Seit 1353 Ort der Eidgenossenschaft bzw. Kanton der Helvetischen Republik (1798-1803). Amtliche Umschreibung: Kanton und Stand der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Alte Staatsbezeichnungen: bis 1798 und 1815-1831 Stadt und Republik, 1798-1815 Kanton, 1831-1846 Republik, ab 1846 Kanton. Französisch: Berne, italienisch und romanisch: Berna. Amtssprachen sind Deutsch und Französisch, Hauptort ist die Stadt Bern.
Wappen des Kantons Bern
[…]
Oro- und hydrografische Karte des Kantons Bern mit den wichtigsten Ortschaften
[…]
Das Kantonsgebiet hat seit dem Spätmittelalter grosse Veränderungen erfahren: Zum Stadtstaat Bern gehörten ab 1415 Teile des heutigen Kantons Aargau (Berner Aargau) und ab 1536 der heutige Kanton Waadt. 1798 verlor Bern diese beiden Untertanengebiete sowie für die Dauer der Helvetik das Berner Oberland, das bis 1803 als helvetischer Kanton Oberland mit der Hauptstadt Thun bestand. 1815 stiess der grösste Teil des ehemaligen Fürstbistums Basel mit Biel zum sogenannten Alten Kantonsteil und bildete den Berner Jura. 1978 entstand aus dessen nördlichen Teil der Kanton Jura. 1994 wechselte der Amtsbezirk Laufen zum Kanton Basel-Landschaft, 1996 die Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura.
Struktur der Bodennutzung im Kanton Bern
Fläche (1994)
5 958,8 km2
Wald / bestockte Fläche
1 845,6 km2
31,0%
Landwirtschaftliche Nutzfläche
2 581,4 km2
43,3%
Siedlungsfläche
381,3 km2
6,4%
Unproduktive Fläche
1 150,4 km2
19,3%
Struktur der Bodennutzung im Kanton Bern - Arealstatistik der Schweiz
Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur des Kantons Bern
Jahr
1850
1900
1950
1990a
Einwohner
458'301
589'433
801'943
958'192
Anteil an Gesamtbevölkerung der Schweiz
19,2%
17,8%
17,0%
13,9%
Sprache
Deutsch
483'388
665'702
802'740
Französisch
97'789
120'566
74'338
Italienisch
7'167
11'786
26'359
Rätoromanisch
119
700
875
Andere
970
3'189
53'880
Konfession
Protestantisch
403'768
506'699
671'817
691'812
Katholisch (bis 1900 inkl. Christkatholisch)
54'045
80'489
122'971
172'906
Christkatholisch
3'256
1'263
Israelitisch
488
1'543
1'403
802
Andere und konfessionslos
0
702
2'496
91'409
davon konfessionslos
41'350
Nationalität
Schweizer
860'655
Ausländer
97'537
Jahr
1905
1939
1965
1995
Beschäftigte im Kt.
1. Sektor
155'304
163'506
54'803
48'733b
2. Sektor
95'787
123'987
213'755
136'397
3. Sektor
51'636
75'868
122'431
325'992
Jahr
1965
1975
1985
1995
Anteil am Schweiz. Volkseinkommen
14,7%
14,0%
12,6%
11,6%
a Einwohner 2000 957'197; erst Gesamtzahlen verfügbar
b gemäss landwirtschaftlicher Betriebszählung 1996
Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur des Kantons Bern - Bundesamt für Statistik; Bundesamt für Landwirtschaft; Historische Statistik der Schweiz
Der heutige Kanton Bern hat Anteil an allen drei schweizerischen Grosslandschaften: im Süden an den Alpen mit den nördlich anschliessenden Voralpen, nordwestlich davon am Mittelland und im Norden am Jura. Im westlichen Mittelland reicht er bis zum Sensegraben und an den Neuenburgersee, im Osten bis zum Napf und Sustenpass. Dieser Naturraum mit seinen unterschiedlichen Landschaften beeinflusste neben Klimaveränderungen die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung nachhaltig. Den wichtigsten Nahrungs- und Siedlungsraum bildeten zum einen das tiefere Mittelland mit dem Seeland, weiteren grossen Ebenen und den seit prähistorischer Zeit befahrenen Wasserwegen, zum anderen die ins höhere Mittelland eingetieften Sohlentäler von Aare, Gürbe und Emme mit ihren vor Hochwassern und Versumpfungen geschützten Talrandsiedlungen. Zum höheren Mittelland zählen das Frienisbergplateau, das Rapperswilerplateau und der Oberaargau. Am unteren Rand der voralpinen Zone liegen das Napfgebiet, der Längenberg und das Schwarzwassergebiet. Der bernische Alpenraum umfasst die Siedlungsräume um Thuner- und Brienzersee, besiedelte Talsohlen und Terrassen in den Tälern der Zuflüsse beider Seen und eine hochalpine Bergwelt von bis über 4000 m Höhe. Der bernische Jura erstreckt sich auf die südlichen Juraketten mit dem Chasseral im Westen (1607 m), Längstälern und Klusen (Quertälern) im Innern und dem klimatisch begünstigten Jurasüdfuss.
Grosse Bauwerke wie die beiden Juragewässerkorrektionen (1868-1891, 1962-1973), der Nationalstrassenbau (seit Mitte der 1960er Jahre) und neue Strecken (Bahn 2000) der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sowie die seit den ausgehenden 1950er Jahren stark ansteigende Bautätigkeit förderten zahlreiche Siedlungs- und Bestattungsbelege der vorrömischen Bevölkerungen zutage.
Steinzeitliche Jäger
Autorin/Autor:
Hans Grütter
Früheste Spuren menschlicher Anwesenheit im Gebiet des Kantons Bern finden sich in den drei Simmentaler Höhlen Schnurenloch bei Oberwil, Ranggiloch ob Boltigen und Chilchlihöhle ob Erlenbach; sie stammen aus unterschiedlichen Phasen der letzten Eiszeit. Während sich diese Belege aus dem Mittel- und Spätpaläolithikum (Paläolithikum) in den schützenden oder anschliessend durch Gletschereis versiegelten Höhlen erhielten, können Freilandsiedlungen von den Eismassen zerstört oder durch Geschiebe und Geröll verschüttet worden sein. Erst die zurückweichenden Gletscher gaben wieder Jagd- und Siedlungsareale frei: Der Homo sapiens des Jungpaläolithikums wird in der Freilandsiedlung Moosbühl bei Moosseedorf (Zeltlager mit Silizes und Tierknochen) sowie in Halbhöhlen und Balmen des Juras erstmals fassbar. Im wärmeren Klima des Mesolithikums folgten auf die eiszeitliche Tierwelt nacheiszeitliche Arten. Die zunehmende Bewaldung schränkte die Bewegungsfreiheit der Jäger, Fischer und Sammler ein; daher entstanden ihre temporären Siedlungsplätze an Gewässer- und Moorrändern, die wegen Schwankungen des Wasserspiegels baumfrei blieben. Wichtige mesolithische Fundzonen im Kanton Bern sind das Pieterlenmoos und die Umgebung des Burgäschisees. Das Eindringen in den Alpenraum lässt sich im Diemtig- und im Simmental beobachten.
Spuren erster sesshafter Siedler
Autorin/Autor:
Hans Grütter
An den Ufersiedlungen des Bielersees, der Toteisbecken (Lobsigen-, Moos-, Burgäschi-, Inkwilersee) und der Flussläufe (Aare, Zihl) ist abzulesen, wie die Bevölkerung im Neolithikum sesshaft wurde. Wegweisend wurden die Grabungsergebnisse in Twann, wo sich im Twannbach-Delta zwischen 3800 und 2950 v.Chr. mit hochwasserbedingten Siedlungsunterbrüchen 25 Dörfer folgten. Dendrochronologische Messungen an Hölzern und Untersuchungen am Keramikbestand, welcher der Cortaillodkultur und der Horgener Kultur zugewiesen wird, lieferten Daten zur Abfolge und baulichen Entwicklung der einzelnen Dörfer. Der Übergang zur planmässigen Nahrungsproduktion (Ackerbau, Viehzucht) verlangte neue Gerätschaften wie Hacke und Furchenstock. Die Vorratshaltung von luftgetrocknetem Kernobst und gedarrtem Getreide ist nachgewiesen. Das bisher älteste in der Schweiz gefundene Brot (Sauerteig) stammt aus einem zwischen 3560 und 3530 v.Chr. abgebrannten Twanner Dorf.
Bronzezeitliche Bauern und Handwerker
Autorin/Autor:
Hans Grütter
Fundstellen aus der Bronzezeit und Hallstattzeit
[…]
Schon im 4. Jahrtausend v.Chr. kamen Geräte aus Kupfer in Gebrauch (z.B. Kupfernadel aus Lattrigen um 3170 v.Chr., Messerklinge aus Twann). Kurz vor 2000 v.Chr. setzte sich die Legierung von Kupfer mit Zinn zu Bronze allgemein durch und brachte einen Entwicklungsschub (Bronzezeit). Es lässt sich noch nicht entscheiden, ob die relativ bescheidenen einheimischen Vorkommen (etwa im Lauterbrunnental) damals genutzt wurden. Siedlungszonen blieben zunächst vorab die See- und Flussufer. Günstige klimatische Verhältnisse mit zeitweilig bis über 2000 m ansteigender Waldgrenze erlaubten die Besiedlung und Begehung voralpiner und alpiner Gebiete. Der Raum Thunersee-Niedersimmental erscheint dicht belegt (Streufunde an Passübergängen, befestigte Höhensiedlungen Spiezberg, Cholis Grind bei Saanen und Pintel bei Wimmis, Gräberfelder in Thun, Allmendingen, Einigen und Hilterfingen). Reiche Fundensembles der Spätbronzezeit (ca. 1000-800 v.Chr.) stammen aus später überfluteten Ufersiedlungen am Bielersee (Mörigen, Vinelz).
Die mediterranen Einflüsse auf die Kulturen der Eisenzeit
Autorin/Autor:
Hans Grütter
Die ältere Eisenzeit oder Hallstattzeit (800-450 v.Chr.) schloss an die Spätbronzezeit an, ohne dass ein Bevölkerungswechsel erkennbar wäre. Klimaverschlechterungen erzwangen die Aufgabe von Siedlungen an Gewässern (v.a. Bielersee) und in Talböden sowie die Umsiedlung in Plateaulagen, was anfangs wohl die Siedlungsflächen verringerte. Mit verstärkten Handelskontakten über die Alpen hinweg wuchs der kulturelle Einfluss des Mittelmeerraums auf unser Gebiet. Belege sind Importware aus Italien und den griechischen Kolonien Unteritaliens, so etwa die in Grächwil gefundene Hydria (Prunkgefäss). Soziale Unterschiede lassen sich eindrücklich an der Anlage und Ausstattung der sogenannten Fürstengräber ablesen: Deren Grabhügel erreichten über 30 m Durchmesser und 4 m Höhe, wurden erhöht oder an Plateaurändern angelegt und reich mit Beigaben (u.a. Prunkwagen) ausgestattet. In einem Grabhügel in Bützberg hat sich gezeigt, dass der Erstbestattung weitere folgten. Oft bildeten mehrere Grabhügel eigentliche Nekropolen (Grossaffoltern, Ins, Bannwil, Langenthal, Bützberg). Auch im Kanton Bern beruht der Wissensstand über die Hallstattkultur fast ausschliesslich auf Grabfunden. Siedlungsspuren sind selten (Blanche Eglise in La Neuveville), und selbst die befestigten mutmasslichen Fürstensitze (z.B. Hasenburg bei Vinelz, Städtiberg bei Büren an der Aare, Schwandenberg bei Münchenbuchsee) entziehen sich genauerer Kenntnis. Die Grabfunde belegen, dass Eisen zu Schwertern, Dolchen, Lanzenspitzen, Messern und Wagenzubehör geschmiedet wurde. Ausserdem wurde Gold, das man vermutlich auch aus Flusssand gewann, zu Diademen, Ringen und Anhängern verarbeitet, dünnes Bronzeblech zu Arm-, Bein- und Halsreifen mit geometrischen Ornamenten getrieben (u.a. Fürstengräber bei Allenlüften bei Mühleberg sowie in Ins und Bützberg). Zum Schmuck gehörten auch Armreifen und Ringe aus Gagat und Lignit (Arten von Kohle). Die Keramik wurde von Hand, aber auch schon mit der Töpferscheibe geformt und als Grabbeigabe mit mehrfarbig ausgemalten Ornamenten versehen (Münchringen).
Der Übergang zur jüngeren Eisen- oder Latènezeit (um 450-1. Jahrhundert v.Chr.) ist am starken Stilwandel im Metall- und Kunstgewerbe (Metallverarbeitende Handwerke, Gold- und Silberschmiedekunst) zu erkennen. Zahlreiche Grabfunde – die dazugehörigen Siedlungen sind noch kaum bekannt – markieren zusammen mit den beiden Oppida Engehalbinsel und Jensberg bei Studen Siedlungsschwerpunkte im bernischen Kantonsgebiet. Im Fundmaterial erscheinen erstmals Münzen (sogenannte Regenbogenschüsselchen) aus Gold (Fund von Melchnau), Silber und Bronze (Schatzfunde). Nachgewiesen sind auch griechische Schriftzeichen (Name des Korisios auf einer Schwertklinge im Massenfund von Port). Ateliers zur Herstellung von Glas und Keramik befanden sich im helvetischen Oppidum Engehalbinsel bei Bern. Die Eisenverarbeitung erreichte einen hohen Stand; belegt sind ferner Holz-, Lederverarbeitung und Goldschmiedekunst. Als Kultstätten dienten sogenannte Viereckschanzen (Grosser Bremgartenwald bei Bern). Grabbeigaben (Gräberfelder Münsingen, Engehalbinsel) weisen wieder auf einen Jenseitsglauben hin.
Die gallorömische Epoche
Autorin/Autor:
Hans Grütter
Nach der verlorenen Schlacht bei Bibracte (58 v.Chr.) und der erzwungenen Rückkehr in die aufgegebenen Wohnsitze unterstanden die Helvetier als Föderaten der römischen Oberhoheit. Unter zunehmendem römischen Einfluss erfuhren Wirtschaft und Handel einen erheblichen Aufschwung. Das Schwergewicht der Besiedlung lag am Jurasüdfuss und im Mittelland; das bestehende Verkehrsnetz wurde ausgebaut (v.a. Aventicum-Vindonissa, Petinesca-Augusta Raurica). An Übergängen kamen im Alpenraum zu Grimsel, Brünig und Susten der Kaltwasserpass (Col des Eaux Froides) – eine Wegvariante zum Rawilpass mit einer Station, eventuell auch einem Heiligtum, am Westufer des Iffigsees –, im Berner Jura der Pass am Mont Raimeux und die Pierre Pertuis hinzu. Die keltische Bevölkerung lebte nach wie vor – als Bebauer oder Pächter römischer Gutshöfe – von Landwirtschaft sowie von Handwerk und Handel. In Oberwichtrach sind als seltenes Beispiel beide Hauptteile einer römischen Villa überliefert: am Südhang des Lerchenbergs oben das Herrenhaus des Gutsherrn (pars urbana), am Hangfuss der Ökonomietrakt (pars rustica). Häufige Bautypen waren die Portikus- und die Risalitvilla; auch seltenere Formen wie die Vierkantvilla lassen sich auf bernischem Boden nachweisen. Die zum Teil reiche Ausstattung der Villen umfasste Mosaiken (Münsingen, Toffen, Herzogenbuchsee) und Wandmalereien (z.B. ausgemalter Kryptoportikus von Meikirch). Neben den zahlreichen Gutshöfen wurden die ehemaligen festen Plätze weiter bewohnt und ausgebaut: Das helvetische Oppidum auf der Engehalbinsel wandelte sich zum römischen Vicus; Brenodor/Brenodurum gilt als sein wahrscheinlicher Name. Am Fuss des Jensbergs entstand Petinesca an der Juratransversale, in spätrömischer Zeit (368-369 n.Chr.) ergänzt durch den befestigten Zihlübergang zwischen Aegerten und Brügg.
Dea Artio, die keltische Göttin, mit ihrem Tieremblem, dem Bären. Bronzegruppe (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).[…]
Im Kult der gallorömischen Epoche verschmolzen Elemente der Kelten mit jenen der Römer; er bezog aber auch vorderasiatische Religionen mit ein. Auf bernischem Gebiet lässt sich eine seltene Dichte von Kultzentren beobachten. Ob die umfriedeten und mit zum Teil überlebensgrossen Götterstatuen (u.a. thronender Jupiter) ausgestatteten Tempelbezirke von Petinesca, Engehalbinsel und Thun-Allmendingen auch Mittelpunkte der inschriftlich überlieferten regiones (Kultregionen?) waren, ist jedoch offen. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts n.Chr. zog Rom zwar seine Truppen vom Rheinlimes (Limes) ab, gab aber den Anspruch auf Helvetien noch nicht preis, sondern siedelte 443 n.Chr. zur Gebietssicherung Burgunder in der Westschweiz an.
Frühmittelalter
Autorin/Autor:
Anne-Marie Dubler, Karl H. Flatt
Der Übergang von der römischen Epoche mit ihrer gallorömischen Bevölkerung zur alemannisch dominierten des Frühmittelalters war offenbar mit wenigen Kämpfen verbunden. Eine Ausnahme war die Schlacht bei Wangen (610), deren Austragungsort neuerdings im Könizer Wangental vermutet wird. Die alemannische Landnahme von Süddeutschland her vollzog sich von der Mitte des 6. Jahrhunderts an in einem offenbar zumeist friedlichen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Infiltrationsprozess (Alemannen). Im Lauf des 7. Jahrhunderts erschlossen sich alemannische Siedler die guten Lagen südöstlich des Aarelaufs und zogen vom Mittelland aareaufwärts bis in die Regionen von Thuner- und Brienzersee. Alle Gebiete westlich der Aare gehörten zum in Sprache und Glauben romanisierten Burgunderreich, das 534 endgültig in das merowingische Frankenreich eingegliedert wurde. Dieses dehnte gleichzeitig seinen Einfluss auf die östliche Schweiz aus. In karolingischer Zeit wird die fränkische Grafschaftsverfassung in unserem Gebiet fassbar (Grafschaften Aargau 762/778, Oberaargau 861, Bargen 965). Der Teilungsvertrag von Verdun legte 843 die Grenze zwischen Mittel- und Ostreich an die Aare und teilte so den Aareraum herrschaftlich entzwei. Auf vereinzelte fränkische Kolonisten weisen eventuell Grabfunde und Ortsnamen auf -dorf oder -court (Court, Kaufdorf) für Siedlungen hin, die sich in der Nähe von spätrömischen Strassenstationen (Petinesca) befanden.
An verschiedenen Orten sind Siedlungskontinuität und Nachbarschaft zwischen gallorömischen und alemannischen Bevölkerungsgruppen nachzuweisen (z.B. Oberbipp, Mett, Meikirch). Gleichwohl kam es zu einschneidenden Änderungen. Früheres Wissen auf politischem, technischem und kulturellem Gebiet ging verloren, und gravierend für die Kenntnis jener Zeit wirkte sich der Rückgang der Schriftlichkeit aus. Der alemannische Besiedlungsvorgang muss deshalb vor allem archäologisch und ortsnamenkundlich erschlossen werden: Die sich herausbildende Grenze zwischen romanischem und alemannischem Sprachraum verlief in etwa auf der Linie Freiburg-Murten und dem Jurasüdfuss entlang. Der Raum zwischen Aare und Saane war im 7. Jahrhundert zur Kontaktzone zwischen Romanen und Alemannen geworden. Während das Romanische östlich der Aare und im Berner Oberland früh im Alemannischen aufgegangen war, bewahrte es sich im Aaretal selbst und westlich davon länger. Hier überdauerten auch mehr vordeutsche Ortsnamen (z.B. Wichtrach, Rüfenacht). Die Alemannen setzten sich vom Seeland aus aareaufwärts und vereinzelt im Simmental und im Frutigtal zuerst in Lagen mit guten Ackerböden in Nachbarschaft zu bestehenden Siedlungen fest. Indiz dafür sind Felder von Ortsnamen auf -ingen, die in das 6.-7. Jahrhundert deuten. In den später erschlossenen Regionen des Frienisbergplateaus und vor allem des Emmentals sind Orte mit -wil-Namen und andere in das 8.-10. Jahrhundert weisende Namenbildungen besonders dicht vertreten. Zu den letzten Ausbaugebieten gehören die waldreichen Zonen am Napf, im Schwarzenburgerland und die höheren Lagen im Berner Oberland. Rodung und Besiedlung dürften noch vor der Jahrtausendwende auch die abgelegenen Täler des Oberemmentals erreicht haben. Ein Bild der Durchmischung ansässiger und zugezogener Volksteile bieten auch die Grabfunde im Raum Aaretal und Seeland. In den nun nach Osten ausgerichteten Gräbern sind burgundisch-romanische neben alemannischen Trachtelementen überliefert (Köniz, Nieder- und Oberwangen). Im Lauf des 8. Jahrhunderts ging der Brauch der Grabbeigaben verloren, und die älteren Gräberfelder (z.B. Wahlern-Elisried) wurden durch Friedhöfe im Umfeld der neu gegründeten Kirchen ersetzt.
In politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und kultureller Hinsicht erscheint der bernische Aareraum im Frühmittelalter als Randgebiet und Durchgangsland. Münzprägungen, die Entwicklung alemannischen Rechts, die frühe Christianisierung und die Anfänge der Kirchenorganisation erfolgten vorerst ausserhalb dieses Raums und fanden erst später Eingang. Die Bischofssitze Lausanne, Basel, Sitten, Chur und Konstanz lagen weitab; im Aareraum grenzten die Diözesen Lausanne, Konstanz und Basel aneinander. Der Christianisierungsprozess kam vermutlich vom elsässischen Raum und von Westen her in Gang. So gründete die Abtei Luxeuil (Vogesen) um 630 an der alten Transitroute durch die Pierre Pertuis das Kloster Moutier-Grandval, das spätestens im 9.-10. Jahrhundert seinen Interessenbereich bis an den Bielersee und nach Balsthal ausweitete. Bereits um 600 als Zelle gegründet wurde das später ebenfalls von Luxeuil beeinflusste Benediktinerkloster Saint-Imier. Im Seeland und im Aareraum entstanden zur Merowingerzeit erste Holzkirchen, stets Vorgänger bestehender Kirchen und nur archäologisch belegt (Kirchlindach, Oberwil bei Büren, Bleienbach). Die Archäologie hat auch eine gewisse Kontinuität von der Antike zum Mittelalter aufgedeckt: Gegen 30 Kirchen im bernisch-solothurnischen Aareraum entstanden über Ruinen römischer Villen und nachfolgenden Gräberfeldern des 7. Jahrhunderts (u.a. Meikirch, Oberbipp), die Kirche Mett über einem im 5. Jahrhundert zum Mausoleum umgebauten Grabbau des 4. Jahrhunderts. Neben einem römischen Tempelbezirk wurde auf der St. Petersinsel um 700 eine Grablege mit sechs Sarkophagen angelegt, der im 8.-9. Jahrhundert ein Klosterbau in Holz folgte.
Der Mangel an schriftlichen Quellen wirkt sich auch auf unsere Kenntnis des täglichen Lebens aus: Anlage, Grösse und Organisation der frühmittelalterlichen Siedlungen, Wirtschaftsformen und ganz allgemein der Alltag der Bevölkerung und ihre soziale Struktur sind kaum bekannt. Zwar geben die Alemannenrechte viele Hinweise zu Normen der rechtsständischen Ordnung; konkrete Anhaltspunkte auf deren Wirkung im bernischen Gebiet stehen aber aus. Immerhin bringen auch die unterschiedlichen Bestattungsformen eine soziale Differenzierung zum Ausdruck: Gräber in dominierender Lage mit reichen Grabbeigaben (Reitergrab Spiez) deuten auf Angehörige der Oberschicht, ebenso die oft (aber selten mit Sicherheit) als Stiftergräber interpretierten Bestattungen in den Kirchen (u.a. Spiez, Einigen, Amsoldingen, Lyss, Biglen, Rohrbach, Oberbipp). Bereits in der Ausbauphase des 7.-8. Jahrhunderts bestand demnach eine Gruppe von Grundherren, die in der Lage waren, (Eigen-)Kirchen und deren Priester zu unterhalten. Von der übrigen Bevölkerung hoben sie sich durch befestigte Wohnsitze (Fronhöfe) ab. Viele namenlose und urkundlich nicht überlieferte «Erdwerke», früher oft als Flieh- und Erdburgen interpretiert, gelten heute als Reste früh- und hochmittelalterlicher Herrensitze mit Holzburgen. Hier dürften die Wurzeln mancher Adelsgeschlechter des Hoch- und Spätmittelalters liegen.
Herrschaft, Politik und Verfassung vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
Hochmittelalterliche Herrschaftsstrukturen
Autorin/Autor:
Anne-Marie Dubler, Karl H. Flatt
Vom 10. Jahrhundert an kam der Aareraum wieder unter westschweizerischen Einfluss. Das Zweite Königreich Burgund dehnte unter den Königen Rudolf I. und Rudolf II. sein Einflussgebiet bis in die Ostschweiz aus. Auf burgundischem Krongut entstanden die Königshöfe Bümpliz, Münsingen, Uetendorf, Wimmis, Kirchberg und Utzenstorf als Stützpunkte königlicher Politik. In der Spätzeit des hochburgundischen Königreichs rückte der Aareraum dem Heiligen Römischen Reich unter den Ottonen und Saliern näher. Die hochburgundische Königsfamilie lebte in der urkundlichen und chronikalischen Überlieferung in einiger Beliebtheit weiter: Rudolf II. als legendärer Stifter der zwölf Thunerseekirchen (Chronik des Elogius Kiburger), seine Frau, die Königin Bertha, als Stifterin der Abtei Payerne, ihre gemeinsame Tochter, die Kaiserin Adelheid, durch die Vergabe von Kirchberg, Uetendorf und Wimmis an das elsässische Kloster Selz. Der Erbfolgestreit nach dem Tod König Rudolfs III. (1032) hatte die Übernahme des Königreichs Hochburgund durch die Salier (Krönung Kaiser Konrads II. in Payerne 1033) im Namen des Reichs zur Folge. Damit geriet auch der heute bernische Raum nach 1056 in die Wirren um die Kaisernachfolge: Der als Regent über Burgund eingesetzte Graf Rudolf von Rheinfelden (Rudolf von Schwaben) liess sich 1077 im Investiturstreit zum Gegenkönig Heinrichs IV. ausrufen. Dieser Treuebruch bewirkte, dass die kaisertreuen Bischöfe von Basel und Lausanne aus den Häusern der Grafen von Oltigen und von Fenis konfiszierte Güter Rudolfs im Aareraum erhielten. Burgundisch-rheinfeldisches Hausgut im Oberaargau und im rechtsseitigen Aaretal kam um 1090 erbweise an Rudolfs Schwiegersohn Berchtold II. von Zähringen. Dieser und sein Sohn Berchtold III. versuchten ihre herrschaftliche Stellung auszubauen. Durch Paktieren mit Anwärtern auf den deutschen Königsthron erhielten sie 1127 das Rektorat (Stellvertretung des Königs) in Burgund. Weil sich grossburgundische Pläne 1156 zerschlugen, beschäftigten sich die letzten Zähringer mit der Sicherung und Verdichtung ihrer mittelländischen Herrschaft. In diesem Zusammenhang erfolgten im Aareraum die Stadtgründungen von Burgdorf, Murten, Thun und Bern, vermutlich alle unter dem letzten Zähringer, Berchtold V. Die Errichtung einer eigentlichen Landesherrschaft misslang: Nach dem Tod Berchtolds V. (1218) zerfiel die Herrschaft in ihre Bestandteile – die Eigengüter gingen an die Kyburger, die Ämter und Lehen fielen zurück an das Reich.
Der Aareraum war im Hochmittelalter definitiv dem Heiligen Römischen Reich zugeordnet. Er erhielt nun auch die für lange Zeit gültige Kirchenstruktur. Das Netz an Dekanaten, Pfarrkirchen und deren Filialen (Pfarreien) ist zwar erst im 13. Jahrhundert lückenlos überliefert (Lausanner Chartular 1228, Liber decimationis des Bistums Konstanz 1275), doch existierten die wichtigsten Pfarrkirchen vermutlich bereits um die Jahrtausendwende, ohne dass ihre Gründer bekannt sind. Unbekannt ist auch, inwieweit die Abteien, denen im Aareraum Güter und Kirchen geschenkt worden waren, zur kirchlichen Erschliessung beigetragen haben: das Kloster St. Gallen im Oberaargau (8.-9. Jahrhundert), das rechtsrheinische Kloster Ettenheim in Spiez und Scherzligen (762), das elsässische Selz in Kirchberg, Uetendorf und Wimmis (994) sowie St. Peter im Schwarzwald in Huttwil, Seeberg und Herzogenbuchsee (vor 1108). Eine wichtige Rolle spielte die burgundische Königsfamilie, von deren kirchlichen Zentrum Saint-Maurice aus Beziehungen über die Abtei Payerne bis Utzenstorf und Kirchberg sowie durch das Simmental bis zum Thunersee liefen. Urkundlich nicht zu belegen ist der vermutlich wesentliche Beitrag einheimischer Herren als Gründer von Eigenkirchen in ihren Grundherrschaften sowie als Stifter und Donatoren von Klöstern. Die frühesten bekannten einheimischen Schenker übertrugen zwischen 795 und 886 dem Kloster St. Gallen Besitz im oberaargauischen Rohrbach und dessen Umgebung. Zwischen 1070 und 1150 entstanden zehn zum Teil bedeutende klösterliche Niederlassungen auf Eigengut ihrer Stifter, so die Cluniazenserpriorate Rüeggisberg (Herren von Rümligen 1072), Münchenwiler (von Wiler um 1080), St. Petersinsel (Grafen von Hochburgund-Mâcon auf Erbgut der von Oltigen im späten 11. Jahrhundert), Hettiswil (1107), Röthenbach im Emmental (Herren von Rümligen oder von Signau), die Benediktinerklöster St. Johannsen bei Erlach (auf Erbgut der von Fenis um 1100), Trub (Herren von Lützelflüh vor 1130) und Rüegsau (eventuell auch Herren von Lützelflüh in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts), das Augustiner Chorherrenstift Interlaken (von Oberhofen um 1130) und das Zisterzienserkloster Frienisberg (Grafen von Saugern auf Oltiger Erbgut in den 1130er Jahren).
An die grafschaftliche Einteilung des 9. bis 11. Jahrhunderts schlossen sich räumlich und zum Teil mit organisatorischer Kontinuität (z.B. Buchsgau) die spätmittelalterlichen Landgrafschaften an – die Landgrafschaften Burgund rechts der Aare (ab 1252) und links oder jenseits der Aare (ab 1276) sowie Buchsgau ab 1318. Das Berner Oberland unterstand dem Reich unmittelbar. Unter- und Oberland waren von vielen Freiherrschaften durchsetzt, deren adlige Inhaber (u.a. von Fenis, Oltigen, Belp-Montenach, Kramburg, Bremgarten, Gerenstein, Signau, Heimberg, Sumiswald, Lützelflüh, Langenstein, Buchsee, Jegenstorf, Seedorf) im 11.-12. Jahrhundert urkundlich fassbar werden. Am Aufstand der Freiherren gegen Berchtold V. von Zähringen (1191) waren Oberländer Herren beteiligt, die im Gefecht bei Grindelwald unterlagen. Durch Einheirat in den einheimischen Adel (Unspunnen bzw. von Thun, Oberhofen) kamen nun auch reichstreue mittelländische Adelsgeschlechter (von Wädenswil, Eschenbach) neben einheimischen Freiherren (u.a. von Brienz oder Ringgenberg, Weissenburg) zu Sitzen im Berner Oberland. Zahlreich war der zähringische Dienstadel, an dessen Holzburgen vielerorts Burgstellen erinnern.
Im Hochmittelalter kam der Landesausbau in eine neue Etappe. Die Gründung kolonisatorisch tätiger Klöster belegt den Gang der Besiedlung bis in die abgelegensten Täler (z.B. Trub). Seit dem frühen 13. Jahrhundert ist die Alpwirtschaft urkundlich belegt. Die strategische Lage des Königshofs Wimmis am Eingang zum Simmental verweist auf die Begehung der Alpenpässe ins Wallis. Allgemein markierten Königshöfe die wichtigen Wege ins Berner Oberland (Münsingen, Uetendorf) und durch das Mittelland (Kirchberg, Utzenstorf), die in zähringischer Zeit durch den Burgenbau und die Städtegründungen neues Gewicht erhielten.
Kommunale Bewegung und Territorialbildung im Spätmittelalter
Autorin/Autor:
Urs Martin Zahnd
Vom 13. Jahrhundert an entstanden in den meisten nachmals bernischen Städten die für das Spätmittelalter und die frühe Neuzeit charakteristischen Verfassungsstrukturen: Stadtrechte wurden erlassen und bestätigt, Amtmänner, Schultheissen oder Meier wirkten als Herrschaftsvertreter, und Räte und Stadtgemeinden (Gemeinden) konstituierten sich. In Biel, Burgdorf, Thun, Erlach und Büren an der Aare erfolgte diese Ausgestaltung unter Führung des geistlichen oder weltlichen Stadtherrn, in der unmittelbar dem deutschen König unterstehenden Stadt Bern vom 13. Jahrhundert an in Auseinandersetzung mit dem Herrscher oder seinen Vertretern. Die schwächer werdende Präsenz des Reichs im Aareraum zwang die Stadt Bern von der Mitte des 13. Jahrhunderts an dazu, sich aus eigenen Kräften der Territorialpolitik der grossen Dynasten (Kyburg, von Habsburg) zu erwehren. Rückhalt suchte sie bei ihren Verbündeten und Beschirmten (Interlaken 1224, Freiburg 1243, Murten (?), Rüeggisberg 1244, Bischof von Sitten 1252 und 1296, Köniz 1257, Reichsland Hasli 1275, Freiherren von Signau 1277, Biel 1279, Kloster Trub 1286, Solothurn 1295), aber auch bei Savoyen (Schirmherrschaft in Vertretung des Reichs 1256, 1268, 1291). König Rudolf I. bestätigte zwar 1274 Berns Handfeste (Reichsfreiheit), doch trieb die 1285 auferlegte Reichssteuer die Stadt auf die Seite von Rudolfs Gegnern. Sie widerstand zwar 1288 zwei Belagerungen des Königs, hatte aber nach der Niederlage an der Schosshalde 1289 Steuern und eine Busse zu zahlen.
Berns Territorialpolitik setzte 1298 nach dem Sieg bei Oberwangen (Köniz) über den welschburgundischen Adel und das österreichische Freiburg ein: Die Stadt erwarb um 1300 die vier umliegenden Kirchspiele Bolligen, Vechigen, Stettlen und Muri, zerstörte die allzu nahen Burgen Bremgarten und Belp und nahm die Freiherren von Montenach in das Burgrecht auf. Der Aufbau des bernischen Stadtstaats im 14.-16. Jahrhundert erfolgte einerseits durch Expansion (Käufe, Pfandschaften, Eroberungen), andererseits durch Verdichtung der Herrschaft (Aufnahmen von Ausbürgern, Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten, Burgrechte, Bündnisse). Die wichtigsten Konkurrenten und Gegner Berns waren im 14. Jahrhundert die Häuser Habsburg-Österreich und (Neu-)Kyburg sowie die Stadt Freiburg. Nach dem Sieg Ludwigs des Bayern über seinen habsburgischen Konkurrenten Friedrich den Schönen in der Schlacht bei Mühldorf am Inn in Bayern 1322 verband sich Bern 1323 erstmals mit den antihabsburgischen Waldstätten. Es nötigte Eberhard II. von Kyburg nach dem Thuner Brudermord ins bernische Burgrecht und erwarb die Oberlehensherrschaft über Thun. Die Annäherung Eberhards an Habsburg und die damit erneut ausbrechenden Rivalitäten im burgundischen Raum führten im 14. Jahrhundert zu mehreren militärischen Konflikten: Der Gümmenenkrieg zwischen Bern und Freiburg um Rechte und Einfluss im Senseraum brachte 1333 noch keine Entscheidung. 1334 wandte sich Bern gegen die Freiherren von Weissenburg (Streit um Mülenen, Besetzung von Wimmis und Unspunnen), erwarb deren Pfandherrschaft Hasli (Oberhasli) und zwang die Weissenburger ins bernische Burgrecht. Im Laupenkrieg 1339-1340 setzte sich Bern mit Hilfe seiner Verbündeten (u.a. Waldstätte) gegen die Allianz zwischen Freiburg, Kyburg, burgundischem Adel, Österreich und Kaiser Ludwig dem Bayern durch. Nach dem Frieden von Königsfelden mit Österreich 1340 und den weiteren Friedensschlüssen bis 1345 nahm Bern seine Erwerbs- und Ausbürgerpolitik wieder auf (Aarberg 1358). Den dazu nötigen Rückhalt fand sich in den erneuerten Städtebündnissen und Burgrechten seiner Burgundischen Eidgenossenschaft, in den von 1348 an von Karl IV. und Wenzel bestätigten und erweiterten Reichsprivilegien und in den Landfriedensbündnissen mit den Waldstätten (1341, 1353), Österreich (1341, 1348, 1363) und Savoyen (1350, 1364, 1374, 1384). Die eidgenössische Geschichtsschreibung hat das erste unbefristete Bündnis Berns mit Uri, Schwyz und Unterwalden von 1353 später als Beitritt zur Eidgenossenschaft interpretiert, obwohl Bern danach noch längere Zeit nur indirekt mit Zürich und Luzern verbunden war. Die engen Burgrechtsbeziehungen Biels zu Bern führten 1367-1368 zum Krieg gegen Biels Landesherrn, den Fürstbischof von Basel, und zur Verwüstung Biels und des Südjuras. 1375 litt das Mittelland unter den Söldnerscharen Enguerrands de Coucy (Gugler). Die Schwäche Österreichs und Kyburgs angesichts dieser Einfälle und der missglückte Handstreich der Kyburger auf Solothurn 1382 veranlassten Bern zum Handeln. Berner Truppen eroberten verschiedene kyburgische Burgen und belagerten während mehrerer Wochen Burgdorf. Ein eidgenössischer Schiedsspruch beendete 1384 den Burgdorferkrieg: Bern erwarb mit Burgdorf und Thun die Zentren des kyburgischen Besitzes; die entmachteten Grafen mussten das Burgrecht von Laupen annehmen.
Die Schlacht bei Laupen 1339. Abbildung aus der Schweizer Chronik vonChristoph Silberysenaus dem Jahr 1576 (Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 208; e-codices).
Mit Österreich und Freiburg erfolgte die entscheidende Auseinandersetzung im Umfeld des Sempacherkriegs (bernische Züge ins Oberland 1386, Seeland 1388, in den Aargau 1389). Im Frieden von 1389 erhielt Bern das Obersimmental, Unterseen, Oberhofen mit Balm, Unspunnen, Nidau, Tessenberg, Ligerz, Twann und Büren an der Aare. 1398 akzeptierte Freiburg auch Berns Erwerbung des Iselgaus, d.h. des Gebiets zwischen Bielersee und Seeland. Nach der endgültigen Verdrängung Österreichs und Freiburgs aus dem Oberland und dem Seeland erwarb Bern weitere Herrschaften: 1391 Simmenegg, 1399 Signau, 1400 Frutigen, 1407 Wangen an der Aare, 1408 Trachselwald und Huttwil, 1412 Oltigen, 1413 (gemeinsam mit Solothurn) Bipp und Bechburg. Es ging neue Bündnisse und Burgrechte ein: 1388 mit La Neuveville, 1401 mit Wilhelm von Valangin, 1403 mit Saanen und Oesch (Château-d'Œx), 1406 mit dem Kollegiatstift Neuenburg, der Stadt Neuenburg und den Grafen von Neuenburg, 1407 mit Städten und Herren im Aargau. Zur gleichen Zeit richtete sich Bern als Mitunterzeichner des Sempacherbriefs 1393 mehr auf die Eidgenossenschaft aus. Trotz des Fünfzigjährigen Friedens zwischen den Eidgenossen und Österreich (1412) wandte sich Bern 1415, durch König Sigismund und das Konstanzer Konzil dazu aufgefordert, gegen Herzog Friedrich IV. von Habsburg-Österreich, besetzte den grössten Teil des Aargaus und errichtete Vogteien (Berner Aargau). Damit dehnte sich der Berner Einfluss praktisch bis an den Rhein aus.
Im Streit um das Eschental zwischen den Oberwalliser Zenden (verbündet mit den fünf innerschweizerischen Orten) und Savoyen schlug sich Bern auf die Seite Savoyens (Feldzüge ins Wallis 1418-1419, Schiedsspruch 1420); das bernische Ausgreifen über die Alpen (Grimsel, Griespass) blieb aber Episode. Im Alten Zürichkrieg galten die Berner Sympathien vor allem Schwyz. Bern versuchte aber mehrmals zu vermitteln (Schiedssprüche 1438, 1440) und griff nach dem Bündnis Zürichs mit Österreich (1442) erst 1444 mit grösseren Mitteln auf der Seite der übrigen Eidgenossen in den Krieg ein. Angesichts der Verbindungen Österreichs zu Frankreich und Burgund galt seine Sorge vor allem der Sicherung des Aargaus. Nach der Schlacht bei St. Jakob an der Birs und den Verhandlungen von Basel und Ensisheim (Elsass) 1444 drängte Bern auf Friedensverhandlungen zwischen Eidgenossen, Österreich und Zürich. Infolge der andauernden Kriegslasten brachen im Berner Oberland Unruhen aus (Böser Bund im Berner Oberland), die ein eidgenössisches Schiedsgericht 1446 beilegen konnte. 1448 unternahm Bern mit Savoyen mehrere Kriegszüge gegen Freiburg.
Der stürmischen Expansion folgte um 1450 eine erste Phase der territorialen und rechtlichen Konsolidierung. 1463 teilten Bern und Solothurn die 1413 erworbenen Herrschaften Bipp und Bechburg samt der Landgrafschaft Buchsgau; Bipp fiel an Bern. Die bernisch-solothurnischen Grenzen wurden 1466, 1516 und 1665 festgelegt. Nach der Erneuerung ihres Burgrechts beteiligte Bern Freiburg 1454 wieder an der 1423 gemeinsam erworbenen Herrschaft Grasburg, und 1467 kam das freiburgische Gümmenen an Bern. Von 1408 bis 1470 dauerten verschiedene Grenzstreitigkeiten mit Luzern. Am Südfuss des Juras und im Seeland erfolgten 1439, 1440, 1452, 1464, 1470 und 1486 Grenzbereinigungen mit dem Fürstbistum Basel, 1443, 1470 und 1491 solche mit Neuenburg. Weitere Erwerbungen und Bündnisbeziehungen verdichteten die Berner Landesherrschaft (Territorialherrschaft). So erlangte Bern 1474-1476 in den Burgunderkriegen die Herrschaften Erlach und Aigle, gemeinsam mit Freiburg zudem Murten, Grandson, Orbe und Echallens.
Der Herrschaftsbereich der Stadt Bern wurde im 14.-15. Jahrhundert durch sehr unterschiedliche Rechts- und Besitzansprüche zusammengehalten. Ungewöhnlich früh (zweite Hälfte 14. Jahrhundert) erlangte das von 1218/1220 an dem deutschen König unmittelbar unterstellte Bern die Voraussetzungen zur nachmaligen Reichsunmittelbarkeit. Bereits um 1300 unterschied der Rat sorgfältig zwischen dem Reich und der Person des jeweiligen Herrschers (Nichtanerkennung Ludwigs des Bayern). Aufgrund der Handfeste besass Bern unter anderem das Recht auf eigene Münzen, Masse und Gewichte, deren Verbreitung den wirtschaftlichen Einfluss der Stadt belegt. Von Anfang an stand den Stadtbehörden die Gerichtsbarkeit zu. Dem Blutgericht sass der Schultheiss als Vertreter des Reichs vor. 1365 erweiterte Kaiser Karl IV. den Jurisdiktionsbereich des Stadtgerichts (Gerichtswesen), und 1398 erhielt Bern das Evokationsprivileg. Vom 15. Jahrhundert an amtete der bernische Rat (bzw. ein Ratsausschuss) als Blut- und Appellationsgericht über den grössten Teil des Herrschaftsgebiets. Ihre Landesherrschaft verstand die Reichsstadt Bern als Vertretung des Reichs. Nach der königlichen Bestätigung der Reichspfandschaften Laupen und Hasli 1348 erhielt die Stadt 1365 das generelle Recht, Reichslehen zu erwerben, 1379 die Erlaubnis, selber Reichsgut weiterzuverleihen. Eine wesentliche Grundlage dieser Landesherrschaft bildeten die Rechte der Landgrafschaft, die Bern 1406 rechts der Aare, 1408 im Emmental und 1426 im Buchsgau erworben hatte. 1437 liess sich Bern erstmals im gesamten Herrschaftsgebiet einen Untertaneneid schwören (Huldigung; Reispflicht, Friedenswahrung). Von 1458 an benötigten die bernischen Twingherren für auswärtige Burgrechte und fremde Kriegsdienste die Zustimmung des Rats, und ab 1459 beanspruchte die Stadt ein Vorkaufsrecht auf deren Gerichtsherrschaften. Das Streben des Rats nach grösseren Herrschaftskompetenzen in den Twingherrschaften führte zum Twingherrenstreit: In der Folge setzte Bern in allen nur mittelbar unterstellten Herrschaften die sogenannten fünf Gebote durch (Anberaumung von Landtagen, Truppenaufgebot und Harnischschau, öffentliche Fuhrleistungen, Besteuerungsrechte, Gerichts- und Polizeikompetenzen).
Territoriale Entwicklung Berns
[…]
Im korporativ geordneten bernischen Herrschaftsbereich des 14.-15. Jahrhunderts waren der Grosse Rat der Stadt Bern (oft mehr als 400 Mitglieder) und dessen Regierungsausschuss, der Kleine Rat (27 Mitglieder: amtierender und stillstehender Schultheiss, Seckelmeister, vier Venner, zwei Heimlicher von Burgern, 18 Ratsherren), die oberste politische, rechtliche und militärische Instanz des gesamten Territoriums. Vom 15. Jahrhundert an ergänzten sich die Behörden in den Osterwahlen weitgehend selber; die Stadtgemeinde trat nicht mehr in Erscheinung. Der Rat übte die Landesherrschaft aus über die vier Kirchspiele, die zum Stadtgericht gehörten, ferner über die vier Landgerichte Sternenberg, Seftigen, Konolfingen und Zollikofen, die je einem Venner unterstanden (ortsansässige Freiweibel als Statthalter), sowie über die Landvogteien unter bernburgerlichen Verwaltern. Diese Vögte vertraten von ihren Amtssitzen (Schlössern) aus Berns Landesherrschaft, hatten sich aber an das von Bern bestätigte lokale Recht (Handfesten der Städte, Landsatzungen) zu halten. Dieses garantierte gewisse herrschaftliche Kompetenzen und eine recht weitgehende Selbstverwaltung. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an wurden Volksanfragen durchgeführt. Die allmähliche Auflösung der mittelalterlichen Sozialordnung durch den geförderten Loskauf Unfreier und die Ausdehnung öffentlicher Pflichten auf diese (Wehrdienst, Steuern, Treueeid) verstärkten bereits vor der Reformation den Wandel von der städtischen Landesherrschaft zum Territorialstaat.
Wehrwesen im Spätmittelalter
Autorin/Autor:
Georges Grosjean
Grundsätzlich schuldete jeder Bürger der Stadt Bern Wehrdienst, auf eigene Kosten, mit eigener Waffe und Ausrüstung. Mit dem Privileg König Sigismunds von 1415 verfügte Bern über das Aufgebotsrecht in seinem ganzen Territorium. Eine permanente Truppenorganisation und taktische Gliederung der Streitkräfte bestand nicht. Für die Auszüge hatten die Gesellschaften der Stadt Bern, die Landstädte und Vogteien ihre Kontingente unter eigenen Hauptleuten und Feldzeichen zu stellen. Um die ungleiche Belastung von Auszügern und nicht Aufgebotenen zu mildern, wurden vom 14. Jahrhundert an durch die Korporationen und Gemeinden Reisgeldkassen angelegt, um ihre Auszüger zu entschädigen (Reisläufer). Zu einem grossen Auszug mit dem Banner unter dem Befehl des Schultheissen gehörten im 15. Jahrhundert in der Regel 6000 Mann, etwa ein Drittel des gesamten Mannschaftspotenzials. Ausnahmsweise und in eigener Sache wurden auch Auszüge von 10'000-12'000 Mann ins Feld geschickt. Die oft jahrelangen Abnützungskriege wurden vorwiegend mit Aufgeboten unternehmungslustiger Freiwilliger unter einem Fähnlein geführt, für Garnisonen oft Söldner verpflichtet. Armbrust- und vom 15. Jahrhundert an auch Büchsenschützen zur Verteidigung und Belagerung fester Plätze wurden gefördert (erstmals erwähnt in der Stadtrechnung von 1375). Der Einsatz von Pulvergeschütz auf bernischer Seite ist erstmals 1383 im Burgdorferkrieg bezeugt. Das Rossbanner, unter dem die adligen Lehensträger der Stadt Bern dienten, hatte nur im Aufklärungs- und Vorpostendienst sowie im Kleinkrieg eine gewisse Bedeutung.
Staatsbildung, Regieren und Verwalten in der frühen Neuzeit
Autorin/Autor:
François de Capitani
Die drei Jahrhunderte bernischer Politik zwischen der Reformation und der Helvetik sind geprägt durch den Ausbau und die Festigung der staatlichen Herrschaft, durch die militärische, aber kampflose Angliederung der Waadt (1536) mit ihren Folgen für die Verwaltung «Welschberns». Gleichzeitig stabilisierten sich das eidgenössische Bündnisgeflecht und die Position Berns – des grössten Stadtstaats nördlich der Alpen – im entstehenden europäischen Staatensystem.
Das Regiment im Innern
Autorin/Autor:
François de Capitani
Staatliche Verwaltungsstruktur der Republik Bern im 18. Jahrhundert (Deutschbern)
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Im 15. Jahrhundert hatten sich die Eingriffe des Rats in kirchliche Angelegenheiten (Klosterzucht, -verwaltung) gemehrt. Nach der Berner Disputation führte die Obrigkeit mit dem Ratsmandat vom 7. Februar 1528 die Reformation in Bern ein und übernahm die ehemalige bischöfliche Gewalt über Kirche, Sittenzucht (Sittenmandate), Schule und Armenwesen. Die bernische Landeskirche wurde damit zur kräftigen Stütze beim Ausbau des frühneuzeitlichen Staats. In aller Schärfe traten die schwelenden Konflikte zwischen den vereinheitlichenden Tendenzen der Obrigkeit und den auf ihre gewachsenen Rechte pochenden Landschaften zutage. Nur mit Mühe gelang es, im Berner Oberland den neuen Glauben durchzusetzen. Die Aufstände im Oktober 1528 wurden niedergeschlagen, führten aber zu äussersten Spannungen mit Obwalden. Dem Machtanspruch der weltlichen und geistlichen Obrigkeit erteilten auch die Täufer eine grundsätzliche Absage. Trotz härtestem Durchgreifen gelang es der bernischen Obrigkeit nicht, dieser Bewegung endgültig Herr zu werden. Besonders im Emmental regten sich bis zum Ende des Ancien Régime immer wieder Täufergemeinden, die brutal verfolgt wurden. Neben die gewachsene politische Struktur der Landvogteien trat eine straff organisierte kirchliche Verwaltung mit Dekanaten und einer Synode (die allerdings nach 1615 nicht mehr einberufen wurde). In den Kirchgemeinden urteilten Chorgerichte unter dem Vorsitz des Pfarrers über Sitte und Moral.
Staatliche Verwaltungsstruktur der Republik Bern im 18. Jahrhundert (Welschbern)
[…]
Im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts sah sich die Obrigkeit vor verschiedene neue Aufgaben gestellt. Neben dem Ausbau und der Reorganisation des Wehrwesens gaben Armenfürsorge und Wirtschaftspolitik grosse Probleme auf. Die kirchlichen Fürsorgeeinrichtungen bzw. ihre säkularisierten Nachfolgeorganisationen genügten den Anforderungen nicht mehr. Das Armenwesen wurde neu den Gemeinden übertragen, und zwar je nach Gegend der Kirchgemeinde oder der Dorfgemeinde. In Verbindung damit wurde das Bürgerrecht neu definiert. In der Stadt Bern hatte die Klärung der Bürgerrechtsfrage schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts ihren Abschluss gefunden: Etappenweise war 1643-1651 das städtische Bürgerrecht abgeschlossen worden. Neuzuzüger konnten sich nur noch als Ewige Einwohner oder Habitanten niederlassen. Die städtischen Gesellschaften (Zünfte) wurden zu Grundeinheiten der bernischen Burgerschaft. Wie den Dorfgemeinden wurde ihnen mit der Bettelordnung von 1676 das Armenwesen übertragen.
Im Zeitalter des Merkantilismus wurde auch in Bern die Wirtschaftspolitik zur Aufgabe der Räte. Die 1687 errichtete Kommerzienkammer (ab 1695 Kommerzienrat) suchte durch Eingriffe in den Waren- und Geldverkehr die Landesversorgung sicherzustellen. Nur geringen Erfolg hatten die zahlreichen Versuche, gewinnversprechende Gewerbe und Manufakturen – wie zum Beispiel die Seidenindustrie – ins Land zu ziehen. Kapitalmangel und die Dominanz agrarischer Investitionen konnten nicht überwunden werden. Hingegen gelang es durch eine langfristige Vorratshaltung, Krisen der landwirtschaftlichen Produktion wenn nicht zu vermeiden, so doch zu dämpfen.
Staatliche Verwaltungsstruktur der Republik Bern im 18. Jahrhundert (Aargau)
[…]
Vor dem Hintergrund der wachsenden Staatsaufgaben bildete sich vom 16. Jahrhundert an ein eigentlicher Magistratenstand aus, der sich gegenüber der übrigen Bürgerschaft mehr und mehr abschloss. Die endgültige Schliessung des Bürgerrechts 1651 bildete die Grundlage für die Ausbildung eines aristokratischen Regierungssystems (Patrizische Orte), in dem sich nur wenige Familien die einträglichen Ämter teilten. Die Gemeindeversammlung wurde im 16. Jahrhundert nur noch selten, später überhaupt nicht mehr einberufen. Die Abschliessung des Bürgerrechts hatte zur Folge, dass sich der Kreis der regimentsfähigen Familien (1650 540, 1784 243) zunehmend verkleinerte. Zaghafte Reformen in den letzten Jahren des Ancien Régime vermochten die Machtkonzentration nicht aufzubrechen: Ein ausgeklügeltes Kooptationssystem garantierte die Kontinuität der Geschlechter im Grossen Rat, und nur Grossräte konnten die höhere Ämterlaufbahn einschlagen. Der Grosse Rat, auch Rat der Zweihundert genannt, zählte vollständig 299 Mitglieder und wurde nach 1683 nur etwa alle zehn Jahre ergänzt, wenn die Zahl der Grossräte unter 200 gesunken war. Die Selbstergänzung erlaubte es, die bestehende Geschlechterherrschaft (Patriziat) durch Wahlabsprachen stabil zu halten. Fünfzig bernische Landvogteien und mehrere Vogteistellen in den gemeinen Herrschaften sowie zehn Direktionsposten in der Verwaltung (z.B. Bau-, Salzdirektor) bildeten das wirtschaftliche Rückgrat der Magistratur, der sich das Patriziat immer ausschliesslicher widmete. Ein kompliziertes System von Wahl und Los sollte dem Ämterkauf entgegenwirken. Nur die Einkünfte aus dem Grundbesitz galten neben den Staatsgeschäften und dem Kriegsdienst als standesgemässe Lebensgrundlage.
Das politische System der Republik Bern im Ancien Régime
[…]
Das Verhältnis zwischen dem Grossen und dem Kleinen Rat, dem eigentlichen Führungsgremium des Staats, war nicht spannungsfrei. Wiederholt kam es zu Kompetenzstreitigkeiten, die nie völlig ausgeräumt werden konnten. Als 1681 das wachsende politische Übergewicht des Kleinen Rats in Frage gestellt wurde, kam es zu einer grundsätzlichen Klärung der Kompetenzen. Die Souveränität wurde dem Grossen Rat zugesprochen, die Macht des Kleinen Rats und der zuvor allmächtigen Vennerkammer (bestehend aus den Vennern und den Seckelmeistern) entscheidend eingeschränkt. In einer grossen Zahl von Kommissionen, Räten und Ausschüssen – zeitweise mehr als 40 – wurden die Fachgeschäfte vorbereitet und den Räten zur Entscheidung vorgelegt. Vom 18. Jahrhundert an gewann der Geheime Rat, ein Ausschuss des Kleinen Rats, an Gewicht, besonders in der Führung auswärtiger Angelegenheiten.
Aristokratisierung und Professionalisierung der Politik gingen einher. Der von den Regierungsgeschäften faktisch ausgeschlossenen Bürgerschaft blieb im öffentlichen Bereich nur der Zugang zu den Pfarrstellen und untergeordneten Beamtungen offen. Die latente Unzufriedenheit mit der Verfassungsentwicklung brach 1749 in der schlecht geplanten und sofort niedergeschlagenen Henzi-Verschwörung auf, als einige zurückgesetzte Bürger gewaltsam die gleichmässigere Verteilung der städtischen Privilegien innerhalb der Bürgerschaft durchsetzen wollten.
Trotz grosser Anstrengungen in einzelnen Gebieten gelang es der Stadt nicht, in der Landschaft einheitliche Verwaltungsstrukturen durchzusetzen. Die Vielfalt der Herrschaftsverhältnisse und der landschaftlichen Partikularrechte blieb bestehen. Neben den Landstädten mit weitreichender Selbstverwaltung und eigener Oberschicht (z.B. Burgdorf) bestanden verschiedenste Abstufungen lokaler Selbstverwaltung unter der Oberhoheit der Stadt Bern bzw. des bernischen Landvogts. Der Widerstand gegen neue Abgaben (Feudallasten) und Vereinheitlichungsmassnahmen blieb durch das ganze Ancien Régime hindurch ungebrochen. An der Einführung einer Wehrsteuer entbrannten 1641 besonders im Emmental und im Amt Thun Aufstände, die nur nach grossen Zugeständnissen Berns beigelegt werden konnten.
Der Bauernkrieg von 1653 war zugleich Höhepunkt und Abschluss der zweihundertjährigen Auseinandersetzung um die Partikularrechte im bernischen Staat. Es war das letzte Mal, dass ein landständisches Element in die Verfassungsdiskussion des Ancien Régime getragen wurde. Der blutig niedergeschlagene Aufstand zeigte sowohl die Grenzen landschaftlichen Autonomiestrebens wie auch jene einer obrigkeitlichen Modernisierung der politischen Strukturen auf. Der einsame Aufstand des Majors Jean Daniel Abraham Davel 1723 in der Waadt war ein spätes Echo dieser Auseinandersetzung. Er stiess bei Regierung wie Untertanen auf Ablehnung und Unverständnis.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wandelte sich das Regierungsverständnis bei Obrigkeit und Untertanen von Grund auf: Der unpersönliche Staat ersetzte auch in Bern das Bild der christlich-landesväterlichen Obrigkeit. Die steigenden Anforderungen an den Staat und an seine Verwaltung, vor allem auf dem Gebiet des Armenwesens, gerieten in Widerspruch zum althergebrachten Prinzip des sparsamen Haushaltens. Die sich konstituierende politische Öffentlichkeit der Aufklärung forderte ihre Rechte. Die Diskussion um den Staat und seine Zukunft wurde in Zirkeln, Salons und Gesellschaften (Sozietäten) zum selbstverständlichen politischen Engagement, an dem sich nicht nur die Patrizier, sondern auch die reichen und gebildeten Kreise der grossen und kleinen Städte beteiligten. Besonders im Aargau und in der Waadt entstand in den Jahrzehnten vor der Revolution eine neue Elite von Unternehmern, die ihren Anspruch auf eine Machtbeteiligung nicht mit überlieferten Partikularrechten begründeten, sondern mit dem naturrechtlich abgestützten Hinweis auf Besitz und Bildung. Politische Machtverhältnisse und Wirklichkeit des Ancien Régime klafften immer weiter auseinander. Zwar anerkannte man allgemein die weitgehende Unbestechlichkeit, Fachkompetenz und Rechtschaffenheit der meisten Magistraten, lehnte aber die paternalistische Wirtschaftsordnung, die allgegenwärtige – wenn auch wenig effiziente – Zensur und kirchliche Bevormundung sowie die krasse Privilegierung einiger weniger Familien ab. Im Guten wie im Schlechten wurde Bern in ganz Europa zum Inbegriff des aristokratischen Ancien Régime.
«Die misslungene Bärenjagd». Balthasar Anton Dunkerzugeschriebene Karikatur (Musée historique de Lausanne).
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Der Ausbruch der Französischen Revolution stiess in den bernischen Untertanengebieten auf grosse Resonanz. Unruhen in der Waadt, besonders 1791, die Bedrohung der Nordgrenzen ab 1792 und die schleichende Desintegration bedrohten das Ancien Régime im Kern. Für die Anhänger der Revolution wurde Bern zum eigentlichen Symbol der alten Ordnung. Nachdem 1797 die Schweiz nach dem Frieden von Campoformio ins Visier der französischen Kriegspolitik geraten war, zerfiel der bernische Staat innert weniger Monate. Am 2. Februar 1798 wurde der Grosse Rat durch 52 Abgeordnete der Landschaft ergänzt und eine neue Verfassung in Angriff genommen. Freiheitsbewegungen in der Waadt und im Aargau, Unruhen in Stadt und Land und die direkte Bedrohung durch die französischen Armeen erlaubten aber keine Erneuerungen mehr. Am 5. März 1798 wurde die Stadt Bern nach den Schlachten bei Neuenegg und im Grauholz von französischen Truppen besetzt (Franzoseneinfall).
Bern in der Eidgenossenschaft
Autorin/Autor:
François de Capitani
Die Spaltung der Eidgenossenschaft in zwei konfessionelle Blöcke bestimmte nach der Reformation auch Berns eidgenössische Politik. Zusammen, teils aber auch in Rivalität mit Zürich (Tessiner Refugianten im 16. Jahrhundert) kontrollierte Bern weitgehend das Bündnissystem zwischen den reformierten Orten. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Reformierten und Katholiken in den beiden Kappelerkriegen (Landfriedensbünde) liess sich kein Konsens mehr über die Reform des Bündnissystems finden. Reformversuche im 17. Jahrhundert scheiterten: Im Ersten Villmergerkrieg 1656 unterlagen Bern und Zürich den katholischen Orten der Innerschweiz; eine tief greifende Erneuerung der eidgenössischen Bünde war damit unmöglich geworden. Letztmals im Ancien Régime standen sich die konfessionellen Blöcke 1712 im Zweiten Villmergerkrieg gegenüber. Der Sieg der Reformierten änderte an der grundsätzlichen Problematik der erneuerungsbedürftigen Bündnisse nichts, sondern verschob nur unwesentlich die Anteile an den gemeinen Herrschaften. Die überkommene Bundesstruktur stand im 18. Jahrhundert immer deutlicher im Widerspruch zur faktischen Dominanz der Städte Bern und Zürich in der Führung der Bundespolitik. Die Bedrohung im Dreissigjährigen Krieg, die Entlassung aus dem Reich im Westfälischen Frieden von 1648 und die französische Expansionspolitik im Westen liessen Bern eine Vorkämpferrolle für die eidgenössischen Defensionalordnungen von 1647 und 1668 einnehmen.
Eroberung der Waadt 1536. Holzschnitt aus der 1548 in Zürich erschienenen Chronik der Eidgenossenschaft des Johannes Stumpf (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara).
[…]
Wichtiger als gesamteidgenössische Regelungen wurden allerdings bilaterale Unternehmungen. So bildeten die gemeinsame Erwerbung der Grafschaft Greyerz durch Bern und Freiburg 1555 oder die Einigung mit dem Fürstbischof von Basel im Bieler Tauschhandel von 1599 über die Einflusssphären in Biel und im Gebiet der Propstei Moutier-Grandval die Grundlage für ein stabiles politisches System im südlichen Jura. Das gemeinsame Interesse der Städte gegenüber unruhigen Untertanen bewirkte im ganzen Ancien Régime über konfessionelle Schranken hinweg eine besonders enge Zusammenarbeit Berns mit Luzern, Freiburg, Solothurn und dem Fürstbischof von Basel. Vom Stanser Verkommnis von 1481 über die Bauernkriege (1525 und 1653) bis zu den vorrevolutionären Aufständen des ausgehenden 18. Jahrhunderts bildete diese Herrschaftssolidarität ein wichtiges Band der eidgenössischen Politik Berns. Die Bündnistreue war gekennzeichnet von politischer Vermittlung und militärischer Unterstützung. Nach der Eroberung der Waadt 1536 verband ein enges Bündnis auch die Stadt Genf mit Bern. Der Schutz der reformierten Rhonestadt vor den Ansprüchen Savoyens wurde zu einer zentralen Aufgabe bernischer Bündnispolitik. Das starke Engagement Berns im Westen und seine Bündnisse mit den reformierten Städten Genf, Neuenburg, Biel und Mülhausen im Umfeld seines Machtgebiets stärkten seine Stellung innerhalb der Eidgenossenschaft. Sie erschwerten aber auch jede Reform der eidgenössischen Bünde. Bern wurde zum wichtigsten Ordnungsfaktor im westlichen Gebiet der Eidgenossenschaft. Dies führte besonders bei seinem wiederholten militärischen Eingreifen in die Genfer Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu Spannungen. Ebenso belastet war die Beziehung zum 1707 an Preussen gefallenen Fürstentum Neuenburg, wo Bern im Konflikt zwischen der Stadt und dem preussischen König 1768 vermittelnd intervenierte.
Bern und das europäische Staatensystem
Autorin/Autor:
François de Capitani
Die bernische Westpolitik war durch die Auseinandersetzungen mit Savoyen und Frankreich bestimmt. Die Eroberung der Waadt, des Pays de Gex und von Teilen des Chablais 1536 führte zu wiederholten Waffengängen. 1564 verlor Bern im Lausanner Vertrag seinen Anteil am Chablais und die Vogtei Gex an Savoyen. Zu einem dauerhaften Frieden mit Savoyen kam es jedoch erst 1617. Nach der Abtretung des Pays de Gex 1601 an Frankreich grenzte die Eidgenossenschaft erstmals an die westliche Grossmacht, die durch den Erwerb des Elsasses 1648 und der Freigrafschaft Burgund 1674 für Bern noch an Bedeutung gewann. Die wirtschaftliche und politische Annäherung an Frankreich bestimmte in der Folge die bernische Aussenpolitik. Die Allianz von 1668 mit Frankreich, 1777 erneuert, bildete einen Eckstein der eidgenössischen Politik und ihrer Integration in das entstehende europäische Staatensystem. Bei aller Nähe zu Frankreich suchte man doch sorgfältig die Distanz zu wahren. Im Neuenburgerhandel 1699 und im Spanischen Erbfolgekrieg 1701-1714 widersetzte sich Bern vehement den französischen Expansionsgelüsten. Verbindungen mit England und den Niederlanden sollten ein Gegengewicht gegen die oft bedrohliche Stärke Frankreichs bilden. Als wichtiges Instrument der bernischen Politik erwiesen sich die Anleihen, die Bern den Niederlanden, England, deutschen Städten und Fürsten, nicht aber Frankreich gewährte. Sie dienten nicht nur der einträglichen Anlage des bernischen Staatsschatzes, sondern ebenso sehr der Stärkung eines politischen Gleichgewichts in Europa. Bis zur Revolutionszeit blieb Bern im 18. Jahrhundert – wie die übrige Eidgenossenschaft – im Schatten der grossen europäischen Auseinandersetzungen. Neben der engen Verbindung zu Frankreich bildete die weltweite Solidarität mit den reformierten Glaubensbrüdern eine weitere Konstante der bernischen Politik (Protestantische Glaubensflüchtlinge). Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 fanden mehrere tausend Hugenotten im Land Aufnahme; eine ungleich grössere Zahl (ca. 45'000) passierte bernisches Gebiet auf der Durchreise. Auch für die vertriebenen Waldenser aus dem Piemont setzte sich Bern ein. Schottland, die Niederlande und Ungarn waren die Eckpunkte in diesem reformierten Beziehungsgeflecht.
Wehrwesen im Ancien Régime
Autorin/Autor:
Georges Grosjean
Vom 16. bis 18. Jahrhundert vollzog sich der Wandel vom Kontingentsheer, das im regionalen Denken verhaftet war, zur bernischen Staatsmiliz. Begleitet war er von der Entwicklung vom ungegliederten Schlachthaufen mit Spiess und Halbarte zur kunstvollen Lineartaktik mit der Feuerwaffe, die ein Exerzieren auch in Friedenszeiten verlangte. Die Wahrung der Neutralität erforderte während der mehrjährigen Kriege zwischen den europäischen Grossmächten statt mächtiger, kurzzeitiger Aufgebote einen langdauernden Bereitschaftsdienst, auch ausserhalb bernischen Gebiets. Die Besoldung aus dem Reisgeld und die Gewohnheit, zum Auszug nur sesshafte «Hausväter» einzuteilen, eigneten sich dafür nicht. Zudem hatten die durch ein Teilaufgebot belasteten Landesteile auch noch die Kosten zu tragen, und die rasche Mobilmachung grösserer Truppenkörper verlangte regionale Rekrutierungen. Die grossen Auszüge aus ungleichen Kontingenten unter der beschränkten Befehlsgewalt des Berner Schultheissen versagten in den Kriegen des 16. Jahrhunderts.
Nach einer längeren Reformphase war 1610 die Mannschaft des Auszugs in vier Freifähnchen zu 300 Mann sowie in zwei grossen Auszügen von 6000 Mann organisiert. Jeder der 13 Rekrutierungsbezirke stellte ein Fähnchen von aus dem Reisgeld besoldeten Hausvätern, zusammen 13'200 Mann. Die Truppenordnung von 1628-1629 bildete aus dieser Zahl sechs regional rekrutierte Regimenter von Hausvätern, zusammen 66 Kompanien zu 200 Mann; die Hälfte davon waren Musketiere. 1651 wurde die nicht im Auszug eingeteilte Mannschaft in 118 Mannschaftskompanien organisiert. Mit zunehmender Bevölkerungszahl wurden ab 1667 aus jungen, ledigen Männern weitere Regimenter aufgestellt, die bei Mobilmachung aus dem Stadtsäckel besoldet und aus Zeughäusern mit dem neuen Steinschlossgewehr ausgerüstet wurden. So bestand die bernische Infanterie 1721 aus sechs Auszugsregimentern (13'200 Mann), acht Füsilierregimentern (9600 Mann), dem Sukkursregiment für Genf in der Waadt (1014 Mann) sowie den 118 Mannschaftskompanien (21'000 Mann) der Territorialtruppe. Im Zweiten Villmergerkrieg waren alle Truppen des Auszugs aus der Staatskasse besoldet, uniformiert und mit dem Steinschlossgewehr ausgerüstet. Im Feld erhielt das Heer eine neue taktische Gliederung in Bataillone und Brigaden, was dem 1656 geschaffenen dreizehnköpfigen Kriegsrat (Vorsitzender, vier Kleinräte, acht Grossräte) erlaubte, tüchtige, aus fremden Diensten heimgekehrte Offiziere mit einem höheren Kommando zu betrauen. Die mühsam nach 1668 aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht aufgestellte Kavallerie blieb wenig tauglich.
Gegen Ende der Friedenszeit des 18. Jahrhunderts, in welcher viel und umständlich experimentiert und reorganisiert wurde, präsentierte sich das bernische Heer folgendermassen: Das Staatsgebiet war in 21 Regimentskreise eingeteilt, von denen jeder zwei «ausgezogene» oder «Selectbataillone» (je ein Grenadier- und Musketierbataillon) zu 500 Mann stellte. Diese bildeten zusammen das «kleine Regiment». Der Auszug oder die «regulierte Miliz» bestand aus den 21 kleinen Regimentern (total 21'000 Mann), den selbstständigen Bataillonen von Büren an der Aare und Avenches (1000 Mann), 14 Jäger- und acht Scharfschützenkompanien (2434 Mann), vier Dragonerregimentern (ca. 1000 Mann), 24 Artilleriekompanien (1960 Mann), dem Ingenieurkorps und der Besatzung der Flottille auf dem Genfersee – insgesamt rund 28'000 Mann. An Artilleriematerial lagen 1790 in den Zeughäusern und Schlössern des Landes 499 Geschütze verschiedenen Alters und unterschiedlicher Qualität. Einen besonderen Ruf genossen um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Rohre der Familie Maritz aus Burgdorf. Die Dragoner erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen nicht; das Artilleriepersonal dagegen galt als hervorragend. Bei drohender Gefahr konnten aus der übrigen Mannschaft der Regimentskreise noch je vier Füsilierbataillone (insgesamt 48'000-50'000 Mann) formiert werden, die aber nicht die Qualität der Selectbataillone erreichten. Die gesamte eingeschriebene, dienstpflichtige, bewaffnete und tageweise auf den Exerzierplätzen gedrillte Miliz umfasste Ende des 18. Jahrhunderts 78'000-80'000 Mann, was etwas weniger als einem Fünftel der Bevölkerung des Staats Bern entsprach.
Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur vom Hochmittelalter bis ins 18. Jahrhundert
Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Im Gebiet des heutigen Kantons Bern wuchs die Bevölkerung in der klimatischen Gunstphase von 1000-1300 mehr oder weniger kontinuierlich an. Ausdruck dieser Expansion ist die Gründung einer Kette von befestigten Plätzen und Marktorten am Südfuss des Juras und im Seeland (u.a. La Neuveville, Le Landeron, Erlach, Aarberg, Nidau, Büren und Wangen an der Aare, Wiedlisbach) sowie entlang der Stufe zwischen tieferem und höherem Mittelland (Murten, Oltigen, Gümmenen, Laupen, Bern, Burgdorf). In der Herrschaft Erlach überlagerte eine deutschsprachige Besiedlung die französischsprachige burgundische Bevölkerung. Nach 1300 besiedelten Walser das hintere Lauterbrunnental (u.a. Gimmelwald, Mürren) vom Lötschental her. Im 14. Jahrhundert ging die Bevölkerung als Folge einer Klimaverschlechterung und der Pestzüge längerfristig zurück. Ein Teil der ländlichen Bevölkerung wanderte in die Städte ab, Ackerland wurde als Weide genutzt, der Wald drang vor. So häuften sich zum Beispiel im Einflussgebiet des Klosters St. Urban in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Wüstungserscheinungen: Vor allem ertragsärmere Böden in Randlagen wurden aufgegeben, Kleinsiedlungen verödeten. Viele spät gegründete Städtchen verloren in einem entvölkerten Umland ihre kaum gewonnenen Zentrumsfunktionen. Im Berner Oberland war der demografische Rückschlag wohl weniger schwerwiegend als im Mittelland. Im 15. Jahrhundert war das Gebiet des Kantons Bern weniger dicht besiedelt als dasjenige der benachbarten Kantone. Die Rekultivierung zuvor wüstgefallener Flächen, Güterteilungen, vermehrte Nutzungskonflikte, Rodungen im höheren Mittelland sowie die Landnahme in den Schachen (Auwäldern) des Emmentals deuten darauf hin, dass die Bevölkerung nach 1450 und vor allem in der klimatischen Gunstphase 1530-1564 kräftig anwuchs: 1499-1559 nahm die Zahl der Feuerstätten in den emmentalischen Ämtern jährlich um 1,4% zu. Im Zuge steigender Bevölkerungszahlen wuchs neben dem ländlichen Bauern- und dem städtischen Handwerkerstand vor allem die Schicht von landarmen und landlosen Kleinhandwerkern, Taunern und Armengenössigen. Um die Not dieses ländlichen Proletariats zu lindern, bewilligte die bernische Obrigkeit in den 1560er und 1570er Jahren Ausbausiedlungen (Siedlung) in Allmenden und Waldgebieten.
Bis ins 18. Jahrhundert muss die Bevölkerungsentwicklung geschätzt werden. Wichtigste Grundlagen dafür sind für den sogenannten Alten Kantonsteil Feuerstättenzählungen (1499, 1558/1559, 1653), für den heutigen Südjura die Haushalt- und Mannschaftsverzeichnisse des Fürstbistums Basel. 1558/1559 dürften im Alten Kantonsteil 58'000-64'000 Einwohner gelebt haben. 1565-1630 häuften sich als Folge einer Klimaverschlechterung kalte Frühjahrsperioden und nasse Sommer. Zudem wurde Bern mehrmals (1564-1567, 1577, 1583, 1628-1630, 1669-1670) von der Pest heimgesucht, bevor Quarantänemassnahmen ihre weitere Einschleppung verhinderten. Daher wies das Kantonsgebiet (in den Grenzen von 1980) 1653 erst 110'000-120'000 Einwohner auf. In der Folge wechselten klimabegünstigte Wachstumsphasen (1654-1688, 1720-1740) mit Phasen des Rückgangs (Teuerung 1688-1694) und der Stagnation (1740-1770) ab. Die Auswanderung ins Elsass (nach 1650 in die Grafschaft Hanau-Lichtenberg), Ende des 17. Jahrhunderts nach Brandenburg und im 18. Jahrhundert nach Carolina (1710 Gründung von New Bern) zog ebenso wie die fremden Dienste keine nennenswerten Bevölkerungsverluste nach sich; die Bevölkerungszahl von 1730 wird für das Kantonsgebiet in den Grenzen von 1980 auf 193'000 Seelen geschätzt. Durch eine Ruhrepidemie, die 1750 5% der Bevölkerung, meist Kinder und Jugendliche, dahinraffte, fiel Bern gegenüber den Nachbargebieten bis um 1800 im Wachstum zurück. Die nach 1760 spürbaren Auswirkungen der Epidemie (Mangel an Arbeitskräften und Wehrfähigen) wurden als Zeichen zunehmender Entvölkerung gedeutet. Sie veranlassten die Obrigkeit 1764 zur Durchführung der ersten Volkszählung, die (einschliesslich der geschätzten Zahlen für den südjurassischen Kantonsteil) 200'000 Einwohner auswies. In den Grenzen von 1764 zählte der Kanton Bern 323'008 Einwohner, wovon 112'346 in der Waadt und 40'276 im Berner Aargau. Nach 1770 beschleunigte sich das Wachstum bis zur Helvetik (1798 231'768 Einwohner), vor allem durch zunehmende innereheliche Fruchtbarkeit. Die Verluste durch Wanderung in die damals bernische Waadt, ins Fürstentum Neuenburg und ins Fürstbistum Basel blieben gering. Die geografische Mobilität wurde durch erschwerten Liegenschaftenerwerb sowie durch Einzugs- und Hintersassengelder wirkungsvoll kontrolliert; Almosenempfängern wurde die Eheschliessung ab 1743 aus sozialpolitischen Gründen verweigert.
Die Bevölkerungsentwicklung verlief regional unterschiedlich. Im Südjura stagnierte sie von 1722/1723-1770/1771. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts stiegen die Geburtenüberschüsse an (Uhrenindustrie im heutigen Amtsbezirk Courtelary), doch wurde das Wachstum durch Abwanderung gedämpft. Die heimindustrielle Durchdringung des Oberaargaus äusserte sich im 18. Jahrhundert in einer relativ hohen Bevölkerungsdichte. Das Emmental wies bei einem etwas tieferen Heiratsalter und überdurchschnittlicher Fruchtbarkeit die höchsten Geburtenüberschüsse, die höchste Bevölkerungsdichte und eine kontinuierliche Abwanderung auf, die vorwiegend in andere Gebiete des Kantons Bern führte. Das Berner Oberland war nach relativ geringen Bevölkerungsverlusten im 14. Jahrhundert in den militärischen Aufgeboten des 15. Jahrhunderts überdurchschnittlich vertreten. 1500-1764 wies es eine höhere jährliche Wachstumsrate (6,6‰) auf als die mittelländischen Landesteile (5,2‰). 1764-1798 war die Wanderungsbilanz annähernd ausgeglichen. Das im 16. Jahrhundert erst schwach besiedelte Seeland erlebte nach 1653 einen überdurchschnittlichen Zuwachs an Feuerstätten und Einwohnern im Sinne eines «Nachholeffekts».
Wirtschaft
Die Wirtschaftsräume
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Über den gesamten Zeitraum hinweg war der überwiegende Teil der Menschen in der Landwirtschaft tätig. Agrarprodukte machten den Hauptanteil der Exporte sowie (in Form von Zehnten) der Staatseinnahmen aus und bildeten auch die Rohstoffe für das Gewerbe. Entsprechend eng waren die drei historischen Wirtschaftsräume an die agrarischen Nutzungssysteme gebunden: In den Ebenen des tieferen Mittellandes dominierte der Getreidebau in Form der Dreizelgenwirtschaft, in Gunstlagen (v.a. an den Seen) als arbeitsintensive Sonderkultur der Rebbau. Im Gebiet der Feldgraswirtschaft, d.h. im höheren Mittelland und in den Juratälern, trat die Viehwirtschaft stärker hervor. Das Landnutzungssystem im Alpengebiet schliesslich war auf die Viehwirtschaft zugeschnitten; dem Ackerbau kam hier – wie dem Gartenbau in allen Regionen – eine Hilfsfunktion zu. Neben den befestigten Kleinstädten hatten ländliche Marktflecken Zentrumsfunktion für den Warenaustausch ganzer Regionen des höheren Mittellandes, des Alpen- und Voralpenraums. Die ältesten waren die bereits im Spätmittelalter bezeugten Märkte von Aarwangen und Herzogenbuchsee im Oberaargau, Langnau im Emmental, Wattenwil im Gürbetal, Aarmühle im Bödeli, Meiringen im Oberhasli, Frutigen, Saanen und Château-d'Œx im Frutig- und Saanenland. Am bedeutendsten waren jene in Langnau und in Langenthal (1571 errichtet). Dreizehn weitere Märkte wurden von der bernischen Obrigkeit zwischen 1500 und 1700 bewilligt; allein zehn davon im Berner Oberland. Sie dienten hauptsächlich dem Viehhandel und wurden von Händlern aus dem Unterland und dem Wallis (Welschlandhandel) aufgesucht.
Landwirtschaft
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Titelseite einer Publikation der Ökonomischen Gesellschaft von 1769, französische Ausgabe (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
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Titelseite einer Publikation der Ökonomischen Gesellschaft von 1769, deutsche Ausgabe (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
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Im Verlauf des Landesausbaus in der grundherrschaftlichen Blütezeit des 11.-13. Jahrhunderts setzte sich der Getreidebau im Dreizelgensystem durch, wo dies von den naturräumlichen Gegebenheiten her möglich war. Für den Ackerbau ungeeignet blieben unter anderem die Torfböden des Grossen Mooses, die im Hoch- und Spätmittelalter trocken lagen und nur zur Grasgewinnung und als Weide genutzt wurden. Tal- und Berglandwirtschaft unterschieden sich vorerst kaum: Der Getreidebau in Verbindung mit bescheidener Grossvieh- und dominierender Kleinviehhaltung reichte bis in grosse Höhen hinauf; die Alpweiden wurden vorwiegend durch Schafe genutzt. Im Alpenraum traten Getreidebau und Kleinviehzucht nach 1450 zugunsten der Rindviehhaltung zurück: So breitete sich im Simmental zwischen 1515 und 1576 der Grasbau (Wiesen) im Tal auf Kosten des Ackerbaus aus; Heualpen wurden in Sömmerungsweiden umgewandelt. Auch im Frutigland, in den Lütschinentälern und vor allem im Saanenland verlor der Getreidebau, auf kleinen Parzellen mit Hacke und Sichel betrieben, etwas an Boden. Bedeutender blieb er in der nördlichen Randzone des Oberlands und im Oberhasli. Überall im Alpenraum wich das Getreide vom frühen 18. Jahrhundert an teilweise der Kartoffel. Vom späten 16. Jahrhundert an wurde Hartkäse überwiegend im Saanenland und durch Küher (Küherwesen) auf den Emmentaler Alpen hergestellt. Im höheren Mittelland wurden Wies- und Weideland vom späten 14. Jahrhundert an auf Kosten des Ackerlands ausgedehnt, vorhandene Dreizelgenwirtschaften durch die Aufteilung von Allmenden zu privatem Weideland aufgelöst (Einschlagsbewegung). In der Folge brachte der Getreidebau dank besserer Düngung höhere Erträge. Im heutigen Amt Aarwangen breiteten sich um 1500 Wässermatten (Bewässerung) auf Kosten der Äcker aus. In manchen Gebieten des höheren Mittellandes waren die Getreidezelgen im 17. und 18. Jahrhundert mit umzäunten und individuell genutzten Einschlägen (Bünten) durchsetzt. Im tieferen Mittelland veränderte sich die Landnutzung bis um 1750 kaum. Die von der Ökonomischen Gesellschaft propagierten Reformen zur Überwindung der Düngerlücke begannen sich von 1760 an mit Unterstützung der aufgeklärten Obrigkeit im Rahmen der geltenden gemeindlichen Rechtsordnungen schrittweise durchzusetzen. Zu den Reformen gehörten die Aussaat Stickstoff bindender Ackerfutterpflanzen (Futtermittel), die Stallfütterung, der Anbau der Brache, die Aufteilung der Allmenden und die Vermehrung der Grossviehbestände (Agrarrevolution). Die viehwirtschaftliche Produktion konnte ohne Rückgang der Getreideproduktion ausgedehnt werden. Die Entwicklung der Zehnteinkünfte als Indikator der Getreideproduktion zeigt Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Teilen des bernischen Mittellandes und offensichtliche Parallelen zur Bevölkerungsentwicklung: Zunahme bis 1585, Rückgang 1586-1600, Stagnation bis 1670 (im Emmental bis 1650), Zuwachs bis um 1740 (im Emmental bis 1750), erneut Stagnation bis um 1800. Im Seeland fluktuierten die Zehnten vom 16. bis 18. Jahrhundert auf langfristig konstantem Niveau. Die Kartoffel, die zunächst in höheren Lagen als Vieh-, Armen- und Notnahrung diente, fasste im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch im Mittelland Fuss, vor allem in Gärten und Allmenden, denen als Ressource zur Armenversorgung eine wichtige soziale Funktion zukam.
Während des ganzen Spätmittelalters und in der frühen Neuzeit deckte die Getreideproduktion aus dem bernischen Herrschaftsbereich in Normaljahren den Eigenbedarf; meist konnten sogar Überschüsse ausgeführt werden. Nur nach schweren Missernten (Hungersnöte) sah sich die Obrigkeit genötigt, durch Kornkäufe im benachbarten Ausland die Versorgung Not leidender Landesteile mit Brotgetreide sicherzustellen. So sind im frühen 15. Jahrhundert überregionale Getreideimporte ins Berner Oberland und Exporte von Molkenprodukten nur im Zusammenhang mit Teuerungen fassbar.
Eisen, Salz, Holz
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Die vom 14. Jahrhundert an genutzten, qualitativ minderwertigen Eisenerzvorkommen im Oberhasli und das vom späten 16. Jahrhundert an im hinteren Lauterbrunnental gewonnene Eisenerz, Blei und Zinkerz reichten für den Bedarf nicht aus; ihre Verhüttung setzte dem Wald arg zu. Die Salinen bei Bex deckten vom frühen 18. Jahrhundert an nur die Nachfrage in der Waadt und im Berner Oberland. Stets mussten Salz und Eisen (beide meist aus der Freigrafschaft Burgund) importiert werden. Die Erträge aus dem Salzmonopol machten einen bedeutenden Teil der Staatseinnahmen aus. Über die Aare wurde die Hauptstadt per Schiff und Floss mit Bau- und Brennholz aus dem Berner Oberland versorgt (Schifffahrt, Flösserei). Über die Emme wurden bedeutende Mengen Holz bis nach Basel und weiter rheinabwärts exportiert. Mit Blick auf die Erhaltung der Wälder und den Hochwasserschutz schritt die Obrigkeit vor allem im 18. Jahrhundert wiederholt dagegen ein.
Handwerk, Gewerbe, Protoindustrie und Unternehmertum
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Da den stadtbernischen Zünften (bzw. Gesellschaften, wie sie vom 14. Jahrhundert an in Bern hauptsächlich genannt wurden) keine politische Rolle zukam, vermochten sie die im Grundsatz anerkannte Privilegierung des städtischen Gewerbes gegenüber der Landschaft nicht durchzusetzen. Nach 1550 bildeten sich ländliche Zünfte aus hauptberuflichen Meistern aus, die sich mit Ausbildungsnormen und Wettbewerbsbeschränkungen gegen die Konkurrenz gewerblich tätiger Taglöhner zu schützen suchten. Das Aufblühen der Landwirtschaft im 18. Jahrhundert begünstigte die Verdichtung eines im Oberaargau und im Emmental schon im 16. Jahrhundert nachgewiesenen ländlichen Mischgewerbes. Die verschiedenen gewerblichen Tätigkeiten wechselten oft saisonal und waren eng mit der Landwirtschaft verbunden. 1798 lag die Dichte des ländlichen Gewerbes mit 103 Handwerkern auf 1000 Einwohner im Kanton Bern weit über schweizerischen und europäischen Vergleichswerten.
Einziges bedeutendes bernisches Exportgewerbe war bis ins 16. Jahrhundert die Gerberei, die neben einheimischen auch importierte Häute (v.a. von Schafen) zu Leder verarbeitete. Dagegen scheiterten die von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an wiederholten Anstrengungen zum Aufbau eines exportorientierten Wollgewerbes. 1687 entfiel ein Drittel des Importvolumens wertmässig auf Textilien. Erfolglos versuchte die im gleichen Jahr gebildete Kommerzienkammer unter den kurzfristig aufgenommenen hugenottischen Flüchtlingen (Protestantische Glaubensflüchtlinge) Unternehmer längerfristig zum Aufbau von Seiden- und Wollmanufakturen (Manufakturen) zu verpflichten. Die aufgrund der besonderen Böden und klimatischen Gegebenheiten der Schweiz selbst bei geeigneten Schafrassen schlechte Qualität der Wolle erlaubte nur die Herstellung grober Tuche für die einfache Alltagskleidung.
Im 18. Jahrhundert lösten das Emmental und der Oberaargau die Stadt St. Gallen als Zentrum der Leinwandproduktion ab: Der Rohstoff Flachs (Gewerbepflanzen) wurde von der ländlichen Bevölkerung selber in Heimarbeit zu Garn versponnen. Dieses wurde meist auf Lohnbasis zu Tuchen verwoben, die auf dem Markt von Langenthal zum Verkauf gelangten, wo sie ab 1758 einer Qualitätsprüfung durch Tuchmesser unterlagen. Im 18. Jahrhundert fasste auch die Indiennedruckerei in der Stadt Bern und Biel Fuss. Der Zulieferbereich der Baumwollweberei (Baumwolle) dehnte sich in den Oberaargau, jener der Basler Seidenbandweberei (Seide) ins Münstertal (Webstühle) und ins Amt Thun (Schappespinnerei und Seidenkämmelei) aus. Zu einem eigenständigen Exportgewerbe stieg die Handstrickerei und Wirkerei (Bekleidungsindustrie) von Handschuhen, Kappen und Strümpfen auf.
Der Fernhandel versorgte das bernische Staatsgebiet mit Textilien, Metallwaren, Salz, Wein, Zucker und Gewürzen und stellte den Absatz von Getreide, Leder, Fellen, vom 16. Jahrhundert an vor allem von Vieh und Hartkäse sicher. Oft wurde Wein als Gegenfuhr zum Käse eingeführt. Im 18. Jahrhundert exportierte man Leinwand von Langenthal aus vorwiegend nach Frankreich, Produkte der Handstrickerei von Aarau aus nach Westeuropa und Übersee. Im Hochmittelalter wurde Bern von keinem der internationalen Transitwege über die Alpen berührt. Versuche, die Achse über Grimsel- und Griespass zu kontrollieren, scheiterten um 1420 am Widerstand der Oberwalliser. Erst als mit dem Aufblühen neuer Wirtschaftszentren im oberdeutschen Raum und der Eröffnung der Messen in Genf und Lyon im 15. Jahrhundert eine wichtige Transitlinie durch das Mittelland führte, konnte sich Bern in den Exporthandel einschalten. Nach 1420 kam mit der Diesbach-Watt-Gesellschaft ein bedeutendes bernisch-sankt-gallisches Fernhandelsunternehmen auf, das sich dem Handel mit Leinwand, Safran, Pelzen, Wachs und Edelmetallen widmete und in Krakau, Breslau, Nürnberg, Genf, Venedig und Spanien ständige Niederlassungen unterhielt. Bereits in den 1450er und 1460er Jahren nahm aber der Berner Anteil an diesem Fernhandel ab. Gründe waren möglicherweise die kriegerischen Auseinandersetzungen und der Zwang der städtischen Exportgewerbe zur Ruralisierung oder Spezialisierung, sicher aber die zunehmende Zahl attraktiver Stellen für die stadtbernischen Eliten in Verwaltung, Diplomatie und Militärwesen. In der frühen Neuzeit bildete sich ein Magistratenstand aus, der sich vom Handel treibenden und handwerklichen Stadtbürgertum immer deutlicher abhob. 1747 verbot der Berner Grosse Rat seinen Standesgliedern die Beteiligung am Kleinhandel; weiterhin erlaubt blieben Aktivitäten im Grosshandel, im Bank- und Manufakturwesen.
Aufgrund der Militärkapitulationen, die im 17. und 18. Jahrhundert mit Frankreich, den Niederlanden und Sardinien-Piemont (Savoyen) geschlossen wurden, stellte Bern Soldregimenter. Deren Gewinn bringende Kommandostellen behielten sich die regimentsfähigen Familien (v.a. von May, Stürler, von Erlach, von Ernst) selber vor. Während das Soldunternehmertum im 17. Jahrhundert jedoch eine bedeutende Einnahmequelle darstellte, sicherte eine Kompanie im 18. Jahrhundert höchstens noch den standesgemässen Lebensunterhalt des Hauptmanns. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Solddienst zudem als eine vermeintliche Ursache der befürchteten Entvölkerung kritisiert.
Post- und Verkehrswesen
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Posthausschild aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Museum für Kommunikation, Bern).
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1675 machte Bern gegenüber dem kaufmännisch organisierten Botenwesen für sein Territorium ein Postregal geltend und übertrug Organisation und Betrieb dem Jungunternehmer Beat Fischer. In zähen Verhandlungen mit den betroffenen Ständen setzte die Berner Obrigkeit ihren Monopolanspruch durch. Aufgrund ihrer Schnelligkeit und Pünktlichkeit wurde die Fischer'sche Brief-, Paket- und Geldpost bis 1700 zu einem blühenden Unternehmen, das die Kantone Bern, Luzern, Freiburg und Solothurn, die Republiken Wallis und Genf sowie das Fürstentum Neuenburg bediente und über Simplon- und Gotthardpass auch nach Italien führte. Nach dem Tod Fischers wurde das Postimperium gegen Pachtzins von der Familie weitergeführt.
Die Postunternehmer hatten schon lange auf eine Verbesserung der Hauptstrassen gedrängt. 1740 legte Strasseninspektor Friedrich Gabriel Zehender der Berner Regierung sein Memorial vor, in dem er auf die Vorteile eines guten Strassennetzes für die allgemeine Wohlfahrt hinwies und einen systematischen Ausbau der wichtigsten Verbindungen anregte. 1742 bewilligte die Regierung auf Antrag der Zollkammer das Programm Zehenders in seinen Grundzügen und leitete damit eine neue Phase der bernischen Strassenpolitik ein: Hatte man bisher nur dort, wo es unbedingt nötig war, an kurzen Passagen Ausbesserungen vorgenommen, so wurden nun die Hauptstrassen über ihre ganze Länge zu modernen Chausseen mit einheitlichen Breiten und Bauweisen ausgebaut. Vorgängig errechnete man in Projektstudien, welche Linienführungen für den Fiskus die grössten Vorteile erwarten liessen. Für den Strassenbau stellte die Regierung jährlich die eher bescheidene Summe von 6000 Talern zur Verfügung; die Hauptlasten trugen die anliegenden Gemeinden.
Titelblatt zur Rechnungsablage für den Strassenbau im Kanton Bern. Kupferstich vonBalthasar Anton Dunker (Staatsarchiv Bern).
[…]
Bis um 1770 entstand ein Netz von auf die Hauptstadt ausgerichteten Kunststrassen, das im ganzen deutschen Sprachraum als vorbildlich galt. Die weitaus wichtigste Route führte von Brugg (mit Verlängerung nach dem Messeort Zurzach) bzw. Lenzburg (mit Fortsetzung nach Zürich) über Aarburg nach Bern, von dort über Gümmenen und die gemeine Herrschaft Murten in die Waadt und nach Genf. Mit ihr sollte der West-Ost-Transit (Transitverkehr) so lange wie möglich durch bernisches Gebiet geführt werden. Die Berner Regierung musste aber auch Kompromisse mit den benachbarten Kantonen eingehen und andere Routen ausbauen, zum Beispiel die Strecke von Bern nach Neuenegg, diejenige von Murten über Aarberg nach Solothurn und die Abzweigung nach Solothurn bei Schönbühl. Unabhängig vom Strassenprogramm der Regierung bemühten sich auch einige Landstädte um einen Ausbau der für sie relevanten Verbindungen.
Gesellschaft
Hoch- und Spätmittelalter
Autorin/Autor:
Anne-Marie Dubler, Urs Martin Zahnd
Das Gebiet des heutigen Kantons Bern war im Hoch- und Spätmittelalter nur in geringem Masse von Städten durchsetzt, das bürgerliche Element in der Gesamtbevölkerung entsprechend klein. Viele Einwohner der Klein- und Kleinststädte (u.a. Unterseen, Huttwil, Büren an der Aare, Nidau, Laupen, Aarberg) waren auch als Klein- und Gartenbauern tätig und nutzten ihren Anteil an städtischen Weiden und Wäldern. Wirtschaftlich und sozial unterschieden sich diese Städtchen kaum von offenen Flecken wie Langnau, Meiringen oder Frutigen. Selbst in den grösseren Städten Bern, Biel, Burgdorf und Thun mit ihren stärker auf den überregionalen Handel ausgerichteten Gewerben war die Bürgerschaft durch den Markt, die Zuwanderung und die wirtschaftliche Verankerung verschiedener Führungsgruppen (Twingherren) im Agrarsektor eng mit der Landbevölkerung verbunden.
Die meisten Landbewohner gehörten mehreren, sich überschneidenden Rechtsverbänden an: einer dörflich-bäuerlichen Gemeinschaft (Bursami), dem Pfarrsprengel, der Gerichtsherrschaft (Gerichtswesen) und der Grundherrschaft, einige zudem auch der Leibherrschaft. Der grösste Teil des bebauten Bodens war grundherrliches Lehen, für das Arbeitsdienste, Natural- und Geldabgaben zu entrichten waren. In den Rebbaugebieten waren Lohnarbeit und Halbpacht schon früh üblich. Oft setzten sich dörfliche Gemeinschaften aus Lehensleuten verschiedener Grundherren zusammen. Der Grundherrschaft gehörten häufig auch Twing und Bann oder das Kirchenpatronat mit den dazugehörigen Einkünften (Twinghühner, Zehnt usw.). Bis zum Ende des Hochmittelalters übten Adel, Klöster und Stifte diese grund- und gerichtsherrlichen Rechte weitgehend unangefochten aus. Rückendeckung fanden sie einerseits bei den grösseren Dynasten (Kyburg, Habsburg, Savoyen, Neuenburg), andererseits bei der jungen Stadt Bern, mit der sie ins Burgrecht traten und deren Rat verschiedene Adelsgeschlechter regelmässig angehörten. Vom 14. Jahrhundert an geriet dieses Gefüge zunehmend ins Wanken, weil auch die Stadt Bern begann, ihr Umland herrschaftlich zu durchdringen. In der territorialpolitischen Konkurrenz zwischen Stadt und Dynasten gerieten die ländlichen Adligen in wirtschaftliche, soziale und politische Schwierigkeiten, die im 14. und 15. Jahrhundert zu ihrem Niedergang führten. Entweder wurden sie zusammen mit den Häusern Kyburg und Habsburg in der Zeit zwischen dem Laupen- und Sempacherkrieg aus dem Aareraum verdrängt (z.B. von Aarberg, von Nidau, von Burgistein, von Montenach), oder sie stellten sich auf die Seite Berns und übten ihre Herrschaft in der Folge als verburgrechtete Twingherren unter der Oberhoheit der Stadt aus.
Freie Bauern gab es im Spätmittelalter vor allem im Berner Oberland, darunter auch Inhaber von Mannlehen des Reichs. Aufgrund der Spezialisierung in der Landwirtschaft und des damit verbundenen Einstiegs in den überregionalen Warenaustausch (Getreide, Vieh, Viehprodukte, Wein usw.) bildete sich im 14. und 15. Jahrhundert eine ländliche Oberschicht. Einzelne Geschlechter gelangten über den Handel mit Agrarprodukten in die Führungsschicht des bernisches Stadtstaates (Zigerli/von Ringoltingen, von Wattenwyl, von Muleren). Im Mittelland zählte der grösste Teil der Landbevölkerung im 13.-15. Jahrhundert zu den Hörigen und Leibeigenen. Bei Ehen zwischen Leuten ungleichen Standes sanken die Kinder auf dem Land im Gegensatz zur Stadt zwar nach dem Prinzip der ärgeren Hand auf den tieferen gesellschaftlichen Rang. Hörige und Eigenleute waren aber fähig, ein Gut in Erbleihe zu übernehmen, da die persönliche Rechtsstellung nicht mehr die güterrechtliche bestimmte. Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts sank der Realwert der bäuerlichen Leihezinsen, da deren Nominalwert grundsätzlich nicht erhöht werden durfte und Abgaben oder Dienste der Bauern auf deren Drängen oft in feste Geldzahlungen umgewandelt wurden, die sich tendenziell entwerteten. Da gleichzeitig die Agrarerträge insgesamt leicht stiegen, nahm der Wohlstand der Inhaber bäuerlicher Erblehen langfristig zu. Vom 14. Jahrhundert an verschwanden allmählich Todfall und Schollenbindung. Vor allem im Oberland, im 15. Jahrhundert auch im Mittel- und Seeland, versuchten sich Leibeigene von ihren Herren freizukaufen. Die Stadt Bern unterstützte diese Bestrebungen, weil sie die städtische Territorialbildung erleichterten, indem zusätzliche Ausbürger gewonnen wurden und das Besteuerungs- sowie das Aufgebotsrecht ausgedehnt werden konnte. So bemühte sich Bern insbesondere im 15. Jahrhundert um den Loskauf der Eigenleute ganzer weltlicher und geistlicher Herrschaften (z.B. 1386 Kloster Frienisberg, 1393 Büren an der Aare, 1439 Aarwangen, 1447 Brandis, 1491 Erlach, 1501 Kloster Rüeggisberg, 1508 Bipp und Münchenbuchsee). Vereinzelt wehrten sich die Leibeigenen gegen den Loskauf, weil sie sich dadurch stärker dem obrigkeitlichen Zugriff aussetzten (z.B. in Sumiswald 1513). Mit der Reformation fand die Befreiung der Eigenleute im Bernbiet im Wesentlichen ihren Abschluss.
16. bis 18. Jahrhundert
Autorin/Autor:
Anne-Marie Dubler, Urs Martin Zahnd
Das Bevölkerungswachstum nach 1450 veränderte auch das Sozialgefüge. Zuvor waren Zuwanderer in Stadt und Land willkommen gewesen; nun verschlossen sich Landstädte und Dörfer ärmeren Fremden zunehmend, indem sie Aufnahmegelder forderten. Im Berner Oberland, in den Zelgdörfern des Mittellands und am Bielersee führte die erbweise Aufteilung unter den direkten Nachkommen (Realteilung) zur Zerstückelung des Grundbesitzes; die Gütergrössen reichten zur Existenzsicherung der Haushalte oft nicht mehr aus. Im Einzelhofgebiet (Emmental, Schwarzenburgerland) bewahrte das Minorat, d.h. das bevorzugte Erbrecht des jüngsten Sohnes (Emmentaler Landsatzung 1559), die Höfe zwar vor der Teilung. Ausgekauften Söhnen und Töchtern drohte jedoch der Abstieg in die Schicht wirtschaftlich und sozial ungesicherter Taglöhner. Da nicht alle Landarmen und Landlosen in der landwirtschaftlichen Taglöhnerei unterkamen, drängten sie auch in handwerkliche Berufe: Das Handwerk rückte so im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts auch auf dem Land zum wichtigen Wirtschaftszweig auf. Überall akzentuierte der Bevölkerungsdruck soziale Unterschiede. Die Unterschicht wuchs überproportional an. Ihr gehörten im Ancien Régime in Landstädten, Dörfern und in der Einzelhofregion Tauner, Klein- und Störhandwerker an, vor allem im Textil- und Bauhandwerk (Textilindustrie, Baugewerbe). Im 17. und 18. Jahrhundert boten neue Heimindustrien Zusatzverdienst (Wollspinnerei im Frutigland, Leinwandspinnerei und -weberei im Emmental und Oberaargau, Baumwollverarbeitung im Oberaargau). Spinner und Weber bildeten aber, anders als in der Ostschweiz, keine eigentliche Heimarbeiterschaft; die Heimarbeit blieb Gelegenheitsarbeit von Taunern und Kleinhandwerkern.
Soziales Ziel auf dem Lande war die Zugehörigkeit zur Land besitzenden Bauernschaft, wobei auch Erblehenhöfe immer mehr als faktischer Besitz betrachtet wurden. Diese Höfe waren von adligen und 1528 auch von geistlichen Grundherren in das Eigentum von patrizischen Grundherren oder der bernischen Obrigkeit gelangt. Reiche Bauern, die auf solchen Höfen oder im Berner Oberland auch auf Eigengut sassen, sowie Gewerbetreibende (Müller, Wirte, Gerber, Färber-Bleicher) und Händler (Pferde-, Viehhändler im Oberland) bildeten die ländliche Oberschicht. Sie bekleideten die wichtigen Ämter im Dorf, in der Pfarrei oder in der obrigkeitlichen Verwaltung: Ammann (Vertreter des Grundherrn), Schaffner, Statthalter (Untervogt), Weibel (Vertreter der Obrigkeit), Seckelmeister, Hauptmann (Landesverwaltung, Miliz) und Chorrichter (Sittengericht). Besonders angesehen waren die Bauern grosser Einzelhöfe in der Feldgrasregion (v.a. Emmental); aus dieser Gruppe stammten denn auch die militärischen Anführer der Aufständischen im Bauernkrieg von 1653. Die landstädtische Oberschicht sass in städtischen Ämtern, besetzte Offiziersstellen in fremden Kriegsdiensten und schöpfte ihren Wohlstand aus Handelsgeschäften (z.B. Leinwandfirma der Familie Fankhauser, Burgdorf) und Landbesitz. Im 17. und 18. Jahrhundert stiegen im Oberaargau und Emmental mit den Käsehändlern und Textilverlegern (Verlagssystem) neue Unternehmer in die Oberschicht auf. Sie wohnten in den Marktorten Langenthal, Langnau und Sumiswald in repräsentativen Häusern, betätigten sich kulturell in Musik- und Lesezirkeln und gehörten 1798 zu den Anhängern der neuen politischen Ideen.
Ausländische Reisende berichteten im ausgehenden Ancien Régime über bäuerlichen Wohlstand im bernischen Staat. Der Reichtum war allerdings ungleich auf die einzelnen Regionen verteilt. Im Emmental, dessen Taldörfer im 16. Jahrhundert vom Zelgensystem auf die Feldgraswirtschaft übergegangen waren, wurden die höchsten Getreideerträge erzielt. Hier gehörte rund ein Viertel der Haushalte zur Schicht der reichen Hofbauern: In Lützelflüh zählten zum Beispiel 1783 22% der Einwohner dazu. In dieser Region hatte die exportorientierte Alpwirtschaft, die vom 17. Jahrhundert an mehrheitlich im Besitz von Berner Patriziern war, die soziale Gruppe der Küher hervorgebracht. Diese nomadisierten als Herdenbesitzer und Alppächter zwischen Sömmerungsweide auf der Alp und Winterstation im Hof eines Talbauern und gelangten zu beträchtlichem Wohlstand. Im Mittelland und im westlichen Oberland überwog infolge der Realteilung die Unterschicht, im östlichen Oberland war die soziale Pyramide eher ausgeglichen. In der mittelländischen Zelgenregion blockierten die Tauner die agrarischen Umstellungen des 18. Jahrhunderts trotz staatlicher Ermunterung zur Allmendteilung (1765). Im Einzelhofgebiet verdrängten die Grosshöfe kraft des Minorats die Armut vor allem in die Schachendörfer, die eigentliche Armensiedlungen waren. In den Kleinstädten milderte die städtische Fürsorge (Spenden, Armenhäuser, Burgerholz, Pflanzland) die verbreitete Armut im Handwerk und bei den Taglöhnern nur wenig.
Wie in allen eidgenössischen Gebieten galt nach 1551 auch in Bern bei der Bekämpfung des Bettelwesens der Grundsatz, dass fremde Bettler fortzuweisen, einheimische Arme von ihren Gemeinden zu unterhalten seien. In den 1670er und 1690er Jahren regelte Bern die Armenfürsorge neu: Die Gemeinden sollten neben ihren Dorfgenossen (im 18. Jahrhundert als Burger bezeichnet) auch ihre Hintersassen unterhalten. In den Zelgdörfern bürdete man die Armenlast der Allmend auf. In Gebieten ohne Allmend erhoben die Kirchgemeinden Armensteuern. Das Prinzip der heimatörtlichen Armenpflege auf der Basis von Allmendparzellen, Legaten und Steuern setzte sich jedoch erst um 1720 durch. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts versuchte die Almosenkammer eine flächendeckende Sozialhilfe im ganzen Staatsgebiet aufzubauen. Diese schloss aus bevölkerungspolitischen Erwägungen in zunehmendem Masse auch Opfer von Krisen mit ein. Staatliche Unterstützung wurde subsidiär zur kommunalen und nach Massgabe der Ertragskraft der jeweiligen Landvogtei geleistet. Absolut wie auch relativ zur Gesamtbevölkerung stieg die Armut im Lauf des 18. Jahrhunderts als Folge von Teuerungskrisen (z.B. 1770-1771) und des Bevölkerungswachstums um ein Vielfaches an. Deshalb fielen die Beihilfen aus Rücksicht auf die Staatsfinanzen immer knapper aus, und entwürdigende Praktiken, wie der sogenannte Umgang der Armen von Hof zu Hof, blieben teilweise bestehen. Auswanderung war im 18. Jahrhundert oft die einzige Möglichkeit, der Armut auszuweichen; 1750-1764 stellte allein die Emmentaler Gemeinde Trub 288 Heimatscheine für Auswanderungswillige aus.
Kirchliches und religiöses Leben, Kultur und Bildung
Autorin/Autor:
Urs Martin Zahnd
Typische Merkmale der spätmittelalterlichen Frömmigkeit waren auch im Bernbiet insbesondere das Ablasswesen, die Reliquienverehrung, Wallfahrten, Bruderschaften und Stiftungen. Erste Ablässe erhielten 1262 die Zisterzienserinnen von Fraubrunnen und 1265 die Deutschherren von Köniz für ihre Kirche in der Stadt Bern. Um 1479 erwarb der Berner Rat sogenannte Romfahrten (Plenarablässe) zur Finanzierung des Münsterbaus. Grössere Reliquiensammlungen befanden sich in der Stadt Bern, in Einigen, Burgdorf und Saanen. Beliebte bernische Wallfahrtsziele waren Oberbüren und Reutigen (Patronin: Maria), Einigen (Patron: Michael), Oberbalm (Sulpitius), Würzbrunnen (Stefan) sowie Beatenberg und die Beatushöhle am Thunersee. Stadt- und Landbewohner unternahmen Pilgerfahrten auch nach fernen Zielen wie Santiago de Compostela und Jerusalem. Religiöse Bruderschaften bestanden nicht nur in der Stadt Bern, sondern zum Beispiel auch in Oberbüren (1482) und Huttwil (1487). Von frommen Stiftungen profitierten im Spätmittelalter auch die Klöster: Das Frauenkloster Interlaken blühte vor allem im 14. und 15. Jahrhundert. 1393 stiftete Peter von Thorberg in seinem Stammsitz eine Kartause. In Bern und Burgdorf entstanden in Anlehnung an Bettelordenskonvente verschiedene Beginenhäuser. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert kam es zu zahlreichen Neu- und Umbauten von Kirchen auf dem Land (z.B. Oberburg, Kirchberg, Hindelbank, Utzenstorf, Jegenstorf, Ligerz) und in den Städten (Bern, Biel, Burgdorf). Zeichen von Aberglauben zeigten sich im Engerlingsprozess (1478-1479), im Jetzerhandel (1507-1509) oder bei den ersten Hexenverfolgungen (Stadt Bern Mitte des 15. Jahrhunderts und 1523, Schwarzenburg 1473, Wangen an der Aare und Aarwangen 1491).
Disputation in der Barfüsserkirche vom 6. bis 26. Januar 1528. Illustration aus einer 1605/1606 entstandenen Abschrift der ReformationsgeschichteHeinrich Bullingers (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Ms. B 316, Fol. 316).
Die vorreformatorische Kirchenkritik richtete sich hauptsächlich gegen die Lebensführung einzelner Kleriker, gegen die Inkorporierung von Pfarrpfründen in Klostergüter und gegen die oft mangelhafte Wirtschaftsführung einzelner Konvente. Bereits vor der Reformation gab es Ansätze zu einem obrigkeitlichen Kirchenregiment. So griff der Berner Rat zum Beispiel 1474 mit der Bevogtung des Doppelklosters Interlaken in kirchliche Belange ein. 1484-1486 hob er die Klöster bzw. Stifte Amsoldingen, Münchenwiler, St. Petersinsel, Rüeggisberg, Därstetten, Frauenkappelen und Interlaken (Frauenkloster) auf und übertrug deren Klostergüter dem 1484 gegründeten Stadtberner Stift St. Vinzenz.
Bildersturm im Münster 1528. Illustration aus einer 1605/1606 entstandenen Abschrift der ReformationsgeschichteHeinrich Bullingers (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Ms. B 316, Fol. 321).
[…]
Grundlagen des kirchlichen Lebens nach der Reformation waren die zehn Thesen der Berner Disputation von 1528 und der Berner Synodus (Kirchenordnung) von 1532. Nach der Auseinandersetzung mit lutherischen Strömungen (Sebastian Meyer, Simon Sulzer) und der Abgrenzung vom strengen Calvinismus kam es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Konsolidierung der Berner Kirche (1566 zweites Helvetisches Bekenntnis, 1587 Prädikantenordnung, 1618 Dordrechter Synode). Die Leitung der bernischen Kirche lag zunehmend in der Hand des hauptstädtischen Kirchenkonvents. Die Kapitelsversammlungen der Landdekanate und die bernischen Gesamtsynoden verloren vom 17. Jahrhundert an ihre Bedeutung. Die allmähliche Verfestigung zur protestantischen Orthodoxie zeigt sich unter anderem in der Einführung einer eigenen Bibelübersetzung (Piscator-Bibel 1684, 1748) und in der späten Übernahme des «katholischen» gregorianischen Kalenders (1701). Mit grosser Opferbereitschaft wurden nach 1685 zahlreiche Hugenottenflüchtlinge aufgenommen. Das wichtigste Instrument zur allmählichen Durchsetzung der reformierten Ethik im Alltag waren die Chorgerichte. Dennoch lebten Formen des Aberglaubens weiter, und der Hexenwahn erlebte 1581-1620 mit rund 970 Todesurteilen einen Höhepunkt. Die Hexenprozesse verschwanden erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Schwer lastete das Verhältnis zu den Täufern, die als strenge Biblizisten die Amtskirche und die staatliche Rechtsordnung ablehnten, auf der bernischen Obrigkeit und Kirche. Ihre weiteste Verbreitung fanden die Täufer jeweils in der zweiten Hälfte des 16. und 17. Jahrhunderts im Emmental, im bernischen Aargau und im Oberland. Die Obrigkeit erliess von 1531 bis ins 18. Jahrhundert zahlreiche Täufermandate, büsste Angehörige der Sekte, verbannte Rückfällige, steckte Täuferlehrer ins Zucht- und Arbeitshaus und verhängte nach Täuferunruhen in Eggiwil 1671 sogar Galeerenstrafen. Dank der Fürsprache niederländischer Mennoniten erhielten bernische Täufer 1711 die Erlaubnis zur Auswanderung, deren bevorzugte Ziele das Fürstbistum Basel, die Niederlande und Nordamerika wurden. Der bernische Rat, die Amtskirche und die eigens geschaffene Täuferkammer (1658-1743) reagierten auf die religiöse Herausforderung vor allem mit intensiverer Seelsorge, Förderung der Schule, Vermehrung der Pfarrstellen und Errichtung neuer Kirchgemeinden in den besonders betroffenen Gebieten: Im Bernbiet wurden 1660-1730 ca. 70 neue Kirchen gebaut. Auch den Pietismus, dessen Exponenten Samuel König und Samuel Lutz waren, lehnten Obrigkeit und Konvent anfänglich scharf ab (Pietistenprozess 1698-1699, Assoziationseid 1699). In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beruhigte sich die Situation aber allmählich.
Vor der Reformation besassen im Bernbiet nur einzelne Klöster, Stifte (Interlaken, Amsoldingen) und Kommunen ständige Schulen (Schulwesen). Die Lateinschulen von Bern, Burgdorf und Thun waren städtische Institutionen, ihre Rektoren oft zugleich als Schreiber tätig. Elementare Lese- und Schreibfertigkeiten vermittelten in Stadt und Land herumziehende Lehrmeister und sogenannte Lehrgotten. Mit der Reformation erhielt der höhere Unterricht eine einheitliche Ordnung: 1528 errichtete der Rat im ehemaligen Berner Barfüsserkloster zur Aus- und Weiterbildung reformierter Theologen eine Hohe Schule, 1537 eine entsprechende Anstalt in Lausanne. Die bernische Hohe Schule wandelte sich im 17. und 18. Jahrhundert dank neuer Lehrstühle zur allgemeinen Akademie (1805): Zu Theologie und alten Sprachen kamen 1680 bzw. 1718 Rechtswissenschaften, 1684 Eloquenz, 1709 Geschichte, 1736 bzw. 1749 Mathematik und 1664 eine Anatomieschule im Inselspital (Spital). Auf die Hohe Schule hatten Lateinschulen vorzubereiten, wie sie in den Städten Bern, Biel, Burgdorf, Thun, Aarau, Brugg und Zofingen bestanden. Die Lateinschulen und die Hohen Schulen standen vor allem Burgerssöhnen der Stadt Bern und der Munizipalstädte offen. Unbemittelten ermöglichten die 1529 errichtete Mushafenstiftung und verschiedene Legate das Studium. Auch nach der Reformation besuchten zahlreiche Berner ausländische Universitäten und Akademien, vor allem in reformierten Ländern (Theologie), aber auch zum Beispiel die Sorbonne in Paris oder die Universitäten in Bologna und Padua, oft versehen mit Stipendien des Rats. Mit der Reformation wuchs das Interesse von Rat und Kirche an der Volksschulung: 1533-1536 wurde im ganzen Bernbiet eine Kinderlehre für Sechs- bis Vierzehnjährige eingeführt. 1596 wandelte der Rat die bisher private Deutsche Schule in Bern zur städtischen Institution um. 1606, 1616 und vor allem mit der Landschulordnung von 1628 verpflichtete die Regierung alle bernischen Kirchgemeinden, Schulen zu errichten. Die Schulaufsicht übergab sie den Pfarrern. Vom 18. Jahrhundert an waren elementare Lesefertigkeiten auch auf dem Lande weitgehend eine Selbstverständlichkeit.
«Batavia auff Java Maior». Kupferstich vonConrad Meyernach einer Originalzeichnung von Albrecht Herportfür die Veröffentlichung von Herports 1669 in Bern erschienener Reise nach Java, Formossa, Vorder-Indien und Ceylon 1659-1668 (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).
Bereits in vorreformatorischer Zeit lässt sich im Bernbiet literarisches Schaffen auch ausserhalb der Städte nachweisen: Als Minnesänger sind Heinrich von Strättligen (Mitte 13. Jahrhundert) und Johannes von Ringgenberg (erste Hälfte 14. Jahrhundert) belegt. Aus Spiez stammt die Handschrift einer Marienklage, und in Einigen schrieb Elogius Kiburger seine Strättliger Chronik (Mitte 15. Jahrhundert). Neben dem Berner Predigerkloster (Dominikaner) war im 15. Jahrhundert die Kartause Thorberg unter Prior Marcellus Geist ein Zentrum wissenschaftlichen Schaffens. Im Umkreis der reformierten Hohen Schule entstanden hauptsächlich theologische Werke (u.a. Johann Heinrich Hummel), im 18. Jahrhundert aber auch historische, juristische und mathematische Arbeiten (Johann Georg Tralles). Fasnachts- und Schulspiele wurden vom 15. Jahrhundert an auch ausserhalb der Stadt Bern aufgeführt, zum Beispiel 1540 und 1550 in Burgdorf, 1549 in Signau, 1552 in Herzogenbuchsee, 1553 in Langenthal, 1554 im Obersimmental und 1568 in Nidau. Weite Verbreitung fanden die Stücke von Jakob Fünklin aus Biel. 1560 schrieb Konrad Boll ein Loblied auf seine Vaterstadt Büren an der Aare. Der Bauer Jodokus Jost von Brechershäusern (1589-1657) zeichnete seine Beobachtungen zum Zeitgeschehen auf, und 1669 verfasste Albrecht Herport seinen Bericht über eine Ostasienreise. Das erste gedruckte Buch im Bernbiet entstand 1475 in Burgdorf. Die 1537 von Matthias Apiarius in der Stadt Bern eröffnete Offizin bestand bis um 1565. Dem danach herrschenden Mangel begegnete der Rat, indem er 1589 eine obrigkeitliche Druckerei einrichtete, die bis 1831 in Betrieb blieb. Öffentliche Bibliotheken entstanden im 18. Jahrhundert auch ausserhalb der Hauptstadt (Burgdorf 1729, Biel 1765, Thun 1785).
In der Berner Kirche wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts der Gemeindegesang eingeführt (Chorwesen, u.a. Werke von Claude Goudimel 1588, neues Gesangbuch 1606), zu dessen Unterstützung Zinken und Posaunen mitwirkten. Die stadtbernische Musikordnung von 1663 regte auch andernorts die Bildung von Collegia musica an (Thun 1668, Burgdorf 1701, Langenthal 1765). Im 18. Jahrhundert wurden die Kirchen verschiedener Landstädte mit Orgeln ausgestattet (Burgdorf 1703, Thun 1765, Biel 1783).
Mit dem Franzoseneinfall im Frühjahr 1798 brach die alte Republik Bern zusammen. Die Herrschaft des Patriziats ging zu Ende, und mit der Waadt und dem Aargau verlor Bern grosse Teile des bisherigen Territoriums. Sogar das Berner Oberland wurde als helvetischer Kanton Oberland vom übrigen Bernbiet abgetrennt. Dafür erhielt der helvetische Kanton Bern die zuvor gemeinsam mit Freiburg verwaltete Herrschaft Schwarzenburg zugeteilt. Das Staatsgebiet wurde in 15 Distrikte mit oft recht willkürlich gezogenen Grenzen eingeteilt.
«Der President und die zwey Stimmensammler der ersten Urversammlung gehalten in Thun den 26. März 1798». Kolorierte Radierung vonJohann Franz Romang (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).[…]
General Guillaume Brune verbot für die meisten stadtbernischen Patrizier eine Wahl in die neuen Behörden. So stammte die Mehrzahl der Behördenmitglieder vom Lande, doch waren es eher Notare, Weibel, Wirte oder Krämer als Bauern. In die Behörden der Helvetischen Republik entsandte der Kanton Bern namentlich Republikaner wie Bernhard Friedrich Kuhn, Karl Koch oder David Ludwig Bay. Diese erstrebten schrittweise Reformen, eine repräsentative Demokratie sowie den Schutz der Individualrechte, vor allem des Eigentums. Unter den Abgeordneten vom Lande zählte mancher eher zu den Patrioten, die nach rascher und radikaler Veränderung und auch nach Rache an den früheren Regenten strebten. Die Berner unter ihnen gewannen keine Führungsrolle in den helvetischen Räten.
Die Kompetenzen der kantonalen Verwaltungskammer waren zum Teil unklar geregelt. So blieb ihr Einfluss gering, da sie in Bagatellgeschäften ertrank und zudem Druckversuchen gesamthelvetischer Behörden oder der französischen Besatzungstruppen ausgesetzt war. Auch fiel es oft schwer, für Distrikte und Gemeinden Amtsträger zu finden, sodass die Posten oft wieder der ländlichen Oberschicht aus der Zeit vor 1798 zufielen.
Finanziell litt Bern besonders unter der Plünderung seines Staatsschatzes durch die französische Armee. Ungefähr 10,6 Mio. Pfund führte diese nach Paris ab, doch gelang es Gottlieb Abraham von Jenner später, einen Teil davon zurückzugewinnen. Dem Patriziat der Stadt Bern auferlegte François-Philibert Le Carlier zudem eine Kontribution von 6 Mio. Pfund, die später reduziert wurde. Zwar beschlossen die helvetischen Behörden die Aufhebung der Zehnten, doch liess sich der Beschluss nicht durchführen, sodass Bern noch rund ein halbes Jahrhundert lang mit diesem Problem kämpfte.
Die wohl wichtigsten Dienste leisteten Berner der Helvetischen Republik auf hohen Verwaltungsposten, so Johann Rudolf Steck als erster Generalsekretär des Direktoriums, Johann Rudolf Fischer als erster Sekretär in Philipp Albert Stapfers Ministerium für Wissenschaft und Künste, Albrecht Friedrich May als erster Sekretär des Direktoriums oder Gottlieb Abraham von Jenner als Diplomat in Paris und Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten.
Im Sommer 1799, als die Alliierten im Zweiten Koalitionskrieg gegen den Vierwaldstättersee vorrückten, verlegten die helvetischen Räte ihren Sitz und damit die Hauptstadt der Helvetischen Republik von Luzern in die Stadt Bern. Deshalb spielte sich im Herbst 1802 vor allem hier der Stecklikrieg ab, der das Ende der Helvetischen Republik einleitete.
Mediation (1803-1815)
Autorin/Autor:
Beat Junker
Die Mediationsakte bestätigte dem Kanton Bern, der einer der sechs Direktorialkantone der Schweiz wurde, den Verlust der Waadt und des Aargaus, vereinigte ihn aber wieder mit dem Oberland. Ferner schlug die Tagsatzung die Gemeinden Münchenwiler und Clavaleyres, auf die auch Freiburg Anspruch erhoben hatte, 1808 endgültig dem Kanton Bern zu. Die bernische Kantonsverfassung der Mediationszeit umfasste bloss 22 Artikel und regelte namentlich das Vorgehen bei Wahlen. Die 195 Grossräte (Parlament) konnten nun aus dem ganzen Kanton stammen und nicht nur aus dem stadtbernischen Patriziat. Das komplizierte Verfahren bei der Einteilung der Wahlkreise und eine Kombination von Wahl und Losentscheid bevorzugten jedoch die Hauptstadt. So wurden 1803 121 Stadtberner in den Grossen Rat gewählt. Von den Wahlversammlungen ausgeschlossen waren nach einem zeittypischen Zensuswahlrecht Bevormundete, Konkursiten, Bezüger von Armenunterstützungen und Handwerksgesellen, desgleichen, wer nicht Grundstücke oder Schuldbriefe von einem bestimmten Wert besass. Für das passive Wahlrecht wurde ein höheres Vermögen verlangt.
Als Exekutive wirkte ein Kleiner Rat von 27 Mitgliedern, die zugleich dem Grossen Rat angehörten. 1803 waren 21 Kleinräte Patrizier, fast ausschliesslich solche, deren politische Laufbahn schon vor 1798 begonnen hatte. An der Spitze der Behörden standen zwei Schultheissen, die sich im einjährigen Turnus ablösten. Der amtierende Schultheiss, der Seckelmeister und vier Kleinräte bildeten zusammen den Staatsrat (Kantonsregierung), dem die Sicherheitspolitik oblag. Der Kleine Rat und der Staatsrat hatten die tatsächliche innenpolitische Macht inne.
Karikatur einer Wahlveranstaltung auf dem Land. Aquarell von Emanuel Jenner, April 1808 (Burgerbibliothek Bern).
[…]
Neu bildeten der Kanton und seine Hauptstadt Bern zwei getrennte Gemeinwesen mit je eigenem Haushalt. Dies erforderte eine Ausscheidung der Vermögen: Die Stadt Bern erhielt im Herbst 1803 als sogenannte Dotation eine Reihe von Rebbergen, Wäldern, Grundstücken, Gebäuden und Stiftungen, hatte aber aus den entsprechenden Einkünften auch wohltätige Einrichtungen zu betreiben, die den Kantonsbürgern vom Lande ebenfalls zugute kamen. Missverständliche Formulierungen in den Teilungsdokumenten lieferten Jahrzehnte später Stoff für endlose Streitereien zwischen Stadt- und Kantonsbehörden.
Als nach Napoleon Bonapartes Niederlage in Russland der europäische Krieg sich gegen Ende 1813 wieder der Eidgenossenschaft näherte, hofften in Bern extrem Altgesinnte, die sogenannten Ultras oder Unbedingten, auf eine Rückkehr der politischen Ordnung des Ancien Régime. Sie waren indes nicht repräsentativ für das gesamte Patriziat. Die gemässigten Patrizier um Schultheiss Niklaus Rudolf von Wattenwyl dachten vielmehr an eine bescheidene Öffnung des städtischen Bürgerrechts für wohlhabende Landleute und an einen Verzicht auf die Waadt. In der übrigen Eidgenossenschaft und namentlich in den 1803 neu geschaffenen Kantonen entstand allerdings der Verdacht, Bern habe die Alliierten zum Einrücken in die Schweiz veranlasst und suche alte Untertanenverhältnisse wiederherzustellen. Beim Einmarsch österreichischer Truppen am 23. Dezember 1813 erklärte der Grosse Rat die Mediationsakte für den Kanton Bern als aufgehoben und die vorhelvetischen Behörden von 1798 als rechtmässige Regenten. Zudem forderte die Berner Obrigkeit in der bald als «unglückliche Proklamation» bezeichneten Kundmachung vom 24. Dezember die Waadt und den Aargau auf, unter bernische Herrschaft zurückzukehren. Die landesväterliche Arroganz und Herablassung weckte auch im Kanton Bern selber Widerstand; eine Rebellion im Oberland wurde 1814 im Raum Interlaken gewaltsam niedergeworfen.
Restauration (1815-1830)
Autorin/Autor:
Beat Junker
Der Bundesvertrag von 1815 beseitigte die Einrichtung der Direktorialkantone und bezeichnete stattdessen Zürich, Bern und Luzern als Vororte, welche die Tagsatzung im Zweijahresturnus aufnahmen (Restauration). Für den Kanton Bern trat an die Stelle einer Kantonsverfassung die «Urkundliche Erklärung» vom September 1815. Nach ihr sollte der Grosse Rat wieder 299 Mitglieder umfassen, davon 200 aus der Stadt Bern. Letztere wurden durch Instanzen aus dem Patriziat in einem Verfahren der Selbstergänzung bestimmt, sodass einzelne Patriziergeschlechter bis zu zehn Grossräte stellten, während die nichtpatrizischen Burger leer ausgingen. Obwohl der restliche Kanton die Hauptstadt an Einwohnern um das Zwanzigfache übertraf, stellte er bloss 99 Grossräte. Diese wurden von den Behörden der Landstädte und der Amtsbezirke gewählt, wobei Vorschriften über Alter und Vermögen die Wählbarkeit einschränkten. Der Grosse Rat trat nur zweimal im Jahr obligatorisch zusammen. Da weder Taggelder noch Reiseentschädigungen entrichtet wurden, blieben die ländlichen Abgeordneten den Sitzungen oft fern. Die wie bisher 27 Mitglieder des Kleinen Rats wurden vom Grossen Rat gewählt und gehörten ihm auch weiterhin an. Eine Gewaltentrennung bestand nicht, da der Kleine Rat ebenso gut Erlasse mit Gesetzeskraft beschliessen konnte wie der Grosse Rat als eigentliche Legislative.
Karikatur von 1815. Kolorierte Radierung von David Hess (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/00806-2).[…]
1815 musste der Kanton Bern endgültig auf die Waadt und den Aargau verzichten. Dafür wies ihm der Wiener Kongress den grössten Teil des einstigen Fürstbistums Basel zu (Berner Jura), den Bern nur widerstrebend annahm. Verhandlungen unter eidgenössischer Oberaufsicht führten im November 1815 zur Vereinigungsurkunde, die das künftige Zusammenleben regelte. Damit besass der Kanton Bern einen zusätzlichen Landesteil und – anders als zuvor – Bürger katholischer Konfession.
Wie schon zur Zeit der Mediation herrschte in Bern wieder die Zensur, die sich allerdings kaum mit einheimischen Zeitungen zu befassen brauchte. Bestehende und neu entstandene gingen bald ein (Gemeinnützige Schweizerische Nachrichten 1801-1817, Europäische Zeitung 1817-1818), andere waren so harmlos (z.B. Schweizerfreund 1814-1829), dass die politisch Interessierten eher zu Blättern aus Kantonen griffen, in denen Pressefreiheit (Presse) herrschte, namentlich aus dem Kanton Aargau.
Die Patrizier genossen im Allgemeinen bei der dörflichen Bevölkerung noch Ansehen, und als Grundbesitzer verstanden sie die bäuerlichen Anliegen. Allerdings boten ihnen ihre Ämter immer seltener ein ausreichendes Einkommen, sodass manche ihre Landgüter verkauften und sich mit einer Stadtwohnung begnügten, was zu einer gewissen Entfremdung von der Landbevölkerung führen konnte. Der Verlust der Waadt verminderte zudem die Zahl einträglicher Staatsstellen. Patrizier, die 1798 Teile ihres Vermögens durch die französische Kontribution verloren hatten, bewarben sich deshalb häufiger um Posten, die früher nichtpatrizischen Burgern zugefallen waren. Dies schuf Rivalitäten und Unzufriedenheit. So erwuchs aus der nichtpatrizischen Stadtburgerschaft, aus den Landstädten und aus der dörflichen Mittelschicht eine Opposition, die sich in den zahlreichen neu gegründeten Vereinen und an deren Festen zusammenfand und sich auch gegen die Verfassung und das Wahlsystem richtete. Diese Leute hatten zum Teil schon während der Helvetik und der Mediation Einfluss erlangt, den sie nicht mehr preisgeben wollten. Auch waren sie ökonomisch oft erfolgreicher als Patrizier, was ihr Selbstbewusstsein weiter hob.
Regeneration (1830-1845)
Autorin/Autor:
Beat Junker
Wie in andern Kantonen ging die Bewegung der Regeneration von den Landstädten aus, namentlich von Burgdorf, wo vor allem die Gebrüder Karl und Johann Schnell die Aristokratie bekämpften. Eine Volksversammlung am 10. Januar 1831 in der Kirche von Münsingen verlangte die Revision der Kantonsverfassung durch einen Verfassungsrat. Drei Tage darauf dankte die patrizische Regierung freiwillig ab und öffnete so den Weg für einen gewaltfreien Wandel. Über 600 Petitionen aus dem ganzen Kanton forderten Neuerungen, meist im Sinne der Liberalen, die auch bei den Wahlen in den Verfassungsrat (111 Mitglieder) deutlich siegten.
Die im Wesentlichen von einer 17-köpfigen Verfassungskommission unter Karl Koch ausgearbeitete neue Verfassung wurde am 31. Juli 1831 bei geringer Beteiligung der mit dem Stimmrecht noch nicht vertrauten Bürger in gemeindeweisen offenen Abstimmungen mit grossem Mehr (93% Ja) angenommen. Sie gewährte dem Einzelnen eine Reihe von Grundrechten. Die wichtigsten Befugnisse wies sie dem Grossen Rat zu, der nun 240 Mitglieder umfasste. Diese wurden zum Teil durch Kooptation bestimmt, mehrheitlich aber in einem indirekten Verfahren gewählt, wobei ein Zensus das Amt eines Wahlmanns und vor allem das eines Grossrats den Wohlhabenden vorbehielt. Der Regierungsrat bestand aus 17 Mitgliedern. Diese leiteten sieben Departemente in gewöhnlich siebenköpfigen Kollegien, denen auch Grossräte und Aussenstehende angehörten. 1831 wurde der Kanton Bern noch keine Demokratie nach heutigem Verständnis. Aber die Abdankung der bisher regierenden Familien und das Ende der städtischen Vorherrschaft über das Land waren diesmal endgültig. Bei den Grossratswahlen vom Spätsommer 1831 dominierten die Liberalen. Zwar wurden auch Patrizier gewählt, doch lehnten die meisten von ihnen ein Mandat ab und zogen sich zurück, zum Beispiel auf Ämter in der Stadt Bern, womit sich die Spannungen zwischen der Hauptstadt und den Kantonsbehörden fast von selbst ergaben. Den liberalen «Weissen» um die Gebrüder Schnell standen fortan die konservativen «Schwarzen» gegenüber, namentlich Stadtberner. Zwischen diesen beiden Gruppen stand das Juste-Milieu, vorwiegend gemässigte Patrizier und nichtpatrizische Stadtberner, die zwar Reformen bejahten, aber dabei ein bedächtiges Tempo und keinen Bruch mit der Vergangenheit wünschten.
Das Bedeutendste leisteten die neuen politischen Führungskräfte im Bildungswesen: 1833 gründeten sie ein staatliches Lehrerseminar, und 1834 bauten sie die bisherige Akademie zur Universität Bern aus. Weniger geschickt gingen sie im Berner Jura vor, wo die Auseinandersetzungen um die Badener Artikel (1834) und um ein kantonal einheitliches oder ein besonderes jurassisches Gesetzeswesen für Spannungen sorgten. Diese förderten den Separatismus, der seine Leitfigur in Xavier Stockmar fand. Die Beseitigung der Feudallasten zog sich länger hin als erwartet. Bei ihrer geringen diplomatischen Erfahrung stellten sich die Gebrüder Schnell in aussenpolitischen Händeln mehrmals bloss und traten deshalb 1838 von ihren Ämtern zurück. An ihrer Stelle dominierte in der Folge der aus einer Bieler Industriellenfamilie stammende Charles Neuhaus die bernische Politik.
Herrschaft der Radikalen und konservative Zwischenspiele (1845-1877)
Autorin/Autor:
Beat Junker
Den Radikalen waren die Reformen von 1831 zu wenig weit gegangen. Sie verlangten mehr politische Volksrechte und wiesen dem Staat auch wirtschaftliche und soziale Aufgaben zu. Frühe Wortführer waren die aus Deutschland geflüchteten Gebrüder Ludwig und Wilhelm Snell. In ihrer Publizistik (Schweizerischer Republikaner, Berner Verfassungsfreund, Berner Zeitung) spotteten die Radikalen ungehemmt über alle Mächte der Tradition. Unter ihren Führern Jakob Stämpfli und Ulrich Ochsenbein siegten sie 1845 in den Grossratswahlen und setzten eine Revision der Kantonsverfassung durch. Diese brachte 1846 die direkte Volkswahl des Grossen Rats, der nun noch deutlicher als zuvor von den Radikalen dominiert wurde. Der durchwegs aus Radikalen bestehende Regierungsrat zählte nur noch neun Mitglieder, die je einer Direktion vorstanden. Der traditionsreiche Titel eines Schultheissen wurde durch den eines Präsidenten des Regierungsrats ersetzt. Alle Bodenzinsen, Zehnten und ähnlichen Abgaben sollten abgelöst werden. Dafür erhob der Staat nun eine direkte Steuer auf Einkommen und Vermögen, wie sie Bern zuvor erst zur Zeit der Helvetik gekannt hatte. Um ihre Annahme durch die Stimmbürger zu sichern, hatte die Vorlage Sonderwünsche einzelner Landesteile erfüllt: Das Emmental profitierte davon, dass die Pflicht der Heimatgemeinde zur Armenunterstützung abgeschafft wurde. Das Oberland erhielt eine Vorzugsbehandlung durch die neu errichtete staatliche Hypothekarkasse, und der Jura durfte seine besonderen Regelungen im Steuer- und Armenwesen sowie seine französischen Gesetze aus der Zeit vor 1815 behalten.
Die neue Bundesverfassung (BV) wurde in der kantonalen Volksabstimmung vom 6. August 1848 bei einer Beteiligung von 19% (der niedrigsten aller Kantone) mit rund 11'000 Ja gegen 3400 Nein angenommen. Somit unterlagen die im Kanton Bern führenden Radikalen, denn sie hatten Verwerfung empfohlen. Ihres Erachtens ging die Vorlage bei der Zentralisation zu wenig weit – sie lehnten zum Beispiel einen Ständerat ab – und brachte Bern finanziell zu grosse Nachteile.
Von den 111 Nationalräten stellte Bern entsprechend seinem Bevölkerungsanteil 20, weit mehr als jeder andere Kanton der Schweiz. Sie wurden in sechs Wahlkreisen gewählt, die ungefähr den bernischen Landesteilen entsprachen. Die bekanntesten Gewählten waren Radikale wie Jakob Stämpfli oder Ulrich Ochsenbein. Das Seeland entsandte aber auch einen Vertreter des Zentrums, den bekannten ehemaligen General und konservativen Genfer Guillaume Henri Dufour.
Weil Bern 1848 Vorort war, traten die neuen eidgenössischen Räte hier zusammen. Sie bestimmten die Stadt als Bundesstadt. Bern siegte vor allem dank den Stimmen aus der französischen Schweiz über Zürich, die einzige ernsthafte Konkurrentin. Die Grossbauten des Bundes veränderten ab 1852 die Silhouette der Stadt markant. Dagegen blieb ein stärkerer Wandel der Bevölkerungsstruktur vorerst aus. Sprachrohr des Freisinns und der Bundespolitik wurde die 1850 gegründete Zeitung Der Bund.
Wie 1831 die Liberalen, so weckten 1846 auch die Radikalen Hoffnungen auf materielle Erleichterungen, die sich vorerst kaum erfüllten. Abneigungen gegen eine Gesetzesflut und gegen ausländische Flüchtlinge und Professoren, namentlich gegen den Theologen Eduard Zeller, minderten die Beliebtheit der Regierung. Sie verlor im Mai 1850 die Grossratswahlen knapp und wich für vier Jahre einer rein konservativen Exekutive mit Eduard Blösch als führendem Kopf. 1854 schmolz diese «schwarze» Mehrheit auf fünf Sitze, was zur «Fusion» (Koalition) führte: Fortan bildeten Konservative und Radikale gemeinsam die Kantonsregierung, wobei den Radikalen schon bald ein Übergewicht zufiel. Anders als in andern reformierten Kantonen bestand aber in Bern die konservative Opposition weiter und zwang die Radikalen zur Mässigung. Allmählich verschwammen die Parteigrenzen. So schieden sich die Geister beim Eisenbahnbau (ab 1854) und bei der ersten Juragewässerkorrektion (1868-1891, Gewässerkorrektionen) insbesondere nach wirtschaftlichen und regionalen Interessen.
Die demokratische Bewegung erfasste Bern vergleichsweise spät. Wie die demokratisch gesinnte sogenannte Junge Schule der Radikalen unter dem Stadtberner Fürsprecher Rudolf Brunner forderten auch die Konservativen, wenn auch aus andern Gründen, das obligatorische Referendum für Gesetzes- und Finanzvorlagen. Dieses wurde 1869 durch blosse Gesetzesänderung eingeführt, d.h. ohne Revision der Kantonsverfassung.
Auswirkungen des Kulturkampfs und der Staatskrise von 1877-1878
Autorin/Autor:
Beat Junker
Der Kulturkampf riss zwischen den bernischen Kantonsbehörden unter radikaler Führung und den Katholiken im Nordjura tiefe Gräben auf. Zwischen dem Bischof von Basel, dem Jurassier Eugène Lachat, und dem Berner Regierungsrat kam es zur Machtprobe: Bern besetzte den Nordjura mit Militär und wies die bischofstreuen Priester aus. Die örtliche Bevölkerung hielt aber weiter zu diesen, und es gelang Bern nicht, eine starke christkatholische Kirche aufzubauen. Erst die Wirtschaftskrise, die neue Bundesverfassung von 1874 und der Erfolg der Konservativen bei den Berner Grossratswahlen 1878 liessen die Kämpfe abflauen. Bern musste die härtesten Druckmassnahmen aufheben. Sie hatten den Widerstandsgeist und den inneren Zusammenhalt der Nordjurassier gestärkt und Wunden geschlagen, die in der Folge nicht mehr verheilten.
Zu personellen Änderungen in der kantonalen Exekutive führte die Staatskrise von 1877-1878: Der Regierungsrat hatte der angeschlagenen Eisenbahngesellschaft Bern-Luzern heimlich ein Darlehen gewährt, das seine Kompetenz weit überschritt. Das Stimmvolk weigerte sich, die «Vorschussmillion» nachträglich an der Urne gutzuheissen, umso mehr, als nun auch die riesige Verschuldung des Staats offenbar wurde. Alle neun Regierungsräte zogen daraus die Konsequenz und traten zurück. Da bei den Neuwahlen 1878 mehrere gewählte Freisinnige (Freisinnig-Demokratische Partei, FDP) das Amt ausschlugen, dauerte es bis 1882, ehe sämtliche Regierungsratssitze wieder besetzt waren.
Um von der misslichen Lage der Kantonsfinanzen abzulenken und aus der Staatskrise herauszufinden, schlugen Freisinnige eine Totalrevision der veralteten Kantonsverfassung von 1846 vor. Erste Anläufe scheiterten wohl vor allem wegen der geplanten Abschaffung von Burgergemeinden und -gütern. Die 1893 angenommene Vorlage berührte diese umstrittene Frage nicht mehr. Sie brachte die Gesetzesinitiative und die Wahl der Bezirksbeamten durch das Volk sowie eine leichte Verkleinerung des Grossen Rats (ein Vertreter auf 2500 Einwohner statt auf 2000). Erst später setzten sich die Proporzwahl des Grossen Rats (1922) sowie die Volkswahl des Regierungsrats (1906) und der beiden Ständeräte (1977) durch. In der Volksabstimmung nahmen die Altberner die Verfassung ebenso deutlich an, wie die Jurassier sie verwarfen. Entscheidend für deren Ablehnung waren die unerfüllten Wünsche im konfessionellen und Schulbereich sowie der Wegfall der bisherigen Sonderregelungen für ihren Landesteil.
Die Parteienlandschaft seit den 1880er Jahren
Autorin/Autor:
Beat Junker
Im späten 19. Jahrhundert wandelten sich die bernischen Parteien. Bei den Freisinnigen traten anstelle der weltanschaulich geprägten alten Radikalen nüchterne Sachpolitiker in den Vordergrund, zum Beispiel Alfred Scheurer, der als Regierungsrat die Kantonsfinanzen wieder ins Gleichgewicht brachte. Bei den Konservativen entstand ein neuer Schwerpunkt im Oberaargau um die Berner Volkszeitung. Ihr Redaktor und Verleger Ulrich Dürrenmatt wirkte mit seiner populären Schreibweise weit über die eigene Partei hinaus und mobilisierte vor allem bei Volksabstimmungen die Massen wie ein Volkstribun. Er forderte die Bewahrung traditioneller, bäuerlich und christlich geprägter Lebensformen und erwartete als Föderalist vom Staat Bern mehr Eigenständigkeit gegenüber dem Bund. 1882 vereinigten sich der Anhang Dürrenmatts und die meist patrizischen Konservativen der Stadt Bern zur Bernischen Volkspartei, doch war den Partnern fast nur die Abneigung gegen den Freisinn gemeinsam.
Demonstration gegen Krieg und Faschismus, 16. November 1930 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Fc-0004-16).
[…]
Auf der Linken hatten Arbeitervereine wie der Grütliverein im 19. Jahrhundert noch den Freisinn unterstützt. Auch Albert Steck, ein Fürsprecher aus einem Stadtberner Burgergeschlecht, kam vom Linksfreisinn her. Er gehörte 1888 zu den Mitbegründern der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Schweiz. Wie den meisten bernischen Sozialdemokraten schwebten ihm nicht der Klassenkampf oder eine Diktatur des Proletariats vor, sondern in erster Linie eine Verstaatlichung der Produktionsmittel und ein Recht auf Arbeit. Grössere Wahlerfolge hatten die Sozialdemokraten aber erst nach der Einführung des Proporzwahlrechts, in der Stadt Bern erstmals 1894, im Kanton Bern 1922. Bereits 1914 hatten sie vier Nationalräte und 18 Grossräte gestellt.
Die bernischen Bauern hatten im 19. Jahrhundert die traditionellen Parteien unterstützt, vor allem den Freisinn. Aber spätestens vom Ersten Weltkrieg an geriet der Freisinn ihres Erachtens immer stärker unter den Einfluss von Handel und Industrie, Arbeitnehmern und Konsumenten und verfocht kaum mehr bäuerliche Anliegen. Deshalb gründeten 1918 junge, nach Einfluss strebende Bauern, darunter Rudolf Minger, eine Partei, die sich bald mit Gewerbevertretern und den übrig gebliebenen Konservativen in der Stadt Bern und im Oberaargau zur bernischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, ab 1971 Schweizerische Volkspartei, SVP) zusammenschloss. Diese gewann 1919 bei den ersten Nationalratswahlen nach dem Proporzsystem gleich 15 der 32 Berner Mandate, dies vor allem auf Kosten des Freisinns, und einen Ständeratssitz. Im Grossen Rat errang sie fast die Hälfte der Sitze, und 1920-1938 beanspruchte sie immer fünf der neun Stellen im Regierungsrat. 1938 zogen erstmals zwei Sozialdemokraten in die Kantonsregierung ein, 1946 deren drei. Danach hatte die Formel mit vier BGB-, drei SP- und zwei FDP-Regierungsräten bis 1986 Bestand.
Wahlplakat der Jungbauern-Bewegung. Zweifarbige Lithografie, gedruckt von der Armbruster AG in Bern, 1935 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Mitte der 1930er Jahre schlossen sich die sogenannten Jungbauern (Bauernheimatbewegung) unter Führung von Hans Müller zusammen, zuerst innerhalb der BGB, ab 1935 von ihr losgelöst. Sie unterstützten vorerst sozialpolitische Postulate, zeigten aber auch zunehmend Sympathien für eine straff geführte «autoritäre Demokratie», die sie in die Nähe des Frontismus führten. Dem politischen Höhepunkt mit den Nationalratswahlen von 1935 folgte ein allmählicher Niedergang, und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden die Jungbauern als selbstständige politische Organisation wieder. Die Freiwirtschaftliche Bewegung der Schweiz war im Kanton Bern zwar nicht überdurchschnittlich vertreten, gewann aber durch den Emmentaler Grossrat Fritz Schwarz grösseres Ansehen. Die Katholisch-Konservativen hatten im Nordjura ihre stärkste Basis.
Bern gehörte nicht zu den Pionierkantonen der politischen Gleichberechtigung der Frauen. Zwar hatte der liberale Patrizier Beat Rudolf von Lerber schon um 1830 diese Forderung erhoben, aber als Aussenseiter kein Echo gefunden. Im November 1900 lehnten die Stimmberechtigten die Wählbarkeit von Frauen in Schulkommissionen ab, doch fand diese dann in erweiterter Form im Gemeindegesetz von 1917 Zustimmung. Eine Ermächtigung der Gemeinden, in kommunalen Angelegenheiten das Stimm- und Wahlrecht für Frauen einzuführen, wurde noch 1956 an der Urne zurückgewiesen. Ihre Annahme kam 1968 zustande, weil die zustimmenden Mehrheiten in den städtischen Amtsbezirken Bern, Biel, Nidau und im gesamten Jura die ablehnenden Mehrheiten in allen ländlichen Gebieten des alten Kantons übertrafen. Die eidgenössische Vorlage von 1959 über das Frauenstimm- und -wahlrecht verwarfen die Berner Stimmbürger noch mit einer Zweidrittelmehrheit. Die Vorlage von 1971 fand jedoch mit derselben Mehrheit Zustimmung, und Ende 1971 wurde das Stimm- und Wahlrecht für Frauen auch auf kantonaler Ebene eingeführt. Allgemein fielen im 20. Jahrhundert öfters die Stimmen zweier unterschiedlicher Partner in die gleiche Waagschale, nämlich die der städtischen Agglomerationen und die der Jurassier, die gemeinsam Mehrheiten gegenüber den konservativ Gesinnten gewinnen konnten.
Das starke Wachstum des Verwaltungsapparats im 19. und 20. Jahrhundert war zum Teil durch die Zweisprachigkeit des Kantons bedingt, der zum Beispiel im Erziehungswesen und auch für die Rechtspflege manche Strukturen doppelt erhalten musste. Zudem engagierte sich der Staat Bern stark in der Wirtschaft, etwa im Verkehr und in der Energieversorgung, auch wenn die Bernischen Kraftwerke (BKW) und die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS) nicht Teile der Kantonalverwaltung waren, sondern gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit starkem Einfluss der Behörden. Oft dienten ihre Chefsessel als Alterssitze für Politiker am Ende ihrer Karriere. Berns Verwaltung war zum Teil auch deshalb umfangreich, weil sie noch lange auf relativ kleinen Einheiten wie den Amtsbezirken aufbaute, obwohl diese für die Einwohner viel von ihrer Bedeutung verloren. Auch anderweitig wurde Überliefertes ungern aufgegeben. So leistete sich der Kanton Bern mit 200 Grossräten und neun Regierungsräten (bis 1990) die grösste Legislative und Exekutive aller Kantone der Schweiz.
Zur immer stärkeren Belastung wurde in der Nachkriegszeit die Jurafrage. Nach langen politischen Auseinandersetzungen löste sich 1978 der Nordjura vom Kanton Bern und konstituierte sich neu als Kanton Jura. Im bernisch gebliebenen Südjura gewannen danach sowohl die Idee eines Anschlusses an den Kanton Jura als auch die Frage einer rechtlichen Sonderstellung des nunmehr verkleinerten französischen Sprachgebiets im Kanton Bern an Gewicht.
Mit formellen Änderungen der Kantonsverfassung hielt Bern zurück und vollzog nach 1846 nur zweimal eine Totalrevision. Während der radikalen Vorherrschaft wandte sich namentlich auf dem Lande stets eine grosse Zahl von Stimmbürgern gegen Neuerungen. Selbst nach der Abtrennung des Nordjuras blieb eine Verfassungsrevision bis 1993 aus. Das politische Gewicht des Kantons Bern in der Schweiz hat abgenommen. Vertraten 1848 18% aller Nationalräte den Kanton, so waren es 1999 noch 13,5% (27 von 200).
Von Ende 20. bis Anfang 21. Jahrhundert
Autorin/Autor:
Beat Junker
In Bewegung und Unruhe geriet die kantonale Politik durch die sogenannte Finanzaffäre (1984-1988), die nach dem Verlust des Nordjuras das bernische Staatsbewusstsein zusätzlich erschütterte. Im Sommer 1985 zeigte der Untersuchungsbericht einer parlamentarischen Kommission, dass zuvor Zahlungen von Behörden an politische Gruppen nicht immer den Vorschriften entsprochen hatten. In den Regierungsratswahlen von 1986 traten die FDP und die SVP erstmals mit getrennten Listen an. Die FDP verlor im zweiten Wahlgang ihre beiden Sitze an die Freie Liste, eine Oppositionsgruppe ursprünglich bürgerlicher Herkunft, die sich besonders für Umweltanliegen einsetzte. Auf die Wahlen von 1990 hin wurde der Regierungsrat durch eine erfolgreiche Volksinitiative von neun auf sieben Sitze verkleinert. Diese gingen wieder an die grossen traditionellen Parteien (drei SVP, zwei SP, zwei FDP). Im Grossen Rat dagegen gewannen in den 1980er und 1990er Jahren jüngere links-grüne wie auch rechtsbürgerliche Parteien grössere Anteile. Die 2008 aus der Abspaltung der SVP entstandene Bürgerlich-Demokratische Partei ist seither auf kantonaler und nationaler Ebene vertreten (2015 drei Nationalräte und ein Ständerat). Seit 2010 hat auch die 2007 gegründete Grünliberale Partei Sitze im Kantons- und Nationalrat inne.
Plakat der probernischen Jugendgruppe für die Abstimmung vom 12. November 1989 über die Zukunft des Laufentals (Plakatsammlung der Schule für Gestaltung Basel, Münchenstein).
Das Laufental hatte sich im Herbst 1983 an der Urne zum Verbleib im Kanton Bern bekannt, doch zeigte es sich später, dass die Kantonsregierung den Entscheid mit geheimen Zahlungen unzulässig beeinflusst hatte. Deshalb ordnete das Bundesgericht eine Wiederholung an, die Ende 1989 knapp zugunsten eines Anschlusses an das Baselbiet ausfiel, sodass der Amtsbezirk Laufen auf den 1. Januar 1994 aus dem Kanton Bern ausschied.
1993 nahmen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger eine revidierte Kantonsverfassung an, die vorwiegend Bisheriges weiterführte, es aber übersichtlicher darstellte und zeitgemässer formulierte. Neu wurden zum Beispiel soziale Grundrechte und das konstruktive Referendum eingeführt.
Sitze des Kantons Bern in der Bundesversammlung 1919-2015
1919
1928
1939
1951
1963
1975
1987a
1999b
2003
2007
2011
2015
Ständerat
FDP
1
1
1
1
1
1
1
SP
1
1
1
1
1
BGB/SVP
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
BDP
1
1
Nationalrat
BGB/SVPc
16
15
10
11
11
10
9
8
8
10
8
9
SP
9
11
10
12
12
11
7
8
8
6
6
6
FDP
5
6
5
6
6
6
5
5
4
4
2
2
KK/CVPd
1
2
2
2
2
1
1
1
1
1
Grütliverein
1
Jungbauern
3
LdU
1
2
2
1
1
EVP
1
1
1
1
1
1
1
NA/SDe
1
1
1
1
Freie Liste
3
1
Autoparteif
1
EDU
1
1
1
Grünes Bündnis/GP
1
2
3
3
2
GLP
2
2
BDP
4
3
Total
32
34
31
33
33
31
29
27
26
26
26
25
a nach 1978 ohne den Nordjura (Gründung des Kt. Jura)
b nach 1994 bzw. 1996 ohne den Amtsbez. Laufen und die Gem. Vellerat
c ab 1971 SVP
d ab 1970 CVP
e ab 1990 SD
f ab 1994 Freiheits-Partei
Sitze des Kantons Bern in der Bundesversammlung 1919-2015 - Autor; Bundesamt für Statistik
Zusammensetzung des Regierungsrats im Kanton Bern 1982-2014
1982
1986
1990
1994
1998
2002
2006
2010
2014
FDP
2
2
2
2
2
1
1
1
SP
3
3
2
2
2
2
3
3
3
BGB/SVP
4
4
3
3
3
3
2
1
1
BDP
1
1
Freie Liste
2
GP
1
1
1
Total Sitze
9
9
7
7
7
7
7
7
7
Zusammensetzung des Regierungsrats im Kanton Bern 1982-2014 - Bundesamt für Statistik
Zusammensetzung des Grossrats im Kanton Bern 1926-2014
Partei
1926
1938
1950
1962
1974
1986
1998
2002
2006
2010
2014
BGB/SVPa
104
64
79
79
79
69
66
67
47
44
49
SP
63
55
68
68
59
49
58
58
42
35
33
FDP
43
28
32
39
37
40
38
36
26
17
17
KK/CVPb
13
11
10
10
10
6
2
2
1
1
BDP
25
14
Jungbauern
22
LdU
1
4
1
2
4
Freiwirtschaft
1
1
Junges Bern
2
1
1
EVP
3
6
8
11
13
10
12
NA/SDc
5
5
3
3
1
POCH/Grünes Bündnisd
1
2
5
5
Freie Liste/Grüne-Freie Listee
11
9
10
GP
19
16
16
GLP
4
11
EDU
4
4
6
5
5
Freiheits-Parteif
4
1
Andere
1
1
3
7
3
4
4
3
3
Parteilos
1
1
Total
224
184
194
200
200
200
200
200
160
160
160
a ab 1971 SVP
b ab 1970 CVP
c ab 1990 SD
d ab 1987 Grünes Bündnis
e ab 1997 Grüne-Freie Liste
f vor 1994 Autopartei
Zusammensetzung des Grossrats im Kanton Bern 1926-2014 - Autor; Bundesamt für Statistik
Das kantonale Wehrwesen bis 1874
Autorin/Autor:
Georges Grosjean
Die Helvetische Republik stellte eine stehende Truppe auf und begann den Aufbau einer Nationalgarde, in der alle Bürger im Alter von 20 Jahren zwei Jahre Militärdienst leisten sollten; kantonale Organe oder Einheiten waren nicht vorgesehen. Mit der Mediation kehrte das Wehrwesen unter kantonale Hoheit zurück. Der Zeitraum 1803-1874 war gekennzeichnet durch ein Nebeneinander von kantonalen und eidgenössischen Wehranstalten, wobei sich das Schwergewicht nach 1848 zum neu gegründeten Bundesstaat hin verschob. Neben den beiden Kontingenten (Auszug bzw. Reserve), die der Kanton dem Bund zu stellen hatte, stand ihm eine Landwehr zur eigenen Verfügung. Ausbildung, Ausrüstung, Bewaffnung und Rekrutierung der Bundeskontingente blieben zunächst den Kantonen überlassen.
Die Grundlage des bernischen Wehrwesens in der Mediationszeit waren das Gesetz von 1804 und die kantonale Militärorganisation von 1812, die keine allgemeine Wehrpflicht kannten. Die 5500 Mann starken Bundeskontingente des Kantons Bern setzten sich aus Freiwilligen und durch das Los bestimmten Wehrmännern zusammen. Das von der eidgenössischen Tagsatzung erlassene allgemeine Militärreglement von 1817, das im Wesentlichen bis 1850 bestehen blieb, brachte Bewegung auch in das bernische Wehrwesen. Der Kanton Bern hatte einen Einwohneranteil von 2%, insgesamt 11'648 Männer, zu den Bundeskontingenten beizusteuern. Vermehrt traten Spezialtruppen in Erscheinung: Scharfschützen, Kavallerie, Artillerie, Train, Sappeure und später auch Pontoniere. 1818 führte Bern die allgemeine Wehrpflicht ein. Die Verordnung von 1826 regelte die Ausbildung des Auszugs an der kantonalen Militärschule in der Stadt Bern: Einer Rekrutenschule von sechs Wochen folgten einige wenige Wiederholungskurse als Garnison der Stadt Bern. Die Landwehr blieb beim System des Drills auf Exerzierplätzen. An Artillerie hatte Bern zum eidgenössischen Heer vier Zwölfpfünder, 22 Sechspfünder und sechs Zwölfpfünder-Haubitzen zu stellen, insgesamt 32 Feldgeschütze. Bern bemühte sich, den andern Kantonen mit gutem Beispiel vorangehend, die eidgenössische Artillerieordonnanz von 1819 durch die Beschaffung der neuen Sechspfünder-Feldgeschütze und einer Batterie Zwölfpfünder vom englischen Typ, der ersten in der Eidgenossenschaft, in die Tat umzusetzen. Schon während der Restauration entstammten viele Unteroffiziere und Offiziere bis zum Hauptmannsgrad der ländlichen Oberschicht. Bei den Stabsoffizieren jedoch dominierten Bernburger. In der bewegten Regenerationszeit zerfielen Ausbildungsstand, Disziplin und Dienstfreudigkeit des Heers. Die Militärverfassung von 1835 bedeutete eher einen Rückschritt, indem der Auszug von zwölf auf acht Jahrgänge herabgesetzt, die Trüllen (Drill) aufgehoben und gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungsdienste suspendiert wurden. 1840 umfassten die bernischen Truppen 12'666 Mann im Bundesauszug, 6100 Mann in der Bundesreserve, 19'357 Mann in der Landwehr, eine Stadtwache von 92 Mann und ein Studentenkorps von 113 Mann. Das starke Bevölkerungswachstum führte in dieser Zeit zu einem Anstieg der Mannschaftsbestände und einem empfindlichen Mangel an Offizieren und Unteroffizieren. Mit der Militärorganisation von 1847, die vor allem das Werk des Militärdirektors und späteren Bundesrats Ulrich Ochsenbein war, wurde das bernische Militärwesen gestrafft und die Krise überwunden. Bereits 1842 hatte auf eidgenössische Verordnung hin die Einführung des Infanteriegewehrs mit Perkussionsschloss begonnen.
Im Bundesstaat regelte das Bundesgesetz über die Militärorganisation von 1850, welches das Kontingentsheer grundsätzlich beliess, das Militärwesen. Die gesetzliche Anpassung des bernischen Militärwesens an diese Bundesordnung erfolgte 1852 durch das Gesetz über die Militärorganisation des Kantons Bern, welches die letzte kantonalbernische Wehrordnung blieb. Mit der Verfassungsrevision von 1874 wurde das Wehrwesen Sache des Bundes.
1803-1846 stand stets eine Kollegialbehörde dem Berner Militärwesen vor: 1803-1815 die dem Staatsrat unterstehende Militärkommission, 1815-1831 der Kriegsrat nach altbernischem Vorbild, 1831-1846 das Militärdepartement. Gemäss der Verfassung von 1846 hatte in der Folge ein Regierungsmitglied die alleinige Leitung der Militärdirektion inne.
Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert
Bevölkerung und Siedlung
Bevölkerungsentwicklung
Autorin/Autor:
Christian Lüthi
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte Bern zu den Kantonen mit dem stärksten Bevölkerungswachstum. Seither liegt es unter dem schweizerischen Durchschnitt. Die Krisen der 1850er, 1880er, 1970er und 1990er Jahre trafen Bern besonders heftig. Sie bewirkten 1850-1856 und 1970-1980 sogar Bevölkerungsrückgänge. In den Grenzen seit 1997 war Bern bis 1930 der bevölkerungsreichste Kanton, wurde dann aber vom Kanton Zürich überflügelt. Der Berner Anteil an der Schweizer Wohnbevölkerung ging 1850-1990 kontinuierlich von 17% auf 13,7% zurück, und die Wanderungsbilanz war mit Ausnahme der Periode 1930-1970 negativ. Dieser Trend spiegelt den im schweizerischen Vergleich hohen Anteil an Randregionen sowie die unterdurchschnittliche Wirtschaftsentwicklung.
Bis 1850 verteilte sich das Wachstum recht gleichmässig über das Kantonsgebiet. Seit dem Anschluss an das Bahnnetz ab 1857 entwickelten sich die einzelnen Regionen jedoch sehr unterschiedlich, wobei die jeweils dominierenden Wirtschaftszweige und deren Konjunktur eine zentrale Rolle spielten. So wuchs der Südjura in den 1850er Jahren dank der Uhrenindustrie um 25%, und Biel war bis 1910 die am schnellsten wachsende Stadt der Schweiz. Die Krise nach 1974 liess die Bevölkerung Biels und des Berner Juras jedoch drastisch zurückgehen. Die Region um die Stadt Bern war wegen ihrer gemischten Wirtschaftsstruktur krisenresistenter und legte bevölkerungsmässig am stärksten zu. Das agrarisch geprägte höhere Mittelland mit dem Emmental und dem Schwarzenburgerland verlor dagegen durch Abwanderung kontinuierlich an Gewicht. Das Seeland blieb hinter der kantonalen Entwicklung zurück, bis es nach 1945 in den Sog der Agglomerationen Biel und Bern geriet. Die Bevölkerung des Oberaargaus wuchs bis 1980 langsamer, seither aber deutlich schneller als die des gesamten Kantons. Das Berner Oberland entwickelte sich uneinheitlich: Der Tourismusboom der Belle Epoque erfasste vor allem die Amtsbezirke Interlaken und Saanen. Das Oberhasli war mit Ausnahme der Kraftwerkbauperiode 1920-1940 ein Abwanderungsgebiet. Nach 1860 nahm das demografische Gewicht der grossen Zentren Bern, Biel und Thun überproportional zu. Dieses Wachstum dauerte bis in die 1960er Jahre an. Dann setzte die Suburbanisierung ein, und seit 1980 greifen die Agglomerationen in das tiefere Mittelland aus, sodass statistisch gesehen neue Städte (Münsingen, Lyss) entstanden sind.
Konfessionell ist Bern der Kanton mit dem weitaus höchsten protestantischen Bevölkerungsanteil geblieben. Der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung lag immer deutlich unter dem schweizerischen Mittel.
Bevölkerungsentwicklung des Kantons Bern 1850-1990a
Zeitraum
Einwohnerb
Gesamtzunahmec
Wanderungssaldoc
Ausländeranteilb
Protestantenb
Altersstruktur: Anteil >59b
1850-1860
413'468
-
97,7%
-
1860-1870
419'518
7%
-2%
2,2%
96,7%
10,0%
1870-1880
450'537d
6%
-4%
3,1%
96,8%
9,5%
1880-1888
478'364d
1‰
-10‰
3,0%
96,8%
9,3%
1888-1900
482 976
8‰
-4‰
3,1%
96,6%
9,1%
1900-1910
531'973
10‰
-3‰
4,6%
95,2%
9,6%
1910-1920
587'100
5‰
-3‰
6,0%
93,3%
9,7%
1920-1930
615'916
3‰
-6‰
4,1%
93,9%
10,5%
1930-1941
633'161
6‰
1‰
3,1%
93,5%
10,9%
1941-1950
672'563
11‰
2‰
1,7%
92,9%
12,0%
1950-1960
742'513
11‰
3‰
2,8%
90,4%
11,3%
1960-1970
826'027
10‰
2‰
6,3%
86,0%
12,0%
1970-1980
916'035
0‰
-2‰
10,8%
80,7%
14,4%
1980-1990
912'022
5‰
4‰
7,7%
78,2%
16,5%
1990
958'192
10,2%
73,3%
16,0%
a nach dem Gebietsstand von 1990
b zu Beginn der Berechnungsperiode
c mittlere jährl. Zuwachsrate
d ortsanwesende Bevölkerung
Bevölkerungsentwicklung des Kantons Bern 1850-1990 - Pfister, Bern, S. 430-431; Historische Statistik der Schweiz; Bundesamt für Statistik
Siedlungsentwicklung
Autorin/Autor:
Hans-Rudolf Egli
Mit der Industrialisierung und dem Tertiärisierungsprozess im 19. und 20. Jahrhundert verstärkten sich die Beziehungen zwischen den Siedlungen. Es entwickelten sich regionale und überregionale Siedlungssysteme, wobei sowohl die Voraussetzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts als auch der Entwicklungsverlauf von Region zu Region sehr unterschiedlich waren: Im Berner Oberland wurde die von der mehrstufigen alpinen Landwirtschaft geprägte traditionelle Streusiedlung nach dem Bau von Fahrstrassen und Eisenbahnlinien bereits vor dem Ersten Weltkrieg durch Hotelbauten des frühen Alpin- und Kurtourismus überformt. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der Massentourismus zum Bau zahlreicher Ferienhäuser und einzelner Feriensiedlungen. Die Weiler- und Einzelhofsiedlungen des höheren Mittellandes (Schwarzenburgerland, Emmental) sind dagegen vorwiegend agrarisch geblieben. Einzig die an das Bahnnetz angeschlossenen ehemaligen Gewerbesiedlungen wie Langnau im Emmental, Konolfingen und Schwarzenburg sind Entwicklungszentren von regionaler Bedeutung geworden. Die ehemaligen Bauerndörfer der Region Bern und des Tals der Aare zwischen Thun und Bern wurden durch den um 1900 einsetzenden und in der Nachkriegszeit beschleunigten Agglomerationsprozess vorwiegend zu Wohnsiedlungen (sogenannte Schlafdörfer), die funktional stark mit den städtischen Zentren verflochten sind. Auch der Raum Biel entwickelte sich infolge der Abwanderung aus der Kernstadt und der Zuwanderung aus ländlichen Gebieten in die Bieler Umlandgemeinden zur Agglomeration. Im Seeland wird in den geschlossenen Haufendörfern mit einstigem Zelgensystem seit den Gewässerkorrektionen und Gesamtmeliorationen intensiver Gemüsebau betrieben. Am nördlichen Ufer des Bielersees dominieren nach wie vor die Rebbaudörfer. Die Dörfer in den Tälern des Berner Juras wurden vom 19. Jahrhundert an stark durch die Uhrenindustrie geprägt. Auf Talterrassen und den Jurahöhen blieben dagegen die landwirtschaftlichen Einzelhofsiedlungen erhalten.
Zählte 1850 von den 26 Städten und Flecken des Kantons Bern einzig die Stadt Bern mehr als 10'000 Einwohner, so wohnten 2000 39% der bernischen Bevölkerung in den 13 städtischen Gemeinden mit mehr als 10'000 Einwohnern. 1850-1910 nahm die Bevölkerungszahl in den Kernstädten stark zu, nach 1950 wuchsen vor allem die Umlandgemeinden innerhalb der Agglomerationen. Durch die Festlegung von wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkten innerhalb und ausserhalb der Agglomerationen versuchen die Kantons- und Gemeindebehörden seit den 1990er Jahren die Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung zu steuern und zu fördern.
Wirtschaft
Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen
Autorin/Autor:
Christian Pfister, Paul Messerli
Die wirtschaftliche Entwicklung seit 1800 lässt sich als Abfolge dreier Strukturperioden beschreiben, in denen das Wirtschaftswachstum jeweils auf anderen Schlüsselenergieträgern beruhte: bis um 1850 auf dem Boden als Basis für durch Sonnenenergie erzeugte Biomasse (Holz, Nahrung, Futter), 1850-1950 auf der Kohle und der durch Wasserkraft erzeugten Elektrizität, seit 1950 auf Erdöl, Erdgas und Atomenergie. Die Strukturperioden waren überlagert von kürzeren Zyklen des Auf- und Abschwungs, denen bestimmte Innovationen zugeordnet werden können. Diese waren durch eine Wirtschaftspolitik abgesichert, die sich an den jeweiligen kulturellen Leitwerten orientierte.
«Der Besuch in der Sennhütte». Aquatinta vonChristian Meichelt,um 1820 (Bernisches Historisches Museum).
[…]
Neuerungen zur Hebung der Flächenproduktivität, vor allem im Futterbau (Leguminosen als Stickstofflieferanten, verbesserte Düngung dank Stallfütterung und Jauchegruben, Kartoffel), waren nach 1760 von der Ökonomischen Gesellschaft propagiert worden. Sie blieben jedoch im Kanton Bern lange in einer Vorläuferphase stecken, weil institutionelle (Flurzwang, Naturalabgaben), demografische (knappe Arbeitskraft) und ökonomische Hindernisse (kein marktfähiges Exportprodukt) ihrer breitenwirksamen Umsetzung entgegenstanden. Erst der Durchbruch des Liberalismus in der Regeneration schuf die Rahmenbedingungen mit der Markt- und Gewerbefreiheit, der Ablösung der Feudallasten und der freien Verfügung über den Boden. Zugleich wuchs mit den geburtenstarken Jahrgängen 1820-1835 ein ausreichendes Arbeitskräfte- und Nachfragepotential heran, und mit den neuen Talkäsereien (Pioniergründung Kiesen 1813) liess sich aus der im Überfluss vorhandenen Milch exportfähiger Käse in grossen Mengen herstellen. Damit verlor aber das Berggebiet seine Vorrangstellung im wichtigen Käseexportmarkt.
Für die Jahre 1835-1847 signalisiert die Bautätigkeit einen gesamtwirtschaftlichen Aufschwung, der sich auch in einem kräftigen Wachstum des Viehbestandes und in der Gründung zahlreicher Talkäsereien, vor allem im östlichen Kantonsgebiet, niederschlug. Der Kanton Bern führte Käse, Vieh und Holz, Eisen aus den jurassischen Hochöfen und in Normaljahren auch Getreide aus. Im Gegenzug wurden Textilien und Genussmittel wie Zucker, Kaffee und Wein, bei Missernten ausserdem Getreide importiert. Trotz des erheblichen Bevölkerungswachstums verschlechterte sich die Ernährungslage nicht. Selbst im Notjahr 1847 hätte sich die Berner Bevölkerung bei gleichmässiger Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel aus eigener Produktion ernähren können. Der damals verbreitete Pauperismus wurzelte somit nicht in wirtschaftlichen, sondern in sozialen und politischen Missständen.
Aufgrund des grossen ökonomischen Gewichts der Landwirtschaft im Kanton Bern intensivierte die Agrarrevolution die Austauschbeziehungen mit den exportorientierten Leichtindustrien und mit dem Gewerbe. Um 1800 übte schon jeder Dritte ein Handwerk aus, wobei unter anderem eine Vielfalt von Erzeugnissen aus dem Grundwerkstoff Holz hergestellt (Holzwirtschaft) und auf den Märkten vertrieben wurde. Trotz der erheblichen Expansion von Wirtschaft und Bevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich das relative Gewicht der Erwerbssektoren bis um 1856 nicht. Neben der Baubranche gewannen durch den abnehmenden Selbstversorgungsgrad insbesondere Bäcker (Bäckerei), Metzger (Metzgerei) und Handelsberufe (Handel) an Bedeutung. Während die heimindustrielle Leinenproduktion im Emmental an der Konkurrenz durch auswärtige Fabrikindustrie scheiterte, fasste in Biel neben der Metallurgie vorübergehend die Baumwollindustrie (Baumwolle, Zeugdruck) Fuss. Die Herstellung von Uhren verbreitete sich vom Kanton Neuenburg her schon seit dem 18. Jahrhundert im Tal von Saint-Imier, zunächst in Heimarbeit (Ateliers), von den 1850er Jahren an in Fabriken.
Die Drahtzieherei von Bözingen. Radierung vonJohann Joseph Hartmann, um 1815 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
[…]
In der zweiten Strukturperiode, 1850-1950, wurde der Kanton Bern durch das Eisenbahnnetz in die entstehende regionale und internationale Arbeitsteilung einbezogen. Bis 1914 treten drei Wellen starker Bautätigkeit hervor (1853-1866, 1872-1878, 1890-1914). Die ersten beiden wurden vom Eisenbahnbau (bis 1864 Blüte der Eisenindustrie im Jura, Metallverarbeitende Handwerke), die dritte vom Maschinenbau auf der Basis billigen Stahls sowie von der Elektrifizierung getragen. In der Grossen Depression (im Kanton Bern 1878-1889) wurden mit der Ausweitung der politischen Beteiligung auf Bundesebene, der Durchsetzung der obligatorischen Schulpflicht und dem Übergang zum «organisierten Kapitalismus» günstige Rahmenbedingungen für die folgende Aufschwungperiode geschaffen.
Die Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes bis um 1870 legte die wirtschaftlichen Wachstumspole (Bern, Biel, Thun, Burgdorf, Langenthal) langfristig fest. Nach einer Phase, in der sich weiterhin vor allem traditionelle Leichtindustrien ansiedelten (1889 Uhrenindustrie 20%, Textilindustrie 15% der Beschäftigten im Kanton Bern), folgte in der Hochkonjunkturperiode 1890-1914 eine Welle von industriellen Neugründungen. Die über das Bahnnetz verteilte Kohle schuf die Energiebasis für neue Industriezweige, die Prozesswärme benötigten und, mit Ausnahme der Metallindustrie (Selve-Metallwerke in Thun) und der Porzellanindustrie (Langenthal), einheimische Rohstoffe verarbeiteten: die Zementindustrie in La Reuchenette, Laufen und Därligen, die Ziegeleien, die Keramikindustrie in Laufen (Keramik Laufen), die Papierindustrie in Grellingen, Zwingen, Utzenstorf und Deisswil sowie die Nahrungsmittelindustrie (Schokolade, Ovomaltine, Kondensmilch, Zucker, Schmelzkäse). Bei der Erzeugung von elektrischer Energie mit Wasserkraft (Stauwerke) ging der Kanton Bern führend voran (Kraftwerke Felsenau, Hagneck, Spiez, Bannwil, Kandergrund, Kallnach, 1909 Gründung der BKW). Die Uhrenindustrie breitete sich am Jurafuss aus und zog die Herstellung von Präzisionsmaschinen nach sich. In Thun gingen Impulse von den eidgenössischen Militärbetrieben aus (Metall- und Verpackungsindustrie), in der Stadt Bern unter anderem vom grafischen Gewerbe (Druckmaschinen). In Langenthal liess sich die Maschinenfabrik Ammann nieder. Die meisten Gründerpersönlichkeiten stammten aus zugewanderten Familien der Deutschschweiz oder des Auslands. Die nach 1890 im Mittelland entstandenen Stich- und Verbindungsbahnen vermochten die wirtschaftliche Attraktivität der Peripherien nicht zu steigern, im Unterschied zu den Touristenbahnen im Oberland und zur Alpen querenden Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS).
Grundlegend wandelte sich 1870-1910 die Beschäftigungsstruktur: Der Anteil der Landwirtschaft ging von 49% auf 33% zurück, derjenige der Industrie stieg leicht von 38% auf 44%. Einen starken Aufschwung von 13% auf 23% erfuhr der Dienstleistungssektor, darin vor allem die kantonale und die eidgenössische Verwaltung, die 1888-1910 um 162% zunahmen.
Die bernische Landwirtschaft erzielte zwischen 1850 und 1915 bei einem leicht rückläufigen Arbeitskräftebestand namhafte Produktionsgewinne im Futter- (+ 90%) und Kartoffelbau (+ 56%) sowie in der Milch- (+ 145%) und Fleischproduktion (+ 170%). Dagegen stagnierte, im Unterschied zu anderen Kantonen, die Getreideproduktion. Die um 1890 einsetzende zweite Phase der Agrarrevolution beruhte technologisch auf der Mechanisierung pferdegezogener Geräte (u.a. Maschinenfabrik Aebi) sowie auf der Anwendung von Dünger und Hilfsstoffen, organisatorisch auf den rasch aufkommenden Landwirtschaftlichen Genossenschaften, welche die Innovationen verbreiteten, politisch auf der Organisation der Bauern im 1897 gegründeten Schweizerischen Bauernverband (SBV).
Von Pferden gezogene Sämaschine im Emmental. Fotografie, 1942 (Aebi & Co. AG, Burgdorf).
In den beiden Weltkriegen wurden die Elektrizitätswerke unter dem Druck des Energienotstands stark ausgebaut (u.a. Mühleberg, Grimsel) und in Thun die Militärbetriebe erweitert. In Biel siedelte sich in der Wirtschaftskrise 1935 ein Montagewerk der General Motors an. Dieses steht als doppeltes Symbol für eine neue Ära der industriellen Produktion (Fordismus aus den USA) und eine wirtschaftliche Wachstumsphase, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg um die Motorisierung und die Automobilisierung entwickelte und die als erste Wachstumsphase in der Geschichte von fallenden Energiepreisen (Erdöl) profitierte.
Von der Massenmotorisierung wurde auch die Landwirtschaft erfasst. Die dritte Agrarrevolution (1955-1965) steigerte die Arbeitsproduktivität ebenso wie die Hektarerträge, die durch Kapital- und Energieeinsatz weiter anstiegen. Sie setzte weitere Arbeitskräfte für die wachsenden Industrien frei. Das industrielle Wachstum der Nachkriegszeit bescherte dem 2. Sektor im Kanton Bern 1960 einen Beschäftigtenanteil von 49,1% (Schweiz 50,4%). In der Land- und Forstwirtschaft fiel der Agrarkanton Bern dagegen bis 1960 mit 6,5% der Vollbeschäftigten unter den schweizerischen Durchschnitt (11,2%).
In diesen Wachstumsjahren zeichnete sich eine neue Tendenz in der Standortwahl der Industrien ab. Als Folge der ausgetrockneten Arbeitsmärkte in den Städten und grösseren Industrieorten kam es zur Dezentralisierung industrieller Betriebe ins Berner Oberland, in die voralpine Hügelzone und in den ländlichen Raum, um verbleibende Arbeitsreserven auszuschöpfen und der Verknappung und Verteuerung des Industrielands in den städtischen Gebieten auszuweichen.
Neue Akzente in der Standortgunst setzten nach 1960 der Autobahnbau und die neue Planungsphilosophie der räumlichen Trennung von Wohnen und Arbeiten. Ausgelöst durch die vielen Güterzusammenlegungen im Zusammenhang mit dem Autobahnbau entstanden entlang der neuen Nationalstrassen, vor allem an Autobahnkreuzen (z.B. Schönbühl, Bern-Wankdorf), grosszügige Industrie- und Gewerbezonen, die die alten Industriestandorte entlasteten, aber neuen Pendlerverkehr produzierten. Der Infrastrukturausbau, die planerische Funktionsentflechtung und das quantitative Wachstum leiteten eine von den städtischen Zentren ausgehende Suburbanisierung ein.
Der Kanton Bern ging aus diesen Wachstumsjahren mit strukturellen Schwächen hervor. Das historische Erbe des Agrarkantons, die hohen Infrastrukturkosten der dezentralen Siedlungsstruktur und die Untervertretung wertschöpfungsstarker Branchen warfen ein Pro-Kopf-Einkommen ab, das 1975 um 8,7% unter dem schweizerischen Durchschnitt lag. Dem infrastrukturellen Nachholbedarf, den regionalen Disparitäten und den Strukturschwächen der Industrie wird mit einer Wirtschaftsförderung begegnet, die seit 1975 durch das Investitionshilfegesetz des Bundes verstärkt wird.
Nach den Jahren der konjunkturellen Überhitzung mit hohen Inflationsraten Anfang der 1970er Jahre kam der Sturz in die Krise. Hart getroffen wurde insbesondere die schweizerische Uhrenindustrie: Sie verlor zwischen 1970 und 1976 45'000 oder 50% ihrer Arbeitsplätze, unter anderem weil sie den Einstieg in die Massenproduktion der Quarzuhr, die sie bereits 1967 entwickelt hatte, verpasste. Im Berner Jura und in der Uhrenstadt Biel wurden 40% der Arbeitsplätze abgebaut. Symbolhaft für das Ende des industriellen Breitenwachstums schloss zudem 1975 General Motors die Montagehalle in Biel. Mit der Verlagerung industrieller Arbeitsplätze ins billiger produzierende Ausland ging 1975-1985 in der Schweiz eine Desindustrialisierung einher, der 300'000 Arbeitsplätze zum Opfer fielen. Auch im Kanton Bern übernahm um 1985 der Dienstleistungssektor die wirtschaftliche Führungsrolle.
Erwerbsstruktur des Kantons Bern 1860-1990a
Jahr
1. Sektor
2. Sektor
3. Sektorb
Total
1860
88'528
42,7%
68'759
33,2%
49'805
24,0%
207'092
1870c
97'951
48,8%
77'660
38,7%
25'053
12,5%
200'664
1880c
105'311
47,2%
86'048
38,5%
31'952
14,3%
223'311
1888
91'806
42,7%
81'558
37,9%
41'662
19,4%
215'026
1900
89'728
35,7%
105'544
42,0%
55'994
22,3%
251'266
1910
89'112
31,7%
119'702
42,6%
72'281
25,7%
281'095
1920
92'083
30,2%
127'694
41,8%
85'526
28,0%
305'303
1930
78'472
25,0%
135'471
43,2%
99'364
31,7%
313'307
1941
80'172
23,7%
143'287
42,4%
114'708
33,9%
338'167
1950
31'116
8,7%
163'811
45,6%
163'959
45,7%
358'886
1960
25'687
6,5%
193'597
49,1%
174'956
44,4%
394'240
1970
45'590
10,6%
198'998
46,2%
185'693
43,2%
430'281
1980
39'973
9,2%
164'170
37,9%
228'676
52,8%
432'819
1990
29'125
6,0%
143'546
29,4%
314'881
64,6%
487'552
a bis 1960 ohne Teilzeitangestellte, inkl. künftiges jurass. Kantonsgebiet
b Residualgrösse
c ortsanwesende Bevölkerung
Erwerbsstruktur des Kantons Bern 1860-1990 - Bundesamt für Statistik; Historische Statistik der Schweiz
Ende des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich die hochwertigen industriellen Arbeitsplätze auf die Agglomerationen Bern, Biel und Thun, wogegen die Klein- und Mittelzentren auch vom Breitenwachstum des Dienstleistungssektors profitiert haben. Der Tourismus sorgt für eine weitere Dezentralisierung des tertiären Wachstums im Kantonsgebiet. Die Strukturschwächen der bernischen Wirtschaft sind aber nicht überwunden. Die Rezession der 1990er Jahre hat 1991-1993 mehr Arbeitsplätze gekostet (–9,5% oder 34'000) als im schweizerischen Mittel (–8,9%). Agrar- und Industrielastigkeit in traditionellen Branchen erschweren den künftigen Anpassungsprozess. Die Übernahme bedeutender Berner Firmen durch internationale Konzerne (z.B. Tobler durch Philip Morris, Losinger durch Bouygues) oder die verstärkte Zusammenarbeit (z.B. Ascom mit Ericsson) hat vorerst Arbeitsplätze gesichert. Der Wirtschaftsraum Mittelland (Espace Mittelland mit 1,7 Mio. Einwohnern und 800'000 Arbeitsplätzen Ende der 1990er Jahre) soll inskünftig durch die Zusammenarbeit der Kantone Bern, Neuenburg, Freiburg und Solothurn national und international als Arbeits- und Wohnstandort aufgewertet werden. Das jüngste wirtschaftspolitische Leitbild des Kantons Bern von 1993 setzt auf Ballungen wachstums- und innovationsstarker Branchen (z.B. Telematik, Medizinaltechnik, Beratungsdienstleistungen). Allerdings bleibt die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit des Staats durch den relativ hohen Steuerfuss und durch die hohe Schuldenlast (1999 rund 10 Mrd. Fr.), die unter anderem vom Debakel der Berner Kantonalbank von 1992 herrührt, vorerst beschränkt.
Verkehr
Autorin/Autor:
Klaus Aerni
Kleines Plakat mit Stundenplan und Tarifen der Postkutsche (Museum für Kommunikation, Bern).
[…]
Ende des 18. Jahrhunderts besass der Kanton Bern ein auf die Hauptstadt ausgerichtetes Netz moderner Fahrstrassen, das sich vom Rhein im Nordosten bis zum Genfersee im Südwesten erstreckte. Durch die territoriale Neuordnung von 1815 wurde die Nordwest-Südost-Richtung zur Längsachse des Kantons. Dennoch förderte der Staat weiterhin die nun verkürzten Nordost-Südwest-Transitwege (Transitverkehr) durch das Mittelland und überliess den Bau alpenquerender Passstrassen den Kantonen Wallis, Uri, Tessin und Graubünden. Bis um 1900 wurde jedoch auch in den Tälern des Berner Alpenraums das Netz der Hauptpoststrassen ergänzt (zuerst ins Frutig- und ins Niedersimmental) und der Weg über den Grimselpass zur befahrbaren Strasse für den Sommerverkehr ausgebaut (1891-1894).
Die Eisenbahn verkürzte die Reisezeiten gegenüber dem damaligen Strassenverkehr auf einen Fünftel oder weniger und rückte die Wirtschaftszentren einander deutlich näher. 1857-1870 bauten Bahngesellschaften wie die Ost-West-Bahn (ab 1861 Bernische Staatsbahnen) oder die Schweizerische Centralbahn (SCB) die mittelländischen Hauptstrecken. Im Berner Jura begann der Bahnbau erst nach der deutschen Eroberung des Elsasses im Deutsch-Französischen Krieg mit der 1872 eröffneten schweizerisch-französischen Verbindung Pruntrut-Delle. Im selben Jahr entstand mit der Bödelibahn (Därligen-Interlaken-Ost), die zwischen Thuner- und Brienzersee verkehrte, die erste Bahnlinie im Berner Oberland. 1888 folgte die Brünigbahn (Brienz-Luzern), und ab 1913 verband die BLS das bernische Bahnnetz mit dem 1906 eröffneten Simplontunnel (Tunnel). Damit war endlich eine wintersichere Verbindung von der Ajoie bis ins Wallis vorhanden. Die Zentren der schweizerischen Wirtschaft hatten sich allerdings schon weitgehend gebildet, die grössten ausserhalb des bernischen Gebiets.
Bereits vor dem Beginn des Bahnzeitalters hatte 1826 auf dem Bielersee die Dampfschifffahrt begonnen. Auf den Oberländer Seen stand der Schiffsverkehr vor allem im Dienst des wachsenden Tourismus. 1835 eröffneten die Gebrüder Johann Friedrich, Johannes und Johann Jakob Knechtenhofer mit der Bellevue die Dampfschifffahrt zwischen Thun und Neuhaus in Unterseen, und 1839 fuhr das erste Dampfschiff auf dem Brienzersee. Dem Ausbau der Bahn- und Schiffsverbindungen bis nach Interlaken folgten 1890 die Bahnlinien in die Lütschinentäler. Dank der Erfindung der Zahnradlokomotive konnten nun auch Steilstrecken überwunden und Bergbahnen gebaut werden (1892 Brienzer Rothorn, 1893 Schynige Platte, 1912 Jungfraujoch). Auf kürzeren Strecken wurden Standseilbahnen eingesetzt (erstmals 1879 Giessbach). Der Rückgang des Tourismus ab 1914 brachte auch den Bergbahnen Rückschläge. Ein neuer Bauboom setzte erst nach 1950 ein: Die zahlreichen Kabinenbahnen, Sessel- und Skilifte dienten nun vorwiegend dem rasch wachsenden Wintertourismus.
Der Motorisierungsschub nach dem Zweiten Weltkrieg löste den Bau des Nationalstrassennetzes aus. Gemäss dem 1960 genehmigten Bauprogramm konzentrieren sich die Verbindungen im tieferen Mittelland. Dominant ist somit auch im Berner Kantonsgebiet der West-Ost-Verkehr. Die A1 vom Bipperamt über die Stadt Bern nach Murten ist seit 1981 durchgehend in Betrieb. Die A12 nach Freiburg war bereits 1977 fertig gestellt. Die A5 am Bielersee entstand zwischen 1973 und 1989; die Fortsetzung zwischen Biel und der A1 bei Solothurn wurde 2001 eröffnet. Von der heute noch fehlenden Strecke durch die Stadt Biel soll der Ostast von Brügg nach Bözingen 2008-2009, der Westast von Brügg an den Bielersee bis 2015 gebaut werden. Die 1966-1973 erbaute A6 verbindet Bern mit dem Oberland. Ihre 1957-1994 errichtete Fortsetzung A8 von Spiez bis zum Brünigpass ist mehrheitlich eine zweispurige Autostrasse. Seit 1997 führt die A16 von Biel bis Tavannes; sie soll um 2010 den Kanton Jura erreichen. Als Folge der wachsenden Umweltprobleme, die zu einem grossen Teil verkehrsbedingt sind, entschied die Öffentlichkeit in den 1990er Jahren, den Alpentransit vermehrt auf die Schiene zu verlagern. Deshalb wurde im Rahmen der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) eine Lötschberg-Basislinie gebaut und 2007 in Betrieb genommen.
Die bernische Obrigkeit bewilligte nach 1650 öffentliche Bäder mit Wirtsrecht, die sich bald in allen Schichten grosser Beliebtheit erfreuten. Dies setzte im 18. Jahrhundert vor allem im Raum Oberaargau-Emmental-Berner Oberland den Bädertourismus in Gang. Zahlenmässig überwogen zwar Lokalbäder (1862 50) mit wenig Betten und einfacher Badeeinrichtung. Für den Tourismus wichtiger waren aber die Kur- und Heilbäder (1862 20), unter denen im Oberland Weissenburg, Heustrich (Gemeinde Aeschi bei Spiez), Faulensee und Lenk sowie im Gantrischgebiet das Gurnigelbad Ende des 19. Jahrhunderts mit Hotelpalästen und exquisiter Unterhaltung mondäne Züge annahmen. Der Erste Weltkrieg setzte der Bädermode ein abruptes Ende. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren nur noch die Kurzentren Lenk und Schwefelbergbad von Bedeutung.
Der Jura kannte vom 18. Jahrhundert bis zum Bahnbau einen auch literarisch belegten Transittourismus. Im Berner Oberland löste die Alpenbegeisterung den Tourismus aus: Naturschilderungen und Reiseberichte (u.a. Jean-Jacques Rousseau, Albrecht von Haller, Johann Wolfgang von Goethe) zogen Fremde vom 18. Jahrhundert an zu den berühmten, oft abgebildeten Gletschern bei Grindelwald und zu den Wasserfällen im Lauterbrunnental. Ausgangspunkt war Interlaken, das sich im 19. Jahrhundert dank leichter Erreichbarkeit (Strasse, Schiff, Bahn) zum internationalen Kurort aufschwang. Eine renommierte Hotellerie (ab 1860 Grandhotels Jungfrau und Victoria), Parkanlagen, Flanierstrassen und der Kursaal (1859) festigten Interlakens Ruf. Die neuen Verkehrsmittel bewirkten den raschen Ausbau der Hotellerie (Gastgewerbe) um Thuner- und Brienzersee (Thun, Giessbach), in den Tälern von Meiringen (Rosenlaui, Reichenbach), Grindelwald und Lauterbrunnen (Mürren, Wengen) und nach 1900 auch im Simmental, Saanen- und Frutigland (Lenk, Saanen, Gstaad, Adelboden, Kandersteg).
Die Glecksteinhütte am Fuss des Wetterhorns. Fotografie, 1896 (Alpines Museum der Schweiz, Bern).
[…]
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Fremdenverkehr im Kanton Bern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der allerdings wechselnden Modeströmungen unterworfen war. Im 19. Jahrhundert waren es Trink- und Molkenkuren sowie der Alpinismus, dem die Erschliessung der Bergwelt (Erstbesteigung der Jungfrau 1811, des Finsteraarhorns 1812, Goldene Jahre des Alpinismus 1855-1865) und das Netz von Schutzhütten des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) zu verdanken sind. Bergbahnen führten ab 1890 zu hoch gelegenen Ausflugszielen. Nachhaltigen Einfluss übte vom ausgehenden 19. Jahrhundert an der Wintersport aus, vor allem der Skilauf (ab 1891). Als erster Kurort eröffnete Grindelwald 1888 die Wintersaison.
Ab 1950 begannen Massensportarten (Ski, Wandern usw.) sowie die Tendenz zu sportlicher und kultureller Aktivität die Konzepte der Kurorte zu bestimmen. Sportbahnen, Lifte, Sporthallen, Pisten und Loipen gehörten zur Norm für einen Wintersportort. Seit den 1980er und 1990er Jahren wurden Trend- und Risikosportarten in das Angebot aufgenommen, um vor allem in der Sommersaison ein jüngeres Publikum anzusprechen. Unübersehbar wandelte sich auch die gesellschaftliche Zusammensetzung der Gäste: Bis zum Ersten Weltkrieg prägte die englische Oberschicht die Kurorte. Seit den 1950er Jahren öffneten Billig- und Parahotellerie (Ferienwohnungen, Heime, Camping), Massen-, Gruppen- und Tagestourismus die Bergwelt allen Schichten.
Der Fremdenverkehr verschaffte der Berner Bergbevölkerung vielfältigen Zusatzverdienst. Dem hektischen Aufbau der Hotellerie von 1890-1914 (1880 107 Hotelbetriebe, 1912 665) folgten jedoch konjunkturelle Einbrüche (Weltkriege, 1930er Jahre), die man mit Heimarbeit und Arbeit in Bundesbetrieben zu überwinden suchte. Die bestehenden Tourismuskonzepte erstreben deshalb eine Einbindung der alpinen Land-, Holz- und Bauwirtschaft sowie ein Gleichgewicht von Sommer- und Wintersaison; Interlaken hat sich auf Kongresstourismus verlegt. In den 1950er und 1960er Jahren kam der Ausflugstourismus auch am Bieler-, Neuenburgersee und Murtensee (z.B. Drei-Seen-Fahrt), im Jura und im Emmental (z.B. Erlebnisferien) auf.
Gesellschaft
Schichtung und Sozialpolitik
Autorin/Autor:
Christian Pfister
Die Berner Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts ist, mit regionalen Unterschieden, gut erforscht. Weniger bekannt sind die Verhältnisse im Oberland, Oberaargau und Südjura. Zum 20. Jahrhundert liegen verschiedene Einzelstudien vor, jedoch fehlt eine Überblicksdarstellung.
Die ländliche Gesellschaft gliederte sich um 1800, gestützt auf den Besitz von Kulturland, Vieh und Lebensmitteln, in vier Schichten: Man unterscheidet im Mittelland und Jura zwischen marktproduzierenden Vollbauern, Selbstversorgern, Nichtbauern mit teilweiser Selbstversorgung sowie Landlosen, im Alpengebiet zwischen Käse produzierenden Bauern mit vielen Kühen (Hausrind), Bauern mit wenigen Kühen, Besitzern von Ziegen und Haushalten ohne Vieh. Das Sozialprofil der sechs Landesteile war vom Erbrecht beeinflusst: Die Erbteilung unter allen Geschwistern führte im Seeland, Oberaargau und Südjura zu Kleinhöfen und starker Verbreitung von Handwerk, Gewerbe und Heimindustrie. Das Erbvorrecht eines Sohns hatte dagegen im Emmental und in Teilen des Mittellandes grossbäuerliche Höfe und einen geringen Anteil an Kleinbetrieben zur Folge. Im östlichen Oberland waren Land- und Viehbesitz sowie Vorräte nahezu gleichmässig verteilt, und eine reiche Schicht fehlte; gegen Westen nahm die soziale Ungleichheit zu. Sozialprestige und politische Macht basierten überall weitgehend auf dem Besitz an Kulturland und Vieh. Dies galt auch für die Stadtbevölkerung, deren Oberschicht (ehemalige Patrizier, reiche Bürger) Vermögen in Landgütern, nicht in Fabriken anlegte.
Der soziale Wandel verlief im 19. Jahrhundert regional unterschiedlich: Im Amtsbezirk Büren zum Beispiel hatten die meisten Haushalte am sogenannten Burgernutzen teil (Holz, Weide, Pflanzland) und kamen bei der Allmendteilung zu Land, was Taunern und Kleingewerblern ein Überleben sicherte. Im Amtsbezirk Konolfingen dagegen wurden Allmenden, die 1800 nicht bereits aufgeteilt waren, den Grosshöfen zugeschlagen. Mangels Chancen wanderten initiative Kräfte ab.
Während im 19. Jahrhundert der Landbesitz weitgehend über die soziale Stellung entschied, änderte sich dies im 20. Jahrhundert tief greifend: Im selben Mass, wie landwirtschaftliche Einkommen zurückblieben, führte nun vor allem der Verdienst aus Industrie und Dienstleistungen zu Vermögensbildung und sozialem Aufstieg. Damit entstand das soziale Gefälle zwischen Industrieregionen (Jura, Biel, Oberaargau), dem Dienstleistungszentrum Bern und den agrarischen Peripherien, soweit diese nicht in den Pendlergürtel der Agglomerationen einbezogen wurden. Um 1960 stimmte die Verteilung der Wehrsteuererträge – bei grossen Differenzen innerhalb des Kantons Bern – weitgehend mit dem schweizerischen Mittel überein. Bei den natürlichen Personen überwogen die unteren Einkommensklassen massiv. 1987 lebte gemäss einer Studie rund ein Sechstel der bernischen Bevölkerung in einer Armut, die als Anspruchsberechtigung auf Ergänzungsleistungen zur Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) sowie der Invalidenversicherung (IV), verbunden mit einer Unterversorgung in wesentlichen Lebensbereichen (z.B. Wohnen, Ernährung, Gesundheit), definiert war.
In der Sozialpolitik waren die Dorf- und Kirchgemeinden seit dem späten 17. Jahrhundert zur heimatrechtlichen Armenversorgung verpflichtet. Im Seeland und im Oberaargau blieben die Soziallasten tragbar. In Teilen des Mittellandes und vor allem im Emmental und Schwarzenburgerland jedoch bedrückte die Massenarmut (Pauperismus) im Jahrzehnt um 1850 die Gemeinden und die ansässige Bevölkerung trotz starker Abwanderung in unerträglichem Ausmass, da auswärtige Arme das Sozialbudget ihrer Heimatgemeinde weiterhin belasteten. Die Überbürdung der Armenpflege nach dem Wohnortsprinzip auf die Einwohnergemeinden und private Armenvereine (1847) löste das soziale Netz und stürzte den Kanton Bern in eine tiefe Krise. Als Konsequenz hielt das Armengesetz von 1857 an der Unterstützungspflicht der Wohngemeinde fest, schrieb jedoch subsidiäre Verpflichtungen von Verwandten und Staat vor. Nach einer Hochkonjunkturphase legten die in der Wirtschaftskrise nach 1880 hervortretenden Schwächen der neuen Regelung – das Ausscheren der Burgergemeinden aus der sozialen Verpflichtung, ungenügende Staatsbeiträge, verfassungswidrige Repression der Einwohnergemeinden gegen arme Zuzüger – eine erneute Reform nahe. Das 1897 verabschiedete Armen- und Niederlassungsgesetz sah den Lastenausgleich zwischen den Gemeinden auf der Basis einer kantonalen Armensteuer vor. Die Revision von 1960 trug den Persönlichkeitsrechten der Unterstützten besser Rechnung.
Lebensweisen
Autorin/Autor:
Christian Lüthi
Lebensweisen und Mentalitäten sowie Formen des Zusammenlebens und der Abgrenzung sind erst für einzelne soziale Gruppen oder im lokalen Rahmen erforscht. Gut bekannt sind etwa die Verhältnisse im Stadtberner Bürgertum und in der städtischen Arbeiterschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert, aber auch örtliche Folgen der Agglomerationsbildung. Erste Erkenntnisse sind zum Verhältnis zwischen Leitbildern und Realitäten bäuerlicher Kultur und Lebensführung vorhanden.
Allgemein bestanden bis nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem zwischen Stadt und Land grosse soziale Unterschiede. Jedoch gab es auch innerhalb der Landbevölkerung teils deutliche Gegensätze zwischen Grossbauern mit Gesinde, Kleinbauern und in Armut lebenden Landlosen, wie sie etwa Albert Bitzius genau beobachtet und nachgezeichnet hat. Dem stadtbürgerlichen Familienmodell mit dem erwerbstätigen männlichen Familienoberhaupt, dessen Ehefrau sich ausschliesslich um die häuslichen Aufgaben kümmern musste, konnte jedoch selbst in grösseren Bauernbetrieben kaum nachgelebt werden. Bis zur ersten Mechanisierungswelle um 1890 mussten auf Bauernhöfen alle Familienangehörigen mitarbeiten, zu den Erntezeiten zudem Wanderarbeiter und Taglöhner beigezogen werden.
Chästeilet in Sigriswil im Justistal. Fotografie vonErnst Brunner, 1947 (Schweizerisches Institut für Volkskunde, Basel).[…]
Zu wichtigen dörflichen Treffpunkten wurden neben den Gaststätten die zahlreichen im 19. Jahrhundert errichteten Talkäsereien. Nach 1860 löste der Import von Getreide aus günstigeren Anbaugebieten per Bahn eine Agrarkrise aus, die ländliche Arbeitskräfte freisetzte. Gleichzeitig schuf die Industrialisierung Arbeitsplätze in den Städten. So trugen Zuwanderer vom Land zum Wachstum der städtischen Arbeiterschaft bei. Als Folge dieser Veränderungen in der ländlichen und städtischen Sozialstruktur entstanden Konsumvereine (1890 in Bern) und landwirtschaftliche Genossenschaften (1887 in Uettligen), die den Bedürfnissen vor allem der Arbeiterschaft und der Bauern nach Selbsthilfe entsprangen. In den nächsten Jahrzehnten breiteten sich diese Körperschaften über den ganzen Kanton aus (Genossenschaftsbewegung) und nahmen einen wichtigen Platz im dörflichen und städtischen Leben ein.
In den Städten waren die sozialen Unterschiede im 19. Jahrhundert besonders gross; Standesgrenzen verloren nur langsam an Bedeutung. So dominierten in der Stadt Bern die Patrizier und die übrigen Burger, deren Anteil an der Einwohnerschaft zwischen 1809 und 1910 von knapp 20% auf 5% zurückging, bis um 1900 das politische und gesellschaftliche Leben. Das Wirtschaftsbürgertum, welches das ökonomische Wachstum der Stadt prägte, stammte hingegen nicht aus dieser Schicht, sondern aus Familien, die im Lauf des 19. Jahrhunderts in die Stadt gezogen waren.
Auch die Spanne der Berufe und Lebensformen war in den Städten breiter. Die grösste Berufsgruppe bildeten um 1850 die in bürgerlichen Haushalten arbeitenden Dienstbotinnen. Meist junge Frauen vom Land übten diese Arbeit im Normalfall einige Jahre aus, bevor sie heirateten. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor der Beruf an Bedeutung, da sich den Frauen als Angestellte neue Erwerbsmöglichkeiten (Industrie, Detailhandel, Gastgewerbe, Büro) öffneten.
Um 1890 begann die städtische Arbeiterschaft sich zu organisieren. Vorläufer dieser Arbeiterbewegung waren Handwerksgesellen, die sich ab 1844 in Grütlivereinen zusammengeschlossen hatten. Der Grütliverein erreichte im Kanton Bern zwischen 1890 und 1910 mit 40-60 Sektionen und maximal 2700 Mitgliedern seinen Höhepunkt, wurde jedoch um 1900 bezüglich Mitgliederstärke von der Sozialdemokratischen Partei (SP) überflügelt. Parallel zur politischen Organisation entwickelte die Arbeiterschaft, die oft in besonderen Quartieren rund um die Fabriken lebte, eine eigene Subkultur. Ihre Arbeitervereine und Gewerkschaften schlossen sich 1888 in Biel, 1878 und 1890 in Bern zu Arbeiterunionen zusammen, die zu politischen und sozialen Schaltzentren dieser Schicht wurden. Die Linke erlangte in Bern 1918, in Biel 1921 erstmals Mehrheiten in Stadtparlament und -regierung.
Das besonders nach 1848 entstandene Vereinswesen war vielfältig und teilweise nach Klassen und Geschlecht gegliedert. Bürgerliche Vereine widmeten sich im 19. Jahrhundert dem Gesang (Chorwesen, erste Männerchöre in Thun 1829, Bern 1833, Langenthal 1841, Liedertafel Biel 1832), dem Turnen (Turnbewegung, 1816 Vaterländische Turngemeinde in Bern als erster Turnverein der Schweiz, 1832 Bürgerturnverein Bern) oder dem Schiessen. Handwerker- und Gewerbevereine (Bern 1839, Langenthal 1852, Worb 1865) verfolgten Berufsinteressen des gewerblichen Mittelstandes. Der 1860 gegründete Handels- und Industrieverein sowie der 1865 und 1882 gebildete Kantonal-Bernische Gewerbeverband bündelten wirtschaftliche Interessen auf kantonaler Ebene (Handelskammern).
Der Zweite Schweizerische Kongress für Fraueninteressen 1921 an der Universität Bern. Anonyme Fotografie (Archiv Gosteli-Foundation, Worblaufen, Nachlass Agnes Debrit-Vogel).
[…]
Die Zahl der Frauenvereine, die sich mehrheitlich in der Sozialfürsorge engagierten, nahm vor allem 1890-1910 mit rund 600 Gründungen stark zu. Ab den 1920er Jahren entstanden Landfrauenvereine (1930 Verband bernischer Landfrauenvereine, Schweizerischer Landfrauenverband), die sich um eine verbesserte Selbstversorgung und Haushaltführung bemühten und grosse Anziehungskraft auch auf nichtbäuerliche Landbewohnerinnen ausübten.
Die Hochkonjunktur von 1945-1974 brachte einen nie dagewesenen Wohlstand mit sich, der die Lebensformen grundlegend veränderte: Für immer breitere Schichten entwickelte sich der Konsum zum Freizeitvergnügen. Einkaufszentren entstanden an den Achsen des Strassenverkehrs, zum Beispiel 1975 das Shoppyland Schönbühl. Die Anfang der 1960er Jahre einsetzende Suburbanisierung verwischte die Grenzen zwischen städtischen und ländlichen Lebensweisen. Gleichzeitig nahmen der Energie- und Flächenverbrauch sowie die Mobilität in der Arbeit und Freizeit besonders bei der Bevölkerung der Agglomerationsgürtel massiv zu. So stieg zum Beispiel der Bruttoenergieverbrauch von Münchenbuchsee 1950-1990 pro Kopf um den Faktor 13 (Schweiz: Faktor 5,5).
Die Werte des Bürgertums fanden in den 1950er und frühen 1960er Jahren quer durch alle Schichten Akzeptanz. Die vorwiegend in den Städten ausgebrochenen Jugendunruhen von 1968 und ab 1980 stellten jedoch diese Normen und Autoritäten grundsätzlich in Frage und bereiteten den Weg für neue Subkulturen mit antibürgerlicher Lebenshaltung.
Der Kanton Bern hatte 1910 einen Anteil an Ausländern von 6%, in der Stadt Bern betrug er 11%, in Biel 12%. Dabei handelte es sich vor allem um Italiener, die eine eigenständige Kultur pflegten. Nach einem zahlenmässigen Rückgang 1914-1945 entstanden nach 1945 erneut grosse Gastarbeiterkolonien aus Südeuropa (Ausländeranteil 1970: 11%). Nach 1980 verlagerte sich das Schwergewicht der Zuwanderung auf Länder im Südosten und ausserhalb Europas. Zugleich erhöhte sich die Vielfalt der Lebensstile, was sich vor allem im Freizeit- und Konsumverhalten (z.B. Musik, Ernährung, Reisen) zeigt. Ein anderes Beispiel verwischter kultureller Grenzen ist die 1982 wieder eingeführte Stadtberner Fasnacht.
Der Berner Jura nimmt in verschiedener Hinsicht eine besondere Position ein. Er gehört der französischen Sprachkultur an, die im Kanton Bern stets eine Minderheit bildete (1990 7,9%). Zudem ist er wenig urbanisiert und massgebend von der Uhrenindustrie geprägt, die eine dezentrale Struktur aufweist. Deshalb orientierte sich die zahlenmässig grosse Arbeiterschaft an kleinbürgerlichen Leitbildern. Biel bildet mit einem seit 1900 stabilen französischsprachigen Bevölkerungsanteil von rund 30% einen Brückenkopf zwischen den beiden Sprachgebieten.
Kultur und Bildung, Kirchen und religiöses Leben
Religiöse Bewegungen innerhalb und ausserhalb der Kirchen
Autorin/Autor:
Beat Junker
Nach dem Zwischenspiel der Helvetik kehrte die reformierte Berner Kirche (Evangelisch-reformierte Kirchen) während der Mediation und der Restauration im Wesentlichen zu alten Formen und Inhalten zurück. Zwar war Bern seit der Vereinigung mit dem Jura im Jahr 1815 ein konfessionell gemischter Kanton, aber auch nachher machte sich ein Altberner, der – wie 1820 Karl Ludwig von Haller – zum Katholizismus übertrat, politisch unmöglich.
Die Erweckungsbewegung, die im frühen 19. Jahrhundert von der Westschweiz her nach Bern drang, betonte statt des Intellekts eine Frömmigkeit des Gemüts. Sie erfasste Dienstboten oder Handwerker ebenso wie Damen und Herren aus dem Patriziat. Ihr führender Kopf in Bern, Karl von Rodt, verzichtete 1829 um des Glaubens willen auf eine politische Karriere und wurde aus dem Kantonsgebiet verbannt. 1831 zurückgekehrt, gründete er 1833 die von der Landeskirche abgespaltete Freie Evangelische Gemeinde. Stärker auf dem Lande verwurzelt war die 1831 gegründete Evangelische Gesellschaft, deren Mitglieder indessen der Landeskirche treu blieben.
Die liberale Kantonsverfassung von 1831 gewährte die Glaubensfreiheit, aber die Radikalen, welche 1846 die Regierung übernahmen, bekämpften vor allem in ihrer Presse Kirche und Glauben. Dies weckte Gegenkräfte, die im sogenannten Zellerhandel 1847 gegen die Berufung des liberalen Theologieprofessors Eduard Zeller an die Universität Bern protestierten und danach in der Stadt Bern christlich geprägte höhere Mittelschulen gründeten: 1851 die Neue Mädchenschule, 1854 das evangelische Lehrerseminar Muristalden und 1859 das Freie Gymnasium.
Kirchlich spaltete sich die reformierte Berner Bevölkerung im 19. Jahrhundert in sogenannte Reformer und Positive. Die Reformer unter Führern wie Albert Bitzius und den Brüdern Eduard und Ernst Friedrich Langhans betonten Vernunft, Fortschritt und praktische Nächstenliebe, die Positiven das Bekenntnis zu Christus, Bibeltreue sowie die innere und äussere Mission. Dazwischen standen die wenig zahlreichen Vermittler um den Pfarrer und späteren Regierungsrat Edmund von Steiger und den dichtenden Pfarrer Gottfried Strasser.
Bedeutendster bernischer Vertreter der zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen religiös-sozialen Bewegung war Pfarrer Karl von Greyerz. Die reformierte Landeskirche entging im späten 19. und 20. Jahrhundert dem drohenden Zerfall in einzelne Religionsgemeinschaften, verlor aber im Alltag des öffentlichen Lebens viel von ihrer Autorität. Das Kirchengesetz von 1945 brachte unter anderem in allen evangelischen Kirchgemeinden das Frauenstimm- und -wahlrecht. Viele Einzelheiten blieben aber namentlich zwischen den kirchlichen Richtungen umstritten, sodass die Vorlage in der Volksabstimmung nur knapp angenommen wurde. Am meisten Zustimmung fand sie im mehrheitlich katholischen Nordjura, der den Wegfall der staatlichen Genehmigungspflicht für Erlasse kirchlicher Oberbehörden begrüsste. Eine Folge des Kalten Krieges war der bernische Kirchenstreit von 1949-1951, in dessen Verlauf Markus Feldmann, Regierungsrat und späterer Bundesrat, Karl Barth und dessen Anhänger öffentlich der Intoleranz gegen andere kirchliche Richtungen und übertriebener Moskauhörigkeit bezichtigte.
Der Alte Kantonsteil hatte keine Gebiete mit einer katholischen Bevölkerung. Als Bern 1799 Hauptstadt der Helvetischen Republik wurde, verlangten aber Gesandte aus katholischen Kantonen Gottesdienste in ihrer eigenen Konfession. Erster katholischer Pfarrer in Bern wurde darauf der berühmte Pädagoge Pater Gregor Girard aus Freiburg. Auf ähnliche Weise kam man ab 1819 den katholischen Absolventen der Eidgenössischen Militärschule in Thun mit Messen in der Kirche von Scherzligen entgegen.
1815 erhielt Bern mit dem Jura einen katholischen Bevölkerungsteil, dem der Kanton die Freiheit seines Glaubens garantierte. In der Stadt Bern bauten die Katholiken 1864 die Kirche St. Peter und Paul, doch sprach die Regierung diese 1874 den Christkatholiken zu, worauf 1899 die Dreifaltigkeitskirche als römisch-katholisches Gotteshaus entstand. 1893 erlangten die römisch-katholischen Gemeinden im Jura, 1939 diejenigen im alten Kantonsgebiet die öffentlich-rechtliche Anerkennung.
Im Kulturkampf wollte die Kantonsregierung, vor allem der Kirchendirektor Wilhelm Teuscher, den Einfluss des Bischofs von Basel im katholischen Nordjura brechen und die Bildung einer von Rom unabhängigen Kirche fördern. Jedoch bildeten sich christkatholische Gemeinden nur gerade in Laufen, Saint-Imier, Biel und Bern. Die kleine, 1874 gegründete christkatholische Fakultät der Universität Bern leistete im 20. Jahrhundert einen bedeutenden Beitrag zur ökumenischen Bewegung. 2001 wurde sie mit der evangelisch-theologischen Fakultät vereinigt.
Aufgrund der vorwiegend ländlichen Struktur des Kantons Bern lagen die Bevölkerungsanteile von Personen jüdischen und islamischen Glaubens stets deutlich unter dem schweizerischen Durchschnitt, wobei der islamische Anteil im ausgehenden 20. Jahrhundert stark gewachsen ist. Juden und Muslime haben sich hauptsächlich in den Agglomerationen niedergelassen. In der Stadt Bern entstand 1855 eine erste Synagoge, die 1906 von einem grösseren Bau der Israelitischen Kultusgemeinde Bern abgelöst wurde. Die erste Synagoge der Israelitischen Gemeinde in Biel wurde 1882 erbaut. 1997 erhielten die beiden jüdischen Gemeinden im Kanton Bern die öffentlich-rechtliche Anerkennung. Die Muslime pflegen ihren Gottesdienst in neueren Islamischen Zentren in Bern und Biel sowie in kleineren Gebetslokalen.
Bildung und Kultur
Autorin/Autor:
Franz Georg Maier
Kleinformatiges Plakat für die kantonale Abstimmung vom 13. Dezember 1903 (Burgerbibliothek Bern).
[…]
Privatschulen (z.B. Hofwil) vermittelten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine kindgerechte Erziehung. Gegen die im Kanton Bern besonders gravierende Schulabsenz, unter anderem wegen der Mithilfe bei der Landarbeit, blieb auch die liberale Konzeption der obligatorischen Volksschule trotz Schulgesetzen von 1835, 1860 und 1870 lange wenig wirksam; der Schulbesuch (Schulwesen) wurde erst nach 1900 regelmässiger. Städte und Marktorte verfügten über ein erweitertes Ausbildungsangebot mit Sekundarschulen (seit den 1830er Jahren) und Progymnasien (Biel 1817, Thun 1838, Burgdorf 1855), die man im Zug der Dezentralisierung des Mittelschulwesens ab 1872 zu Gymnasien aufwertete. Um 2000 bestanden im Kanton Bern neben privaten 15 kantonale Mittelschulen. Verbesserten Unterricht brachten ab 1833 die Ausbildung der Lehrkräfte in staatlichen und privaten Lehrerseminaren (Pädagogische Hochschulen), die materielle Besserstellung der Lehrer seit 1850, die Einrichtung der Schulwarte 1879 und die regelmässige berufliche Fortbildung im 20. Jahrhundert. Die Ausbildungsgänge verliefen bis in die 1970er Jahre nach Geschlechtern getrennt (1838 eines der ersten Lehrerinnenseminare der Schweiz in Niederbipp). Später entstanden berufliche Fachschulen: Lehrwerkstätten der Stadt Bern 1888, gefolgt von Berufsschulen, Technika (heute Fachhochschulen) in Biel 1890 und Burgdorf 1892. Die Hohe Schule in Bern wurde 1805 zur Akademie, 1834 zur kantonalen Hochschule (Universität Bern).
Die Stadtbibliothek Bern wurde 1852 der Burgergemeinde zugesprochen und 1903 zur Stadt- und Universitätsbibliothek erweitert. Diese untersteht seit 1951 einer Stiftung von Kanton, Stadt- und Burgergemeinde. Ergänzt wird sie durch Bibliotheken des Bundes (Eidgenössische Parlaments- und Zentralbibliothek 1849, Schweizerische Landesbibliothek 1895) und die Burgerbibliothek (Handschriften, Bernensia). Das öffentliche Bibliothekswesen im Kanton Bern wird seit 1963 durch die kantonale Kommission für Schul- und Gemeindebibliotheken zum kantonalen Bibliotheksnetz ausgebaut.
Die Museen der Hauptstadt (Kunstmuseum 1879, Historisches Museum 1896, Naturhistorisches Museum 1933) bauten auf älteren Sammlungen und Kabinetten auf. Aus privatem Sammeln von Objekten ehemaliger Wohnkultur und Arbeitswelt entstanden nach 1945 zahlreiche von Vereinen getragene Heimatmuseen. Von überregionaler Bedeutung sind das Schweizerische Freilichtmuseum für ländliche Bau- und Wohnkultur Ballenberg (1968), die aus der Privatsammlung Werner Abeggs entstandene Abegg-Stiftung in Riggisberg (1967, v.a. Textilien) und das Jugendstilmuseum Schloss Hünegg in Hilterfingen (1966). 2002 wurde in der Stadt Bern mit dem Bau eines Paul-Klee-Zentrums begonnen (Eröffnung 2005).
Seit 1819 veranstaltet die Bernische Musikgesellschaft in Bern Konzerte. Sie rief auch 1858 die Musikschule, die Vorgängerin des Konservatoriums für Musik und Theater, ins Leben und fördert das 1877 gegründete Berner Symphonie-Orchester, eines der grössten Orchester der Schweiz. Biel hat seit 1969 ein Berufsorchester. Amateurorchester mit einzelnen Berufsmusikern wirken unter anderem in Thun, Burgdorf und Langnau. Gstaad erlangte durch das Menuhin-Festival und die Menuhin-Akademie (Yehudi Menuhin) für Solistennachwuchs internationalen Ruf. Die Vorliebe des 19. Jahrhunderts für Familienmusik mit Mund- und Handharmonika, Alphornblasen und Jodeln in Vereinen (Oberland, Emmental) ist vom Trend zu Mundartliedern einheimischer Liedermacher und von internationalen Musikströmungen abgelöst worden.
Bestimmende Züge des schweizerischen Schrifttums traten in der bernischen Literatur besonders hervor, unter anderem die formale Nüchternheit und die Tendenz, Gesellschaftsnormen zu rechtfertigen. Um und nach 1900 lehnten sich bernische Schriftsteller gegen diese Wesenszüge auf, so die Aussenseiter Friedrich Glauser, Robert Walser, Carl Albert Loosli und Walter Vogt. Einige emigrierten (Paul Nizon), andere sprengten mit Phantasie die Enge des Alltags (Gertrud Wilker, Kurt Marti, Jörg Steiner). Die Mundartliteratur suchte seit 1900 Heimatgefühl und bernisches Selbstverständnis zu erhalten (Rudolf von Tavel, Otto von Greyerz, Simon Gfeller). Von den 1960er Jahren an lebte der Berner Dialekt im Chanson (Mani Matter), ab den 1970er Jahren im Mundartrock (Polo Hofer) auf. Weltgeltung gewannen Der Schweizerische Robinson (1812-1813) von Johann David Wyss, das meistübersetzte Werk schweizerischer Herkunft, die Erzählungen Jeremias Gotthelfs und die Dramen Friedrich Dürrenmatts.
Töpferfamilie in Heimberg. Fotografie vonErnst Brunner, 1945 (Schweizerisches Institut für Volkskunde, Basel).
In der bildenden Kunst stellten sich die Berner Kleinmeister (Franz Niklaus König, Vater Gabriel Lory und Sohn Gabriel Lory) über alle politischen Umwälzungen der Zeit um 1800 hinweg auf den Bedarf des Tourismus ein. Befreit vom Einfluss von Kirche und Patriziat, aber auch ohne öffentliche Förderung arbeiteten die Künstler im jungen liberalen Staat. Berge, Bauern und Helden waren bis ins 20. Jahrhundert prägende Motive bernischer Kunst (Albert Anker, Ferdinand Hodler). Die bedeutendsten Künstler fanden Anregungen und auch erste Beachtung im Ausland (Hodler, Paul Klee, Meret Oppenheim). Einheimischem Kunstverständnis näher standen Künstler wie Cuno Amiet, Max Buri und Viktor Surbek. Moderne Kunst zeigten die 1918 gegründete Kunsthalle, namentlich unter Arnold Rüdlinger und Harald Szeemann, später auch das Kunstmuseum, beide in der Stadt Bern. Kunsthandwerk mit höherem Beachtungsgrad lieferten Bauerntöpfereien in Langnau und Heimberg sowie die 1884 gegründete Brienzer Schnitzlerschule.
Das 1903 am Kornhausplatz erbaute Berner Stadttheater stützte sich auf ein konservatives Spielprogramm mit Schwerpunkten im Musiktheater. Mit der Kammerspielbühne Atelier-Theater (1959, seit 1996 Das Theater) begann die rege Aktivität von Stadtberner Klein- und Kellertheatern. In Biel errang das Städtebundtheater (1927) beachtliches Niveau. Seit 1945 werden auch in Burgdorf, Langenthal und kleineren Orten wie Spiez oder Jegenstorf Theateraufführungen gezeigt. Um 1900 gewann das Volkstheater Bedeutung mit historischen Festspielen (Tellspiele in Interlaken ab 1912), Liebhaberbühnen (Berner Heimatschutztheater 1915, Emmentaler Liebhaberbühne 1960) und Vereinstheatern. In jüngster Zeit hat sich ein Trend zu sommerlichen Freilichtaufführungen auf dem Lande entwickelt. Ein Institut für Theaterwissenschaften an der Universität Bern, die Schweizerische Theatersammlung und Theateraktivitäten in Schule und Jugendgruppen geniessen öffentliche Förderung.
Das Fest der Schweizer Alphirten in Unspunnen im Kanton Bern, 17. August 1805. Kolorierte Radierung des Brienzer KünstlersJean Stähli (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).[…]
Die Älplerfeste von Unspunnen (1805, 1808) verschafften den sogenannten Nationalspielen der Schweiz internationale Beachtung. Von diesen besassen besonders das Hornussen und das Schwingen im Kanton Bern eine breite Basis. Zur Wehrertüchtigung förderte der Staat das Schiessen und Turnen. Verschiedentlich führten Schützen und Turner ihre Eidgenössischen Feste im Kanton Bern durch. Die bernischen Turnpädagogen Phokion Heinrich Clias, Adolf Spiess und Johannes Niggeler modernisierten die Methodik der Leibesübungen. Seit den 1880er Jahren kamen immer mehr Sportarten hinzu: Besonders beliebt waren im Kanton Bern der Skisport (erstes schweizerisches Skirennen auf dem Gurten 1902, Lauberhornrennen seit 1930), Fussball (BSC Young Boys seit 1898, Final der Weltmeisterschaft 1954), Eishockey (SC Bern seit 1931, Weltmeisterschaften 1970, 1990) und Curling (Weltmeisterschaften 1974, 1979, 1997). Vorübergehend gastierte auch der Autorennsport (Grosser Preis der Schweiz 1934-1954) im Bremgartenwald nördlich von Bern. Zahlreiche Sportanlagen und verschiedene Anlässe dienen dem nach 1945 aufgekommenen vielfältigen Breitensport.
Autorennen in Bremgarten: Grand Prix der Schweiz 1934 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Photoglob).
Als sich das bernische Patriziat 1831 von der Staatsleitung zurückzog, wandten sich mehrere seiner Angehörigen der Vergangenheit ihrer Heimat zu, so Bernhard Emanuel von Rodt mit der Geschichte des Bernerischen Kriegswesens (1831-1834), Johann Ludwig Wurstemberger mit der Geschichte der Alten Landschaft Bern (1862) und Eduard von Wattenwyl mit der Geschichte der Stadt und Landschaft Bern (1867-1872). Anders als sie versah ihr Standesgenosse Johann Anton von Tillier politische Ämter in Kanton und Bund. Seine Erfahrungen sowie Akten- und Personalkenntnisse kamen sowohl der Darstellung der selbst erlebten Zeit (1843-1855) als auch seiner Geschichte des eidgenössischen Freistaates Bern (1838-1840) zugute. Dank der Initiative Moritz von Stürlers erschienen von 1883 an die Fontes rerum Bernensium als Urkundenpublikation für den Alten Kantonsteil. Von den Inhabern des schweizergeschichtlichen Lehrstuhls an der Universität Bern widmete sich Gustav Tobler mehr Einzelstudien, namentlich zur Geschichtsschreibung. Sein Nachfolger Richard Feller wirkte vor allem durch die vierbändige monumentale Geschichte Berns (1946-1960) bis 1798. Eine zeitliche Fortsetzung fand Fellers Werk in der Geschichte des Kantons Bern seit 1798 von Beat Junker und Christian Pfister. Hans von Greyerz (1907-1970) befasste sich besonders mit dem schweizerischen Bundesstaat und ergründete Berns Geistesgeschichte (Nation und Geschichte im bernischen Denken 1953). Als Autodidakt interpretierte der Arbeiterführer Robert Grimm namentlich mit seiner Geschichte der Berner Arbeiterbewegung (1913) und der Geschichte der Schweiz in ihren Klassenkämpfen (1920) historische Entwicklungen vom Standpunkt des Sozialismus aus.
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Meyer, Peter (Hg.): Illustrierte Berner Enzyklopädie, 4 Bde., 1981-1987.
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Von der Urzeit bis ins Hochmittelalter
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Drack, Walter (Hg.): Ur- und frühgeschichtliche Archäologie der Schweiz, 6 Bde., 1968-1979.
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Furger, Andres: Die Helvetier. Kulturgeschichte eines Keltenvolkes, 1984.
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Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur vom Hochmittelalter bis ins 18. Jahrhundert
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Dupeux, Cécile; Jezler, Peter et al. (Hg.): Bildersturm – Wahnsinn oder Gottes Wille?, 2000 (Ausstellungskatalog).
Flückiger Strebel, Erika: Zwischen Wohlfahrt und Staatsökonomie. Armenfürsorge auf der bernischen Landschaft im 18. Jahrhundert, 2000.
Der Staat im 19. und 20. Jahrhundert
Junker, Beat: Geschichte des Kantons Bern seit 1798, Bde. 1-3, 1982-1996 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 66, 73, 78).
Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert
Mühlemann, Christian: Untersuchungen über die Entwicklung der wirtschaftlichen Kultur und die Güterverteilung im Kanton Bern, 1905.
Studer, Martin: Die Erschliessung des Berner Oberlandes durch den Fremdenverkehr und ihre Auswirkungen auf Produktion und Wirtschaftsgesinnung, 1947.
Lüthi, Adrian J.: Die Mineralbäder des Kantons Bern. Wesen, Entwicklung und touristische Bedeutung, 1957.
Stocker, Paul; Risch, Paul: Einkommenslage und Wirtschaftsstruktur des Kantons Bern. Wachstumspolitische Lageanalyse und Skizze eines Förderungsprogramms, 1968.
Aemmer, Robert Walter: Die Sozialdemokratie im Kanton Bern, 1890-1914, 1973.
Gwerder, Josef; Liechti, Erich; Meister, Jürg:Die Geschichte der Schiffahrt auf den Juragewässern. Neuenburgersee, Murtensee, Bielersee, Aare, 1982.
Schärli, Arthur: Höhepunkt des schweizerischen Tourismus in der Zeit der «Belle Epoque» unter besonderer Berücksichtigung des Berner Oberlandes. Kulturgeschichtliche Regionalstudie, 1984.
Flückiger-Seiler, Roland: Berner Bauernhäuser. Ländliche Architektur und Siedlung im Kanton Bern, 1988.
Aerni, Klaus: «Der transalpine Güterverkehr durch die Schweiz», in: Geographische Rundschau, 43, 1991, S. 504-512.
Frey, Walter:Das Janusgesicht der Agrarmodernisierung. Der Verlust der sozialen Tragfähigkeit. Der demographische, ökonomische und soziale Transformationsprozess des bernischen Amtsbezirks Konolfingen zwischen 1760 und 1880, 1991.
Stampfli, Marc: Das Janusgesicht der Agrarmodernisierung. Der Verlust der sozialen Tragfähigkeit. Der demographische, ökonomische und soziale Transformationsprozess des bernischen Amtsbezirks Büren zwischen 1760 und 1880, 1991.
Scandola, Pietro; Gerber, Jürg; Rogger, Franziska:Lehrerinnen und Lehrer zwischen Schule, Stand und Staat. Die Geschichte des Bernischen Lehrerinnen- und Lehrervereins (BLV), 1992.
Ulrich, Werner; Binder, Johann: Armut im Kanton Bern. Bericht über die kantonale Armutsstudie, 1992.
Schwaar, Karl Martin: Isolation und Integration. Arbeiterkulturbewegung und Arbeiterbewegungskultur in der Schweiz, 1920-1960, 1993.
Moser, Peter: Der Stand der Bauern. Bäuerliche Politik, Wirtschaft und Kultur gestern und heute, 1994, v.a. S. 163-172.
Tanner, Albert: Arbeitsame Patrioten – wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830-1914, 1995.
Haefeli, Ueli: Ein Dorf wird Vorstadt. Suburbanisierung am Beispiel der bernischen Agglomerationsgemeinde Münchenbuchsee, 1996.
Boesch, Angelika; Wäger, Franz et al.: Katholisch Bern von 1799 bis 1999. Ein Zwischenhalt, 1999.
Stuber, Christine: «Eine fröhliche Zeit der Erweckung für viele». Quellenstudien zur Erweckungsbewegung in Bern 1818-1831, 2000.
Beat Junker; Anne-Marie Dubler; Hans Grütter; Karl H. Flatt; Urs Martin Zahnd; Georges Grosjean; François de Capitani; Christian Pfister; Christian Lüthi; Hans-Rudolf Egli; Paul Messerli; Klaus Aerni; Quirinus Reichen; Franz Georg Maier: "Bern (Kanton)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.01.2018. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007383/2018-01-18/, konsultiert am 02.12.2024.