nur noch Stadtbürger. Der privilegierte Status erlaubte dem Geringsten der Stadtbürger von Zürich, sich erhaben zu fühlen über die Besten der Landschaft, auch über die Bürger Winterthurs.

Regimentsbuch in einer Abschrift des Lehrers und Kartografen Johann Jakob Hulftegger, 1641 (Zentralbibliothek Zürich, Ms. Z II 431, Fol. 33v und 34r).
Regimentsbuch in einer Abschrift des Lehrers und Kartografen Johann Jakob Hulftegger, 1641 (Zentralbibliothek Zürich, Ms. Z II 431, Fol. 33v und 34r). […]

Die Zürcher Bürgerschaft war ab 1336 zünftisch und berufsständisch geordnet (Zunftstädte). Mit Ausnahme der Dienstboten hatte jeder Einwohner Mitglied einer Zunft zu sein. Wer ein Handwerk betreiben wollte, musste der entsprechenden Handwerksgesellschaft angehören. Weil der Kaufmannschaft ab 1489 die freie Zunftwahl zustand, konnte diese im 17. und 18. Jahrhundert den Handwerkerstand aus den führenden Positionen verdrängen. Die erfolgreichen Familien entwickelten ein Standesbewusstsein, das adlige Züge annahm. Private Gerichtsherren (Gerichtswesen) erbauten sich im 17. Jahrhundert schlossähnliche Landhäuser, unter anderem 1642 in Berg am Irchel, 1644 in Wülflingen, 1647 in Lufingen und 1650 in Uitikon.

Berufliche Gliederung der Zürcher Zünfte
Berufliche Gliederung der Zürcher Zünfte […]

Obwohl sich auch in Zürich im 17. und 18. Jahrhundert die politische Macht faktisch in den Händen von regierenden Geschlechtern konzentrierte (Aristokratisierung), unterblieb doch – im Unterschied zu Bern und Luzern – eine formelle Einschränkung der Ratsfähigkeit auf bestimmte Familien. Die politische Führungsschicht blieb offen für den Zuzug von neuen, zu Reichtum gekommenen städtischen Unternehmerfamilien. Ebenso hatte die städtische Oberschicht die Gesetze der Zünfte zu beachten und die Sittenmandate einzuhalten. Mit der Landbevölkerung blieb sie durch die Verlagsindustrie, den Dienst in der Kirche und die Landesverwaltung vertraut.

Auf der Landschaft war das Nutzungsrecht am Korporationsgut (hauptsächlich an der Allmende und am Gemeindewald) für die Stellung innerhalb des Gemeindeverbands wichtig. Grundsätzlich stand dieses Recht Haushaltsvorständen zu, die im Ort wohnten und über eigenen Rauch (Herd) verfügten. Sie waren die eigentlichen Vollbürger der Gemeinde, die in Gemeindeangelegenheiten entschieden, aber auch die Lasten für die Gemeinde zu tragen hatten. In vielen Gemeinden, vor allem im Oberland, wurde im 17. Jahrhundert der Gemeindenutzen auf eine bestimmte Zahl von Häusern verteilt und sogenannte Hausgerechtigkeiten geschaffen. Diese konnten geteilt und gekauft sowie verkauft werden. Das Stimmrecht in diesen Gemeinden richtete sich zumeist nach den Gerechtigkeiten. Um den Zuzug von Personen zu steuern, die in einer Gemeinde Wohnsitz nehmen und an der Nutzung teil haben wollten, setzte die Regierung auf Betreiben der Gemeinde eine Einzugsgebühr fest, die sich nach dem Umfang des Gemeindeguts richtete. Als Hintersässen wurden solche Personen bezeichnet, die sich – häufig als Mieter – in einer Gemeinde niederliessen, ohne über Nutzungsrechte zu verfügen. Sie mussten der Gemeinde ein Hintersässengeld entrichten. Mit der Frühindustrialisierung im 18. Jahrhundert erodierten die ständischen Verhaltensunterschiede zwischen Stadt und Land; städtische Mode- und Nahrungsgewohnheiten drangen in die Gebiete vor, in denen die Verlagsindustrie hauptsächlich blühte.

Die Sozialstruktur auf der Landschaft – ländliche Armut

Die persönliche Unfreiheit weiter Teile der Landbevölkerung verlor im 15. Jahrhundert an Bedeutung. 1525 gewährte die Stadt Zürich ihren leibeigenen Untertanen, die sie mit den Vogteien und Klöstern erworben hatte, die Freiheit und verzichtete auf den Bezug der Todfallabgaben. Davon ausgenommen waren die Eigenleute der Vogtei Grüningen, die so für ihre damalige Unbotmässigkeit bestraft wurden; erst 1796 durften sich diese freikaufen. Ebensowenig galt sie für die Angehörigen der 1549 an die Stadt gekommenen Landvogtei Wädenswil. Zürcher Untertanen, die auswärtigen Leibherren gehörten, mussten sich im 16. und 17. Jahrhundert auf Betreiben der Stadt von der Leibeigenschaft loskaufen.

Die ländliche Sozialstruktur der frühen Neuzeit bildete sich nach 1450 aus. An der Spitze standen Ehaftenbesitzer wie die Müller, Schmiede und Tavernenwirte. Oft traten sie als Kreditgeber auf, besassen umfangreiche Güter und trieben Handel mit Getreide. Zur Oberschicht zählten ferner die Vollbauern. Sie verfügten über einen ganzen Zug, d.h. über einen Pflug und wenigstens drei Zugtiere, regelmässig auch über so viel Land, dass sie über den Eigenbedarf hinaus produzieren konnten. Zu einem gewissen Wohlstand konnte auch die Spezialisierung auf Weinbau und Viehwirtschaft führen. Die nach 1650 am See und in den Hügelzonen auftretenden ländlichen Fabrikanten, die als Zwischenträger und Subunternehmer städtischer Verleger auftraten, waren oft Ehaftenbesitzer, Wein- und Viehbauern. Die ländliche Oberschicht stellte, nicht selten über Generationen hinweg, die Richter und Untervögte und besetzte die wichtigen Gemeindeämter.

Unterhalb der schmalen Oberschicht standen die Halbbauern, die wenigstens über zwei Zugtiere und über so viel Land verfügten, dass sie sich bei genügender Ertragslage selbst ernähren konnten. Den grössten Bevölkerungsanteil stellten die Tauner; im 18. Jahrhundert betrug dieser rund 70%. Der Ertrag ihrer Güter genügte nicht, um eine Familie zu unterhalten. Sie waren auf Taglöhnerei (Taglöhner) oder auf den Erwerb aus einem Handwerk angewiesen. Hauptsächlich aus ihren Reihen stammten die vielen Schuhmacher, Schneider und Weber in den Dörfern. In den Gebieten, in denen sich die Protoindustrie ausbreitete, entstand eine breite Schicht von Heimarbeitern (Arbeiter), deren Auskommen von der wechselnden Handelskonjunktur abhängig war.

Viele ausländische Besucher bestaunten im 18. Jahrhundert den vor allem in den Gemeinden am Zürichsee herrschenden Wohlstand. Die strukturell bedingte Armut der Tauner und Heimarbeiter jedoch überwand das Ancien Régime nicht; durchschnittlich dürften etwa 20% der Bevölkerung auf dauernde Beihilfen (Fürsorge) angewiesen gewesen sein. Für die einheimischen Armen waren ab dem 16. Jahrhundert die Kirchgemeinden zuständig. Der Staat half mit Beiträgen aus den während der Reformation verstaatlichten Klostergütern; die Unterstützung bestand hauptsächlich in Brot und Kleidung, bei völliger Erwerbsunfähigkeit, von der oft Witwen betroffen waren, auch in einem Monatsgeld. Die regelmässigen Fehljahre und Konjunktureinbrüche liessen die Zahl derjenigen, die sich nicht mehr selbst ernähren konnten, jeweils massiv anwachsen.

Hauptsächlich aus ökonomischen Gründen suchten viele Zürcher in der Fremde ein Auskommen. Nach dem Ende des Dreissigjährigen Kriegs war die Kurpfalz ein Hauptziel der Zürcher Auswanderung; 1661 lebten dort und in den angrenzenden Gebieten über 4000 Landesangehörige. Weitere Wanderungsbewegungen folgten um 1690 nach Brandenburg, um 1730-1750 nach Nordamerika (Vereinigte Staaten von Amerika) und 1770-1771 wiederum nach Brandenburg. Nach den Militärkapitulationen des 17. Jahrhunderts war der seit der Reformation verbotene, aber nie völlig unterbundene Solddienst (Fremde Dienste) wieder erlaubt. Um 1700 dienten etwa 2500 Mann in den kapitulierten Regimentern, um 1770 etwa 2000.

Kirchliches und religiöses Leben, Kultur und Bildung

Kirchliches und religiöses Leben

Trauben aus dem Land Kanaan. Flachschnitzerei an der Kirchendecke in Dürnten. Nördlicher Rahmenfries von Tischmacher Ulrich Schmid, 1521 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Elvira Angstmann).
Trauben aus dem Land Kanaan. Flachschnitzerei an der Kirchendecke in Dürnten. Nördlicher Rahmenfries von Tischmacher Ulrich Schmid, 1521 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Elvira Angstmann). […]

Im vorreformatorischen Zürich genossen Karl der Grosse als der legendäre Gründer des Grossmünsters und die Stadtheiligen Felix und Regula Verehrung. Über der angeblichen Hinrichtungsstätte der Letzteren wurde 1479-1484 mit Mitteln des Ablasses die Wasserkirche erbaut. Das Grossmünster war eine der wichtigsten Kirchen im Bistum Konstanz und für seinen liturgischen Gesang berühmt. Um 1500 entstanden auf der Landschaft zahlreiche neue Kirchenbauten, 1501 am Pflasterbach in Sünikon (Steinmaur) eine vielbesuchte Wallfahrtskirche.

Vollstreckung der Todesurteile gegen Anna Suter und Agatha Huber wegen Hexerei im Mai 1580. Illustration aus der Chronik von Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 29, Fol. 114r).
Vollstreckung der Todesurteile gegen Anna Suter und Agatha Huber wegen Hexerei im Mai 1580. Illustration aus der Chronik von Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 29, Fol. 114r). […]

Die Reformation 1523-1525 stellte einen radikalen Bruch im Glaubensleben dar. Für die Landschaft war damit teilweise die Erwartung verbunden, die Bibel werde zur Grundlage der weltlichen Herrschaft und die Reformation bringe die Abschaffung des Zehnten und die freie Pfarrwahl der Gemeinden. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht. Stattdessen setzte die Stadt nach der Reformation durch, was ihr im Waldmannhandel noch nicht gelungen war: Mit Sittenmandaten nahm sie Einfluss auf Brauchtum und Geselligkeit und suchte Kirchweihfeste, Lichtstubeten (Stubeten) und andere Vergnügungen zu unterbinden. Mit der Heranbildung eines neuen Stands von Geistlichen, ausgebildet an der Zürcher Theologenschule, verbreiteten sich die Glaubenssätze der Zürcher Kirche im 16. Jahrhundert auf der Landschaft. Sie waren von einem hohen Arbeitsethos und puritanischer Lebenshaltung geprägt. Starke religiöse Überzeugungen bewiesen im 16. und 17. Jahrhundert die Täufer, die von Beginn an verfolgt wurden. Bibel, Katechismus, Andachts- und Trostbücher waren seit dem 17. Jahrhundert weit verbreitet. Andererseits lebte der Aberglaube fort, auch weil die Kirche selbst ein Wirken des Teufels und die Möglichkeit der Zauberei nicht ausschloss. Höhepunkt der Hexenverfolgungen waren die Jahre 1571-1598, in denen 37 Frauen wegen Hexerei hingerichtet wurden. Der letzte Hexenprozess endete 1701 in Wasterkingen mit acht Todesurteilen.

Mit der ersten vollständigen Bibelübersetzung, der Zürcher Bibel von 1530-1531, dem ersten Katechismus von 1534 und dem Wirken von Gelehrten wie Heinrich Bullinger, Leo Jud und später Johann Jakob Breitinger (Antistes 1613-1645) erreichte die Zürcher Reformation eine grosse Ausstrahlung (Zwinglianismus). Im 17. Jahrhundert erstarrte das reformierte Glaubensbekenntnis zum staatskirchlichen Dogmatismus, der abweichende Überzeugungen rigoros bekämpfte. Der Zürcher Katechismus von 1609 bekannte sich zur calvinistischen Gnadenwahl, die auf der Dordrechter Synode 1619 bestätigt und mit der Formula Consensus zum Bekenntnis der Zürcher Kirche wurde. Von Staat und Kirche verfolgt wurden die Pietisten, die sich um 1700 bemerkbar machten. Die Bewegung besass Anhänger auf der Landschaft, aber auch in führenden Familien der Städte Zürich und Winterthur.

Nach 1730 wurde die Verpflichtung auf die Consensusformel zugunsten der Deutung der christlichen Wahrheiten im Lichte der Vernunft aufgegeben. Um 1750 fiel auch der Zwang zum Kirchenbesuch. Die Bibelübersetzung von 1772 und das Kirchengesangbuch von 1787 waren von der Aufklärung geprägt. Mit der Härte der Staatsgewalt indessen musste weiterhin rechnen, wer, wie die Separatisten in Bauma nach 1770, den Kriegsdienst ablehnte oder wer, wie Jakob Heinrich Meister mit seiner des Deismus verdächtigen Schrift De l'origine des principes religieux (1769) die Grenzen einer «vernünftigen Orthodoxie» überschritt. Keine Toleranz geübt wurde noch im 18. Jahrhundert gegenüber Glaubensabtrünnigen. Gemäss Mandat von 1755 führte der Übertritt zum Katholizismus zum Landesverweis, Heiraten mit katholischen Partnern waren strafbar. Dies hinderte das Volk nicht, die Heilkraft zum Beispiel der Kapuziner in Rapperswil in Anspruch zu nehmen, um sich vor Gefahren in Haus und Hof zu wappnen.

Bildung und Wissenschaft

Die Reformation war vor allem für das höhere Schulwesen in der Stadt von Bedeutung, mittelbar durch die Bildung der Geistlichkeit und später auch für die Volksschule. In der 1525 eröffneten theologischen Hochschule gab es neben den philologischen und theologischen Fächern ab 1541 auch eine Professur für Naturwissenschaften, im 17. Jahrhundert eine philosophische Klasse, ab 1713 Dozenten für profane Geschichte und ab 1724 für Naturrecht. Zwischen der Hochschule und den sogenannten Deutschen Schulen bestanden die früheren Lateinschulen des Grossmünsters und des Fraumünsters fort, ab 1601 ergänzt durch das zweijährige Collegium humanitatis als Propädeuticum für die Theologieausbildung. Weil zur Bekleidung einer Professur in der Regel die Ordination erforderlich war, hatte der amtliche Stand der Gelehrten in Zürich vorwiegend theologischen Charakter. Professoren waren ab 1611 ausschliesslich Stadtzürcher Bürger; der Landjugend blieb der Zugang zu den höheren städtischen Schulen mit Ausnahme einiger Stipendiaten verwehrt. In den 1770er Jahren wurden die Schulen in den Städten Zürich und Winterthur erneuert. In Zürich entstanden in diesem Zusammenhang 1773 die Kunstschule, 1774 die Töchterschule und 1782 ein medizinisch-chirurgisches Institut.

Nordostorientierte Karte der Schulorganisation von Wald (ZH). Beilage zur Visitation des Kapitels Wetzikon, 1776 (Staatsarchiv Zürich, E 168, S. 498).
Nordostorientierte Karte der Schulorganisation von Wald (ZH). Beilage zur Visitation des Kapitels Wetzikon, 1776 (Staatsarchiv Zürich, E 168, S. 498). […]

Auf der Landschaft wurde noch im 17. Jahrhundert nur unregelmässig Schule gehalten, Lehrer waren oft auf Zeit verdingte fahrende Studenten. Eine erste Landschulordnung wurde 1637 erlassen, die aber noch keinen obligatorischen Schulbesuch vorsah; als Lehrer wirkten nun oft die Pfarrer. Mit wenig Erfolg suchte die Schulordnung von 1684 das Schulobligatorium einzuführen und Landschullehrer heranzubilden; diese wurden durch den Examinatorenkonvent in Zürich geprüft und gewählt. Eine erste Schulenquete wurde 1715 durchgeführt, 1719 wurden die Schulpläne revidiert, aber vom Geist des pädagogischen Jahrhunderts war bis in die 1770er Jahre wenig zu spüren. 1771-1772 folgte eine weitere Schulenquete und 1778 eine neue Landschulordnung. Diese verlangte den wenigstens zweitägigen Unterricht auch im Sommer und für die schulentlassene Jugend bis zur Konfirmation eine eintägige Repetierschule im Winter.

Unterrichtsziel der am Ende des 18. Jahrhunderts rund 360 Landschulen, die oft nur im Winter regelmässig gehalten wurden und für die nicht überall Schulhäuser bestanden, war die Fähigkeit, gedruckte religiöse Texte lesen und auswendig hersagen zu können. Dieses Ziel erreichte um 1780 rund 80% der Landbevölkerung, was ein vergleichsweise hoher Prozentsatz war. Weit geringer verbreitet war die Fähigkeit des Schreibens und Rechnens, wobei beträchtliche regionale Unterschiede bestanden. In Zürich und Winterthur berücksichtigten die Schulpläne die höheren Bedürfnisse des städtischen Geistes- und Gewerbelebens, die Schulzeit dauerte länger und die Schulabgänger beherrschten das Schreiben.

Kultur

Aus Knochen geschnitzter Messergriff in Form eines Falkners. Fund aus einem Sondierloch in der Liegenschaft Rindermarkt 7 in Zürich, um 1300 (Fotografie Stadtarchäologie Zürich).
Aus Knochen geschnitzter Messergriff in Form eines Falkners. Fund aus einem Sondierloch in der Liegenschaft Rindermarkt 7 in Zürich, um 1300 (Fotografie Stadtarchäologie Zürich). […]

Von einer kulturellen Blüte der reichsfreien Stadt Zürich im 13. Jahrhundert zeugen die Werke des Chorherrn Konrad von Mure und des höfischen Kreises um Ritter Rüdiger II. Manesse, der mit seinem Sohn Johannes Manesse Ende des 13. Jahrhunderts eine Sammlung höfischer Liedkunst initiert hatte, aus der die Manessische Handschrift mit Minneliedern von Johannes Hadlaub, Jakob von Wart, Werner von Teufen und anderen hervorging. Von Bedeutung für die Mystik war die Dominikanerin Elsbeth Stagel des Klosters Töss. Die um 1350 einsetzenden Krisen des Spätmittelalters waren der höheren Kultur nicht förderlich. Das Leben in der Stadt Zürich prägten die Zünfte, die stark handwerklichen Ehr- und Gleichheitsbegriffen verpflichtet waren. Eine der wenigen Persönlichkeiten mit umfassender Bildung war im 15. Jahrhundert der Chorherr Felix Hemmerli.

Neben Hemmerli waren Albrecht von Bonstetten und Niklaus von Wyle Vertreter frühhumanistischer Bildung (Humanismus). Nach 1470 wirkten die Maler Hans Haggenberg, Vater und Sohn Hans Leu (der Ältere) und Hans Leu (der Jüngere) sowie der Chronist Gerold Edlibach. Eine erste Druckerei wurde um 1480 eingerichtet; die Offizin von Christoph Froschauer druckte 1517-1591 über 1100 verschiedene Titel. Die kulturellen Leistungen fanden ihren Höhepunkt im humanistischen und reformatorischen Werk Zwinglis und Bullingers und der Lehrer an der 1525 eröffneten theologischen Hochschule am Grossmünster, unter anderen Jakob Ceporin, Peter Kolin und Konrad Pellikan. An dieser wirkte ab 1541 als Lehrer für Naturwissenschaften auch der Universalgelehrte Konrad Gessner.

Das Kulturleben im 17. Jahrhundert war von der dogmatisch gewordenen Staatskirche beherrscht. Ein Theaterleben gab es zum Beispiel in Zürich kaum mehr, die Zensur war allgegenwärtig. Der Stärkung von Staat und Wirtschaft diente die Kartografie, die durch Jos Murer und Hans Conrad Gyger eine Blüte erfuhr. In der Folge entstanden die bedeutenden Zehntenpläne des 17.-18. Jahrhunderts. Ein beeindruckendes Bauwerk war die 1642-1677 in Form eines Schanzensterns gebaute Stadtbefestigung; das neue, 1694-1698 errichtete Rathaus ist dem Barock verpflichtet.

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Zürich, unter freieren Anschauungen und gefördert durch den wirtschaftlichen Erfolg, zu einem Zentrum des Geisteslebens im deutschsprachigen Raum. Johann Jakob Scheuchzer, Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, Johann Kaspar Lavater und Johann Heinrich Pestalozzi waren europäische Berühmtheiten, Salomon Gessner war zu seiner Zeit einer der bekanntesten deutschen Autoren. Neben die herkömmliche Geselligkeit auf den Zünften traten zahlreiche Sozietäten wie die asketische, die moralische und die physikalische Gesellschaft, die aufklärerischen Gedanken verpflichtet waren.

Plan für das Gemeindeschulhaus in Ossingen von 1794. Fachwerk des Zimmermanns und Winterthurer Holzwerkmeisters Salomon Sulzer des Älteren (Staatsarchiv Zürich, Plan B 626).
Plan für das Gemeindeschulhaus in Ossingen von 1794. Fachwerk des Zimmermanns und Winterthurer Holzwerkmeisters Salomon Sulzer des Älteren (Staatsarchiv Zürich, Plan B 626). […]

Die Bevölkerung der Ackerbaugebiete im Weinland und im Unterland blieb der kollektiv bestimmten bäuerlichen Kultur verhaftet. Diese vertrug sich mit einem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis der Oberschicht, wovon die grossen Fachwerkbauten des 17. und 18. Jahrhunderts zeugen. In der Zürichseegegend orientierten sich wohlhabende Landleute in ihren Lebensformen an städtischen Vorbildern. In einigen Gemeinden wurden bedeutende Barockkirchen mit reicher Stuckausstattung gebaut. Nach 1770 entstanden Abend-, Musik-, Theater- und Lesegesellschaften, in denen ein aufgeklärtes Bildungs- und Gemeinschaftsbedürfnis gepflegt wurde. Im Zusammenhang mit der Protoindustrialisierung drangen im 18. Jahrhundert die neuen Lebensformen vom Zürichsee her in das Oberland vor. Die Heimarbeit und der in barem Geld ausbezahlte Lohn förderten einen individuellen Lebenstil, der sich vom kollektiven bäuerlichen Denken und Handeln unterschied und der die Luxusdiskussion neu entfachte.

Der Zürcher Staat im 19. und 20. Jahrhundert

Verfassungsentwicklung und politische Geschichte seit 1798

Helvetik, Mediation und Restauration

Titelvignette des Helvetisch-Republikanischen Kalenders für das Jahr 1799. Holzschnitt, herausgegeben von Aloys Studer und Josef Brentano in Stäfa, 1798 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Titelvignette des Helvetisch-Republikanischen Kalenders für das Jahr 1799. Holzschnitt, herausgegeben von Aloys Studer und Josef Brentano in Stäfa, 1798 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Der Einmarsch der französischen Truppen (Franzoseneinfall) in die Waadt im Januar 1798 stärkte die spätestens seit dem Stäfnerhandel fassbare revolutionäre Stimmung in der ländlichen Oberschicht vor allem in den Gemeinden am See, im Knonaueramt und im Zürcher Oberland. In der Erklärung vom 5. Februar 1798 anerkannten der Kleine und Grosse Rat die Freiheit und Gleichheit zwischen Stadt und Landschaft. Gleichzeitig setzte der Kleine Rat eine Landesversammlung ein, die sich aus 36 Abgeordneten aus der Stadt und 128 vom Land zusammensetzte. Die Deputierten trafen sich am 21. Februar in Zürich. Bereits am dritten Sitzungstag brach ein Streit aus; die revolutionären Komitees in der Zürichseegegend mobilisierten daraufhin etwa 1000 Männer, die am 12. März mit Stecken bewaffnet in die Limmatstadt einzogen. Weil noch am selben Tag der Kleine Rat zugunsten der Landesversammlung abdankte, beruhigte sich die Lage wieder. Bereits am 14. April stellte die Landesversammlung ihre Tätigkeit ein. Am 27. April besetzten französische Truppen Zürich. Von da an teilte Zürich die Geschicke des helvetischen Einheitsstaats; einzig während der knapp vier Monate zwischen den beiden Schlachten bei Zürich von Anfang Juni und Ende September 1799, als während des Zweiten Koalitionskriegs russische und dann österreichische Truppen die Stadt besetzt hielten, regierten von diesen eingesetzte konservative Behörden den Kanton in vorrevolutionärer Manier. Kriegsschäden und Besatzungskosten dämpften die revolutionäre Begeisterung in der Landbevölkerung und begünstigten zusammen mit dem politischen Chaos den Schulterschluss zwischen vermögenden Schichten des Bürgertums und den Altgesinnten. Die Wiedereinführung des mit Truppengewalt durchgesetzten Zehntbezugs löste im Januar 1802 Unruhen in den Distrikten Fehraltorf und Wald aus. Während der föderalistischen Aufstände (Föderalisten) im Sommer und Herbst 1802 fiel auch Zürich von der Helvetischen Republik ab und wurde am 10. und am 13. September von helvetischen Truppen beschossen (Stecklikrieg). Die altgesinnte Zürcher Regierung unternahm ihrerseits Strafexpeditionen gegen die republiktreuen Gemeinden wie zum Beispiel Stäfa, Wädenswil und Bauma.

Während der Helvetik war der Regierungsstatthalter für den Vollzug der Gesetze zuständig. Als eigenständige kommunale Verwaltungen existierten die provisorischen und ab Herbst 1799 gesetzlichen Munizipalitäten von Zürich und Winterthur. Mit einer Verfügung vom 24. Juli 1798 verlangte das helvetische Direktorium die Einsetzung des Erziehungsrats, der bis 1998 bestehen sollte. Die Schaffung der Verwaltungskammer auf Kantonsebene und entsprechender kommunaler Gremien trug zur Erhaltung der Vermögenswerte des ehemaligen Staatstaats und der Gemeinden bei. Um einer Beschlagnahmung der städtischen Zunftvermögen durch helvetische Behörden zuvorzukommen, verkauften die Vorsteherschaften der Zünfte Sachwerte (Silberschätze, zum Teil Zunfthäuser) und verteilten die Gelder unter den Angehörigen ihrer Korporationen.

Die Mediationsakte mit der Zürcher Kantonsverfassung (19. Kapitel) von 1803 stellt die Basis des modernen Kantons Zürich dar. Die sogenannte Abchurungsurkunde von 1805 regelte die Aufteilung der Vermögen und Zuständigkeiten zwischen Kanton und Stadt. Bis auf das Fraumünsteramt mit dem Sihlwald, dem Sihlamt und dem Hardamt mit der Allmend Hard gingen alle Herrschaftsrechte, die Ämter, der Grundbesitz und die Zinsen des ehemaligen Stadtstaats auf den Kanton über. Die Diplomatie sowie die hoheitlichen Funktionen wie Justiz, Militär und Kirche fielen in die kantonale Zuständigkeit. Hingegen wechselten die Aufsicht über die Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung und andere Bereiche des städtischen Alltagslebens zur Stadtgemeinde.

Laut der Mediationsverfassung (Mediation) wirkte der Grosse Rat (Parlament) als Legislative. Der hohe Zensus bezüglich des aktiven wie des passiven Wahlrechts legte die Macht faktisch in die Hände der Besitzenden. Ein Drittel der 195 Grossräte wurde von den 65 Wahlzünften gewählt (je ein Mandat pro Zunft). Auf dem Land waren die Wahlzünfte Gebietskörperschaften von in der Regel zwei bis drei Gemeinden; die Stadt Winterthur bildete als Ganzes eine eigene Wahlzunft. In der Kantonshauptstadt hingegen wurden die 13 historischen Zünfte wieder als Wahlkörper hergestellt. Ihre vielfältigen protostaatlichen Aufgaben aus der Zeit vor 1798 erlangten sie aber nicht mehr zurück. Zur Ergänzung des Parlaments wählten die 52 Landzünfte und 13 Stadtzünfte vier weitere Kandidaten, die aber nicht aus dem Kreis der eigenen Wahlzunft stammen durften. Durch Losentscheid erhielt die Hälfte dieser 260 gewählten Kandidaten ein Grossratsmandat. Die Verschiedenheit der Wahlkreise sicherte der Stadt ein starkes Übergewicht: Auf dem Land und in der Stadt Winterthur fiel ein Mandat auf 1576 Einwohner, in der Stadt hingegen auf nur 147. Als Exekutive wählte der Grosse Rat 25 seiner Mitglieder in den Kleinen Rat, der allein die Finanzkompetenz und das Gesetzesinitiativrecht besass sowie jährlich alternierend zwei Bürgermeister als Regierungspräsidenten.

Der von konservativ gesinnten Stadtzürchern beherrschte Kleine Rat hob das helvetische Strafgesetzbuch auf. Ein neues Ablösegesetz erhöhte die Ablösesummen signifikant; es zielte darauf ab, die Feudallasten als Staatsvermögen zu erhalten, um die steuerlichen Vorrechte der Stadtaristokratie nicht antasten zu müssen. Dagegen regte sich auf dem Land Widerstand; 1804 kam es in 47 von 192 Gemeinden zu Eidverweigerungen, worauf die Regierung die militärische Durchsetzung der Eidesleistung vorbereitete. Ein Brandanschlag auf das leer stehende Landvogteischloss Wädenswil löste den unter dem Namen Bockenkrieg bekannten Aufstand am See aus, der mit Hilfe von Berner und Aargauer Truppen vom Landammann der Schweiz unterdrückt wurde. Die harten Strafen gegen die Aufständischen und die Auferlegung von hohen Abgaben auf die revoltierenden Gemeinden stellten den Beginn einer 20-jährigen Phase der politischen Apathie dar. Mittels einer repressiven Justiz und dem neu gegründeten Landjägerkorps sicherte die städtische Aristokratie ihre Herrschaft ab.

Mit der Restaurationsverfassung von 1814 kehrte Zürich wieder zum 212 Mitglieder zählenden Grossen Rat des Ancien Régime zurück (Restauration). Die Landzünfte durften jetzt nur noch 51 Parlamentarier selbst wählen, die Städte Zürich und Winterthur deren 31. Die restlichen 130 Abgeordneten kooptierte der Grosse Rat, wobei er Stadtbürger bevorzugte. Den Repräsentanten des Ancien Régime wie zum Beispiel Hans von Reinhard, Hans Conrad Escher (vom Luchs) oder Hans Conrad Finsler, die politisch das Sagen hatten, stand nur eine kleine Gruppe von gemässigt liberal gesinnten Stadtbürgern wie etwa Paul Usteri oder Hans Conrad Escher von der Linth gegenüber. Die Regierungsmitglieder vom Land, meist ehemalige Revolutionäre von 1798, wurden im Kleinen Rat bei der Vergabe von Kommissionssitzen oft übergangen und stiegen nur ausnahmsweise in die engere Führungsschicht auf.

In den 1820er Jahren wurde die Herrschaft Reinhards und seines Kreises von einer Reihe von Skandalen erschüttert, so vom Konkurs des mit Krediten aus dem Salzamt versorgten Bankhauses Finsler 1829 und vom Suizid des Kleinrats Johann Jakob Hirzel, einem engen Vertrauten Reinhards. Die Konservativen mussten daraufhin 1829 den Forderungen nach der Abschaffung der Pressezensur nachkommen, was ihre Herrschaft weiter destabilisierte. Über die ganze Epoche gesehen, war es aber der konservativen Seite gelungen, die staatlichen Institutionen nach den Wirren der Helvetik zu festigen und vor allem die Finanzen zu sanieren. So befanden sich die Liberalen 1831 in einer günstigeren Ausgangsposition als ihre Vorgänger 1798.

Regeneration und Folgezeit bis 1869

Die Geiss von Uster. Karikatur mit Anspielung auf den Ustertag von David Hess, um 1832 (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Nachlass David Hess).
Die Geiss von Uster. Karikatur mit Anspielung auf den Ustertag von David Hess, um 1832 (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Nachlass David Hess). […]

Die Julirevolution in Frankreich verlieh den liberalen Kräften neuen Schwung. Nachdem der Kleine Rat selbst die Revision einiger Verfassungsartikel eingeleitet hatte, riefen rund 100 liberal Gesinnte zu einer Landsgemeinde in Uster auf. Am 22. November 1830 fanden sich rund 10'000 Personen zum Ustertag ein. Das Memorial mit den Forderungen der Volksbewegung riss eine zweitägige Debatte im Grossrat vom Zaum, nach der sich das Parlament auflöste und auf den 6. Dezember Neuwahlen nach dem geforderten Vertretungsprinzip ansetzte. Eine 13 Mitglieder zählende Kommission arbeitete einen Verfassungsentwurf aus. An der schriftlichen Vernehmlassung beteiligten sich 130 Gemeinden, Gruppierungen und Privatpersonen. Nach einer komfortablen Volksmehrheit in der Abstimmung vom 20. März 1831 trat die neue Verfassung drei Tage später in Kraft.

Die Regenerationsverfassung (Regeneration) schrieb die Volkssouveränität als oberstes Staatsprinzip fest. Sie verwirklichte die institutionelle Gewaltenteilung sowie die Rechtsgleichheit der männlichen Bürger und organisierte den Kanton als repräsentative Demokratie mit dem Grossen Rat als oberstem Organ. Von dessen 212 Mitgliedern wurden 179 vom Volk gewählt und die restlichen 33 durch die Gewählten kooptiert. Die Landschaft war in ihm proportional zur Bevölkerungszahl vertreten. Die Verfassung gestand den Bürgern das uneingeschränkte aktive und passive Wahlrecht, die Glaubensfreiheit, die Integrität der Person, die Pressefreiheit (Presse) sowie die Handels- und Gewerbefreiheit zu. Ebenso setzte sich das Öffentlichkeitsprinzip für Verwaltung, Gerichte und Finanzen durch. Die 1831 eingeführten Staatsmaximen bestehen bis in die Gegenwart, was sich unter anderem an der seit diesem Jahr fortlaufenden amtlichen Gesetzessammlung zeigt. Die Verfassung stärkte die Gemeinden und gab ihnen das Recht auf eigene Gemeindeordnungen im Rahmen des kantonalen Rechts, straffte aber auch die Aufsicht der Oberbehörden über die Kommunen. An die Stelle des Kleinen Rats trat der 19-köpfige Regierungsrat (Kantonsregierungen), der 1840 auf 13 und 1849 auf neun Mitglieder reduziert wurde. In ihm stellten die Liberalen mit den Radikalen (Radikalismus) nach den Wahlen von 1832 die Mehrheit.

Da ihrer Überzeugung gemäss nur ein gebildetes Volk seine Souveränität zum Vorteil des Staatswesens nutzen könne, lösten die Liberalen eine Bildungsoffensive aus. Auf volkswirtschaftlichem Gebiet wurden die Zollschranken abgebaut, die Weg- und Brückenzölle aufgehoben und der Strassenbau intensiviert. Ein Zeichen des Aufbruchs war die 1833 beschlossene Entfestigung (Befestigungen) der Hauptstadt. Indes überforderte die Politik in der ersten liberalen Epoche die Landbevölkerung; von der neuen, auf persönlicher Leistung, Wettbewerb und rationalem Denken beruhenden liberalen Gesellschaftsordnung profitierten zwar Unternehmer, Juristen und Lehrer, während sich die Kleinbauern, Heimarbeiter und Vertreter der alten Eliten zu den Verlierern zählten. Nicht von ungefähr rumorte es zuerst im konservativen Unterland, und zwar wegen der Einführung von neuen Schulbüchern mit säkularisierten Lehrinhalten. Grossen Unmut auf konservativer Seite erregte die Berufung des Reformtheologen David Friedrich Strauss an die Universität Zürich. 1839 marschierte eine erzürnte Menge konservativer Landbewohner in die Hauptstadt und stürzte im sogenannten Züriputsch oder Straussenhandel die Kantonsregierung. Die anschliessenden Neuwahlen brachten zwischenzeitlich eine konservative Mehrheit; starker Mann des sogenannten Septemberregiments wurde Johann Caspar Bluntschli.

Aber bereits die Grossratswahlen 1844 läuteten die zweite liberale Epoche in Zürich ein, welcher der 1848 in den Regierungsrat gewählte Alfred Escher seinen Stempel aufdrückte. Viele der nun gesetzten Wegmarken beim Aufbau eines modernen Staatswesens wie die Einführung der Departementsverwaltung (Departemente) 1850 oder das kantonale Baugesetz von 1863 für städtische Gebiete (u.a. Förderung der Blockrandbebauung und der Strassenkanalisation) trugen seine Handschrift. In den 1860er Jahren erwuchs dem «System Escher» und seinen mächtigen, zahlreiche wirtschaftliche und politische Spitzenämter auf sich vereinigenden Gefolgsleuten vor allem in Winterthur und auf dem Land in der Demokratischen Bewegung eine breitere Opposition, die auch sozialreformerisches Gedankengut aufnahm. 1867 wurde die mittelständische Demokratische Partei gegründet, die ihren grössten Rückhalt in der Beamten- und Lehrerschaft fand. Hatte in der ersten liberalen Epoche der Gegensatz zwischen dem Liberalismus und dem städtisch-aristokratischen Konservativismus die Politik geprägt, so näherten sich ab der zweiten die früheren Gegner angesichts des Aufkommens von handwerkskommunistischen (Wilhelm Weitling, Kommunismus) und frühsozialistischen Anschauungen (Sozialismus) einander an.

Unter der Demokratischen Verfassung von 1869 bis in die 1960er Jahre

«Der Hahnenkampf ist zu Ende». Karikatur auf den Ausgang der Regierungsratswahlen, erschienen im Nebelspalter, 1877, Nr. 16 (Zentralbibliothek Zürich; e-periodica).
«Der Hahnenkampf ist zu Ende». Karikatur auf den Ausgang der Regierungsratswahlen, erschienen im Nebelspalter, 1877, Nr. 16 (Zentralbibliothek Zürich; e-periodica). […]

Mit der Annahme der Kantonsverfassung 1869 errangen die Demokraten einen grossen Sieg. Die Verfassung verankerte direktdemokratische Elemente wie das obligatorische Gesetzesreferendum, das Finanzreferendum (Referendum) und die Gesetzesinitiative. Eine Besonderheit des Zürcher Verfassungsrechts war bzw. ist das Vorschlagsrecht eines einzelnen Bürgers an das Parlament (sogenannte Einzelinitiative). Die Wahl des siebenköpfigen Regierungsrats wurde dem Volk übertragen (Majorzsystem). Den Mitgliedern der fortan Kantonsrat genannten Legislative sprach die neue Verfassung Entschädigungen zu, um auch ärmeren Personen die Mitwirkung im Rat zu ermöglichen. Des Weiteren sah sie die Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichts, die Einführung einer Progressiv- und Erbschaftssteuer und die Gründung einer Kantonalbank vor.

Die Wirtschaftsliberalen hatten 1867 die Liberale Partei (LP, seit 1917 Freisinnige Partei) gegründet, die Ende des 19. Jahrhunderts mit den Demokraten ein Zweckbündnis eingingen. Letztere waren bereits durch den Konkurs der Schweizerischen Nationalbahn (SNB) 1878 geschwächt worden und verloren 1896 ihre Mehrheit im Regierungsrat. Am Anfang des 20. Jahrhunderts sank die Partei, die 1869-1872 alle sieben Regierungsräte gestellt hatte, zur Mittelpartei ab. Innerhalb der Demokraten formierten sich die Grütlianer (Grütliverein), schlugen dann aber ab 1878 mit separaten Wahllisten einen eigenen Weg ein, der sie 1901 zur Sozialdemokratie (Sozialdemokratische Partei, SP) führte. Der Zusammenschluss linker Parlamentarier zur sozialdemokratischen Kantonsratsfraktion 1893 war ein wichtiger Schritt hin zur Gründung der sozialdemokratischen Kantonalpartei (SP) 1902. Um 1880 machte sich vor allem im Unterland eine konservative Bauernopposition bemerkbar, die eine Ausweitung der Staatstätigkeit verhindern wollte und sich zum Beispiel gegen Alterspensionen von Pfarrern, Lehrern und Beamten wandte. Die 1917 ins Leben gerufene Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, seit 1971 Schweizerische Volkspartei, SVP) stellte 1919 bereits einen Regierungsrat. Nach der 1916 beschlossenen Einführung des Proporzes für die Kantonsratswahlen konnte die SP 1917 ihren Wähleranteil von 36% auch in Mandate umsetzen und wurde zur stärksten politischen Kraft. 1921 spalteten sich die Kommunisten von der Sozialdemokratie ab und bildeten eine eigene Partei (Kommunistische Partei, KP, ab 1944 Partei der Arbeit, PdA). Sie erreichten ihre Stimmenmaxima 1923 und 1947, verloren aber nach dem Ungarnaufstand 1956 das Vertrauen der Bevölkerung. Der Linken stand der Bürgerblock aus der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und BGB/SVP sowie den Juniorenpartnern Evangelische Volkspartei (EVP, 1917 als Christlich-Protestantische Partei gegründet) und Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) gegenüber (1896-1905 Katholische Volkspartei, 1905-1971 Christlichsoziale Partei). Zwischen Bürgerblock und Sozialdemokratie positionierte Gottlieb Duttweiler den Landesring der Unabhängigen (LdU), der 1936-1999 bestand. Nach 1933 kam es zu frontistischen Umtrieben; bei den Kantonsratswahlen 1935 erzielte die Nationale Front mit 6,2% ihren höchsten Stimmenanteil. Rückhalt fand sie vor allem in der Stadt Zürich, in einzelnen See- sowie in den nördlichen Landgemeinden.

Streikende Arbeiter posieren vor den Baracken mit zerbrochenen Fenstern des Baugeschäfts Haering & Co., Wildbachstrasse 21 in Winterthur. Fotografie, 1910 (Winterthurer Bibliotheken, Sammlung Winterthur).
Streikende Arbeiter posieren vor den Baracken mit zerbrochenen Fenstern des Baugeschäfts Haering & Co., Wildbachstrasse 21 in Winterthur. Fotografie, 1910 (Winterthurer Bibliotheken, Sammlung Winterthur). […]

Frühe Zeichen der sozialen Unrast waren der Tonhallekrawall 1871 und der Italienerkrawall 1896. Mit der Industrialisierung und Modernisierung vor allem der Städte Zürich und Winterthur bildete sich eine Zweiklassengesellschaft. Ab den 1890er Jahren verhärteten sich die Fronten zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung. 1880-1914 fanden im Kanton über 450 Arbeitskämpfe statt; davon fielen 84% in die Zeitspanne zwischen 1904 und 1912. Die Streiks konzentrierten sich hauptsächlich auf Zürich und Winterthur. Ab ca. 1906 verschärften sich die Arbeitskämpfe; Handgreiflichkeiten wurden häufiger, an ihnen beteiligten sich auch besonnene Kreise der Arbeiter- sowie der Angestelltenschaft. In den Barrikadenkämpfen während der Zürcher Unruhen vom 15. bis 17. November 1917 verloren vier Menschen das Leben. Ein von den Arbeitgebern für unmöglich erachteter Streik der Bankangestellten im September 1918 löste Solidaritätskundgebungen aus, die schliesslich in den Landesstreik führten. Nach einem Hilfegesuch des Zürcher Regierungsrats liess der Bundesrat im November 1918 Truppen in die Limmatstadt einmarschieren. Diese blieb nach dem Landesstreik bis 1919 militärisch besetzt. 1919 legalisierte der Regierungsrat die Bürgermilizen; Zürich stand am Rand eines Bürgerkriegs.

Militärische Besetzung des städtischen Schlachthofs Zürich während des Landesstreiks. Fotografie, 1918 (Stadtarchiv Zürich, V.L.71.).
Militärische Besetzung des städtischen Schlachthofs Zürich während des Landesstreiks. Fotografie, 1918 (Stadtarchiv Zürich, V.L.71.). […]

Die Polarisierung zwischen der Arbeiterbewegung und dem sich verfestigenden Bürgerblock prägte auch die Zwischenkriegszeit. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde überdies der Gegensatz zwischen der «roten Stadt» und der konservativeren Landschaft ein die Kantonspolitik strukturierendes Element. In der Hochkonjunktur vor der Weltwirtschaftskrise setzte die Stadt eine Reihe von sozialpolitischen Massnahmen um, unter anderem 1927 das Krankenkassenobligatorium, 1931 das Arbeitslosenversicherungsobligatorium, ab 1930 städtische Altersbeihilfen und den sozialen Wohnungsbau. Eine sozialpolitische Aufbruchstimmung war aber im ganzen Kanton spürbar und auch bürgerlich dominierte Gemeinden verwirklichten ähnliche Projekte – insofern erwies sich die Stadt Zürich als ein Musterbeispiel solider sozialdemokratischer Verwaltungsarbeit, das in den Kanton ausstrahlte. Diese Erfahrung bildete neben der äusseren Bedrohung und der Arbeitsfriedenspolitik eine der Voraussetzungen für die Annäherung von Sozialdemokratie und Bürgerblock Ende der 1930er Jahre und vor allem der Konkordanzpolitik der Nachkriegszeit.

Wegen der Exportabhängigkeit von Textilindustrie und Maschinenindustrie traf die Weltwirtschaftskrise den Kanton Zürich hart. Die Devise «Abbau und Sparen» bestimmte die Politik des Kantons, der 1934 wie die Städte Zürich und Winterthur die Löhne senkte. Sparmassnahmen betrafen auch Sozialleistungen und Subventionen; einige Gemeinden kürzten Unterstützungsbeiträge an die Arbeitslosenversicherungen. Im Visier der Sozialabbaupolitik stand auch das «Doppelverdienertum», d.h. die Beschäftigung verheirateter Frauen durch den Kanton. Nach einer polemisch geführten Debatte beschloss der Kantonsrat, alle verheirateten Frauen aus dem Verwaltungsdienst auszuschliessen. Aus rechtlichen Gründen vollzog der Regierungsrat den Beschluss erst 1939. Die Restriktionen blieben bis 1962 vollumfänglich in Kraft. Der Kanton ergriff daneben noch weitere Massnahmen, um die Krisenfolgen zu lindern. Die öffentliche Hand finanzierte Beschäftigungsprogramme, die sich vor allem auf typische Männerberufe und auf den Tiefbau konzentrierten. Ab 1936 förderten Bund und Kanton auch den Hochbau. Am Prinzip des ausgeglichenen Haushalts und des rigorosen Sparens rüttelten aber weder die kantonale Exekutive noch der Zürcher Stadtrat. Eine Pionierrolle spielten Kanton und Stadt Zürich dagegen bei der Einführung der Exportrisikogarantie. Nach einem gescheiterten Versuch der Banken sicherten 1935-1937 die Stadt und der Kanton die Arbeitsplätze der Maschinenbaufirma Escher, Wyss & Cie. In der Abstimmung über die Kriseninitiative manifestierte sich der Gegensatz zwischen Stadt und Land; die Landgemeinden lehnten die Vorlage ab, während Zürich und Winterthur ihr zustimmten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Kanton Zürich zunächst einen kleinen sozialpolitischen Aufbruch. Die gut organisierte Arbeiterschaft Zürichs war stark an dieser gesamtschweizerischen Bewegung beteiligt. Arbeiter und Angestellte erzwangen mit zahlreichen Aktionen die Anerkennung ihrer Organisationen (Arbeiterunionen, Angestelltenorganisationen), die damals in vielen Branchen noch keineswegs gesichert war. Sozialpolitische (z.B. Abschaffung der Gebühren für die Mittelschule) und den Wohnungsbau betreffende Gesetzesvorlagen fanden in dieser Phase leicht Mehrheiten. In den 1950er Jahren erlahmte der gewerkschaftliche Aktivismus, die einsetzende Hochkonjunktur ermöglichte gute Lohnabschlüsse ohne harte Auseinandersetzungen. Diese Wende hatte sich schon 1949 mit dem Ende des «roten Zürichs» angekündigt, als mit dem populären Emil Landolt ein Freisinniger zum Zürcher Stadtpräsidenten gewählt worden war.

Sitzverteilung im Zürcher Regierungs- und Kantonsrat
Sitzverteilung im Zürcher Regierungs- und Kantonsrat […]

Insgesamt waren die ersten zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg vom Antikommunismus geprägt, was sich zum Beispiel in grossen Solidaritätskundgebungen der studentischen Jugend für die Oppositionsbewegungen hinter dem Eisernen Vorhang äusserte. Gesellschaftliche Experimente oder Liberalisierungen stiessen auf Abneigung. Das Volk stand grossmehrheitlich hinter Regierung und Parlament; 86% der insgesamt 125 zur Abstimmung gebrachten Vorlagen zwischen 1946 und 1960 wurden angenommen. Die seltenen kantonalen Volksinitiativen wurden in der Regel zu Gunsten eines Gegenvorschlags zurückgezogen.

Sitze des Kantons Zürich in der Bundesversammlung 1919-2015

 19191939195919671971197919831991199519992003200720112015
Ständerat
FDP2 1 1  1111111
SP 111 11      1
BGB/SVP 1 1  1  11   
LdU    11 11     
GLP           11 
Nationalrat
FDP44556997665445
Demokraten3221          
SP910988108791010779
BGB/SVP6555555891312121112
CVP12443332222322
EVP1 222222111111
LdU 559644221    
Grüne      12213432
GLP           343
BDP            21
Andere1  152353 1   
Total Sitze2528323535353535343434343435
Sitze des Kantons Zürich in der Bundesversammlung 1919-2015 -  Historische Statistik der Schweiz; Bundesamt für Statistik

Von den 1960er Jahren bis zur Gegenwart

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Kanton Zürich zu einem Wachstumsmotor der Schweizer Volkswirtschaft. 2005 erwirtschaftete er mit ungefähr einem Sechstel der Bevölkerung etwa einen Fünftel (99 Mrd.) des Bruttoinlandprodukts der Schweiz, wovon knapp die Hälfte auf die Stadt Zürich entfiel (48 Mrd.). Diese und die Regionen Winterthur (8,9 Mrd.) und Kloten (9,2 Mrd.) erbrachten ca. zwei Drittel der kantonalen Wertschöpfung. Die Leistungsfähigkeit und die wirtschaftliche Dynamik Zürichs nötigte der übrigen Schweiz Respekt ab, führte aber auch zu Abwehrreflexen vor allem gegen den Zürcher «Wirtschaftsfreisinn».

Protestmarsch gegen den Bau des Kraftwerks Rheinau. Die rund 10'000 Teilnehmenden auf dem Weg vom Bahnhof Marthalen zum Klosterplatz Rheinau. Fotografie des Ateliers Bützberger in Neunkirch, 27. Januar 1952 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).
Protestmarsch gegen den Bau des Kraftwerks Rheinau. Die rund 10'000 Teilnehmenden auf dem Weg vom Bahnhof Marthalen zum Klosterplatz Rheinau. Fotografie des Ateliers Bützberger in Neunkirch, 27. Januar 1952 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich). […]

Die allgemeine politische Zufriedenheit löste sich ab Anfang der 1960er Jahre allmählich auf. Erstes Anzeichen für eine Wende hin zu einer Wachstumskritik war 1960 die Gründung des schweizweit tätigen Rheinaubunds, zu dem sich die Gegner des Baus des Kraftwerks Rheinau aus dem Nordteil des Kantons und aus Schaffhausen nach ihrer Abstimmungsniederlage zusammenschlossen. Der sogenannte Zürcher Literaturstreit gegen zeitgenössische Autoren und die Polemik um den Kauf von Kunstwerken von Alberto Giacometti durch die öffentliche Hand erscheinen im Nachhinein als Rückszugsgefechte von Vertretern wertkonservativer künstlerischer und gesellschaftlicher Auffassungen. Die sanfte Kulturrevolution in den späten 1960er Jahren und das trotz des kleinen Einbruchs infolge der Ölkrise im Grossen und Ganzen kontinuierliche Wirtschaftswachstum eröffneten ab ca. den 1980er Jahren Chancen für pluralistische Entwicklungen in allen Lebensbereichen. Das Spektrum der Parteien veränderte sich grundlegend, und in der Zeitspanne von 1974-1992 scheiterten 30,2% aller kantonalen Vorlagen; umstritten waren vor allem Verkehrs- und Umweltfragen. Im gesellschaftlichen Bereich setzten sich neue Lebensformen durch – so fiel zum Beispiel 1972 in einer kantonalen Abstimmung das Konkubinatsverbot – und im Kulturbereich öffnete sich die Hochkultur einerseits der Avantgarde und zum Teil Forderungen der Massenkultur, andererseits sah sie sich auch der Konkurrenz alternativer Kulturformen ausgesetzt. Der materielle und kulturelle Reichtum verhalfen der Stadt Zürich, aber auch dem Kanton, zu Glanz und Mondänität; das Selbstverständnis von Wirtschaft, Hotellerie, Teilen des Gewerbes und der Hochkulturschaffenden orientierten sich jetzt an anderen Weltstädten. Die Hochkultur auf höchstem Niveau zog «Kulturfahrende» nicht nur aus der Agglomeration, sondern aus der ganzen Schweiz und auch aus dem Ausland an. Die Schattenseite dieser Entwicklung – etwa die explodierenden Mieten seit den 1990er Jahren in Zürich und Teilen der Agglomeration und die dadurch bedingte soziale Segregation – nahm die politische Mehrheit in Kauf.

1963 erlitt die SP mit der gescheiterten Wiederwahl von Baudirektor Paul Meierhans einen herben Rückschlag. Sie verfügte erst 1991-1995 und seit 2003 wieder über eine Zweiervertretung im Regierungsrat. Mit Walter König 1951-1971 und dem polarisierenden Alfred Gilgen 1971-1995 beteiligte sich der Landesring mehr als vier Jahrzehnte an der Regierung. 1971 schlossen sich die Freisinnigen mit den Demokraten zur FDP zusammen. 1978 wurde die Grüne Partei als wichtigste Exponentin der neuen ökologischen Bewegungen gegründet. 1983 zog sie erstmals mit vier Sitzen ins Kantonsparlament ein. Die Trennung der Grünliberalen von den Grünen nahm 2004 in Zürich ihren Anfang. Mit dem Aufstieg der SVP zur wählerstärksten Partei in den 1990er und 2000er Jahren, der auch mit dem Niedergang des Zürcher Freisinns zusammenhing (Kopp-Affäre, Swissair-Debakel, Elisabeth Kopp), verschoben sich die Gewichte im Bürgerblock.

Das Frauenstimmrecht, das der Kanton 1920, 1947, 1954 und 1966 verworfen hatte, wurde 1970 angenommen. Schon ein Jahr zuvor hatten die Zürcher Stimmbürger eine Vorlage gutgeheissen, welche die Einführung des Stimmrechts für Frauen auf kommunaler Ebene ermöglichte. 1983 zog mit der Sozialdemokratin Hedi Lang die erste Frau in den Regierungsrat ein. 1998 wurde das obligatorische Gesetzes- und Finanzreferendum durch ein fakultatives Referendum ersetzt, das von 5000 Stimmberechtigten oder 45 Mitgliedern des Kantonsrats verlangt werden kann. Ein 1991 eingereichter Vorstoss zur Überarbeitung der Kantonsverfassung von 1869 führte 1999 zum Volksentscheid für eine Totalrevision. Ein 100 Mitglieder zählender Verfassungsrat schuf die neue Kantonsverfassung, die das Volk 2005 genehmigte. Sie ist ähnlich wie die Bundesverfassung von 1999 gegliedert, geht aber vor allem in den Sozialzielen über diese hinaus.

Staatliche Tätigkeit und Staatsverwaltung seit 1798

Allgemeines, Staatsgebiet und Gebietseinteilung

Das Kantonsgebiet ist nahezu identisch mit demjenigen des frühneuzeitlichen Stadtstaats. 1803 schieden Stein am Rhein, die Grafschaft Sax-Forstegg, die thurgauischen Vogteien sowie Büsingen aus dem Staatsverband aus, während die katholische Gemeinde Rheinau und das paritätische Dietikon dazustiessen. 1798 wurde das Kantonsgebiet in 15 Verwaltungsdistrikte eingeteilt. Die Mediationsverfassung fasste drei bis fünf ehemalige helvetische Distrikte zu insgesamt fünf Bezirken zusammen. Die Restaurationsverfassung von 1814 kehrte wieder zu kleineren Gebietseinheiten in Form von elf Oberämtern (ab 1831 Bezirken) zurück. 1989 wurden die Limmattaler Landgemeinden im neuen Bezirk Dietikon zusammengefasst und der bisherige Bezirk Zürich aufs Stadtgebiet reduziert; Zollikon kam zum Bezirk Meilen. Da die Bezirkseinteilung nicht den sich entwickelnden Wirtschaftsregionen entsprach, wurde ab 1957 die Einrichtung von Planungsregionen notwendig. 1836 zählte der Kanton 190, 1934 177 Gemeinden. Von wachsender Bedeutung waren ab ca. 1970 die interkommunalen Zweckverbände zum Betrieb von Infrastrukturanlagen und zur Zentralisierung kommunaler Aufgaben (z.B. Zivilstandswesen, Abwasserreinigung und -entsorgung, Spitex).

Die kantonale Verwaltung reicht ins Jahr 1803 zurück. Die Staatskanzlei mit angegliederter Finanzkanzlei (Kanzlei) diente dem Kleinen Rat als Stabsstelle. Für die Lösung seiner Exekutivaufgaben bildete der Kleine Rat 1803-1805 sieben Haupt- sowie 35 Subkommissionen. Als wichtigstes Gremium kontrollierte die Finanzkommission (ab 1831 Finanzrat) den Staatshaushalt, das Bauwesen, das Personalwesen, die Staatswälder und das Salzmonopol. Das Organisationsgesetz von 1850, das in seinen Grundzügen bis 1999 seine Gültigkeit bewahrte, führte die Departementsverwaltung mit neun Direktionen ein. Das Aussendepartement, die sogenannte Direktion der politischen Angelegenheiten (1803-1831 Diplomatische Kommission, 1831-1850 Staatsrat) wurde 1871 aufgelöst, da Aussenpolitik Bundessache war. Wegen des Wachstums des Industriesektors und der beginnenden staatlichen Unterstützungsmassnahmen (Agrarpolitik) für die Landwirtschaft wuchsen die Aufgaben der Direktion des Innern stark, so dass 1899 ein Teil ihrer Aufgaben der neuen Volkswirtschaftsdirektion zugeteilt wurde. Ab 1882 bestand eine gemeinsame Direktion des Sanitäts- und Armenwesens bzw. ab 1907 des Armen- und Gesundheitswesens. Auf freisinnige Initiative hin wurde 1948 das Armenwesen zu einer eigenständigen Direktion aufgewertet und der Name in Fürsorgedirektion geändert.

Chefhauswart Hans Koller und sein Reinigungsteam im Verwaltungsgebäude Walche in Zürich. Fotografie von Max Weiss, 1951 (Kantonale Denkmalpflege Zürich).
Chefhauswart Hans Koller und sein Reinigungsteam im Verwaltungsgebäude Walche in Zürich. Fotografie von Max Weiss, 1951 (Kantonale Denkmalpflege Zürich). […]

Die wachsenden und komplexer werdenden Aufgaben ab 1945 stellten die Verwaltungsorganisation in Frage, denn viele Geschäfte betrafen mehr als eine Direktion und erforderten die Bildung von direktionsübergreifenden Ausschüssen und Kommissionen. Das revidierte Organisationsgesetz, dem das Volk 1999 zustimmte, gestand dem Regierungsrat bei der Ausgestaltung der nunmehr sieben statt neun Direktionen grössere Freiheiten zu. Die Verschiebung der Landwirtschaft von der Volkswirtschaftsdirektion ins neue Amt Umwelt und Natur der Baudirektion spiegelte die zunehmenden landschaftspflegerischen Aufgaben der Bauern. Die Zuständigkeiten der Polizei- und Militärdirektion sowie der Fürsorgedirektion wurden in der neuen Direktion Sicherheit und Soziales zusammengefasst.

1890-1914 wurden die Arbeitsabläufe in der Verwaltung strukturiert und bürokratisiert (Bürokratisierung). Die Verwaltungsreformen der 1930er Jahre standen ganz im Zeichen der Bürorationalisierung, so wurden zum Beispiel für die Steuerstatistik und Wehrmännerkontrolle mechanische Lochkartenmaschinen bei IBM angemietet. 1965 führte die kantonale Verwaltung mittels eines Grossrechners von IBM die elektronische Datenverarbeitung ein (Informatisierung). Viele der auf Kostensenkungen abzielenden Vorschläge aus der Verwaltungsreformstudie Veras (1985-1990) scheiterten am Widerstand der Verwaltungssekretäre. 1995 setzte der Regierungsrat die Einführung des New Public Management (NPM) im Parlament und schliesslich in zwei Volksabstimmungen durch. Realisiert wurde ein Paket von 150 Reformprojekten gemäss den Prinzipien der wirkungsorientierten Verwaltungsführung. Beim Abschluss des Projekts zeigte sich, dass gewissen Anforderungen des NPM nur bedingt entsprochen werden konnte; so stiess die Einführung der Globalbudgets auf Widerstand im Parlament.

Wahlurne mit dem Gemeindewappen von Zollikon, um 1910 (Ortsmuseum Zollikon).
Wahlurne mit dem Gemeindewappen von Zollikon, um 1910 (Ortsmuseum Zollikon). […]

Die Kantonsverfassung von 2005 hielt an den Bezirksbehörden fest. Diesen oblagen alle kantonalen Vollzugsaufgaben, die nicht den Kommissionsverwaltungen bzw. den Direktionen übertragen waren. Im 19. Jahrhundert stützte sich der Regierungsrat beim Vollzug der Gesetze auf den Bezirksstatthalter, die Bezirksräte sowie auf den Gemeindeammann auf kommunaler Ebene. Analog zum Bezirksrat, dem Aufsichts- und Rekursorgan über den politischen Gemeinden, wurden 1831 Bezirksschul- und Bezirkskirchenpflegen geschaffen (Schulwesen). Die nebenamtlichen Bezirksschulpflegen übten die Aufsicht über die Volksschulen und bis 1922 auch über die Fortbildungsschulen aus. Diese Laienvisitation des Schulunterrichts geriet in den 1990er Jahren in die Kritik. Eine Änderung der Kantonsverfassung 2002 ermöglichte schliesslich die 2007 vollzogene Auflösung der Bezirksschulpflegen. Seit 2005 nimmt eine Fachstelle der kantonalen Bildungsdirektion deren Aufgaben wahr.

Die erste helvetische Verfassung von 1798 liess die Gemeindeorganisation offen. Kirchenstillstände (Kirchenpflegen) unter Ausschluss der Ortspfarrer regelten viele Gemeindeangelegenheiten. Zwar waren in der helvetischen Urversammlung alle Männer der Einwohnergemeinde mit Bürger- oder Niederlassungsrecht (Niederlassungsfreiheit) wahlberechtigt. Die Gemeindevermögen aber wurden unter die Verwaltung von Gemeindekammern gestellt und blieben so den Niedergelassenen weiterhin entzogen. Die Mediationsverfassung von 1803 schuf die politische Gemeinde auf der Grundlage der Versammlung aller ortsansässigen Gemeindebürger und der Niedergelassenen nach einer Karenzfrist von zwei Jahren. Ab 1816 konnten die Niedergelassenen ihre politischen Rechte nur in ihrer Heimatgemeinde ausüben, ab 1838 hatten sie die Wahlfreiheit zwischen Wohn- und Heimatgemeinde. Erst mit dem Gemeindegesetz von 1866 erhielten die Niedergelassenen mit einem Zürcher oder auswärtigen Kantonsbürgerrecht zwingend die Aktivbürgerrechte ihrer Wohngemeinde (Bürgerrecht). Der Bürgergemeinde oblag bis 2006 die Bürgerrechtsverleihung. Innerhalb der politischen Gemeinde – deren Territorien entsprechen meist denjenigen der Kirchgemeinden – konnten Dorfschaften mit eigenem Vermögen Zivilgemeinden bilden, in welchen Neuzuzüger einkaufspflichtig waren. Von dieser Möglichkeit machten über 300 Dorfschaften Gebrauch. 1866 wurde auch bei den Zivilgemeinden das Einwohnerprinzip eingeführt, was ihre Bedeutung schmälerte. Die Kantonsverfassung von 2005 schreibt die Auflösung der Zivilgemeinden vor.

Rechtspflege, Justiz

Siegelstempel mit der Umschrift «Amtsgericht Meilen», um 1814 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 23.146).
Siegelstempel mit der Umschrift «Amtsgericht Meilen», um 1814 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 23.146). […]

1798 wurden die Niedergerichte und die privaten Gerichtsherrschaften beseitigt. Die helvetische Verfassung organisierte die Rechtssprechung durch ein Kantonsgericht sowie untergeordnete Distriktsgerichte (Gerichtswesen). Die Mediationsverfassung von 1803 schuf das Ober- oder Appellationsgericht, das als Aussschuss aus 13 Vertretern des Grossen Rats bestand und bei der Beurteilung von Kapitalverbrechen eine Ergänzung durch vier Kleinräte erfuhr. 1803 stimmte der Grosse Rat der Gründung von fünf Bezirksgerichten zu, denen bis 1814 in den vier Landbezirken je ein Zunftgericht mit fünf Richtern unterstellt war. Schliesslich amtierte in jeder Gemeinde ein Friedensrichter als Gerichtsbehörde und Schlichtungsstelle.

Weibelschild des Zunftgerichts Kloten, um 1831 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 32).
Weibelschild des Zunftgerichts Kloten, um 1831 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 32). […]

In der Restaurationszeit wurde die Gewaltenteilung eingeschränkt; dem Oberamtmann kamen als Statthalter und Amtsgerichtspräsidenten politische und richterliche Funktionen zu. Die Restaurationsverfassung sah für jedes Amt (Bezirk) ein Amtsgericht vor und übernahm die Friedensrichterämter. Erst die Regenerationsverfassung von 1831 sah ein von Klein- und Grossrat getrenntes Obergericht vor (personelle Gewaltenteilung). Für die erstinstanzliche Beurteilung von schweren Straftaten war 1831-1852 ein Kriminalgericht, 1853-2010 ein Geschworenengericht zuständig. Ab 1874 kamen Kapitalverbrechen nur noch dann vor die Geschworenen, wenn kein Geständnis vorlag. Dem Obergericht unterstehen elf bzw. seit 1988 zwölf Bezirksgerichte sowie untergeordnete Kreisgerichte (bis 1874). Die Mitglieder der Bezirksgerichte wurden wie die Friedensrichter vom Volk gewählt. Urteile des Obergerichts konnten 1875-2012 vom Kassationsgericht auf die Einhaltung von Verfahrensregeln hin überprüft werden.

Ballotage-Kasten mit einem Satz schwarzer und weisser Kugeln, die bei geheimen Abstimmungen verwendet wurden. Aus dem Grossen Rat, um 1831 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 78).
Ballotage-Kasten mit einem Satz schwarzer und weisser Kugeln, die bei geheimen Abstimmungen verwendet wurden. Aus dem Grossen Rat, um 1831 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 78). […]
Urne zum Einlegen der Ballotage-Kugeln bei einer geheimen Abstimmung. Aus dem Grossen Rat, um 1831 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 79).
Urne zum Einlegen der Ballotage-Kugeln bei einer geheimen Abstimmung. Aus dem Grossen Rat, um 1831 (Staatsarchiv Zürich, OBJ 79).

Als Fachgerichte wirken unter anderem seit 1867 das Handels-, seit 1960 das Verwaltungs- und seit 1995 das Sozialversicherungsgericht mit Sitz in Winterthur. Die Bemühungen um ein einheitliches Strafrecht scheiterten in der Mediations- und Restaurationsperiode. Das erste, 1836 in Kraft getretene Zürcher Strafgesetzbuch war unter der Redaktion des Oberrichters Johann Caspar Ulrich nach dem Vorbild des Hannoveraner Strafgesetzbuchs (1826) geschaffen worden. Die Todesstrafe existierte formell bis 1869; letztmals vollstreckt wurde sie 1865. Die Strafuntersuchung führten die Gerichte ab 1803 selbst durch, im Lauf der Zeit immer häufiger mit Beteiligung der Bezirksstatthalter. 1874 ging diese Kompetenz allein auf die Statthalter über. 1889 wurden zuerst in den beiden städtischen Bezirken Zürich und Winterthur, ab 1906 dann auch in den Landbezirken von den Statthalterämtern getrennte Bezirksanwaltschaften eingerichtet. Die Jugendanwaltschaft besteht seit 1919. Der Strafvollzug erfolgte im Zuchthaus Oetenbach in Zürich, das 1901 in die neu errichtete Strafanstalt nach Regensdorf verlegt wurde. Überdies waren die Bezirkshauptorte ab 1831 verpflichtet, Gefängnisse zur Verfügung zu stellen. In den 1970er Jahren stand der Zürcher Strafvollzug oft unter Kritik. Als erste Reformmassnahme wurde die Strafanstalt Regensdorf neu gebaut (seit der Neueröffnung 1995 Justizvollzugsanstalt Pöschwies, mit über 400 Plätzen die grösste Männerstrafanstalt der Schweiz). 1999 integrierte der Regierungsrat die Bezirksgefängnisse und weitere Vollzugsanstalten wie das Flughafengefängnis oder die Halbgefangenschaft Urdorf in die Abteilung Zürcher Gefängnisse des 1999 errichteten Amts für Justizvollzug der Justizdirektion.

Das Privatrecht war nach 1803 durch Einzelgesetze geregelt. Seiner Kodifikation im Privatrechtlichen Gesetzesbuch (1854-1856) waren lange Vorarbeiten durch Friedrich Ludwig Keller und Johann Caspar Bluntschli vorangegangen.

Finanzen

In der Mediations- und Restaurationszeit gelang es dem Kleinen Rat und dem Finanzrat, den in der Helvetik in Schieflage geratenenen Haushalt wieder zu ordnen. Der Kanton erhob ab 1803 durch seine Staatsämter (säkularisierte Stifts- und Klosterverwaltungen) wieder den Grosszehnten und die Grundzinsen. Er behielt die gemischte Natural- und Geldwirtschaft bei und zahlte die Löhne teilweise in Getreide aus. Der Grosse Rat regelte 1807 bzw. 1810 die Verfahren für die Ablösung der Zehnten und Grundzinsen, doch die Umsetzung verzögerte sich wegen des hohen Kapitalisierungsfaktors. Erst als 1831 nur mehr das Zwanzigfache eines Jahreszinses – vorher war das Fünfundzwanzigfache üblich – gefordert wurde, kam die Ablösung flächendeckend in Gang. Sie dauerte bis etwa 1850. Anstelle der Feudalabgaben wurden 1832 Vermögens- und Gewerbesteuern und für Lohnarbeiter sehr geringe Einkommenssteuern (Steuern) eingeführt. Die Steuererhebung beruhte auf Selbstdeklaration. Den Einwohnern der Städte Zürich und Winterthur brachte das Zuteilungsgesetz von 1891 ein modernes Besteuerungssystem, den Einwohnern der Landgemeinden erst das Steuergesetz von 1917.

Die Regenerationsverfassung von 1831 schrieb die Auflösung der Staatsämter vor, weshalb die Domänenverwaltung zahlreiche staatliche Liegenschaften verkaufte, zum Beispiel 1832 die Kyburg oder 1833-1834 das ehemalige Kloster Töss. Ab 1803 generierten neben den Feudalabgaben indirekte Steuern und Regalien zusätzliche Staatseinnahmen (Postmonopol, Stempelabgaben, Hundesteuer ab 1817, Strassen- und Wegzölle bis 1848, Salzregal bis 1971). Auf der Ausgabenseite wies in fast allen Staatsrechnungen ab 1833 die Bildung die grössten Beträge aus. 1850-1913 wuchsen die Staatsausgaben von ca. 2,5 Mio. Franken auf 24,5 Mio. Franken und die Staatseinnahmen von knapp 3 Mio. Franken auf knapp 28 Mio. Franken an. Zwischen 1930 und 1940 pendelten die Staatseinnahmen und -ausgaben um die 100-Mio.-Franken-Schwelle. Bis 1970 wuchsen sie auf 1 Mrd. Franken an. 1996 überstieg der Zürcher Staatshaushalt erstmals die Grenze von 10 Mrd. Franken und 2011 machten die Einnahmen 13,9 Mrd. Franken, der Aufwand 15,6 Mrd. Franken aus.

Schon 1831 wurden die finanziellen Zuständigkeiten zwischen Kanton und Gemeinden geregelt. Auslagen für Militär und Rechtspflege (ohne Friedensrichter und Betreibungsämter) sowie die Regierungs- und Verwaltungskosten bestritt der Kanton, ebenso die Löhne der reformierten Pfarrer. Andere Aufgaben wie die Volksschullehrerbesoldung teilten sich Kanton und Gemeinden. Überdies unterstützte der Kanton die Gemeinden ab 1869 mit Staatsbeiträgen. 1964 gründeten reiche Gemeinden einen Zweckverband, um auf freiwilliger Basis finanzschwachen Gemeinden zu helfen. Der gesetzliche Steuerfuss- und Steuerkraftausgleich wurde erst 1977 eingeführt. Er berücksichtigte auch die Zentrumsleistungen der Städte Zürich und Winterthur. 2004 verfügte die steuerstärkste Gemeinde pro Kopf über zehnmal soviel Ressourcen wie die steuerschwächste. Das 2011 in einer Abstimmung angenommene kantonale Finanzausgleichsgesetz erhöhte den Fusionsdruck auf kleine Gemeinden. Zum eidgenössischen Finanzausgleich steuert der Wirtschaftskanton Zürich den höchsten absoluten Beitrag bei (2013 382 Mio. Fr.).

Inneres, Sozialwesen

Die Kommission (1803-1831), der Rat (1831-1850) bzw. die Direktion des Innern (1850-1899) behandelte vornehmlich volkswirtschaftliche Themen. Mit dem Übergang des Zivilstandswesens an die politischen Behörden 1874 fiel die Aufsicht über die Zivilstandsämter der Gemeinden und die Handhabung von Bürgerrechtsfragen ebenfalls ins Ressort Inneres. Bei der Schaffung der Direktionsverwaltung 1850 verblieb das Armenwesen als Sonderlösung in der Obhut des Arztes und Regierungsrats Ulrich Zehnder, der sich als «Armenvater» verstand. Nach grossen Belastungen der kommunalen und kantonalen Armengüter während der Kartoffelkrise (Kartoffel) 1844-1848 erliess der Grosse Rat 1853 ein Armengesetz, das auf Repression basierte und harte Strafen gegen renitente Arme zuliess (Zwangsarbeit, Fussblock). Die Armenunterstützung war Gemeindesache, der Kanton zahlte allenfalls subsidiäre Beiträge. Das neue Armengesetz 1927 überantwortete die bisher den Bürgergemeinden auferlegte Unterstützung der Armen den politischen Gemeinden, in denen diese wohnten; die Rückschaffung von Unterstützten in die Heimatgemeinde entfiel fortan. Ab 1919 subventionierte der Kanton Zürich Altersbeihilfen der privaten Stiftung Für das Alter (Pro Senectute). 1929 trat er dem interkantonalen Konkordat für die wohnörtliche Unterstützung von 1923 bei. Nachdem die Zürcher Stimmberechtigten 1931 entgegen dem gesamtschweizerischen Resultat die Einführung einer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) befürwortet hatten, legten Regierungsrat und Kantonsrat dem Volk 1941 eine Vorlage für eine kantonale AHV vor, die aber in keinem Bezirk eine Mehrheit erzielte. Besonders gross war die Ablehnung in Bauern- und Arbeiterkreisen. Letztere profitierten bereits zum Teil von betrieblichen Vorsorgeeinrichtungen. Weitere Massnahmen auf sozialpolitischem Gebiet ergriff die Stadt Zürich 1918 mit der Subventionierung des Wohnungsbaus. Dank dem Gesetz über die Arbeitslosenversicherung (ALV) von 1928 unterstützte der Kanton die bestehenden kommunalen und gewerkschaftlichen Arbeitslosenkassen. Die bereits 1808 gegründete obligatorische Gebäudeversicherung löste die Unterstützung von Brandgeschädigten (Feuersbrünste) durch Kollekten (sogenannte Liebessteuern) ab.

Militär und Polizei

Laut der Mediationsverfassung durfte Zürich eine 200 Mann starke ständige Truppe halten. Weitere 1900 Mann musste der Kanton der eidgenössischen Armee als Kontingent stellen. Die Standeskompanie wurde im Februar 1804 vereidigt; ihre wichtigste Aufgabe war der Garnisonsdienst, d.h. die Bewachung der Stadtmauern und kantonalen Einrichtungen in Zürich. Ab 1813 versah sie vor allem Instruktionsdienst bei den Miliztruppen (Milizsystem). Weiter bestand 1804-1816 die Standeslegion, die neben Kavallerie und Artillerie je eine Scharfschützen-, Füsilier- und Jägerkompanie umfasste. Im Rahmen der Bundesregelungen von 1815-1817 und mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurde eine Zürcher Miliztruppe mit einem Sollbestand von 17'000 Mann geschaffen, von denen rund die Hälfte dem Bund zur Verfügung stand. Das neue Militärorganisationsgesetz von 1832 verankerte die allgemeine Wehrpflicht (Militärorganisationen, MO). Männer der ersten beiden Altersklassen 19-22 und 22-29 Jahre stellten den Bundesauszug bzw. die Bundesreserve. Insgesamt war das Zürcher Heer rund 20'000 Mann stark und umfasste Kavallerie, Artillerie, Infanterie und Genietruppen. Nach der Militärorganisation 1874 formierte man aus Zürcher Wehrmännern die 6. Division, 1912-1937 die 5. Division, 1938-1961 wieder die 6. Division und 1962-2003 die Felddivision 6. Seit 2004 (Armee XXI) gibt es keine eigene Zürcher Division mehr. Die Militärverwaltung oblag 1803-1831 der Militärkommission bzw. 1831-1850 dem Militärrat. Die ab 1850 bestehende Militärdirektion wurde 1995 zu einem Amt herabgestuft.

Aus dem 1804 entstandenen Landjägerkorps entwickelte sich die Kantonspolizei (Polizei). Diese zählte 1855 130, 1912 200, 1950 426 und 1996 2503 Stellen. Daneben bauten die Städte Zürich und Winterthur ab 1864 bzw. 1867 eigene Polizeikorps auf. Ansätze zur Einführung einer Einheitspolizei wurden um 1900 aufgegeben und 2001 in einer Volksabstimmung abgelehnt.

Ab der Helvetik diente das sogenannte Grosse Magazin, ein ehemaliges Kornhaus an der Talackerstrasse in Zürich, als Militär- und Polizeikaserne (Kasernen). Nach dessen Brand 1875 wurde im Kräuel in Aussersihl eine neue Polizei- und Militärkaserne mit Zeughäusern errichtet. Die Militärkasernen und die Waffenplätze auf der Allmend Brunau in Zürich wurden zwischen 1975 und 1986 nach Birmensdorf und ins untere Reppischtal verlegt (2007 Umnutzung von Kaserne und Waffenplatz im Rahmen der Armee XXI).

Volkswirtschaft und Verkehr

Die Eröffnung der Landwirtschaftlichen Schule Strickhof in Oberstrass bei Zürich 1853 war eine der ersten Massnahmen zur Förderung der Landwirtschaft. Weitere bezogen sich auf die Bekämpfung der Reblaus (Schädlinge) und des falschen Mehltaus, so 1875 die Bestellung einer kantonalen Reblauskommission und 1890 die Gründung der interkantonalen Weinbauschule in Wädenswil. Das Landwirtschaftsgesetz von 1912 ermöglichte grossflächige Meliorationen, die ab 1917 mit der Neuanlage von Bewässerungen unter anderem im Furttal und im Oberhauserriet (Gemeinden Opfikon, Wallisellen und Zürich) begonnen wurden. Ab 1925 setzten umfangreiche Trockenlegungen von Feuchtgebieten ein, die in der Folge der Anbauschlacht bis ca. 1950 einen Höhepunkt erlebten.

Schnebelhorn und Dägelsberg von Westen zu Beginn der Aufforstungen. Fotografie von J. Jäckli, 1903 (Staatsarchiv Zürich, Oberforstamt).
Schnebelhorn und Dägelsberg von Westen zu Beginn der Aufforstungen. Fotografie von J. Jäckli, 1903 (Staatsarchiv Zürich, Oberforstamt). […]

Die Einführung eines kantonalen Arbeiterschutzes scheiterte 1869 in einer Volksabstimmung. 1877-1899 oblag der Vollzug des eidgenössischen Fabrikgesetzes der Direktion des Innern, danach der 1899 eingerichteten Volkswirtschaftsdirektion. Letzteren teilte der Regierungsrat 1906 auch das Büro für Arbeiterinnenschutz zu. Die Sektion für Handelswesen der Direktion des Inneren übernahm 1884 die Kontrolle über die 1877 gegründete Zürcher Effektenbörse.

Nach dem Einsetzen der kriegsbedingten Versorgungskrise 1916 und den Selbsthilfemassnahmen der Städte Zürich und Winterthur schuf der Regierungsrat einen Ausschuss, um die kriegswirtschaftlichen Massnahmen zu koordinieren. Zur Umsetzung der Rationierung bestand von 1917-1920 innerhalb der Volkswirtschaftsdirektion das Ernährungs- und Brennstoffamt. Anders als im Ersten Weltkrieg wurden die vom Bund bereits 1938 eingeleiteten kriegswirtschaftlichen Massnahmen vom Kanton Zürich schon kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 24. August 1939 unter Federführung des späteren ersten SP-Bundesrats Ernst Nobs umgesetzt. Wiederum bestimmte der Regierungsrat einen Lenkungsausschuss, der zusammen mit dem aus Wirtschaftsvertretern gebildeten Kriegswirtschaftsrat die Massnahmen aufeinander abstimmte. Innerhalb der Volkswirtschaftsdirektion bestand 1939-1948 ein Kriegswirtschaftsamt. Die Volkswirtschaftsdirektion war auch für die Einführung der 1939 beschlossenen Lohnersatzordnung verantwortlich.

In den Krisen der Nachkriegszeit verzichtete der bürgerlich dominierte Kanton bewusst auf Staatsinterventionen. Stattdessen zielte die kantonale Wirtschaftspolitik, für deren Umsetzung ab 1970 das Kantonale Amt für Industrie und Gewerbe bzw. seit 1998 das Amt für Wirtschaft und Arbeit zuständig war, auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen ab. Bei der Ansiedlung von Headquarters von internationalen Unternehmen erwiesen sich die städtische und die kantonale Wirtschaftsförderung (Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft) als sehr erfolgreich.

Nach Annahme der Regenerationsverfassung nahm der Kanton den lange vernachlässigten Strassenbau in Angriff; zahlreiche Verbindungen von der Hauptstadt in die entfernten Bezirkshauptorte und Gemeinden wurden ausgebaut oder neu angelegt. Da die Aufwendungen zu Lasten der Staatskasse gingen und zudem die Gemeinden mit Fronarbeit oder Ersatzzahlungen zusätzlich belastet wurden, erlahmte der Elan bereits Ende der 1840er Jahre. 1903 beschaffte die kantonale Baudirektion die erste Dampfwalze, um damit im Makadam-Verfahren die Oberflächen der Schotterstrassen zu verdichten. Der Nationalstrassenbau begann 1960 mit der als Panoramastrasse konzipierten A3 von Zürich über den Zimmerberg an die Kantonsgrenze. Sogenannte kantonale Hochleistungsstrassen ergänzen das Nationalstrassennetz.

Den Aufbau des Schienennetzes nahm vor allem die 1853 in Zürich gegründete Schweizerische Nordostbahn an die Hand. Das Konkurrenzunternehmen war die 1872 unter Winterthurer Federführung ins Leben gerufene Schweizerische Nationalbahn. Deren Zwangsliquidation 1878 stürzte die Demokratische Partei in eine tiefe Krise. Die Stadt Winterthur und die Anliegergemeinden bis Zofingen, die sich an der Gesellschaft beteiligt hatten, mussten für Jahrzehnte Schuldverpflichtungen übernehmen. Das Zürcher Eisenbahnnetz (Eisenbahnen) entstand im Wesentlichen zwischen 1855-1856 (Strecke Zürich-Winterthur) und 1894 (rechtsufrige Zürichseebahn); 1899-1909 nahmen überdies einige bedeutendere Strassen- und Lokalbahnen den Betrieb auf, die zum Teil nach 1945 durch Busse ersetzt wurden (z.B. 1950 die Wetzikon-Meilen-Bahn).

Der wachsende Wohlstand und die neue, ab den 1960er Jahren entstehende internationale Dienstleistungswirtschaft gingen einher mit einer enorm gesteigerten Mobilität, die zwar grösstenteils, aber nicht ausschliesslich die Agglomerationen betraf. Automobilverkehr (Automobil), Ausbau der Strassen und wachsende Pendlermobilität der Berufstätigen zeugen davon. Nach dem Scheitern der Vorlagen über U- und S-Bahn 1973 gelang mit der Realisierung der Zürcher S-Bahn (1981 Kantonale Volksabstimmung, 1990 Eröffnung) und der Schaffung des Zürcher Verkehrsverbunds ein Jahrhundertwerk.

Die kantonale Unterstützung des Luftverkehrs beruht auf einem Gesetz von 1928. Für den Betrieb des auch vom Militär genutzten Flugplatzes in Dübendorf war ab 1929 die kantonale Baudirektion zuständig. 1947-1953 realisierte der Kanton Zürich den interkontinentalen Flughafen Zürich-Kloten. Die Hochbauten erstellte die Flughafen Immobilien Genossenschaft, an der die Stadt und der Kanton die Hauptanteile besassen. 1999 erfolgte die Privatisierung des bisher unter kantonaler Leitung stehenden Flughafens. Die Zahl der ankommenden und abfliegenden Passagiere überschritt im Jahr 2000 22 Millionen. Seitdem bremsen politische Widerstände gegen die Fluglärmbelastung die weitere Expansion.

Gewässerbau und Raumplanung

Bereits 1807 setzte der Kanton Zürich auf Druck der Kantone Schwyz und St. Gallen die Wasserbau-Polizeikommission ein, um die Wasserwerkbetreiber am Ausfluss des Zürichsees zu kontrollieren und zu verhindern, dass sich das Wasser bis in die Linthebene zurückstaute. Der Korrektion der Linth (1807-1823), an der sich Zürich beteiligte, folgte die wenig wirksame erste Korrektion der Glatt (ab 1812). Grosse Anstrengungen unternahm der Kanton nach der witterungsbedingten Serie von Hochwasserereignissen in den 1860er Jahren. Bis zur dritten Glattkorrektion 1936-1939 wurden alle grösseren Fliessgewässer kanalisiert (Gewässerkorrektionen). Einen Paradigmenwechsel brachte die seit 1983 laufende Thurkorrektion, die dem Mittellandfluss wieder Raum zum Mäandrieren liess und sich um die Erhaltung der Auenlandschaften (Moore) bemühte.

Die Raumplanung begann 1944 mit der Ausscheidung des Baugebiets des Flughafens Zürich-Kloten. 1957 entstanden die ersten regionalen Planungsgruppen als Zweckverbände der betroffenen Gemeinden. Seit 1963 arbeitet der Regierungsrat behördenverbindliche Siedlungs- und Verkehrspläne aus, die der Genehmigung durch den Kantonsrat unterliegen. Natur- und Denkmalschutz waren im 19. Jahrhundert Domänen der wissenschaftlichen Vereine sowie ab 1912 einer nebenamtlichen kantonalen Heimatschutzkommission. Der Rückkauf der Kyburg aus Privatbesitz 1917 war einer ihrer ersten Erfolge. Ab 1942 nahm sich auch das Büro für Regionalplanung im kantonalen Hochbauamt dem Natur- und Heimatschutz an. 1958 gründeten Stadt und Kanton Zürich je eine Denkmalpflegeabteilung. Die Fachstelle Naturschutz der kantonalen Verwaltung besteht seit 1972.

Gesundheitswesen

Das öffentliche Gesundheitswesen war im 19. Jahrhundert eng mit der Armenmedizin verknüpft. Das 1803 vom Kanton übernommene Spital im ehemaligen Predigerkloster diente vor allem als Armen- und Altersversorgungsanstalt (Anstaltswesen) und die 1810 gegründete Kantonsapotheke stellte anerkannten Armen Medikamente zur Verfügung. Der Neubau des Kantonsspitals 1837-1842 im Plattenquartier in Fluntern schuf die Voraussetzung für einen modernen Spitalbetrieb. Mit der Übernahme des Einwohnerspitals Winterthur 1886 verfügte der Kanton über ein zweites Grossspital. Beide Institutionen wurden 1998 aus der Gesundheitsdirektion gelöst und einem Spitalrat unterstellt. Psychischkranke schloss man zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Spital ein oder sonderte sie gar zusammen mit äusserlich entstellten Kranken im ehemaligen Siechenhaus St. Moritz in Unterstrass ab. 1867 eröffnete die kantonale Medizinaldirektion in den Gebäuden der ehemaligen Benediktinerabtei Rheinau eine Heil- und Pflegeanstalt (1901 erweitert, bis 2000), der 1870 die Psychiatrische Klinik Burghölzli in Riesbach und 1975-1979 die Klinik Hard in Embrach folgten. Durch Stiftungen der Geschwister Wäckerling und weiterer Industriellenfamilien gelangte der Kanton in Besitz eines Altersheims in Uetikon am See (1899-1902 erbaut, in Kantonsbesitz bis 1992). 1892-1894 errichtete er in der ehemaligen Spinnerei Beugger (Johannes Beugger) in Wülflingen eine Pfleganstalt, die seit 1998 als Klinik der Integrierten Psychiatrie Winterthur-Zürcher Unterland dient. Für die Pflege und Heilung an Tuberkulose Erkrankter gründete die Gemeinnützige Gesellschaft 1898 bzw. 1916 die Sanatorien in Wald (ZH) und Davos (Clavadel), die der Kanton von Anfang an subventionierte. 1945 erwarb der Zürcher Regierungsrat das Hotel Altein in Arosa und liess es zu einer kantonalen Höhenklinik umbauen (in Kantonsbesitz bis 1978).

Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert

Bevölkerung und Siedlung

Demografie

Zürich gehörte stets zu den bevölkerungsstarken Kantonen der Schweiz. 1800-1870 nahm die Bevölkerung um den Faktor 1,58 zu; dies entsprach dem schweizerischen Durchschnitt (1,59). 1870-1960 hingegen wuchs Zürich spektakulär um den Faktor 3,35 (Schweiz 1,97); 1960-2010 lag das Wachstum (Faktor 1,44) dann geringfügig unter dem Durchschnitt (Schweiz 1,47). Seit der Volkszählung 2000 hat es sich infolge vermehrter Zuwanderung (Einwanderung) erneut überdurchschnittlich verstärkt. Mit dem hohen Wachstum der 1950er Jahre überholte Zürich 1955/1956 Bern und rückte bevölkerungsmässig an die Spitze der Kantone. Sein Anteil an der Bevölkerung der Schweiz stieg entsprechend von 10,5% 1850 auf ein relatives Maximum von 17,7% 1970 und verharrt seither bei über 17%. Von 1900 an war die Bevölkerungsdichte lediglich in den Stadtkantonen Basel und Genf höher. 2012 zählte der Kanton 1'406'083 Einwohner.

Die Phasen des überdurchschnittlichen Wachstums gründeten einerseits auf hohen Geburtenüberschüssen, andererseits auf einer stark positiven Wanderungsbilanz: Letztere fiel gemäss den Volkszählungsergebnissen für alle Dekaden zwischen 1850 und 2010 nur im Jahrzehnt von 1970-1980 negativ aus. Die Zuwanderer stammten über lange Zeit überwiegend aus der Schweiz, in den Jahren des stärksten Wachstums 1888-1910 bzw. 1950-1970 aber mehrheitlich aus dem Ausland. Am Ende dieser Perioden erreichte der Ausländeranteil (Ausländer) an der Kantonsbevölkerung jeweils Höchststände mit 20,3% 1910 und 19% 1970. Nach dem Einbruch infolge der Rezession der 1970er Jahre nahm die Zuwanderung aus dem Ausland bereits in den 1990er Jahren wieder zu; bis 2010 stieg der Ausländeranteil trotz verstärkter Einbürgerung auf eine neue Höchstquote von 24,1%. Die positive Wanderungsbilanz schloss die gleichzeitige Auswanderung nicht aus. In den 1880er Jahren erreichte die Emigration nach Übersee ein Maximum; sie war allerdings stets deutlich niedriger als in den agrarisch geprägten Kantonen. Hohes Wachstum bremste jeweils den Prozess der Alterung – dieser bemisst sich am Anteil der Personen, die älter als 59 sind –, der in der Zwischenkriegszeit erstmals deutlich sichtbar wurde und sich seither kontinuierlich fortsetzte.

Bevölkerungsentwicklung des Kantons Zürich 1850-2000

JahrEinwohnerAusländer-anteilAnteil ProtestantenAnteil KatholikenAlters-struktur (Anteil >59)ZeitraumGesamt-zunahmeaGeburten-überschussaWanderungs-saldoa
1850250 6982,2%97,3%2,7% 1850-18605,6‰3,8‰1,8‰
1860266 2653,8%95,3%4,2%7,5%1860-18706,5‰3,8‰2,7‰
1870284 0475,1%92,8%6,3%7,8%1870-188011,0‰6,2‰4,8‰
1880316 0748,2%89,6%9,6%8,3%1880-18888,1‰6,8‰1,3‰
1888337 18310,1%87,1%11,8%9,0%1888-190020,7‰9,2‰11,5‰
1900431 03616,2%80,1%18,7%8,3%1900-191015,7‰9,6‰6,1‰
1910503 91520,3%75,9%21,8%8,0%1910-19206,7‰4,7‰2,0‰
1920538 60213,7%76,1%21,0%8,9%1920-193013,8‰4,4‰9,4‰
1930617 70610,6%74,2%21,7%10,3%1930-19418,0‰3,1‰4,9‰
1941674 5055,6%74,5%22,3%13,2%1941-195015,8‰6,8‰9,0‰
1950777 0026,6%72,1%24,9%14,1%1950-196020,6‰6,7‰13,9‰
1960952 30413,1%65,7%31,8%15,2%1960-197015,2‰8,2‰7,0‰
19701 107 78819,0%59,6%36,7%16,7%1970-19801,3‰3,0‰-1,7‰
19801 122 83916,4%56,0%35,4%18,0%1980-19904,9‰1,9‰3,0‰
19901 179 04419,5%50,6%34,8%19,1%1990-20005,2‰1,9‰3,3‰
20001 247 90622,5%42,6%30,5%20,0%    

a mittlere jährliche Zuwachsrate

Bevölkerungsentwicklung des Kantons Zürich 1850-2000 -  Historische Statistik der Schweiz; eidgenössische Volkszählungen; Bundesamt für Statistik

Siedlungsformen

Räumlich wie zeitlich betrachtet erfolgte die Entwicklung der Bevölkerung in Wellen. Im frühen 19. Jahrhundert lag ein Bevölkerungsschwerpunkt in den Streusiedlungen des Oberlands, wo ab dem späten 17. Jahrhundert die Heimspinnerei einer wachsenden kleinbäuerlichen Bevölkerung eine Existenzbasis bot und sich zum Teil, etwa längs der Aa, eigentliche Fabrikdörfer bildeten. Mit dem Niedergang der Heimarbeit setzte ab etwa 1840 eine teilweise dramatische Entvölkerung vor allem der höher gelegenen Gemeinden ein; Sternenberg zählte zum Beispiel 1836 1423, 1980 aber nur mehr 273 Einwohner. Hoch war die Abwanderung 1877-1910 auch im nördlichen, vor allem auf die Landwirtschaft ausgerichteten Teil des Kantons mit seinen geschlossenen Dörfern sowie im Bezirk Affoltern. Das demografisch und siedlungsmässig wichtigste Ereignis dieser Zeit aber war der Aufstieg des Kantonshauptorts zur grössten Stadt der Schweiz, die einen grossen Teil der Abwanderung aus den agrarisch und frühindustriell geprägten Regionen absorbierte. Um 1850 beschleunigte sich das Wachstum der Stadt noch. Mit der Eingemeindung (Gemeindezusammenschluss) von elf Vorortsgemeinden 1893 überflügelte Zürich, das 1888 nur 27'644, 1894 aber 121'000 Einwohner zählte, das bis dahin führende Genf. Eine weitere Eingemeindung folgte 1934. 1888 hatten bereits 31% der Kantonsbevölkerung auf dem Gebiet der Stadt und der später eingemeindeten Orte der Agglomeration gelebt; 1950 überschritt dieser Anteil ein einziges Mal knapp die 50%-Marke, bevor er dann zurückging. 2010 machte er 28,1% aus. Zwischen 1962 und 1989 nahm die Bevölkerungszahl der Stadt absolut von 440'000 auf 356'000 Einwohner ab, um dann bis 2010 wieder auf 385'468 zu steigen. Das Wachstum verlagerte sich über die politischen Stadtgrenzen hinaus in ein immer weitläufiger werdendes Umland.

Winterthur, die zweitgrösste Stadt im Kanton, entwickelte sich parallel, wenn auch mit weit geringerer Dynamik. Das Wachstum war schwächer und ein Vorortring bildete sich nur in Ansätzen. Die Bevölkerung erreichte 1973 mit 94'100 Personen ein vorläufiges Maximum und nahm danach geringfügig ab. Sie stieg in den 2000 Jahren wieder an und überschritt 2009 die 100'000er-Marke.

Trotz des abnehmenden relativen Bevölkerungsanteils der Stadt Zürich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb die Urbanisierung, gemessen als Anteil der Gemeinden mit mehr als 10'000 Einwohnern an der Gesamtbevölkerung, hoch: Diese Grenze hatte Uster schon 1941 übertroffen, bis 1950 folgten Wädenswil und Horgen. 1970 verzeichneten 16 Gemeinden mehr als 10'000 Einwohner; neben den älteren Kleinzentren an den Ufern des Zürichsees und in den tieferen Lagen des Zürcher Oberlands hatten sich auch einige ehemalige Dörfer im nördlichen Vorfeld der Stadt Zürich (Kloten, Opfikon, Glattbrugg, Volketswil usw.) besonders dynamisch entwickelt. 1970 lebten 67,9% der kantonalen Bevölkerung in städtischen Gemeinden, danach pendelte sich der Prozentsatz bei ungefähr zwei Dritteln ein (2010 66,3% in 29 Städten, davon nur noch 35,6% in Zürich und Winterthur).

Mit dem Bevölkerungswachstum einzelner Gemeindegruppen wird die Entwicklung im städtischen Siedlungsraum nur teilweise erfasst. Um der zunehmenden Verflechtung der Gemeinden durch wirtschaftliche Beziehungen und Verkehrsströme und dem Zusammenwachsen der bebauten Flächen Rechnung zu tragen, griff die Volkszählung 1930 erstmals auf den Begriff der Agglomeration zurück. Bis 1950 gehörten erst 15 Gemeinden der Agglomeration Zürich an, 1950-2000 wuchs die Anzahl sprunghaft vom ersten bis zum sechsten Vorortring. 2000 zählte die Agglomeration Zürich 131 Gemeinden mit rund 1 Mio. Einwohnern; davon lagen 103 im Kanton Zürich, 25 im Kanton Aargau und drei im Kanton Schwyz. Weitere Agglomerationen bildeten sich überdies um Winterthur (seit 1960 so definiert), um Wetzikon und Pfäffikon (seit 1990) sowie um Rapperswil, Jona und Rüti (seit 2000), wobei der Bevölkerungsschwerpunkt der Letzteren im Kanton St. Gallen liegt.

Noch weiträumigere Beziehungsmuster bildet der seit 1990 erfasste Metropolitanraum ab. Diesem gehören weitere Agglomerationen an, aus denen mindestens ein Zwölftel der Erwerbenden (8,3%) in die Kernagglomeration pendelt. Abgesehen von Winterthur und Wetzikon-Pfäffikon betrifft dies durchwegs jenseits der Kantonsgrenzen liegende Kleinagglomerationen. Im Kanton Zürich selbst verbleiben nur noch Randgebiete im Nordosten (Weinland), im Zürcher Oberland und im Südwesten (Affoltern am Albis) ausserhalb der Agglomeration und des Metropolitanraums. In diesen dünner besiedelten Zonen dominieren weiterhin Kleingemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern.

Wirtschaft

Die starke Zunahme der Bevölkerung hing eng mit der dynamischen Wirtschaftsentwicklung zusammen und trieb wiederum diese selbst voran, vor allem ab etwa 1855, als das Wirtschaftswachstum stetiger wurde und die Einkommen zu steigen begannen. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts fehlen verlässliche statistische Daten, sodass lokale Untersuchungen und Schätzungen besondere Bedeutung besitzen. 1850 setzten die eidgenössischen Volkszählungen ein; ab 1868 verfügte der Kanton über ein Statistisches Bureau, das eigene Erhebungen vornahm. Nach der Stadtvereinigung von 1893 schuf die Stadt Zürich ein eigenes Statistisches Amt. Von 1860 an liegen die Zahlen der Erwerbstätigen und deren grobe Gliederung in die drei Wirtschaftssektoren vor. Vor 1888 haben diese Erhebungen aber nur beschränkte Aussagekraft infolge der grossen Zahl agrarisch-gewerblich-industrieller Mischexistenzen, die mit dem Drei-Sektoren-Modell nicht angemessen erfasst werden.

Erwerbsstruktur des Kantons Zürich 1860-2000 a

Jahr1. Sektor2. Sektor3. SektorbTotal
186049 51434,4%69 55948,3%24 94217,3%144 015
1870c50 11235,6%72 16351,2%18 54813,2%140 823
1880c49 47430,3%86 17152,9%27 39216,8%163 037
188842 79526,1%84 76651,7%36 27022,1%163 831
190040 45419,3%110 89653,0%58 06827,7%209 418
191043 84217,2%133 35252,3%77 86130,5%255 055
192042 17115,1%140 85150,5%95 95634,4%278 978
193035 00211,0%159 01749,7%125 62039,3%319 639
194134 18810,3%154 16146,2%145 11343,5%333 462
195030 0818,0%179 75147,7%167 25244,4%377 084
196024 8725,3%233 63149,6%212 75045,1%471 253
197019 6003,5%244 84444,0%292 17752,5%556 621
198016 2442,8%203 51635,2%359 08662,0%578 846
199013 4552,1%171 57926,4%464 02071,5%649 054
2000d12 0401,7%126 42218,3%553 70080,0%692 162

a bis 1960 ohne Teilzeitangestellte

b Residualgrösse einschliesslich "unbekannt"

c ortsanwesende Bevölkerung

d Die Beschäftigtenzahlen der Volkszählung 2000 sind wegen der grossen Zahl "ohne Angabe" (98 285) nur begrenzt mit den vorhergehenden Daten vergleichbar.

Erwerbsstruktur des Kantons Zürich 1860-2000 -  Historische Statistik der Schweiz; eidgenössische Volkszählungen

Die Dynamisierung der Wirtschaft (1800-1870)

Als treibende wirtschaftliche Kraft erscheint gemeinhin die industrielle Revolution. Jedoch leisteten auch Landwirtschaft, Verkehr und Kommunikation eigenständige Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung, welche wiederum die Industrialisierung förderten. Eine quantitative Schätzung des Beitrags der einzelnen Sektoren zum beschleunigten wirtschaftlichen Wachstum liegt nicht vor. Der Umfang der frühindustriellen Leitbranchen der Textilwirtschaft ist in etwa bekannt. Die ab 1814 greifbaren jährlichen Hochbauinvestitionen vermitteln ein Bild des allgemeinen Aktivitätsniveaus und der erheblichen Konjunkturschwankungen, die mit der Durchsetzung einer kapitalistischen Marktwirtschaft regelmässige Züge gewannen. Der rechtliche Rahmen war durch die 1798 erstmals eingeführte, ab 1804 wieder eingeschränkte und nach 1830 definitiv umgesetzte Handels- und Gewerbefreiheit gegeben. Die einstmals für die Reglementierung der städtischen Gewerbe wichtigen Zünfte überlebten nur als gesellige Vereinigungen. Ab den 1850er Jahren bildeten sich neue Formen der Interessenorganisation in Handel und Gewerbe heraus.

Lieferung eines Dampfkessels der Gebrüder Sulzer an die Bleicherei der Firma Locher Appretur im appenzellischen Wald-Schönengrund. Fotografie, 1905 (Privatsammlung; Fotografie Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-015037).
Lieferung eines Dampfkessels der Gebrüder Sulzer an die Bleicherei der Firma Locher Appretur im appenzellischen Wald-Schönengrund. Fotografie, 1905 (Privatsammlung; Fotografie Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-015037). […]

Ab 1800 setzte die Mechanisierung der Spinnerei nach englischem Vorbild ein, die mit der Umstellung von der heim- auf die fabrikindustrielle Produktionsweise (Fabrik) verbunden war. Im Unterschied zur verstreuten Heimindustrie siedelten sich die Betriebe vor allem entlang der kleinen Wasserläufe im Zürcher Oberland an. Die Zürcher Spinnereifabrikanten nahmen von den 1820er Jahren an schweizweit eine dominierende Stellung ein. Ebenso führend wurde die heimindustrielle Seidenweberei, die sich am Westufer des Zürichsees konzentrierte und erst nach 1870 auf Fabrikproduktion umstellte (Seide). Der Bedarf dieser Branchen schlug sich in der Gründung früher Maschinenfabriken nieder, die sich zuerst auf Reparaturen und Nachbauten fokussierten, ab 1830 zum allgemeinen Maschinenbau übergingen und bald eigene Spinn-, Web- und Dampfmaschinen sowie Turbinen herstellten (Escher, Wyss & Cie., Maschinenfabrik Rüti, Rieter, Sulzer).

Der parallele Wandel in der Landwirtschaft fusste auf Reformbemühungen des 18. Jahrhunderts (Agrarrevolution). Diesen verschaffte die Helvetik Breitenwirkung, indem sie die Zwänge der Dreizelgenwirtschaft schrittweise beseitigte. Die Ablösung des Zehnten verzögerte sich zum Teil bis etwa 1850. Vermehrte Viehzucht (Tierzucht), Stallfütterung (Futtermittel), verbesserte Düngung und Auflösung der Allmenden brachten erhöhte Erträge. Die Landwirte betrachteten sich zusehends als individuelle Unternehmer und in ihrer Wirtschaftsgesinnung gewann das unternehmerisch kalkulierende Denken an Gewicht. In den höheren Lagen setzte sich die Milch-Gras-Wirtschaft (Milchwirtschaft) definitiv durch, im Unterland behielt der Feldbau noch länger Bedeutung, bis er ab den 1870er Jahren unter dem Druck internationaler Konkurrenz auch dort zurückging.

Neben der gesteigerten Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft trug die Entwicklung von Transport und Verkehr dazu bei, dass die traditionellen Hungerkrisen nach den Katastrophen von 1816-1817 und 1845-1847 verschwanden (Hungersnöte). 1835 nahm der erste Raddampfer auf dem Zürichsee den Betrieb auf; der See war eine wichtige Verkehrsader in Richtung der Bündner Alpenpässe. Der schon ab den 1830er Jahren diskutierte Bau der Eisenbahn verzögerte sich infolge politischer Hindernisse; die schweizerische Pionierleistung der Verbindung von Zürich nach Baden 1847 fand erst 1855-1856 eine Fortsetzung. Bis 1859 waren alle wichtigen Städte der Alpennordseite von der Stadt Zürich aus per Bahn erreichbar und der Anschluss ans Ausland war gewährleistet.

Die eiserne Thurbrücke. Ansicht von Osten gegen Andelfingen. Gouache von Jakob Eggli, 1857 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Die eiserne Thurbrücke. Ansicht von Osten gegen Andelfingen. Gouache von Jakob Eggli, 1857 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Der Kapitalbedarf des Eisenbahnbaus war enorm. Die 1856 in Zürich gegründete Schweizerische Kreditanstalt (SKA), die einen neuen Banktypus verkörperte, übernahm diese Aufgabe. 1862 folgte die Bank in Winterthur, aus der 1912 durch Fusion die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) hervorging. Von den Grossbanken vernachlässigt, drängten Gewerbetreibende und Bauern auf die Berücksichtigung ihrer Kreditbedürfnisse: 1870 ergänzte die von der demokratischen Bewegung geforderte Kantonalbank die lokalen Sparkassen. Banken, Versicherungen (Winterthur Versicherungen, Zürich Versicherungen, Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft) und der expandierende Detailhandel konzentrierten sich tendenziell in der Stadt Zürich, während Winterthur weit stärker industriell geprägt blieb. Die Eröffnung der Gotthardbahn 1882 machte die Stadt Zürich zum wichtigsten Verkehrszentrum der Schweiz.

Die relative Dominanz der Industrie (1860-1960)

Von den 1860er bis in die 1960er Jahre beschäftigte der Sekundärsektor (Industriesektor) etwas mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen. Der Kanton Zürich eilte darin dem schweizerischen Durchschnitt voraus; schweizweit überrundete der zweite Sektor erst 1888 den ersten Sektor.

Hinter der langen Dominanz des zweiten Sektors verbarg sich ein intensiver, bald rascher, bald langsamer voranschreitender innerer Strukturwandel. Die Heimindustrie verschwand bis 1914 weitgehend, die Fabrikindustrie setzte sich endgültig durch. In den 1880er Jahren leitete die Elektroindustrie das Zeitalter der Elektrifizierung ein; Telefon und elektrische Beleuchtung waren spektakuläre Neuerungen, die Kommunikation und Alltag veränderten. Die Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) brachte wichtige Innovationen. Kleine Elektromotoren erwiesen sich als vielseitig verwendbar, namentlich auch in Gewerbe und Landwirtschaft. In dieselbe Periode fielen die Entwicklung des Benzinmotors und die Anfänge des Automobilismus. Eine weitere moderne Wachstumsbranche mit rapider technischer Entwicklung war die Druckerei. Die lang dominierende Textilindustrie mit dem beschäftigungsstarken Bekleidungsgewerbe büsste hingegen ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert kontinuierlich an Bedeutung ein und verlor ihre führende Rolle bis 1930 an die Metallindustrie, die Maschinen- und Elektroindustrie. Die neuen Wachstumsbranchen konzentrierten sich weit stärker in den städtischen Zentren als die Textilindustrie.

Erst recht galt dies für die expandierenden Dienstleistungen. Ab 1890 stieg die Stadt Zürich zum führenden Finanzzentrum der Schweiz auf und liess die älteren Bankplätze Basel und Genf hinter sich, wobei den Grossbanken eine führende Rolle zukam. 1929 waren ein Viertel aller Bankangestellten und ein Drittel aller Versicherungsangestellten der Schweiz in der Stadt Zürich tätig; die relativen Anteile änderten sich in den folgenden Jahrzehnten wenig. Im Detailhandel setzten das Warenhaus (1896 Firma Julius Brann, Jelmoli) und die Konsumvereine neue Standards. Die Gründung der Migros gab der Rationalisierung ab 1925 einen kräftigen Anstoss. Gebremst durch die Krise der 1930er Jahre und den Zweiten Weltkrieg, setzte sich diese erst nach 1945 durch. 1948/1949 führten Migros und Lebensmittelverein (Coop) die Selbstbedienung ein und vergrösserten die Läden zu Supermärkten nach amerikanischem Vorbild. Die Stadt Zürich war das erste Versuchsfeld der sich landesweit rasch durchsetzenden Neuerungen. Die Zahl der kleinen Verkaufsstellen für Lebensmittel ging nun rasch zurück.

Strandmode im Schaufenster des Warenhauses Jelmoli in Zürich, aufgenommen von Foto Gloor, 1938 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).
Strandmode im Schaufenster des Warenhauses Jelmoli in Zürich, aufgenommen von Foto Gloor, 1938 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich). […]

Die Landwirtschaft schrumpfte vom ausgehenden 19. Jahrhundert an schnell und beschäftigte bereits 1910 weniger als ein Fünftel der Erwerbstätigen, was landesweit erst 1950 der Fall war. In diesen Jahrzehnten relativer Beschäftigungskonstanz des Sekundärsektors war es primär die Abwanderung aus der Landwirtschaft, welche das Wachstum des dritten Sektors alimentierte. Vor allem die wenig effizient wirtschaftenden Kleinstbetriebe (Arbeiterbauern) verschwanden. Zugleich steigerte sich infolge von Rationalisierung und vermehrtem Einsatz von Maschinen, Dünger und Pestiziden die Produktivität erheblich, ein Vorgang, der sich nach 1945 noch beschleunigte.

Übergang zur fortgeschrittenen Dienstleistungswirtschaft (1960-2010)

Die Zahl der Beschäftigten im Sekundärsektor hatte während der Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg nochmals zugenommen und erreichte infolge der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte zu Beginn der 1970er Jahre einen Höhepunkt. Politische Entscheide und die Rezession 1974-1975 beendeten diese Zuwanderung und beschleunigten eine Umstrukturierung, die sich bereits in einer Welle spektakulärer Übernahmen angekündigt hatte: 1966 ging Escher Wyss an Sulzer über; 1967 verlor die MFO ihre Selbstständigkeit, 1969 die Maschinenfabrik Rüti. Zeitgleich geriet die verbliebene Textilindustrie in eine Krise, bis in die 1970er Jahre schlossen die meisten Betriebe. Ganze Produktpaletten des Grossmaschinenbaus, lange Zeit auf den Exportmärkten sehr erfolgreich, verschwanden in den 1970er und 1980er Jahren. Mit der teilweisen Verlagerung der Produktion und der Kapitalisierung riesiger zentrumsnaher Industrieareale verschafften sich die erschütterten Industriekonzerne die nötigen Mittel zur Neuausrichtung ihrer Produktion. Beispielhaft steht dafür die Umwandlung von Sulzer zum Technologiekonzern. In Zürich wie in Winterthur wurden in der Folge grosse Areale für eine urbane Umnutzung frei.

Die Hauptkreuzung von Effretikon. Fotografie, um 1968 © Andreas Wolfensberger, Winterthur.
Die Hauptkreuzung von Effretikon. Fotografie, um 1968 © Andreas Wolfensberger, Winterthur. […]

Der dritte Sektor (Dienstleistungssektor) überholte im Kanton Zürich bereits während der 1960er Jahre den zweiten, während dies landesweit erst in den 1970er Jahren erfolgte. Diese Verlagerung setzt sich seither fort. Bis 2010 war auch der Beschäftigungsanteil des zweiten Sektors auf weniger als einen Fünftel gesunken, ca. 100 Jahre später, als dies im ersten Sektor der Fall gewesen war. Wie in der Landwirtschaft war diese Umlagerung nicht Ausdruck eines Verschwindens, sondern einer höchst erfolgreichen Rationalisierung und Steigerung der Produktivität.

Der wachsende Wohlstand und der neue Massenkonsum trieben die Umwandlung zu einer sich auf Dienstleistungen ausrichtenden Ökonomie voran. Hinzu kam die für Zürich charakteristische Expansion des Finanzplatzes mit seinen Banken, Versicherungen, Treuhändern (Treuhandbranche), Finanzberatern usw. Ab den 1970er Jahren bauten die bis dahin noch stark im Inland tätigen Grossbanken ihr internationales Geschäft zur dominanten Tätigkeit aus. Es beruhte vermehrt auf Börsengeschäften und Vermögensverwaltung und begünstigte die Steuerhinterziehung in anderen Ländern. Die 1980er und 1990er Jahre brachten ein spektakuläres Wachstum. Zürich rückte zu einem der zehn grössten Finanzplätze der Welt auf, in Europa waren nur London und Paris deutlich grösser. Seit der Fusion von SBG und Schweizerischem Bankverein (SBV) 1998 zur UBS verblieben mit dieser und der aus der SKA hervorgegangenen Credit Suisse Group (CS) nur noch zwei grosse Finanzkonzerne in der Schweiz. Die CS unterhält rechtlich, die UBS de facto den Hauptsitz in Zürich. Der Anteil der Finanzdienstleistungen am Bruttoinlandprodukt des Kantons Zürich stieg von 8,6% 1980 auf 23,7% im Jahr 2000 (in der Stadt Zürich auf 37%). Entsprechend nahm der Anteil am Steueraufkommen zu. Weniger stark war der Beschäftigungseffekt, da diese Branchen eine weit überdurchschnittliche Wertschöpfung aufwiesen; doch waren um 2000 nahezu 100'000 Personen im Finanzsektor tätig, was 13% der Erwerbstätigen entsprach. 2000-2010 wuchs die Branche infolge der internationalen Finanzkrise nur verlangsamt.

Gesellschaft

Soziale Ungleichheit im Zeitalter der Frühindustrialisierung (1800-1870)

Die frühindustrielle Gesellschaft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kämpfte mit Problemen der Massenarmut und periodischen Ernährungskrisen. Sowohl in den traditionellen Agrarbezirken (Agrarzonen) wie auch in den heimindustriellen Gebieten mit ihrer dichten Bevölkerung lebte die Mehrheit der Bevölkerung von der Hand in den Mund. Der aufgrund des bestehenden Erbrechts stark zerstückelte Landbesitz war zu klein, um die Familien zu ernähren. Allerlei Kleingewerbe, improvisierter Handel und Heimindustrie sicherten das knappe Überleben; der Auswanderungsdruck blieb hoch. Nur eine Minderheit von Vollbauern, von städtischen Bürgern und Gewerbetreibenden lebte in Wohlstand. Die Armutskrise erreichte unter dem Druck der wachsenden Bevölkerung und schlechter Ernten zwischen 1845 und 1855 einen Höhepunkt. Dem setzten die politischen Eliten disziplinierende Massnahmen (Armenhäuser und Beschränkung der Hilfsleistungen, Heiratsbeschränkungen für Mittellose) entgegen. Zu der befürchteten sozialen Unrast kam es jedoch nur vereinzelt (Usterbrand).

Ein Motor des sozialen Wandels war die vorerst ländliche Industrialisierung. In den Baumwollspinnereien (Baumwolle) des Oberlands bildete sich die neue soziale Gruppierung der Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen. Diese bestand anfänglich vor allem aus Frauen, Kindern und Jugendlichen, welche einem harten Regiment unterworfen waren. Bis 1870 stieg ihre Zahl auf über 20'000, ein Siebtel (14,6%) aller Beschäftigen; im zweiten Sektor machten sie bereits 30,5% aus. Allmählich entstand eine Fabrikarbeiterklasse, welcher die Betroffenen von Geburt her angehörten. Entlöhnung und Ansehen waren gering; die Mitarbeit der ganzen Familie war notwendig, um das Auskommen zu sichern. Die Zuwanderung Ortsfremder, darunter auch Katholiken, vertiefte die Aussenseiterstellung in den wachsenden Fabrikdörfern. Erst das Fabrikgesetz von 1859 brachte gewisse Einschränkungen der unternehmerischen Allmacht. Um diese Zeit setzte auch eine Steigerung der Reallöhne ein, mit der die schlimmsten Auswüchse frühindustriellen Massenelends allmählich verschwanden. Nach 1880 begann die beschleunigte Bildung von Gewerkschaften als Interessenvertretung der direkt Betroffenen.

Am anderen Ende des sozialen Spektrums entwickelte sich nach 1800 ein ländliches Bürgertum, das aus den neuen Fabrikherren und den teilweise älteren, zunehmend familiär mit jenen verbundenen Bildungsberufen (Ärzte, Anwälte, Lehrer) zusammenwuchs und sich nach 1830 differenziert ausbildete. Anfänglich noch vermehrt aus sozialen Aufsteigern bestehend, etablierten sich diese Gruppen, die sich als Mittelklassen verstanden, rasch. Sie schlossen sich nach unten ab und gewannen sozial wie kulturell nachhaltige Dominanz. Auch die einst privilegierten stadtbürgerlichen «Herren» hatten sich dem anzupassen, behielten aber ihre Geltung und grenzten sich ihrerseits lange gegenüber dem nachdrängenden neuen Bürgertum ab, bis sich die Differenzen im späten 19. Jahrhundert verwischten.

Die bürgerlich-industrielle Gesellschaft (1870-1960)

Büro der Generalagentur Kienast & Reuss, Fraumünsterstrasse 27, Zürich. Fotografie aus einer Dokumentation von Adolf Moser, 1912 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).
Büro der Generalagentur Kienast & Reuss, Fraumünsterstrasse 27, Zürich. Fotografie aus einer Dokumentation von Adolf Moser, 1912 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich). […]

Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte sich die Fabrikarbeit voll durch. 1901 waren 54'000 Personen in den Fabriken beschäftigt, rund ein Viertel aller Erwerbenden bzw. etwa die Hälfte des Sekundärsektors. Auf diesem Niveau verblieben die Anteile bei geringen Schwankungen bis zu Beginn der 1960er Jahre. Von den 1880er Jahren an bestand die wachsende und vermehrt städtische Fabrikarbeiterschaft mehrheitlich aus Männern, was auf den Bedeutungsverlust der ländlichen Textilindustrien und die gesetzlichen Einschränkungen der Frauen- und Kinderarbeit zurückzuführen war. Der Typus des qualifizierten und berufsstolzen Facharbeiters in exportorientierten Unternehmen der Metallindustrie wie der Maschinenindustrie gewann an Bedeutung. Im Verbund mit den Arbeitern der öffentlichen Dienste und des Baugewerbes entwickelte diese qualifizierte Arbeiterschaft teilweise eigene Lebensformen, wie sie sich in den Organisationen der Arbeiterbewegung und im genossenschaftlichen Wohnungsbau ausdrückten. Letzterer war in der Stadt Zürich besonders bedeutend und erreichte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Wohnungsanteil von rund einem Viertel.

Maibändel der Arbeiterunion Winterthur, 1929 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).
Maibändel der Arbeiterunion Winterthur, 1929 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich). […]

Die wichtigste soziale Veränderung ab dem frühen 20. Jahrhundert stellte der Aufstieg einer Schicht von Angestellten dar, der 1930 schon ein Fünftel aller Erwerbstätigen angehörte. In der sozialen Hierarchie nahmen sie eine mittlere Stellung zwischen Arbeiterklasse und Wirtschaftsbürgertum ein. Arbeitertöchter suchten ihren Erwerb vermehrt in den expandierenden Angestelltenberufen, sei es in den wachsenden Verwaltungen der Industrie oder in Detailhandel- und Dienstleistungsbetrieben. Sie trafen dort auf junge Frauen und Männer, die vorwiegend dem Mittelstand entstammten. Angestellte bevorzugten einen städtischen Lebensraum, hatten tendenziell weniger Kinder und strebten einen konsumorientierten Lebensstil an, der allmählich auf andere soziale Schichten ausstrahlte. Das Anwachsen dieser Berufsgruppen bot Aufstiegsmöglichkeiten oder zumindest kleine Chancen der sozialen Besserstellung, die allerdings bis 1945 ungenügend blieben. Damals war immer noch ein Fünftel aller berufstätigen Frauen in den häuslichen Diensten tätig, in denen die Entlöhnung sehr gering und die soziale Abhängigkeit hoch war. Erst nach 1950 verlor diese Lebensform für junge Frauen an Bedeutung.

Die Gesellschaft des Kantons Zürich war bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus von scharfen sozialen und kulturellen Gegensätzen zwischen Sozialisten (Sozialismus) und bürgerlich Gesinnten, Eingesessenen und Zugewanderten sowie der reformierten Mehrheit und der katholischen Minderheit durchzogen. In konfessioneller Beziehung präsentierte sich die allmählich schrumpfende Bauernschaft besonders geschlossen. Die berufliche Abwanderung stärkte allerdings auch hier die Beziehungen zu mittelständischen und städtischen Milieus, während kleinbäuerliche Familien verwandtschaftlich der Industriearbeiterschaft näher standen. Die Stadt Zürich zog in besonderem Mass Migranten an; die Mehrheit der zugewanderten katholischen Bevölkerung sowie die kleine jüdische Minderheit (maximal 1%) lebten hier. Soziale und geografische Mobilität sind unzulänglich erforscht.

Etwa 12-15% der Bevölkerung gehörten um 1930 zum Bürgertum der Unternehmer und Grossgewerbetreibenden, der Bildungsberufe sowie der leitenden Beamten und Angestellten. Diese Gruppe besass praktisch das gesamte Vermögen; rund 70% der Bevölkerung wiesen steuerlich kein Vermögen aus. Die Angehörigen der Bildungsberufe und die Besitzer der sehr grossen Vermögen wohnten mehrheitlich in der Stadt; dies galt auch für die Seidenfabrikanten vom Zürichseeufer, während die Baumwollunternehmer des Oberlands eher in ihren Fabrikdörfern wohnhaft blieben.

Massenkonsum und soziale Ungleichheit in der Angestellten- und Dienstleistungsgesellschaft (1960-2010)

Plakat zur Abstimmung über die Umfahrung Eglisau, 1985 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).
Plakat zur Abstimmung über die Umfahrung Eglisau, 1985 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich). […]
Abstimmungsplakat zur Volksinitiative für ein Zürich ohne Expressstrassen, 1977 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).
Abstimmungsplakat zur Volksinitiative für ein Zürich ohne Expressstrassen, 1977 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich). […]

Während der Hochkonjunktur der 1950er und 1960er Jahre wuchsen die Reallöhne kräftig und der Massenkonsum weitete sich aus. Die 1960er Jahre brachten maximale Wachstumsraten im Besitz dauerhafter Konsumgüter wie zum Beispiel des Automobils. Zugleich pendelten immer mehr Berufstätige täglich von der Wohngemeinde in eine andere Gemeinde zur Arbeit (1970 29%; 2000 55%). Die Ausweitung von Konsum und Mobilität sowie der Umbau der Arbeitswelt weg von den Baustellen, Werkstätten und den immer seltener werdenden Bauernhöfen hin zu einer Welt der Büros und Verkaufslokale verliehen der Periode seit den frühen 1960er Jahren ein eigenständiges Gesicht. Der grosse Arbeitskräftebedarf der Hochkonjunktur zog zahlreiche Immigranten südeuropäischer Herkunft in den Kanton. Zahlreiche schweizerische Arbeiter stiegen gleichzeitig in den Angestelltenstatus auf. Die relative soziokulturelle Geschlossenheit der Arbeiterschaft verlor sich mit dieser sozialen Umschichtung. Mit der Immigration wuchs der Anteil der Katholiken an der Kantonsbevölkerung bis auf ein Maximum von 37% (1970), wobei auch die Geschlossenheit dieser sozial heterogenen Gruppe nachliess.

Der mit dem wirtschaftlichen Aufschwung einhergehende Optimismus setzte auf materielle Besserstellung und weiteren sozialen Aufstieg, wozu sich der beginnende Ausbau des höheren Bildungswesens stimmig fügte. Bildung kam nun auch vermehrt den Frauen zugute, die bis in die 1960er Jahre an den Hochschulen massiv untervertreten waren. Auch im Erwerbsleben boten sich den Frauen angesichts des herrschenden Mangels an Arbeitskräften neue Chancen. Damit sind nur Ausschnitte aus den sich verändernden weiblichen Lebensperspektiven benannt, die sich ab den späten 1960er Jahren nachhaltig wandelten. Mit dem wachsenden weiblichen Selbstbewusstsein fielen allmählich zahlreiche Diskriminierungen dahin. Sichtbar wurde der Einstellungswandel 1970, als ein Zweidrittelmehr das Stimm- und Wahlrecht für Frauen akzeptierte (Frauenstimmrecht). Sinkende Geburten- und steigende Scheidungsraten waren Begleiterscheinungen eines Vorgangs, der sich als kollektiver gesellschaftlicher Aufstieg der Frauen beschreiben lässt. In der Bildung war die Gleichstellung der Geschlechter bis in die 1990er Jahre erreicht. In den beruflichen Karrieren müssen Frauen weiterhin vielfältige Benachteiligungen hinnehmen.

Schwierig ist es, die Veränderungen im Bürgertum sowie in den alten und neuen Eliten zu erfassen. Die Ausweitung der höheren Bildung lockerte die ehemals starke ständische Abschliessung der Bildungsberufe. Die Konzentration der grossen Vermögen in den Händen einer kleinen Minderheit liess seit den 1960er Jahren geringfügig nach, vergrösserte sich aber seit den 1980er Jahren wieder. Die seit 1934 vorliegende Staatssteuerstatistik weist eine dauerhafte, grosse Ungleichheit nach. Gemäss den Daten von 2007 verfügten 7% der Steuerpflichtigen über zwei Drittel des steuerbaren Vermögens, 72,4% nur über 7,2%. Nur vermuten lässt sich, inwieweit innerhalb der Oberschicht eine Umschichtung stattfand; die wirtschaftliche Globalisierung dürfte innere Umstrukturierungen begünstigt haben. Zugleich nahmen die lokalen Bindungen ab, was für alle sozialen Gruppen gilt, am wenigsten noch für die agrarisch-industriell Beschäftigten kleiner Ortschaften; 2010 waren nur noch 14,6% der Bevölkerung an ihrem aktuellen Wohnort geboren (1970 noch ein Drittel), eine Rekordzahl von 30,4% war im Ausland geboren. In sozialräumlicher Betrachtung sind die statushöchsten Schichten deutlich von den statusniedrigsten getrennt; Oberschichtsangehörige bevorzugen den Zürichberg sowie die Gemeinden am rechten Seeufer (sogenannte Goldküste) und auf der sonnigen rechten Seite des Limmattals als Wohnorte. Die Unterschichten leben vor allem in Zürich-Nord und in der Flughafenregion. Die grossen Vermögen konzentrieren sich in der Stadt Zürich und deren Umfeld, was mit der Präsenz des Finanzplatzes zusammenhängt. In Winterthur sind die Verhältnisse ausgeglichener. Auch die Immigration teilt sich neuerdings in zwei Ströme: Statushohe Einwanderer aus Nord- und Westeuropa wählen bevorzugt die Wohnlagen der einheimischen Oberschicht, wo insgesamt wenig Ausländer leben; die Einwanderer aus Südeuropa sind am linken Ufer der Limmat besonders stark vertreten, in Zonen mit einem Ausländeranteil von bis zu 40%. In Opfikon (15'000 Einwohner) war 2010 fast jede zweite Person im Ausland geboren.

Kirchen, Bildungswesen, Kultur und Freizeit

Kirchen und Religiosität

Die enge Verbindung von staatlicher Ordnung und reformierter Kirche geriet in der Helvetik in krisenhafte Bewegung. Zwar wurde die Staatskirche bereits 1803 wieder eingeführt, doch gestattete das sogenannte Toleranzedikt von 1807 an erstmals seit der Reformation die Abhaltung katholischer Gottesdienste, was allerdings mit Ausnahme von Dietikon und Rheinau vorderhand nur die Stadt Zürich betraf. Innerhalb der reformierten Kirche standen einer rationalistisch orientierten Theologie Formen der Volksfrömmigkeit gegenüber, die sich aus pietistischen Quellen nährten. Der liberale Umbruch von 1830 garantierte die Religionsfreiheit und verwandelte die Kirche aus einer Zwangsanstalt in eine öffentlich-rechtliche Organisation, wobei die reformierte Landeskirche weiterhin privilegiert blieb. Kirchliche Streitfragen wie der Straussenhandel vermochten in der Öffentlichkeit noch lang die Leidenschaften zu entfachen. Die Anhänger der verschiedenen Strömungen innerhalb der Kirche nutzten die zivilgesellschaftlichen Organisationsmittel der neuen bürgerlichen Ordnung und sammelten sich in Vereinen. Die kirchlich Konservativen («Orthodoxe» oder «Positive»), die zu grossen Teilen aus den ehemals herrschenden Familien stammten, riefen 1837 die Evangelische Gesellschaft des Kantons Zürich ins Leben. In der Krankenpflege fanden sie ein praktisches Betätigungsfeld, das ihr öffentliches Ansehen steigerte; 1858 entstand die Diakonissenanstalt Neumünster (Diakonie). Die Anhänger der liberalen Reformtheologie, wie sie zum Beispiel Alois Emanuel Biedermann an der Universität Zürich lehrte, organisierten sich ab 1871 im Verein für freies Christentum, der im Kanton Zürich einen Schwerpunkt hatte. Auch dieser Kreis gab mit dem von Hermann Walter Bion gegründeten Schwesternhaus zum Roten Kreuz in Zürich-Fluntern 1882 Impulse für eine Reform der Krankenpflege.

Gottesdienstlokal der katholischen Mission Stäfa in der ehemaligen Klavierfabrik Rordorf (Rordorf) in Stäfa. Fotografie, 1938 (Katholische Pfarrei Stäfa, Fotoarchiv).
Gottesdienstlokal der katholischen Mission Stäfa in der ehemaligen Klavierfabrik Rordorf (Rordorf) in Stäfa. Fotografie, 1938 (Katholische Pfarrei Stäfa, Fotoarchiv). […]

Der Übergang zu Formen praktizierter Toleranz und religiösem Pluralismus beanspruchte viel Zeit. Ab den 1830er Jahren organisierten sich ausserhalb der Landeskirche freikirchliche Gruppen (Methodisten, Baptisten), die in den Gemeinden auf teilweise gewalttätige Ablehnung stiessen. Die starke Zuwanderung liess die Katholiken von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg zu einer wichtigen Minderheit anwachsen, ohne dass die vielfältigen Formen der Diskriminierung damit aufhörten. 1873 spaltete sich eine Christkatholische Gemeinde ab und erhielt die öffentlich-rechtliche Anerkennung (Christkatholische Kirche). Dies gelang der katholischen Kirche des Kantons Zürich, die seit 1819 unter der Administration des Bischofs von Chur steht, erst in der Volksabstimmung von 1963, mit der sie das Recht auf Erhebung einer Kirchensteuer und die Einbindung in das staatliche Gemeinderecht gewann. Parallel erhielten die Frauen das Stimmrecht in kirchlichen Angelegenheiten. Den Angehörigen anderer Weltreligionen (Judentum, Islam usw.) blieb die Anerkennung weiterhin vorenthalten; eine auf negative Gleichstellung zielende Trennung von Kirche und Staat wurde in einer Volksabstimmung 1977 abgelehnt. Noch im Mai 1973 stimmte Zürich als einer der wenigen Kantone gegen die Aufhebung der antikatholischen Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung.

Seither büsste der Kanton die dominante reformierte Prägung ein, die sich zum Beispiel in Bern infolge geringerer Bevölkerungsdynamik besser erhielt. Zwischen 1960 und 2010 sank der Anteil der Reformierten an der Bevölkerung von 65,7% auf 34,5%. Auch das Gewicht der katholischen Kirche nahm seit 1970 ab. Die beiden grossen historischen Konfessionen, deren Anteile sich immer stärker annähern, könnten bald die Mehrheit verlieren (1960 zusammen 98,1%, 2010 noch 62,8%). Auch im religiösen Bereich sind langfristige Trends zum Verlust allgemeinverbindlicher Instanzen und zur Differenzierung der Orientierungen und Praktiken zu beobachten.

Neben einer wachsenden muslimischen Minderheit (2007 knapp 8%) ist die am schnellsten zunehmende Gruppe jene der Konfessionslosen; sie umfasste 2010 bereits über einen Fünftel der Bevölkerung. Widerstände gegen den faktisch existierenden Pluralismus von Glaubensrichtung und Weltanschauung blieben weiterhin sichtbar, zum Beispiel in der verzögerten Einrichtung muslimischer Friedhöfe (Zürich 2004, Winterthur 2012). Die 2005 angenommene Verfassung brachte dagegen die Anerkennung der jüdischen Gemeinden; das entsprechende Gesetz trat 2008 in Kraft.

Bildungswesen

Die Bejahung von Bildung und Lernen gehörte zum bürgerlichen Wertekanon. Vereine kümmerten sich um Bildungsfragen, wie die 1810 gegründete Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG), in der Zürich als Hauptsitz stets eine zentrale Rolle spielte. Ab 1829 versammelte sich die bürgerliche Elite auch in der kantonalen Gemeinnützigen Gesellschaft. Bildungsziele verfolgten Lesegesellschaften, deren Anfänge ins späte 18. Jahrhundert zurückreichen (1834 Museumsgesellschaft Zürich), und Volksbibliotheken primär für die Jugend. Eigentliche Gründungswellen solcher Einrichtungen waren vor allem in den politisch besonders bewegten Jahren um 1830, um 1848 und ab 1860 zu verzeichnen.

Der Aufbau eines modernen Bildungswesens begann mit dem liberalen Umbruch von 1830. Das 1832 eröffnete Seminar Küsnacht stellte die Ausbildung der Primarlehrer auf neue Grundlagen, was sich mit einer breiten Kampagne zur Alphabetisierung und Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht verband. Gegen Letztere und die neuen weltlichen Lesebücher richteten sich Widerstände der unteren Schichten. Der Analphabetismus unter jungen Männern sank bis 1880 auf etwa 5% und verschwand dann nahezu ganz. Das Sekundarschulgesetz von 1833 ermöglichte im ganzen Kantonsgebiet einen freiwilligen höheren Schulunterricht. Gymnasialen Unterricht boten ab diesem Jahr die Kantonsschule Zürich und ab 1859 die Stadtschule Winterthur; die höhere Töchterschule für Mädchen (Mädchenerziehung) wurde dagegen erst 1875 ins Leben gerufen, obwohl Frauen ab 1864 zum Studium an der 1833 gegründeten Universität Zürich zugelassen wurden. Diese blieb anfänglich klein und zählte erst ab den 1860er Jahren mehr als 200 bzw. ab 1904/1905 mehr als 1000 Studierende. Bis zum Ersten Weltkrieg kam zeitweise fast die Hälfte der Studierenden und der Dozenten aus dem Ausland. Nach der Gründung des bald international renommierten Eidgenössischen Polytechnikums (Eidgenössische Technische Hochschule, ETH) 1855 entwickelte sich Zürich zum Hochschulzentrum.

Die höhere Bildung blieb bis zum Zweiten Weltkrieg einer schmalen Schicht vorbehalten (1-2% der Erwerbenden) und wurde erst in den 1950er Jahren weiteren Kreisen leichter zugänglich gemacht. 1955 öffnete in Wetzikon die erste Kantonsschule ausserhalb der beiden städtischen Zentren; bis 2012 wurden insgesamt 18 Gymnasien eingerichtet. In der Folge wuchs auch die Zahl der Studierenden, sie verdreifachte sich allein 1958-1968. Für die breite Bevölkerung früh schon wichtig wurden der Ausbau der Sekundarschulen ab 1870 und der beginnende Aufbau berufsnaher Fortbildung. Das Lehrlingsgesetz von 1906 schrieb erstmals den Schulbesuch für Lehrlinge vor, sofern die Gemeinde eine Schule besass. Breiteren sozialen Schichten stand auch das 1874 in Winterthur gegründete Technikum offen, das Fachkräfte für die Metall- und Maschinenindustrie ausbildete und sich zur Ingenieurschule entwickelte. Nach mehreren Fusionen ging diese 2007 mit anderen höheren Lehranstalten aus den Bereichen Kunst, Wirtschaft, Pädagogik und Sozialer Arbeit in der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (2010 10'169 Studierende) auf, der nach Universität (26'168) und ETH (15'984) drittgrössten Hochschule des Kantons. Seit ca. 1930 ist die Universität Zürich die grösste der Schweiz.

Kultur, Freizeit, Geselligkeit

Die bürgerliche Hochkultur war in hohem Mass auf die städtischen Zentren konzentriert. Die Stadt Zürich erhielt erst 1834 ihr erstes ständiges Theater, da das Schauspiel im reformierten Kanton lang verpönt war. Das Gebäude brannte Ende 1889 ab; in der Nachfolge entstand 1891 das neue Stadttheater (seit 1964 als Opernhaus bezeichnet). Das 1926 eröffnete Schauspielhaus schuf sich während des Zweiten Weltkriegs als freie deutschsprachige Bühne einen Namen. Im späten 19. Jahrhundert stieg Zürich zu einem literarischen Zentrum der deutschsprachigen Schweiz auf mit engen Beziehungen zum deutschen Literaturmarkt. Ab 1882 wirkte der über Zürich hinaus bekannte Lesezirkel Hottingen. Bedeutende Autoren wie Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer sowie später Jakob Christoph Heer, Ernst Zahn, Heinrich Federer und Alfred Huggenberger lebten in Zürich oder waren dem städtischen Literaturbetrieb eng verbunden. 1914-1950 übte Eduard Korrodi als Chef des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung enormen Einfluss aus. Im Sinne des dominant konservativen Geschmacks in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkten die Professoren Robert Faesi und Emil Ermatinger. Einige kurzlebige Erscheinungen der Avantgarde, zum Beispiel das Cabaret Voltaire (Dada), erscheinen wohl erst in der Retrospektive als wirkungsmächtig. Nach 1950 setzte eine jüngere Generation, angeführt von Max Frisch, neue Akzente.

Alte Kunstsammlungen eines mäzenatisch gesinnten Stadtbürgertums wie etwa in Basel fehlten in Zürich. Hingegen entstand 1787 die Zürcher Künstlergesellschaft (Künstlervereine), die zu sammeln und auszustellen begann. Ab 1896 zeichnete sie als Zürcher Kunstgesellschaft und betrieb den Bau des 1910 eröffneten Kunsthauses, dessen Sammlungen anfänglich klein waren, durch zahlreiche Schenkungen und Ankäufe (Kunsthandel) aber nach dem Zweiten Weltkrieg internationale Bedeutung gewannen. Wichtig, wenn auch umstritten war als Donator der Waffenindustrielle Emil Georg Bührle. Mehr als in Zürich gingen die reichen Sammlungen Winterthurs auf die private Sammeltätigkeit prominenter Unternehmer wie Theodor Reinhart und Oskar Reinhart zurück. Um Max Bill, Verena Loewensberg und Richard Paul Lohse bildete sich die Malergruppe der Zürcher Konkreten.

Als Bindeglied zwischen bürgerlicher Hochkultur und Populärkultur entfaltete sich ab 1830 ein reiches Vereinswesen, das in seiner Breite schlecht erforscht ist. Ursprünglich stark liberal-patriotisch orientiert, strebten die Sänger, Turner und Schützen öffentliche Wirksamkeit an. Ab den 1860er Jahren expandierte das Vereinswesen in die Dörfer, namentlich in die wachsenden Fabrikdörfer. Auch soziale, kulturelle und politische Minderheiten organisierten sich. Im liberalen Vereinswesen an den Rand gedrängt, fanden bürgerliche Frauen in Gemeinnützigen Vereinen Betätigungsfelder. Katholische und sozialistische Vereine folgten. Dem Vereinswesen verbunden war die frühe politische Presse, die ab 1830 ungehindert von Zensur expandierte. Die grösste Kontinuität erreichte die ins späte 18. Jahrhundert zurückreichende Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Von etwa 1900 an verfügte der Kanton über eine vielfältige Zeitungslandschaft mit freisinnigen, radikal-demokratischen, bäuerlich-demokratischen, katholischen und sozialistischen Blättern (Volksrecht). Der 1893 gegründete Tages-Anzeiger wies als Forumszeitung bald die mit Abstand höchste Auflage auf.

Meisterschaft von Zürich 1924. Fotografie von Sepp Schmid © KEYSTONE/Photopress.
Meisterschaft von Zürich 1924. Fotografie von Sepp Schmid © KEYSTONE/Photopress. […]

Populäre Kultur und frühe Formen der Unterhaltungsindustrie gewannen ab den 1860er Jahren an Boden, etwa im kommerziellen Vertrieb von Lesestoffen (Kalender, Groschenhefte). Von den 1890er Jahren an kam der Sport hinzu. Erste Fussballclubs wurden von Schülern und Studenten gegründet (1886 Grasshopper Club Zürich, 1896 FC Zürich und FC Winterthur). Nach der Jahrhundertwende folgte das Kino, das wie die meisten populären und kommerziellen Kulturformen als jugendgefährdend galt und bis 1971 der Zensur unterstand. 1912 öffnete die Radrennbahn Oerlikon, die ein geschäftliches Auf und Ab erlebte. Nach der Eingemeindung Oerlikons kaufte die Stadt Zürich 1935 das Unternehmen und errichtete daneben das Hallenstadion. Auf eine lange Tradition blickt auch das seit 1910 durchgeführte Radrennen Züri-Metzgete zurück. Ab den 1920er Jahren verfügten die Fussballclubs über eigene Stadien; der Letzigrund des FC Zürich wurde 1928 erstmals zum Austragungsort einer internationalen Leichtathletikveranstaltung. Spätestens in den 1930er Jahren setzte die finanzielle Förderung durch die öffentliche Hand ein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg Zürich zum Presse- und Medienzentrum der Schweiz auf: Neben den älteren Zeitungen etablierte sich seit 1959 die Boulevardzeitung Blick. Bis in die 1990er Jahre verschwand die parteipolitische Presse. Kommerziell agierende Pressekonzerne (Ringier, Tamedia, NZZ-Gruppe, Jean Frey AG) von überregionaler Bedeutung wählten Zürich ebenso zum Standort wie Anfang der 1960er Jahre das Fernsehen für seine Studios. Die neue Sonntagspresse hat ebenfalls einen Schwerpunkt in Zürich.

Screendesign des Videospiels Krautscape von Mario von Rickenbach und Michael Burgdorfer, 2009-2014 © Mario von Rickenbach.
Screendesign des Videospiels Krautscape von Mario von Rickenbach und Michael Burgdorfer, 2009-2014 © Mario von Rickenbach. […]

Die öffentliche Kulturpolitik förderte mit Oper, Schauspiel, Ballett, Bibliotheken und Museen bis gegen 1980 vor allem die Institutionen der bürgerlichen Hochkultur. Auch wenn das Opernhaus weiterhin einen grossen Teil der Mittel beanspruchte (1994 ging die Finanzierung an den Kanton über), erhöhte Zürich in Reaktion auf die mit dem Opernhauskrawall von 1980 eingeleiteten Jugendunruhen auch die Ausgaben für sogenannte Alternativkultur. Finanziell wird die Kulturförderung vor allem von den Gemeinden getragen, unter denen die städtischen Zentren dominieren. Kultur erlangte als Element des Standortmarketings wachsende ökonomische Bedeutung: Besonders gross ist das Gewicht der Stadt Zürich in den Bereichen Printmedien sowie Film und Fernsehen; es folgen Kunstmarkt, Musikwirtschaft, Grafik und Design mit jeweils rund einem Fünftel aller Beschäftigten der Schweiz. Die Kulturwirtschaft hängt eng mit den vom Finanzplatz generierten Geld- und Nachfrageströmen zusammen; sie konzentriert sich in einigen zentrumsnahen Stadtteilen und verändert deren Charakter.

Etwa von den 1990er Jahren an belebte sich der Freizeit- und Ausgehbetrieb namentlich in Zürich. Die S-Bahn bringt wachsende Besucherscharen beschleunigt in die Stadt und seit 2003 auch im Nachtbetrieb wieder nach Hause. Das Kino, das ab den 1960er Jahren einen Abstieg erfuhr, wächst seit 1990 wieder und konzentriert sich in den Vergnügungs- und Ausgehzonen. Dort finden sich eine internationale Gastronomie sowie neue Musik- und Partyszenen. Seit 1980 gehört das Theater-Spektakel zur festen Einrichtung, die sich in die Reihe der neueren Grossanlässe (Streetparade, Zürifest) und traditioneller Feste (Sechseläuten, Knabenschiessen) einfügt. Mit der Änderung des Gastgewerbegesetzes wurde 1998 die nächtliche Öffnung liberalisiert. Die traditionelle Beschränkung der öffentlichen Vergnügungen an den religiösen Feiertagen fiel dahin. Das von der Tourismuswerbung geförderte Image einer vom jugendlichen Hedonismus geprägten Partystadt wirkte sich auf die internationale Wahrnehmung der Stadt Zürich aus. Diese löste sich sowohl vom alten Bild der Zwinglistadt als auch von negativen Stereotypen des Bankenplatzes und den weltweit registrierten Bildern der offenen Drogenszene um 1990 (Drogen). Neben dem hauptsächlich in Zürich und Winterthur konzentrierten kommerziellen Freizeitbetrieb besteht zudem eine weitläufige, in Vereinen organisierte Kultur zum Selbermachen, deren wichtigster Zweig der Sport darstellt. Den öffentlichen und politischen Charakter des 19. Jahrhunderts hat das Vereinswesen weitgehend eingebüsst, populär bleibt es dennoch.

Quellen und Literatur

  • Staatsarchiv Zürich, Zürich.
  • Zentralbibliothek Zürich, Zürich.
  • Egli, Emil (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren 1519-1533, 1879 (Neudruck 1973).
  • Escher, Jacob; Schweizer, Paul et al. (Hg.): Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich, 13 Bde., 1888-1957.
  • Nabholz, Hans; Zeller-Werdmüller, Heinrich: Die Zürcher Stadtbücher des XIV. und XV. Jahrhunderts, 3 Bde., 1899-1906.
  • Die Rechtsquellen des Kantons Zürich, 1910-1915, 1996, 2011- (Sammlung Schweizerischer RechtsquellenZH).
  • Gagliardi, Ernst: Dokumente zur Geschichte des Bürgermeisters Hans Waldmann, 2 Bde., 1911-1913.
  • Schnyder, Werner; Hauser, Edwin et al.: Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des XIV. und XV. Jahrhunderts, 8 Bde., 1918-1958.
  • Schnyder, Werner; Nabholz, Hans: Quellen zur Zürcher Zunftgeschichte, 13. Jahrhundert bis 1798: Zur 600 Jahrfeier der Brunschen Zunftverfassung mit Unterstützung von Kanton und Stadt Zürich, 2 Bde., 1936.
  • Schnyder, Werner: Quellen zur Zürcher Wirtschaftsgeschichte. Von den Anfängen bis 1500, 2 Bde., 1937.
  • Schnyder, Werner: Urbare und Rödel der Stadt und Landschaft Zürich. Von den Anfängen bis 1336, 1963.
  • Brupbacher, Dieter; Eugster, Erwin: Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich, 7 Bde., 1987-2007.
  • Sablonier, Roger; Wanner, Konrad; Zangger, Alfred: Inventar spätmittelalterlicher Wirtschafts- und Verwaltungsquellen im Staatsarchiv des Kantons Zürich, 1990.
  • Sigg, Otto: Archivführer der Zürcher Gemeinden und Kirchgemeinden sowie der städtischen Vororte vor 1798. Zeugisse zürcherischer Gemeinde-, Verwaltungs- und Rechtskultur im agrarischen und kirchlichen Zeitalter, 2006.
  • Sigg, Otto: Hexenprozesse mit Todesurteil. Vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauischen Kelleramt – Dokumentation zu den 79 mit Todesurteil endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich, 2012.
Historiografie
  • Die aus dem Spätmittelalter stammenden Zürcher Chroniken gelten als früheste Zeugnisse städtischer Geschichtsschreibung in der Eidgenossenschaft. Im 16. Jahrhundert waren Johannes Stumpf, Heinrich Bullinger und Josias Simler Mitbegründer einer quellengestützten Forschung. Im 17. Jahrhundert dominierte, vor allem durch das Anlegen von Regimentsbüchern, eine kompilatorische Historiografie; eine Ausnahme bildete der Universalgelehrte Johann Heinrich Hottinger. 1645 eröffnete die Bürgerbibliothek Zürich die Tradition der Neujahrsblätter. Mit dem 1679 unter anderem gegründeten Collegium Insulanum bildeten sich erste Sozietäten, die sich mit historischen Fragen beschäftigten. 1713 wurde am Carolinum ein Lehrstuhl für Geschichte und Politik eingerichtet, den 1725-1775 Johann Jakob Bodmer innehatte. Im aufgeklärten Patriotismus des 18. Jahrhunderts entfaltete er eine grosse Wirkung. 1704 begründete Johann Heinrich Bluntschli die Memorabilia Tigurina, die als Zürcher Enzyklopädien bis 1860 fortgesetzt wurden. Von Bürgermeister Johann Jacob Leu stammt das Allgemeine Helvetische, Eydgenössische oder Schweitzerische Lexicon in 20 Bänden (1747-1760), das 1786-1795 von Hans Jakob Holzhalb durch sechs weitere Bände ergänzt wurde. Als Pionier der Wirtschaftsgeschichte gilt Johann Heinrich Schinz mit seinem Versuch einer Geschichte der Handelschaft der Stadt und Landschaft Zürich (1763). Erwähnenswert ist David von Wyss' Politisches Handbuch für die erwachsene Jugend der Stadt und Landschaft Zürich (1796). Im 19. und 20. Jahrhundert leisteten Professoren der Universität wie Georg von Wyss, Gerold Meyer von Knonau, Hans Nabholz, Leonhard von Muralt, Roger Sablonier und Rudolf Braun Bedeutendes nicht nur für die Schweizer, sondern auch für die Zürcher Geschichte. Dies galt auch für die Staatsarchivare, die oft ebenfalls an der Universität wirkten, wie Paul Schweizer, Anton Largiadèr, Werner Schnyder, Hans Conrad Peyer und Otto Sigg. Die 1832 gegründete Antiquarische Gesellschaft nahm sich zunächst vor allem der Altertumskunde, der Archäologie und der Denkmalpflege an, begründete aber auch die grossen Quelleneditionen aus dem Staatsarchiv. In Zürich verwurzelt ist die quellenorientierte, weniger die sozialtheoretische Geschichtsschreibung. Im 20. Jahrhundert entstanden auf der Landschaft zahlreiche ortsgeschichtliche Kommissionen, die historische Jahrhefte herausgeben. Karl Dändliker stand mit seiner Ortsgeschichte über Rorbas, Freienstein und Teufen von 1870 am Anfang der heute grossen Zahl an Zürcher Gemeindegeschichten und begründete auch deren Methodik. Als erste neuere Kantonsgeschichten gelten die Werke von Gerold Meyer von Knonau (1834-1846) und Johann Caspar Bluntschli (Staats- und Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft Zürich, 1838, 18562). Wichtig bleibt die Kantonsgeschichte von Karl Dändliker (1908-1912). Die aktuellste Synthese von 1994-1996 wurde von verschiedenen Autoren und Autorinnen verfasst und von einer Stiftung herausgegeben. Eine Bibliografie über das historische und heimatkundliche Schrifttum im Kanton erscheint seit 1877, bis 2007 im Zürcher Taschenbuch.
Reihen
  • Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 1-, 1837-.
  • Zürcher Taschenbuch, 1858-1862; NF, 1878-.
  • Statistische Mitteilungen des Kantons Zürich, 1878-1994 (mit wechselnden Titeln und Folgen).
  • Zwingliana, 1-, 1897-.
  • Zürcher Monats-Chronik, 1932-1951; Neue Folge (Zürcher Chronik), 1953-2000.
  • Die Künstdenkmäler des Kantons Zürich, 1-, 1938-.
  • Zürcher Denkmalpflege. Bericht, 1958-, 1961- (bis 1986 mit Kantonsarchäologie).
  • Turicum. Monatszeitschrift für Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, 1970-1996.
  • Zürcher Denkmalpflege. Archäologische Monographien, 1-24, 1984-1993; Monographien der Kantonsarchäologie Zürich, 1995-.
  • Berichte der Kantonsarchäologie Zürich, 1987-2005, 1994-2006; Archäologie im Kanton Zürich, 2009-.
  • Zürcher Archäologie, 2000-.
Allgemeines
  • Meyer von Knonau, Gerold: Der Canton Zürich, historisch-geographisch-statistisch geschildert von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Ein Hand- und Hausbuch für jedermann, 2 Bde., 1834 (2., vermehrte Auflage 1844-1846).
  • Bluntschli, Johann Caspar: Staats- und Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft Zürich, 2 Bde., 1838-1839 (18562).
  • Bluntschli, Johann Caspar: Geschichte der Republik Zürich, 3 Bde., 1847-1856.
  • Dändliker, Karl: Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich, 3 Bde., 1908-1912.
  • Largiadèr, Anton: Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich, 2 Bde., 1945.
  • Kläui, Paul; Imhof, Eduard: Atlas zur Geschichte des Kantons Zürich, 1951.
  • Widmer, Sigmund: Zürich, eine Kulturgeschichte, 13 Bde., 1975-1985.
  • Die Bauernhäuser des Kantons Zürich, 3 Bde., 1982-2002 (Die Bauernhäuser der Schweiz, 9-11).
  • Geschichte des Kantons Zürich, 3 Bde., 1994-1996.
  • Suter, Meinrad; Hohl, Agnes et al.: Kleine Zürcher Verfassungsgeschichte 1218-2000, 2000.
  • Zürich. 650 Jahre eidgenössisch, 2001.
  • Brunschwig, Annette; Heinrichs, Ruth; Huser, Karin: Geschichte der Juden im Kanton Zürich. Von den Anfängen bis in die heutige Zeit, 2005.
Von der Urzeit bis ins Frühmittelalter
  • Fischer, Calista: Innovation und Tradition in der Mittel- und Spätbronzezeit. Gräber und Siedlungen in Neftenbach, Fällanden, Dietikon, Pfäffikon und Erlenbach, 1997.
  • Steiner, Hannes: Alte Rotuli neu aufgerollt. Quellenkritische und landesgeschichtliche Untersuchungen zum spätkarolingischen und ottonischen Zürich, 1998.
  • Pauli-Gabi, Thomas; Wyprächtiger, Kurt: Ausgrabungen im Unteren Bühl, die Baubefunde im Westquartier. Ein Beitrag zum kleinstädtischen Bauen und Leben im römischen Nordwesten, 2 Bde., 2002 (Beiträge zum römischen Oberwinterthur – Vitudurum, 6).
  • Horisberger, Beat; Broillet-Ramjoué, Evelyne: Der Gutshof in Buchs und die römische Besiedlung im Furttal, 2 Bde., 2004.
  • Windler, Renata: «"Transcensis igitur Alpium iugis in finibus Alamannorum venit". Grenzzone und Verkehrsachse, Romanen und Germanen zwischen Chur und Zürich im 6. bis 9. Jahrhundert», in: Graenert, Gabriele; Martin, Max et al. (Hg.): Hüben und drüben – Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift für Prof. Max Martin zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, 2004.
  • Eberschweiler, Beat; Riethmann, Peter et al.: Das spätbronzezeitliche Dorf von Greifensee-Böschen. Dorfgeschichte, Hausstrukturen und Fundmaterial, 2 Bde., 2007.
  • Käch, Daniel: Das Umland von Zürich in römischer Zeit, 2008.
  • Mäder, Andreas; Hubert, Vera et al.: Die mittelbronzezeitlichen Gräber von Birmensdorf-Rameren, 2008.
  • Martin-Kilcher, Stefanie; Amrein, Heidi et al.: Der römische Goldschmuck aus Lunnern (ZH). Ein Hortfund des 3. Jahrhunderts und seine Geschichte, 2008.
  • Altorfer, Kurt; Huber, Renata: Die prähistorischen Feuchtbodensiedlungen am Südrand des Pfäffikersees. Eine archäologische Bestandesaufnahme der Stationen Wetzikon-Robenhausen und Wetzikon-Himmerich, 2010.
  • Schmidheiny, Mathias: Zürich-Mozartstrasse. Neolithische und bronzezeitliche Ufersiedlungen: Die frühbronzezeitliche Besiedlung, Bd. 4, 2011.
  • Windler, Renata; Rast-Eicher, Antoinette et al.: Ein Gräberfeld des 5.-7. Jahrhunderts bei Flaach, 2012.
Vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
  • Largiadèr, Anton: Untersuchungen zur zürcherischen Landeshoheit, 1920.
  • Schnyder, Werner: Die Bevölkerung der Stadt und Landschaft Zürich vom 14.-17. Jahrhundert. Eine methodologische Studie, 1925.
  • Strehler, Hedwig: Beiträge zur Kulturgeschichte der Zürcher Landschaft. Kirche und Schule im 17. und 18. Jahrhundert, 1934.
  • Weisz, Leo: Verfassung und Stände des alten Zürich, 1938.
  • Sulzer, Klaus: Zürcherische Handels- und Gewerbepolitik im Zeitalter des Absolutismus, 1944.
  • Kunz, Erwin W.: Die lokale Selbstverwaltung in den zürcherischen Landgemeinden im 18. Jahrhundert, 1948.
  • Wartburg, Wolfgang von: Zürich und die französische Revolution. Die Auseinandersetzung einer patriarchalischen Gesellschaft mit den ideellen und politischen Einwirkungen der französischen Revolution, 1956.
  • Braun, Rudolf: Industrialisierung und Volksleben. Die Veränderungen der Lebensformen in einem ländlichen Industriegebiet vor 1800 (Zürcher Oberland), 1960 (19792).
  • Peyer, Hans Conrad: Von Handel und Bank im alten Zürich, 1968.
  • Sigg, Otto: Die Entwicklung des Finanzwesens und der Verwaltung Zürichs im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert, 1971.
  • Wysling, Hans (Hg.): Zürich im 18. Jahrhundert. Zum 150. Jahrestag der Universität Zürich, 1983.
  • Braun, Rudolf: Das ausgehende Ancien Régime in der Schweiz. Aufriss einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts, 1984.
  • Dietrich, Christian: Die Stadt Zürich und ihre Landgemeinden während der Bauernunruhen von 1489 bis 1525, 1985.
  • Meier, Thomas: Handwerk, Hauswerk, Heimarbeit. Nicht-agrarische Tätigkeiten und Erwerbsformen in einem traditionellen Ackerbaugebiet des 18. Jahrhunderts Zürcher Unterland, 1986.
  • Eugster, Erwin: Adlige Territorialpolitik in der Ostschweiz. Kirchliche Stiftungen im Spannungsfeld früher landesherrlicher Verdrängungspolitik, 1991.
  • Pfister, Ulrich: Die Zürcher Fabriques. Protoindustrielles Wachstum vom 16. zum 18. Jahrhundert, 1992.
  • Graber, Rolf: Bürgerliche Öffentlichkeit und spätabsolutistischer Staat. Sozietätenbewegung und Konfliktkonjunktur in Zürich, 1746-1780, 1993.
  • Spillmann-Weber, Inge: Die Zürcher Sittenmandate 1301-1797. Gelegenheitsschriften im Wandel der Zeit, 1997.
  • Graber, Rolf: Zeit des Teilens. Volksbewegungen und Volksunruhen auf der Zürcher Landschaft 1794-1804, 2003.
19. und 20. Jahrhundert
  • Rütsche, Paul: Der Kanton Züricund seine Verwaltung zur Zeit der Helvetik (1798-1803), 1900.
  • Wettstein, Walter: Die Regeneration des Kantons Zürich. Die liberale Umwälzung der dreissiger Jahre 1830-1839, 1907.
  • Brunner, Emil: Der Kanton Züricin der Mediationszeit 1803-1813, 1909.
  • Zimmermann, Walter: Geschichte des Kantons Zürich vom 6. September 1839 bis 3. April 1845, 1916.
  • Heeb, Friedrich (Hg.): Aus der Geschichte der Zürcher Arbeiterbewegung. Denkschrift zum 50jährigen Jubiläum des «Volksrecht», 1898-1948, 1948.
  • Raths, Werner: Die Bevölkerung des Kantons Züricseit Ende des 18. Jahrhunderts, 1949.
  • Schmid, Gotthard: Die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich. Eine Kirchenkunde für unsere Gemeindeglieder, 1954.
  • Braun, Rudolf: Sozialer und kultureller Wandel in einem ländlichen Industriegebiet (Zürcher Oberland) unter Einwirkung des Maschinen- und Fabrikwesens im 19. und 20. Jahrhundert, 1965 (19992).
  • Weber, Hans: Die zürcherischen Landgemeinden in der Helvetik, 1798-1803, 1971.
  • Schaffner, Martin: Die demokratische Bewegung der 1860er Jahre. Beschreibung und Erklärung der Zürcher Volksbewegung von 1867, 1982.
  • Weinmann, Barbara: Eine andere Bürgergesellschaft. Klassischer Republikanismus und Kommunalismus im Kanton Zürich im späten 18. und 19. Jahrhundert, 2002.
  • Schmid, Stefan G.: Die Zürcher Kantonsregierung seit 1803, 2003.
  • Müller, Matthias: Gesellschaftlicher Wandel und Rechtsordnung. Die Zürcher Restauration (1814-1831) und die Entstehung des bürgerlichen Staates, 2004.
  • Suter, Meinrad: Kantonspolizei Zürich: 1804-2004, 2004.
  • Bloch Pfister, Alexandra: Priester der Volksbildung. Der Professionalisierungsprozess der Zürcher Volksschullehrkräfte zwischen 1770 und 1914, 2007.
  • Illi, Martin: Von der Kameralistik zum New Public Management. Geschichte der Zürcher Kantonsverwaltung von 1803 bis 1998, 2008.
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Endonyme/Exonyme
Turitg (romanisch)
Zürich (deutsch)
Zurich (französisch)
Zurigo (italienisch)

Zitiervorschlag

Meinrad Suter; Adrian Huber; Beat Horisberger; Renata Windler; Martin Illi; Mario König: "Zürich (Kanton)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.08.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007381/2017-08-24/, konsultiert am 19.03.2024.