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AppenzellKanton

1513-1597 Ort der Eidgenossenschaft. 1597 Trennung in Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. Amtliche Umschreibung: Land Appenzell. Alte Umschreibung: 1379 Appenzell daz lant (noch ohne Trogen, Herisau und das Vorderland); eventuell ab 1403, sicher 1429-1597 im Umfang der beiden nachfolgenden Halbkantone. Amtssprache war Deutsch, Hauptort der Flecken Appenzell.

Landesbanner von Appenzell aus dem Schwabenkrieg 1499 (Museum Appenzell).
Landesbanner von Appenzell aus dem Schwabenkrieg 1499 (Museum Appenzell). […]

Die Hügel- und Berglandschaft des Kantons Appenzell gehört mit der Molassezone im nördlichen Teil noch zum Mittelland, im südlichen Teil mit dem Alpstein und dessen höchster Erhebung, dem Säntis, zu den Voralpen. Die Berg- und Hügelzüge verlaufen in der Regel von Südwesten nach Nordosten. Die Flüsse, welche den Raum fast ausschliesslich nach Norden entwässern (v.a. Urnäsch, Sitter, Rotbach, Goldach), gliedern das Kantonsgebiet mit ihren Tobeln bzw. Taltrögen in Teillandschaften: das Hinter-, Mittel- und Vorderland des heutigen Halbkantons Appenzell Ausserrhoden sowie den Taltrog um den Flecken Appenzell im heutigen Halbkanton Appenzell Innerrhoden.

Von der Urzeit bis ins Hochmittelalter

Ur- und Frühgeschichte

Im Kanton Appenzell wurden bisher keine systematischen archäologischen Geländeuntersuchungen durchgeführt. Ausgrabungen in der Höhlengruppe des Wildkirchli, auf ca. 1500 m, belegen die Anwesenheit altsteinzeitlicher Jägergruppen im mittleren Abschnitt der letzten Eiszeit (vor ca. 40'000 Jahren). 1993 wurden in der Höhle Altwasser I, zwischen Sämtiser- und Fählensee im Alpstein, von Menschen bearbeitete Tierknochen (Steinbock, Gemse, Rotfuchs, Marderartige, Vögel) sowie Silizes aus der Zeit um 10'000 v.Chr. (Übergang Spätpaläolithikum-Frühmesolithikum) entdeckt. Geräte des Mesolithikums kamen bei der Ausgrabung der Burgruine Urstein (Herisau) zum Vorschein. Eine neolithische Axt aus Felsgestein fand sich im Seckbach (Schwende), ein spätbronzezeitliches Bronzebeil in einem ehemaligen Bachbett in der Forren (Appenzell). Für anscheinend im Gebiet zwischen dem innerrhodischen Oberegg und dem sankt-gallischen Berneck gefundene römische Münzen fehlen zuverlässige Ortsangaben. Aus alledem kann zumindest eine ur- und frühgeschichtliche Begehung des Gebiets erschlossen werden.

Der Ortsnamenforschung sind keine Dauersiedlungsnamen aus der Zeit vor dem 7./8. Jahrhundert bekannt. Die mit vordeutschen Namen bezeichneten Flüsse Sitter und Necker reichen nur im obersten Lauf in Appenzeller Gebiet hinein. Dagegen belegen verschiedene Berg- und Alpnamen, zum Beispiel Säntis und Alp Sämtis am Sämtisersee (850-855 iugum Sambutinum), durch ihre romanische Herkunft, dass der Alpstein bereits in voralemannischer Zeit bekannt war (und eventuell vom altromanischen St. Galler Rheintal und obersten Toggenburg her alpwirtschaftlich genutzt wurde). Romanischen Ursprungs ist auch der Flussname Urnäsch (9. Jahrhundert Urnasca), vermutlich eine Ableitung von alpis orana = Grenzalp, einem älteren Namen für die Schwägalp. Nach dem Fluss wurde, entsprechend ihrer Lage, die alemannische Siedlung Urnäsch bezeichnet.

Siedlung und Herrschaft im 8.-11. Jahrhundert

Die alemannische Besiedlung des Appenzellerlandes begann vermutlich erst im 8. Jahrhundert; Reihengräber mit Beigaben und die für eine frühere Zeit charakteristischen Siedlungsnamen auf -ingen und -inghofen fehlen. Vordeutsche Bergnamen wurden lautlich teils verschoben (Gäbris, von Gabrêta), teils unverschoben (Kamor, von ganda mora) übernommen. Die Siedlungsnamen der ältesten deutschen Namensschicht im Appenzellerland, -wil-Orte, häufen sich im Gemeindegebiet von Herisau. Ihre Verbindung mit Personennamen wie Baldo, Ramo oder Wolfker deutet auf eine Besiedlung vom sankt-gallischen Fürstenland her, wo ähnlich gebildete Siedlungsnamen bekannt sind. In den anderen Landesteilen sind Ortsnamen, die auf diese frühe Zeit hinweisen, seltener, doch dürften zumindest Namen wie Brülisau (Rüte) und Büriswilen (Oberegg) dazugehören. Umstritten ist, ob der Ortsname Hundwil in Verbindung zur frühmittelalterlichen Organisationsform der Huntari (Hundertschaft) steht.

Die frühesten schriftlichen Belege von Siedlungen, Besitz-, Herrschafts- und kirchlichen Verhältnissen im Gebiet des Kantons Appenzell sind durch Urkunden des Klosters St. Gallen aus dem 8.-11. Jahrhundert überliefert. Sie konzentrieren sich zuerst auf das Hinterland und betreffen später auch den Talkessel von Appenzell; das Mittel- und das Vorderland sind erst in jüngerer Zeit urkundlich belegt. Personen, die vermutlich einem sich ausbildenden Adel angehörten, verfügten über grossräumig verbreiteten Güterbesitz. Der früheste Beleg einer Örtlichkeit im heutigen Kantonsgebiet betrifft die Siedlung Schwänberg bei Herisau (821 Suweinperac). 837 wird Herisau genannt, 854 die Sitter, Ende des 9. Jahrhunderts der Rotbach und die Urnäsch, 921 der Ort Hundwil. In der Gründungsurkunde der Kirche Appenzell (Abbacella) aus dem Jahr 1071 werden als Teile bzw. Grenzen des zugehörigen Zehntbezirks auch die Alpen Soll, Meglisalp und Potersalp sowie der Kronberg und die Hundwilerhöhe erwähnt.

Herrschaft, Politik und Verfassung vom Hochmittelalter bis zur Landteilung (1597)

Die St. Galler Klosterherrschaft im 12.-14. Jahrhundert

Grundherrliche Rechte des Klosters St. Gallen in Appenzell gelangten womöglich bereits mit der Schenkung von Grundbesitz durch den Tribun Waltram an Abt Otmar um 719 in den Besitz des Klosters St. Gallen. Im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters fügten sich zahlreiche grund-, leib-, kirch- und gerichtsherrliche Rechte des Klosters zu einem Herrschaftsgebilde zusammen, das für viele, jedoch nicht alle Gebiete des Appenzellerlandes als Landesherrschaft bezeichnet werden kann. Zur Sicherung der fürstäbtischen Herrschaft bauten Ulrich und Heinrich von Sax um 1210 die Feste Clanx. Das faktische Ende der äbtischen Landesherrschaft in Appenzell brachten die eidgenössischen Schiedssprüche, mit denen 1429 die Appenzeller Kriege ihren Abschluss fanden. Abgaben wie Grundzinsen und Zehnten, die auf anderen Rechtstiteln des Klosters beruhten, flossen allerdings noch bis ins 16. Jahrhundert aus dem Land Appenzell nach St. Gallen.

818 hatte Kaiser Ludwig der Fromme der Abtei St. Gallen die Immunität verliehen und sie zum Reichskloster erhoben. Die Klostervogtei und die daraus abgeleitete hohe Gerichtsbarkeit im fürstäbtischen Territorium wurde vom Kloster in der Folge an Vögte vergeben. 1166 übertrug Abt Werinher die Vogtei Graf Rudolf von Pfullendorf. Weil dieser ohne männlichen Erben blieb, vererbte er sie 1180 dem staufischen Kaiser Friedrich I. Barbarossa, wodurch sie zur Reichsvogtei wurde. In der nachstaufischen Zeit wurde diese stückweise an Adlige aus dem Bodenseeraum verpfändet. Die Orte Appenzell, Hundwil, Teufen und Urnäsch sowie Nachbargebiete gehörten zur Reichsvogtei St. Gallen, daneben bestanden die kleineren Reichsvogteien Trogen, Herisau und Rheineck, zu welcher das später appenzellische Vorderland gehörte. Die Reichsvögte, welche unter anderem das Vogtrecht und die Vogtsteuer einzogen, standen nun nicht mehr in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis zur Abtei. Das Appenzellerland geriet dadurch in ein Spannungsfeld zwischen äbtischen Herrschaftsrechten und dem eigenen Anspruch, reichsunmittelbar zu sein. Zwar versprach Kaiser Ludwig der Bayer 1333 den gemeinden der telrer [Täler] Appenzell, Hundwil und Teufen in der Reichsvogtei St. Gallen, sie nie vom Reich zu versetzen. Doch bereits 1344-1345 konnte Abt Hermann von Bonstetten die Pfandschaft über die Vogtei kaufen. 1353 erhielt er zudem ein kaiserliches Markt- und Zollprivileg für den Ort Appenzell, womit die Grundlage zur äbtischen Landesherrschaft im Appenzellerland gelegt war.

Zweifelhaft ist, ob die St. Galler Grundherrschaft in Appenzell im Hochmittelalter jemals villikationsmässig (Fronhof) organisiert war. Die Funktion der Meier dürfte sich auf den Einzug der grundherrlichen Abgaben und die Ausübung der Niedergerichtsbarkeit beschränkt haben. Im Rahmen der Verfestigung ihrer Meierämter zu Erblehen und ihres Aufstiegs in die äbtische Ministerialität bauten die betreffenden Geschlechter im appenzellischen Raum Steinhäuser in der Lank beim Ort Appenzell, im Sonder bei Hundwil sowie die Burgen Rosenburg und Rosenberg bei Herisau. Sie errichteten eigene Herrschaften, deren bedeutendste diejenige der Rorschach-Rosenberger war.

Aufschluss über den Umfang und die Organisation der spätmittelalterlichen Klosterherrschaft im Appenzellerland gibt die um 1420/1421 von Abt Heinrich IV. von Mansdorf zuhanden des eidgenössischen Schiedsgerichts verfasste Klagschrift. Dezentrale Verwaltungseinheiten waren die Ämter, die sich aus den grundherrlichen niederen Gerichten entwickelt hatten: Belegt sind vor 1420/1421 die drei Ämter Appenzell (Pfarreigebiet), Hundwil (mit Urnäsch) und Teufen (bis um 1375, danach Teil des äbtischen Hofamts). Teile des östlichen Kantonsgebiets gehörten zum Meieramt Altstätten. Im westlichen Hinterland hatte sich die Freivogtei Schwänberg-Baldenwil entwickelt. Der Ammann, ein vom Abt eingesetzter Appenzeller Landmann, war oberster Beamter eines Amts. Er übte die niedere Gerichtsbarkeit aus, zog bei Handänderungen den Ehrschatz ein, von Gotteshausleuten im Todesfalle Fall und Lass, und bot zu Fronarbeiten auf. Ammann und Steuersammler ("Rhodmeister") zogen den sogenannten Dienst, eine grundherrliche Abgabe an Käse und Vieh, die meist in Geldabgaben umgewandelt worden war, bzw. die Vogtlämmer und die Vogtsteuer ein.

Der Weg zur Unabhängigkeit (1401-1566)

Die demografische Krise des Spätmittelalters führte im 14. Jahrhundert zu einer Abnahme des Bevölkerungsdrucks, damit zu Besitzkonzentrationen, landwirtschaftlichen Produktivitätssteigerungen und einer Intensivierung der Viehwirtschaft, was sich für die bäuerliche Appenzeller Bevölkerung insgesamt durchaus positiv auswirkte. Die herrschaftlichen Einkünfte des Klosters St. Gallen dagegen gerieten unter Druck. Gründe dafür lagen in den sinkenden agrarischen Erträgen, den verminderten personenbezogenen Abgaben und einer (mangels herrschaftlichen Durchsetzungsvermögens) geringeren Abgabebereitschaft. Nach einer Phase der Aufweichung der herrschaftlichen Rechte der Abtei versuchten die Äbte Georg von Wildenstein (1360-1379) und vor allem Kuno von Stoffeln (1379-1411), die fürstäbtische Herrschaft wieder zu verdichten, indem sie bestehende, aber zuvor vernachlässigte Rechte (Ehrschatz-, Fall-, Freizügigkeitsabgaben) wieder konsequent einforderten. Dies führte zum Widerstand aus dem Land Appenzell und der Stadt St. Gallen, die sich auf ihre hergebrachten Rechte beriefen. Mit ihrem Bündnis vom 17. Januar 1401 zum Schutz der vorgeblich alten Rechte bezüglich Freizügigkeit, Eheschliessung, Vererb- und Veräusserbarkeit der Stiftslehen sowie Jagd und Fischerei eskalierte der Konflikt in der kriegerischen Auseinandersetzung der Appenzeller Kriege. Diese erfuhren 1403 eine für die Folgezeit bedeutsame Ausweitung durch die Einflussnahme des Landes Schwyz, das mit einem eigenen Hauptmann bzw. Landammann die militärische und auch politische Führung der Appenzeller wahrnahm. Mythologisierte die schweizerische Historiografie die Appenzeller Kriege noch bis in die 1970er Jahre als Freiheitskampf nach dem Muster der eidgenössischen Befreiungstradition, so gelten sie heute als Beispiel einer bäuerlichen Revolte gegen die Herrschaft, wie sie in ganz Europa im Spätmittelalter zahlreich vorkamen. Im Ergebnis führten sie denn auch keineswegs direkt in die Eidgenossenschaft, sondern vorerst 1411 durch das Burg- und Landrecht mit den sieben eidgenössischen Orten (ohne Bern) zu einem Prozess, der auch als "Domestikation der Appenzeller" durch die Eidgenossen charakterisiert worden ist. Der eidgenössische Schiedsspruch von 1421 reduzierte die klösterlichen Rechte auf Rentenbezüge aus grund- und leibherrlichen Rechten, auf eine jährliche Pauschale von 100 Pfund für Ehrschätze sowie auf eine verringerte Reichsvogteisteuer, während die niederen Gerichte, Twing und Bann den Appenzellern zugesprochen wurden. Die eidgenössischen Schiedssprüche und die Friedensschlüsse von 1429 stellten die appenzellischen Abgabepflichten gegenüber der Abtei St. Gallen (mit der Möglichkeit des Auskaufs) teilweise wieder her und bestätigten unter anderem die territorialen Erweiterungen des Landes Appenzell im heutigen Vorderland. Insgesamt können die Appenzeller Kriege als wesentliche Phase in der Ausgliederung des Landes Appenzell aus dem äbtischen Herrschaftsverband und als Beginn der Eingliederung in die Eidgenossenschaft gelten.

Nach den Friedensschlüssen kamen die Appenzeller ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Abtei St. Gallen nach. Bis 1437 blieben eidgenössische Hauptleute aus Schwyz und Glarus den einheimischen Ammännern vorgesetzt. Die eidgenössische Bevormundung schützte indes auch die appenzellischen Gerichtskompetenzen. Die Fehde, die zwischen Zürich und Schwyz um das Erbe des 1436 verstorbenen letzten Grafen von Toggenburg ausbrach (Alter Zürichkrieg), kam den Appenzellern gelegen. Von Zürich und Habsburg-Österreich sowie von den Eidgenossen gleichermassen umworben, warteten sie zunächst ab, da sie gemäss dem Burg- und Landrecht von 1411 zur Neutralität verpflichtet waren. Ein Angebot König Friedrichs III., der dem Land Appenzell bei Bündnisfreiheit das Blutgericht verliehen und das Marktrecht von 1353 bestätigt hätte, vermochte sie Ende 1442 nicht zu verleiten. Als im März 1444 die Friedensverhandlungen zu Baden scheiterten, schickte Appenzell Absagebriefe an Zürich und Österreich, schickte den Eidgenossen vor Greifensee einen kleinen Auszug zu, besetzte das Rheintal und nahm an einem Plünderungszug nach Vorarlberg teil. Ein österreichischer Gegenzug scheiterte am 11. Juni 1445 im Gefecht von Wolfhalden. Trotz der Parteinahme für die Eidgenossen brachte die Erneuerung des Bündnisses mit den sieben Orten (15. November 1452) nur unwesentliche Verbesserungen: Das Land Appenzell musste eidgenössische Hilfe nicht mehr mit eigenen Mitteln bezahlen, und in einem allfälligen Bruderkrieg sollte sich Appenzell der Mehrheit der Orte anschliessen. Die Appenzeller wurden zwar als "ewige Eidgenossen" angesprochen, aber nicht als solche behandelt. Sie erhielten weder Sitz an Tagsatzungen noch Anteil an Beute und Eroberungen. Ähnliche Bündnisse schlossen die Eidgenossen mit der Abtei und der Stadt St. Gallen und dokumentierten so ihr Interesse an der gesamten Ostschweiz.

Im Zwist zwischen dem St. Galler Abt Kaspar von Breitenlandenberg und der Stadt St. Gallen verband sich Appenzell, dem weder an einem äbtischen Fürstenstaat noch an einer Vergrösserung der Stadt gelegen war, mit dem Grosskellner Ulrich Rösch, dem Konvent und den Gotteshausleuten gegen die Pläne des Abtes. Ulrich Rösch, später Pfleger und schliesslich Abt des Klosters, wurde allerdings bald zum Gegenspieler der Appenzeller in der Ostschweiz. In eidgenössischen Schiedssprüchen der Jahre 1458-1460 wurde die Nordgrenze des Landes Appenzell festgelegt, die Pflicht zur Zahlung des Besthauptes an die Abtei und die Lehenspflicht von allen Gütern ausserhalb des Landes eingeschärft. Die Herisauer konnten die Zinsen der äbtischen Höfe mit 1600 rheinischen Gulden auslösen. Für 6000 Gulden lösten die Appenzeller 1460 die Pfandschaft über die Vogtei Rheintal von Jakob Payer ab. Allerdings unterlief ihnen dabei ein Formfehler, da sie die kaiserliche Zustimmung nicht eingeholt hatten. Hier hakte der Pfleger Ulrich Rösch ein, dem eine Urkunde König Wenzels von 1379 das Recht gab, alle verpfändeten Vogteien über Klosterbesitz zu lösen. Die Appenzeller wandten die alte Taktik an, ausgeschriebene Rechtstage nicht zu besuchen oder Vertreter ohne genügende Vollmacht zu schicken. Am 17. September 1465 legten Schiedsleute aus Uri, Unterwalden und Zug die Rheintaler Grenze fest, entgegen den weitergehenden Forderungen des Abts, und im Wesentlichen dem heutigen Verlauf entsprechend. 1465-1517 kamen die Appenzeller ihren Abgabepflichten an die Abtei weitgehend nach. 1486 erreichten sie in einem Schiedsspruch der Stadt St. Gallen den formellen Verzicht des St. Galler Abts auf die Landeshoheit im Rheintal. Der Rorschacher Klosterbruch von 1489, ein von St. Gallern und Appenzellern gemeinsam verübter, krasser Landfriedensbruch, führte zur militärischen Intervention der vier eidgenössischen Schirmorte des Klosters, vor deren Macht zuerst die St. Galler Gotteshausleute, dann die Appenzeller (9. Februar 1490) und schliesslich auch die Stadt St. Gallen kapitulierten. Appenzell verlor die Herrschaft über die Vogtei Rheintal an die vier Schirmorte.

Nach dem Bündnis von 1452 nahmen die Appenzeller auch an eidgenössischen Auszügen teil: 1460 an der Eroberung des Thurgaus, 1468 am Sundgauer Zug und an der Belagerung von Waldshut. In den Burgunderkriegen machten sie nur zögernd mit, weil sie mit Bern nur indirekt verbündet waren. Wohl vom Zug nach Nancy von 1477 stammt ein erobertes Banner. Im Schwabenkrieg hatten die Appenzeller die eidgenössische Ostgrenze zu bewachen und die Besatzung von Schwaderloh zu verstärken. Die Teilnahme an den Kampfhandlungen von 1499 in Hard, bei Frastanz und an der Bündner Grenze zahlte sich aus mit dem Anteil an erobertem Geschütz, an Brandschatzsummen und vor allem mit der Mitregierung der Landvogtei Rheintal ab 1500. An den Mailänderkriegen waren Appenzeller Reisläufer auf beiden Seiten beteiligt. Beim Verrat von Novara (1500) waren sie, wie aus Kundschaften hervorgeht, kompromittiert. Als die Eidgenossenschaft um 1510 eine Kehrtwendung von Frankreich zu Papst Julius II. vollzog, waren die Appenzeller dabei und erhielten dafür unter anderem ein sogenanntes Juliusbanner.

Die Bestrebungen Appenzells zur Aufnahme in die Eidgenossenschaft als gleichberechtigter, dreizehnter Ort wurden von den Schirmorten der Abtei St. Gallen 1501, 1510 und 1512 abgelehnt. Erst die Krise nach dem Dijonerzug von 1513 machte die Eidgenossen bereit, Appenzell am 17. Dezember 1513 in den Bund aufzunehmen. An der nächsten eidgenössischen Tagsatzung im Januar 1514 setzte sich Ammann Hans Meggeli ostentativ vor Abtei und Stadt St. Gallen auf den dreizehnten Platz. Die Pensionsgelder, die Appenzell jetzt erhielt, ermöglichten die allmähliche Ablösung der finanziellen Lasten gegenüber der Abtei, zuletzt 1566 des Todfalls.

Kommunale Bewegung, Territorialbildung und Verfassung

Im 13. und 14. Jahrhundert wird eine bäuerlich-genossenschaftliche Bewegung im Appenzellerland erkennbar. Schwureinungen der Appenzeller mit St. Galler Stadtbürgern und anderen Gotteshausleuten sind unter den Äbten Konrad von Bussnang (1226-1239) und Berchtold von Falkenstein (1244-1272) bezeugt. Appenzeller Krieger belagerten 1278 Abt Rumo von Ramstein auf der Clanx, weil er heimlich den einheimischen Ammann Hermann von Schönenbühl gefangen genommen hatte. In den Urkunden des 14. Jahrhunderts gewinnt der zunächst als Gebietsbezeichnung verwendete Begriff "Land/Länder" neben den obrigkeitlichen "Ämtern" der Abtei St. Gallen an Bedeutung als Bezeichnung kommunaler Einheiten im Rahmen des Gemeindebildungsprozesses. Um 1367 müssen die Landleute der Ämter Appenzell und Hundwil ein gegen den Fürstabt von St. Gallen gerichtetes Bündnis eingegangen sein. Das Bündnis mit dem Schwäbischen Städtebund führte schliesslich 1377 zur Konstituierung einer kommunalen Organisation der "Länder" (lendlin) Appenzell, Hundwil, Urnäsch und Teufen: Die Landleute wählten fortan 13 Männer, die wohl Ansprechpartner für den Städtebund waren; von einem Rat bzw. einem institutionalisierten, vom Kloster völlig unabhängigen Selbstverwaltungsorgan kann allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden. Der Schwäbische Städtebund suchte 1379 mit einem Schiedsspruch die Kompetenzfrage zwischen dem Land Appenzell und Abt Kuno von Stoffeln zu klären: Der Abt durfte jährlich nur eine Steuer (Vogtsteuer) in der bisher üblichen Höhe erheben. Der von ihm eingesetzte Ammann sollte die klösterlichen Herrschaftsrechte wahrnehmen, insbesondere die Gerichtsbarkeit. Die erwähnten 13 Männer waren für das Steuerwesen zuständig. In den Städtebundsurkunden von 1379 und 1384 erscheinen die zusammengeschlossenen appenzellischen "Länder" erstmals gemeinsam unter der überkommunalen Bezeichnung Appenzell daz lant, allerdings noch nicht im Umfang des späteren Landes Appenzell. Dieser wurde erst infolge der Appenzeller Kriege durch den endgültigen Anschluss von Herisau und des heutigen Vorderlandes erreicht. Auch Wappen und Siegel wurden in dieser Zeit verändert: Im Bündnis von 1401 mit der Stadt St. Gallen ging der Appenzeller Bär noch auf allen Vieren. Nach dem Sieg bei Vögelinsegg liessen die Appenzeller ein neues Siegel mit dem aufrecht schreitenden Bären prägen, das sie erstmals 1403 im Frieden mit den Bodenseestädten verwendeten.

In die Anfänge des 15. Jahrhunderts zu datieren sind erste Hinweise auf eine Landsgemeinde. Am Anfang einer Zusammenstellung von Rats- und Landsgemeindebeschlüssen des 15. und 16. Jahrhunderts befinden sich Schwurformeln, von denen die wesentlichen Teile noch heute an der Landsgemeinde vorgelesen werden. Eingeleitet wird diese Zusammenstellung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die ungenau als Ältestes Landbuch betitelt worden ist, mit einer Datierung auf 1409. Diese Zeitstellung trifft am ehesten auf die Schwurformeln für Ammann, Weibel und Landleute zu sowie auf die Kriegsordnung, das Friedens- und das Erbrecht. Den Landammann stellten anfänglich die Schwyzer und Glarner. Als erster einheimischer Landammann ist 1412 Ulrich En(t)z erwähnt. Einem von 1402 an vereinzelt erwähnten Rat kann im 15. Jahrhundert noch nicht die Bedeutung der späteren Räte (Landrat, Kleiner Rat) zugekommen sein.

Appenzell: Die Rhoden im 16. Jahrhundert
Appenzell: Die Rhoden im 16. Jahrhundert […]

Erstmals in Abgabenverzeichnissen und Urkunden des 14. Jahrhunderts wird eine rechtliche und wirtschaftliche Organisation in Rhoden fassbar. In den Ämtern Appenzell und Trogen bildeten je sechs Rhoden die Unterabteilungen des jeweiligen Amtes: Das Amt Trogen bestand aus der Schneiter/Schwender, Füglisegger, Roter, Rotenwieser, Trogener und Tablater Rhode, das Amt Appenzell aus den Rhoden Schwende, Rüte, Lehn, Schlatt, Gonten, Rinkenbach/Wies. Ihnen standen Rhodmeister vor, die in dieser Zeit als Steuersammler bezeugt sind. Unter anderem die Aufsplitterung der umfangreichen Rhode Trogen im 16. Jahrhundert führte dazu, dass sich bis zur Landteilung die sechs äusseren Rhoden Urnäsch, Herisau, obere und untere Rhode Hundwil, Teufen und Trogen gebildet hatten; die Struktur der inneren Rhoden blieb unverändert. Die Aufspaltung der äusseren Rhoden, die Zusammenballung der inneren Rhoden in der Kirchhöre Appenzell und die wachsende Bedeutung konfessioneller Fragen nach der Glaubensspaltung bewirkten vom 16. Jahrhundert an eine Verlagerung des politischen Gewichts in die Kirchhören (Kirchspiele) als kommunale Einheiten.

Der Aufbau des appenzellischen Staatswesens im 16. Jahrhundert wird im Silbernen Landbuch von 1585 geschildert: Oberste Instanz war die Landsgemeinde, es folgten der Grosse Zweifache Landrat, der Gebot(e)ne oder Grosse Rat und der Kleine Rat. Beschlüsse einer übergeordneten Instanz konnten von einer untergeordneten Behörde nicht umgestürzt werden. Krieg und Frieden sowie Bündnisse waren Angelegenheiten der Landsgemeinde, die üblicherweise im Hauptort Appenzell tagte und an welcher alle mindestens 16-jährigen Landmänner von Appenzell stimm- und wahlberechtigt waren. Es kam im 16. Jahrhundert aber mehrfach vor, dass die inneren Rhoden sich zu Abstimmungen auf der Hofwiese beim Flecken Appenzell versammelten, während die Stimmen der äusseren Rhoden schriftlich eingebracht wurden, wobei wohl nicht nach Köpfen, sondern nach Rhoden gezählt wurde. Der Grosse Zweifache Landrat setzte sich aus zwölf Klein- und zwölf Grossräten jeder der zwölf Rhoden, den Landesbeamten und den Altammännern zusammen und bildete damit ein Gremium von mehr als 288 Männern. Er kam zweimal im Jahr zusammen (sogenannte Neu- und Alt-Rät im Mai nach der Landsgemeinde, sogenannter Gallenrat im Oktober), stellte die Landmandate auf, schloss Verträge und Bündnisse ab, wählte die Heimlicher (Mitglieder des Kleinen Rats mit polizeilicher Aufsichtsfunktion) sowie einzelne Landesbeamte (Baumeister, Spitalherr, Siechenpfleger). In schweren Fällen wie Notzucht und Ehebruch amtete er zudem als Richtergremium. Der Gebotne oder Grosse Rat umfasste die 144 Kleinräte der zwölf Rhoden und die Landesbeamten. Er wählte die Tagsatzungsboten und gab die Instruktionen, verhandelte mit Eidgenossen und fremden Fürsten und urteilte als Appellationsinstanz in Zivil- und Strafsachen. Der Kleine Rat, der sich vermutlich aus dem Landammann, den Heimlichern und zuweilen auch den Hauptleuten der zwölf Rhoden zusammensetzte, besorgte die laufenden Geschäfte. Als besondere Gerichte urteilten das Geschworenengericht (Landammann und zwölf Geschworene) in Eigentumskonflikten und das zunächst in der offenen Erdgeschosshalle des Rathauses tagende Gassen-, Weibel- oder Bussengericht unter dem Vorsitz des Landweibels vor allem über Frevel und kleinere Händel.

Die schriftliche Fixierung der Ratsgeschäfte setzt erst im Laufe des 16. Jahrhunderts ein, zuerst mit der fast lückenlosen Reihe der Landrechnungen ab 1519. Es folgten 1547 miner herren antwurtbuch, eine wenig systematische Sammlung von unter anderem Ratsmandaten, Gerichtsurteilen und Verhandlungsprotokollen, 1579-1588 das Rats- und Urfehdbuch und in dessen Nachfolge ab 1589 die Landratsprotokolle, 1578 das Kirchhöre- und Feuerschaubuch, das über die Zeit der Landteilung hinausführt. Der paritätische Staat Appenzell, der sich in den Wirren der Reformationszeit herausgebildet hatte, war keine Landsgemeinde-Demokratie nach heute gängigem Verständnis, sondern weitgehend ein Obrigkeitsstaat, gelenkt von den Räten und den darin führenden Persönlichkeiten und Geschlechtern.

Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur vom Hochmittelalter bis zur Landteilung (1597)

Bevölkerung und Siedlung

Während das Appenzeller Hinterland teilweise schon im 9. Jahrhundert nachweislich bewohnt war, fällt die Besiedlung des Talkessels von Appenzell in die Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus durch die Äbte von St. Gallen. Aufgrund der naturräumlichen Voraussetzungen und der bäuerlichen Produktionsweise (v.a. Vieh- und Alpwirtschaft) entstand eine Einzelhofsiedlung. Der äbtische Hof Appenzell mit der 1071 gegründeten Kirche wurde zum wirtschaftlichen, administrativen und kirchlichen Zentrum. Ein wohl um 1200 angelegter Abgabenrodel nennt frühe Hofsiedlungen im heutigen Innerrhoder Gebiet. Im später besiedelten appenzellischen Mittelland wird urkundlich um 1175 Trogen (de Trugin) genannt. Deutlich später, gegen Ende des hochmittelalterlichen Landesausbaus, sind 1268 Schwellbrunn sowie Schönengrund belegt, kurz danach Teufen und Gais, erst 1309 Speicher. Fragmente von Zinsrödeln bezeugen, dass im 14. Jahrhundert ein Landesausbau im appenzellischen Mittelland von St. Gallen her erfolgte. Für das unter anderem auch vom Rheintal her besiedelte Vorderland tauchen im Einkünfteverzeichnis des Meieramts Altstätten um 1300 die ältesten Hofnamen auf. In Dokumenten aus dem 14. Jahrhundert kommen Wienacht (Lutzenberg) und Walzenhausen vor. Auch die zeitliche und räumliche Abfolge von Kirchengründungen weist auf eine Besiedlung des Appenzellerlandes von Westen her gegen Innerrhoden sowie gegen das Mittel- und Vorderland hin. Am Ende des 15. Jahrhunderts hatten sich die wichtigsten Siedlungen und Dörfer im Kern gebildet, namentlich die Pfarrdörfer Herisau, Appenzell, Hundwil, Gais, Urnäsch, Trogen, Grub und Teufen. Die Zeit danach ist gekennzeichnet durch eine Siedlungsverdichtung, wobei (neben der Absenz von Städten) die Streusiedlung für das voralpine Appenzellerland typisch blieb. Dies zeigt sich zum Beispiel im Vergleich einer Hofliste um 1500 mit der Abkurungsurkunde der Pfarrei Oberegg 1658.

Karte der Region St. Gallen, Appenzell und Rheintal, um 1740, von Gabriel Walser (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner).
Karte der Region St. Gallen, Appenzell und Rheintal, um 1740, von Gabriel Walser (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner).

Um 1400 sollen laut einem Waffenrodel in den inneren Rhoden 378 Haushalte bestanden haben. Für das Jahr 1535 sind in einem Steuerrodel 696 Haushalte überliefert, was einer Zunahme um 86% entspricht. Diese beruhte wohl ebenso sehr auf Zuwanderung – vor allem aus der näheren Umgebung, aber auch aus dem Welschland oder Allgäu – wie auf Geburtenüberschüssen. In den Landrechnungen und Rödeln detailliert festgehaltene Pensionen-Auszahlungen an die männliche Bevölkerung in den Jahren 1535, 1537, 1544 und 1547 gestatten ungefähre Angaben zur Bevölkerungsentwicklung. Demnach zählte das ganze Land Appenzell in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts 11'400-12'700 Einwohner (innere Rhoden 3400-3700, äussere Rhoden 8000-9000). Nach den Pestjahren 1564, 1585, 1586 und 1594 betrug im Jahr der Landteilung eine, wohl auf Zahlen von Stimm- oder Wehrfähigen beruhende Erhebung rund 26'700 Einwohner (innere Rhoden 8100-8800, äussere Rhoden 18'200), aber nach einer auf der Basis von Kommunikantenzahlen beruhenden Zählung lediglich rund 13'500 Einwohner (innere Rhoden 3800-4200, äussere Rhoden 9000-10'000).

Wirtschaft und Gesellschaft

Am 23. September 1353 erhielt der Abt von St. Gallen für den Flecken Appenzell das königliche Privileg des Marktrechts. Fortan durften bei der Kirche zwei Jahrmärkte abgehalten werden. Zusammen mit den zum Teil schon im 14. Jahrhundert bezeugten appenzellischen Geschlechtsnamen wie Beck, Müller, Binder, Fässler, Sutter, Schmid oder Salzmann ist dies ein Indiz dafür, dass sich in dieser Zeit im grundsätzlich von der Landwirtschaft geprägten Land Appenzell ein bäuerliches Bedarfsgewerbe und ein lokaler Handel zu entwickeln begannen.

Sofern von den Abgabenforderungen der Abtei St. Gallen auf die landwirtschaftliche Produktionsstruktur geschlossen werden kann, diente bereits im Hochmittelalter ein beträchtlicher Teil des Bodens der Viehwirtschaft. Trotzdem dürften noch im Spätmittelalter vor allem im nordwestlichen Landesteil und auch im inneren Land insbesondere Hafer und Dinkel angebaut worden sein. In talnahen Hanglagen (Heiden, Lutzenberg, Oberegg, Reute, Walzenhausen, Wolfhalden) wurde zudem (erstmals im 14./15. Jh. belegter) Rebbau betrieben. Im 16. Jahrhundert dürfte die Ackerfläche, ausser im Nordwesten des Landes, keine wesentliche Ausdehnung mehr gehabt haben. Wo auf den zerstreuten Einzelhöfen noch etwas Ackerbau unterhalten wurde, geschah dies wohl meistens in Form der Egartenwirtschaft und für den Eigenbedarf.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Appenzellerlandes im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit ist vor allem durch eine Verlagerung vom Getreidebau zur Viehwirtschaft charakterisiert. Mit der schon im Spätmittelalter an Bedeutung gewinnenden Ausfuhr von Molken- und Fleischprodukten beschleunigte sich der Übergang zur Viehwirtschaft, die weniger arbeitsintensiv war. Der steigende Bedarf an Winterfutter konnte nur zu Lasten des Ackerbaus gedeckt werden. Gemäss dem eidgenössischen Schiedsspruch von 1421 mussten die Grundlasten nicht mehr in Naturalien abgeliefert werden, wodurch der – schon früher in der Praxis umgangene – Zwang zum Getreidebau auch formal entfiel. Dank der nahe gelegenen Kornmärkte in Süddeutschland war das Land Appenzell vom 16. Jahrhundert an nicht mehr auf die Eigenversorgung mit Korn angewiesen.

Die überzählige bäuerliche Bevölkerung fand teils als Gesinde, insbesondere in der Innerschweiz, teils im Solddienst oder in der Leinwandfabrikation der Bodenseestädte ihr Auskommen. Die Textilverarbeitung – vorerst das Spinnen von Flachs und Hanf zu Garn, später auch das Weben – wurde im Appenzellerland im 15. und 16. Jahrhundert eine immer wichtigere bäuerliche Nebenbeschäftigung und schliesslich für viele zur Haupttätigkeit. Zahlreiche Appenzeller Dörfer (v.a. Hundwil, Urnäsch, Appenzell, Herisau und Teufen) hatten als Leinwand webendes Hinterland Anteil am Wohlstand der Stadt St. Gallen, deren Rat 1477 der Appenzeller Leinwand bei entsprechender Qualität das St. Galler Schauzeichen zubilligte. Mit dem Bau einer eigenen Bleiche, eines Beuchhauses und einer Walke (1535-1537) im Flecken Appenzell sowie mit der Gründung einer Appenzeller Leinwandgesellschaft (1537) versuchten angesehene Landleute und Produzenten, sich aus der Abhängigkeit von St. Gallen zu lösen. Nach heftigen Auseinandersetzungen in den Leinwandhändeln von 1535-1542 und 1579 konnte die Stadt jedoch ihr Schau- und Handelsmonopol behaupten. Die ländlichen Weber, Spinner und Kleinverleger mussten sich weiterhin auf die Produktion für die städtischen Kaufleute beschränken. Erlaubt blieb hingegen der Zwischenhandel mit Flachs, Werg und Garn. Nach einer Zusammenstellung der appenzellischen Händler aus dem Jahr 1579 gab es im ganzen Land Appenzell 82 Garnhändler, während im Käse- und Butterhandel zur gleichen Zeit nur 45 Molkengrempler tätig waren. Im Hinter- und Mittelland soll sich die Leinwandweberei, die von der Hochkonjunktur des sankt-gallischen Leinwandhandels (1560-1610) begünstigt wurde, infolge der Nahrungsmittelteuerung von 1571 noch zusätzlich verstärkt haben.

Wirtschaftspolitische Massnahmen der Obrigkeit sind ab 1547 im sogenannten Antworten- und Mandatenbuch überliefert. Sie betrafen insbesondere die Vieh- und Waldwirtschaft (z.B. 1548 Ausgleich bei Heumangel, 1551 Massnahmen gegen eine Viehseuche, 1555 bzw. 1557 Nutzungsordnungen zum Schutz der Wälder vor Ziegen bzw. "welschen" Harzsuchern, 1564 Weideverbot für auswärtiges Vieh auf Gemeinweiden), den Güter- und Geldmarkt (z.B. Verbot des Verkaufs von Gütern und Gülten ausser Landes), ehafte Berufe (v.a. Regelungen und Kontrollen für Wirte, Müller und Metzger), die Marktordnung (neben Appenzell wurden in Herisau spätestens ab 1518, in Urnäsch ab 1592 Jahrmärkte abgehalten, in Herisau stand etwa ab Mitte des 16. Jahrhunderts ein Kaufhaus), den Wegunterhalt (z.B. 1555 ein Wegmeister pro Rhode) sowie Jagd und Fischfang (v.a. Schonzeiten, Bannbezirke).

Die appenzellische Gesellschaftsstruktur ist noch zu wenig erforscht, als dass allgemein gültige Aussagen zur sozialen Schichtung gemacht werden könnten, zum Beispiel zu Gruppierungen innerhalb der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung (Bauern, Sennen, Heimarbeiter, Handwerker), zur Verfestigung einer wirtschaftlichen Oberschicht durch die Viehwirtschaft, das Verlagssystem oder fremde Dienste sowie zu politisch führenden Familien. Bekannt ist, dass sich gewisse Familien im 15.-16. Jahrhundert zu Ämterdynastien entwickelten, sowohl auf Landesebene wie auch in den einzelnen Rhoden, zum Beispiel die Gartenhauser, Meggeli und Zidler im Land Appenzell, die Tanner und Schiess in der Rhode Herisau. Auch über innere gesellschaftliche Spannungen und Konflikte (z.B. 1521-1522 Pensionenstreit um ein Soldbündnis mit der französischen Krone, 1535-1539 Bannerhandel) sowie über die obrigkeitliche Sittenaufsicht, die ebenfalls in Mandaten des Antworten- und Mandatenbuchs (z.B. zum Fluchen, Trinken und Tanzen) zum Ausdruck kommt, sind erst einzelne Aspekte bekannt. Wichtige Orte der Geselligkeit, im Hauptort Appenzell aber auch politische Versammlungsorte (z.B. von Ratsherren im kleinen Rahmen oder mit eidgenössischen Boten), waren zweifellos die Wirtshäuser: 1555 standen wohl deren 53 im Land Appenzell, davon allein neun im Flecken Appenzell.

Kirche und Kultur vor der Reformation

Das ungeteilte Land Appenzell gehörte zum Bistum Konstanz, in diesem zum Archidiakonat Thurgau und zum Dekanat St. Gallen (ursprünglich Arbon). Das religiöse Leben der Bevölkerung spielte sich vornehmlich im Rahmen der Pfarreien ab. Den hochmittelalterlichen Pfarreigründungen von Herisau (907 erstmals erwähnt) und Appenzell (1071) folgten im Spätmittelalter und ausschliesslich in den äusseren Rhoden weitere Pfarreibildungen (Gais zwischen 1323 und 1360/1370, Hundwil vor 1380, Urnäsch 1417, Trogen 1463, Grub 1474, Teufen 1479). Die Kirchen standen unter dem Patronat des Abts von St. Gallen, der somit auch die Kirchenzehnten bezog. Der bauliche Unterhalt und die Ausstattung (Pfrundstiftungen) der Kirchen legen Zeugnis über das religiöse Leben des Volkes ab. In diesem Zusammenhang zu nennen sind auch Schwesterngemeinschaften, die sich aus Niederlassungen von Beginen entwickelten und dem Dritten Orden des heiligen Franziskus angehörten (Grimmenstein, Wonnenstein, Appenzell, Heilbrunnen bei Oberegg, Bendlehn bei Speicher), eine in Herisau gegründete St.-Anna-Bruderschaft, ein Bruderhaus im Bendlehn sowie Einsiedeleien von Brüdern im Ahorn, im Berndli (beide Schwende), an Bruderhalden (Trogen) und bei St. Jakob auf dem Kronberg (Gonten). Bedeutende Wallfahrtsorte gab es im Land Appenzell keine. Grosse Anziehungskraft übten das Gnadenbild "Unserer Lieben Frau im Gatter" in der St. Galler Stiftskirche sowie der eidgenössische Wallfahrtsort Einsiedeln aus.

Mit der fortschreitenden Entwicklung Appenzells zu einem selbstständigen Staatswesen wuchs auch das Bedürfnis, eine eigene Schule zu besitzen. Deshalb bestanden im Flecken Appenzell wahrscheinlich noch vor der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Deutsche Schule sowie eine Lateinschule von gutem Ruf. Hier bereiteten sich angehende appenzellische Geistliche auf das Studium (in der Regel der freien Künste) vor, das sie zur Hauptsache an den Universitäten Basel, Wien, Erfurt, Freiburg im Breisgau und Heidelberg absolvierten.

Von der Reformation zur Landteilung (1597)

Reformation und Nebeneinander der Konfessionen

Hatten das 15. und das frühe 16. Jahrhundert die Bildung des Landes Appenzell und die Besserstellung dieses Staatswesens in der Eidgenossenschaft gebracht, so vollzogen sich im 16. Jahrhundert dessen Trennung in zwei konfessionelle Lager und letztlich die Teilung in zwei Halbstände.

Grundlegend für diese politische Entwicklung war die Glaubensspaltung. Die Lehren Luthers und Zwinglis sollen gemäss einer 1565 geschriebenen Reformationschronik ab 1522 im ganzen Appenzellerland – vornehmlich in den äusseren Rhoden – erste Anhänger (namentlich Johannes Dörig, Jakob Schurtanner, Walter Klarer, Matthias Kessler, Pelagius Amstein, Johannes Hess) gewonnen haben. Der Ansatz für den Beginn und Durchbruch des neuen Glaubens liegt in der Erklärung und Auslegung der Apostelgeschichten, die Joachim von Watt (Vadian) anfangs 1523 an die Hand nahm und befreundeten Geistlichen und Gesinnungsgenossen, darunter Jakob Schurtanner, vortrug. Eine einheitliche Lösung der Glaubensfrage war durch das im Oktober 1523 vom Rat aufgestellte und am 24. April 1524 von der Landsgemeinde bestätigte Prinzip der schriftgemässen Predigt ("Schriftprinzip" der reformierten Theologie) nicht zu erreichen. Das Wirken der Täufer erfasste das Appenzellerland 1525 in grösserem Ausmass und wurde auch hier (wie in Zürich und St. Gallen) bald obrigkeitlich verfolgt (erste polizeiliche Massnahmen im Juni 1525, Täufermandate, Täufer-Disputation in Teufen im Oktober 1529). Um das konfliktträchtige Nebeneinander von altem und neuem Glauben innerhalb der Kirchhören zu beenden, entschied die Landsgemeinde vom April 1525, dass jede Kirchhöre sich für einen Glauben entscheiden, danach aber Freizügigkeit bestehen solle, damit sich die konfessionelle Minderheit in einer Kirchhöre ihres Bekenntnisses niederlassen könne ("Kirchhöreprinzip"). Die äusseren Rhoden – ausser Herisau, wo Joseph Forrer, ein energischer Verfechter des alten Glaubens, die Reformation bis 1529 verhinderte – entschieden sich zusammen mit dem zu den inneren Rhoden gehörenden Gais für die neue Lehre. Die Bewohner der inneren Rhoden in der Kirchhöre Appenzell unter Pfarrer Diepolt Huter verblieben mehrheitlich beim alten Glauben, obwohl eine rührige reformierte Minderheit und Exponenten der äusseren Rhoden sowie Vertreter umliegender reformierter Gebiete (v.a. Zürichs) auf einen Schulterschluss mit den äusseren Rhoden drängten und ihn 1531 beinahe auch erreicht hätten. Doch ein bewaffneter Zug von aufgebrachten Bewohnern aus dem benachbarten Gonten verhinderte die Abschaffung der Messe in Appenzell, und der für die katholischen Orte siegreiche Ausgang des Zweiten Kappelerkriegs beendete die Pläne für eine vollständige Reformation des Landes Appenzell und leitete eine rückläufige Bewegung ein.

Nach dem Zweiten Kappeler Landfrieden versuchten die beiden Glaubensparteien im paritätischen Stand Appenzell, trotz gelegentlicher Missstimmigkeiten, ein friedliches Zusammenleben. Was sie verband, waren die gemeinsame Geschichte, das gleiche Staats- und Rechtsverständnis, die gemeinsam getragene, auf Frankreich ausgerichtete Bündnispolitik und nicht zuletzt der Gegensatz zur Stadt St. Gallen. Das zeigte sich besonders in den Leinwandhändeln (1535-1542, 1579), als sich die appenzellischen Landleute von der Stadt St. Gallen im Leinengewerbe wirtschaftlich benachteiligt fühlten. Beinahe gleichzeitig flammte wegen eines angeblich durch appenzellische Politiker den St. Gallern verkauften, gemäss mündlicher Überlieferung in der Schlacht bei Vögelinsegg eroberten stadtsanktgallischen Banners der Bannerhandel (1535-1539) auf. Wegen des provozierenden Druckes eines Kalenders mit einer Appenzeller Bärin neben dem männlichen St. Galler Bären durch den ersten St. Galler Buchdrucker Leonhard Straub entbrannte 1579 der Kalenderstreit. Besser gestaltete sich das nachbarliche Verhältnis zur Fürstabtei St. Gallen. Es gelang den Appenzellern, die Beziehungen zum Galluskloster zu verbessern und sich 1566 von den letzten äbtischen Hoheitsrechten (Todfall) loszukaufen.

Katholische Reform, Gegenreformation und Landteilung

Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an versuchte eine neue massgebende Gruppe von innerrhodischen Politikern, vertreten durch die Landammänner Joachim Meggeli den Jüngeren, Bartholomäus Dähler, Johannes Heim (von Heimen) und Konrad Wyser, den (durch das gemeinsame Interesse an den Solddiensten gegebenen) politischen Verbindungen zu den Innerschweizer Orten eine religiöse Komponente zu geben. Die katholische Reform und die Gegenreformation sind mit der Appenzeller Geschichte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beispielhaft verflochten. Vor allem die Visitation des Nuntius Giovanni Francesco Bonomi (Bonhomini) 1579 wirkte sich auf den katholischen Teil des Landes nachhaltig aus. Landesmandate liessen halb vergessene katholische Bräuche (z.B. Marien- und Heiligenfeste) wieder aufleben. Das Kontrollrecht des Rats über die Geistlichkeit und über das Kirchenwesen wurde verschärft, der Gregorianische Kalender zur gleichen Zeit wie in der Innerschweiz am 8. Januar 1584 durch den Grossen Zweifachen Rat angenommen und der reformierten Stadt Mülhausen 1586 zusammen mit den katholischen eidgenössischen Orten der Bund aufgekündet. Dabei wurde das Fehlen von reformierten Vertretern, die zuweilen auf den beschwerlichen Weg in den katholischen Hauptort verzichteten, in den an sich mehrheitlich reformierten Räten wiederholt von der katholischen Partei und ihren Führern ausgenützt. Auf der anderen Seite betonten auch die äusseren Rhoden ihre Eigenständigkeit in religiösen Fragen, was sich bis in alltägliche Angelegenheiten auswirken konnte (Abschaffung alter bzw. katholischer Bräuche, Versuch der Trogener, den Altarstein aus der Kirche zu schaffen). Die Selbstständigkeit und das Selbstverständnis beider Teile kommt auch in der Hochgerichtsbarkeit (Richtstätten in Appenzell und Trogen) und im sogenannten Gaishaus oder äusseren Rathaus zum Ausdruck, in dem sich die Ratsleute der äusseren Rhoden vor den gemeinsamen Ratssitzungen im Rathaus in Appenzell versammelten.

Entscheidenden Einfluss auf den Fortgang der katholischen Erneuerung, aber auch auf das Aufkeimen konfessioneller Spannungen hatten 1586 die Berufung der Kapuziner nach Appenzell und 1588 die Einladung zum Eintritt in das 1587 abgeschlossene Sold- und Militärbündnis der fünf inneren Orte und Freiburgs mit Spanien (inklusive Herzogtum Mailand). Die gegenreformatorische Tätigkeit der Kapuziner, vor allem des Konvertiten Pater Ludwig von Sachsen, führte zunächst zum Glaubensvertrag vom 1. März 1588, welcher das Kirchhöre- und das Schriftprinzip erneuerte. In strenger Auslegung des Kirchhöreprinzips wurde in der Kirchhöre Appenzell die reformierte Minderheit vor die Wahl gestellt, sich zur katholischen Konfession zu bekennen oder auszuwandern, wodurch die konfessionelle Einheit der inneren Rhoden wiederhergestellt wurde. 1589 wurde der paritätische Kultus in der zur Rhode Trogen gehörenden Kirchhöre Grub eingerichtet. Weitere Rekatholisierungsversuche scheiterten jedoch. Der Glaubensvertrag bewirkte eine grosse Verstimmung in den äusseren Rhoden, die in ihrem Gebiet mit gleichen Massnahmen gegenüber den katholischen Minderheiten reagierten.

Die katholischen eidgenössischen Orte versuchten, Appenzell in ihr Bündnis mit Spanien hineinzuziehen, das damit dem französischen Einfluss in der Eidgenossenschaft wirksamer zu begegnen hoffte. Von einem solchen Schritt versprachen sich die politischen Führer der inneren Rhoden, den nach den Dorfbränden von Herisau (1559) und Appenzell (1560) sowie wegen des Ausbleibens der französischen Bundesgelder zunehmenden Finanzproblemen zu begegnen, der angewachsenen Bevölkerung ein neues Betätigungsfeld zu schaffen und, wie Geheimdokumente beweisen, die katholische Konfession zu festigen sowie die Glaubenseinheit im Land Appenzell wiederherzustellen. Die führenden Köpfe der äusseren Rhoden leisteten den Bündnisplänen unter Beihilfe der reformierten Städteorte hartnäckigen Widerstand, sodass die inneren Rhoden unter Berufung auf ihr stolzes Staatsbewusstsein (u.a. als namengebender Teil des Landes) für sich das Recht beanspruchten, das Bündnis für das ganze Land Appenzell einzugehen. Mit Hilfe der Innerschweizer Orte gelang es, den zunächst widerstrebenden spanischen König Philipp II. von der Wichtigkeit eines Beitritts des Landes Appenzell zu überzeugen. Den katholischen Orten ging es dabei auch um die Behauptung ihrer Stellung in der Eidgenossenschaft, da sie gegenüber den reformierten Orten nur eine ganz knappe Mehrheit bildeten. Ein Zusammengehen mit den äusseren Rhoden kam für die politischen Führer der inneren Rhoden nicht in Frage, hätten doch die von Zürich unterstützten reformierten Appenzeller einem spanischen Bündnis nicht zugestimmt. Die Angelegenheit zog sich in die Länge, bis am 24. August 1596 die Kirchhöre Appenzell ohne Einwilligung der äusseren Rhoden den folgenschweren Vertrag mit der aufstrebenden katholischen Vormacht in Europa unterzeichnete.

Erbeutete Fahnen. Kolorierte Aquatinta von Franz Hegi, 1830 (Museum Appenzell; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Erbeutete Fahnen. Kolorierte Aquatinta von Franz Hegi, 1830 (Museum Appenzell; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann). […]

Der Graben zwischen den im Glauben und in der Aussenpolitik zerstrittenen Appenzellern war nun so tief geworden, dass die eidgenössischen Vertreter nach dem Scheitern aller Vermittlungsversuche eine Trennung der beiden unverträglichen Landesteile nicht mehr ausschlossen. Am 2. Juni 1597 stimmten die äusseren Rhoden an einer ausserordentlichen Landsgemeinde in Hundwil der Teilung des Landes zu, und am 15. Juni 1597 fällte die Kirchhöreversammlung von Appenzell denselben Entscheid. Sechs anlässlich der eidgenössischen Tagsatzung vom 29. Juni 1597 in paritätischer Zusammensetzung gewählte Schiedsrichter von Zürich, Luzern, Schwyz, Nidwalden, Glarus und Schaffhausen führten in Appenzell Verhandlungen mit den beiden Parteien und legten am 8. September 1597 den Landteilungsbrief vor, der die endgültige Trennung in zwei Staatswesen in die Wege leitete. Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden erhielten fortan den Status von Halbständen und nahmen in Kauf, dass ihr Einfluss in der Eidgenossenschaft wegen ihres konfessionellen Gegensatzes geschwächt wurde. Mit dem Teilungsbeschluss konnte in bemerkenswerter Ruhe und ohne Blutvergiessen eine dauerhafte Konfliktlösung gefunden werden. Die als europäische Ausnahmeerscheinung zu betrachtende friedliche Landteilung dürfte vielleicht auch deshalb ohne kriegerische Auseinandersetzungen erfolgt sein, weil die inneren und äusseren Rhoden im 15. und 16. Jahrhundert nie gemeinsam ein einheitlich organisiertes Staatswesen bildeten, das man 1597 auseinandergeschnitten hätte.

Quellen und Literatur

  • Landesarchiv Appenzell Innerrhoden, Appenzell
  • Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Herisau
  • Stiftsarchiv St. Gallen, St. Gallen
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  • G. Walser, Neue Appenzeller Chronick, 1740
  • J.C. Zellweger, Urkunden zu Joh. Caspar Zellweger's Geschichte des appenzellischen Volkes, 7 Bde., 1831-1838​​​​​​
  • Appenzeller Urkundenbuch, bearb. von T. Schiess, 2 Bde., 1913-1934
  • Chartularium Sangallense, hg. von O.P. Clavadetscher, Bd. 3-, 1983-
Historiografie
  • Das Land Appenzell verfügt seit 1964 über eine ausführliche, schwergewichtig ereignis- und politikgeschichtliche Darstellung seiner Geschichte bis zur Landteilung von 1597. Abgesehen von wenigen Ausnahmen befasste sich die appenzellische Historiografie bis in die 1970er Jahre im Wesentlichen mit den Ereignissen im 16. Jahrhundert (Reformation, Landteilung). Seither versuchen einige auf neue Methoden und Ansätze gestützte Arbeiten ein modernes, jedoch immer noch lückenhaftes Bild der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Landes Appenzell im 15. und 16. Jahrhundert zu geben.
Allgemein
  • J.C. Zellweger, Geschichte des Appenzellischen Volkes, 3 Bde., 1830-1840
  • Appenzellische Jahrbücher, 1854-
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  • Innerrhoder Geschichtsfreund, 1953-
  • Appenzeller Geschichte, Bd. 1, 1964
  • Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Ausserrhoden, 3 Bde., 1973-1981
  • Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Innerrhoden, 1984
Von der Urzeit bis ins Hochmittelalter
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  • J. Duft, «Die Urkunden für Appenzell aus dem Jahr 1071», in Festgabe für Paul Staerkle zu seinem achzigsten Geburtstag, 1972, 27-42
  • S. Sonderegger, Der Alpstein im Lichte der Bergnamengebung, 21977
  • M. Borgolte, Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit, 1984
  • F. Knoll-Heitz, «Herisau, Bezirk Hinterland, AR», in Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte 67, 1984, 173
  • G. Hilty, «Alemannisch und Romanisch im obersten Toggenburg», in Verborum amor, Festschrift für Stefan Sonderegger zum 65. Geburtstag, hg. von H. Burger et al., 1992, 680-700
  • Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter, 6 Bde., 1993-2005
  • R. Jagher et al., «Altwasser-Höhle 1», in Archäologie der Schweiz 20, 1997, 2-8
  • Das Appenzeller Missale. Eine illuminierte Handschrift des 12. Jahrhunderts, hg. von A. von Euw, H. Bischofberger, 2004
Herrschaft, Politik und Verfassung vom Hochmittelalter bis zur Landteilung (1597)
  • P. Blickle, «Bäuerliche Rebellion im Fürststift St. Gallen», in Aufruhr und Empörung?, hg. von P. Blickle, 1980, 217-227, 256-260
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  • M. Kunz, Zugang zu den Ämtern? – Eine Frage der Verwandtschaft, Liz. Zürich, 1994
  • H. Bischofberger, «Rhoden als Ämterorganisation im erweiterten Bodenseegebiet», in Innerrhoder Geschichtsfreund 38, 1998, 49-60
  • H. Bischofberger, Rechtsarchäologie und rechtliche Volkskunde des eidgenössischen Standes Appenzell Innerrhoden, 2 Bde., 1999
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  • F. Stark, 900 Jahre Kirche und Pfarrei St. Mauritius Appenzell, 1971
  • Helvetia Sacra IX/2, 1995, 155-182
Von der Reformation zur Landteilung
  • K. Ritter, Die Teilung des Landes Appenzell im Jahre 1597, 1897
  • R. Fischer, Die Gründung der Schweizer Kapuzinerprovinz 1581-1589, 1955
  • F. Stark, Die Glaubensspaltung im Lande Appenzell bis zur Badener Disputation 1526, 1955
  • R. Fischer, «Studien zur Geschichte der Reformation im Lande Appenzell», in Innerrhoder Geschichtsfreund 9, 1962, 3-40
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Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Achilles Weishaupt; Rainald Fischer: "Appenzell (Kanton)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.10.2019. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007389/2019-10-25/, konsultiert am 17.04.2024.