Oro- und hydrografische Karte des Kantons Appenzell Innerrhoden mit den wichtigsten Ortschaften
[…]
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
Bis 1597 mit Appenzell Ausserrhoden Teil des gemeinsamen Landes Appenzell, seither Halbkanton der Eidgenossenschaft unter der Bezeichnung "Land Appenzell der inneren Rhoden", amtlicher Name seit 1873 "Kanton Appenzell Innerrhoden" (französisch Appenzell Rhodes-Intérieures, italienisch Appenzello Interno, rätoromanisch Appenzell dadens). Amtssprache ist Deutsch. Hauptort des Kantons und Sitz der Kantonsbehörden ist der Flecken Appenzell. 1873 traten an die Stelle der alten Rhoden die sechs Bezirke Appenzell, Schwende, Rüte, Schlatt-Haslen, Gonten und Oberegg.
Struktur der Bodennutzung im Kanton Appenzell Innerrhoden
Fläche (1997)
172,5 km2
Wald / bestockte Fläche
54,8 km2
31,8%
Landwirtschaftliche Nutzfläche
96,1 km2
55,7%
Siedlungsfläche
7,2 km2
4,1%
Unproduktive Fläche
14,4 km2
8,4%
Struktur der Bodennutzung im Kanton Appenzell Innerrhoden - Arealstatistik der Schweiz
Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur des Kantons Appenzell Innerrhoden
Jahr
1850
1900
1950
1990
Einwohner
11 272
13 499
13 427
13 870
Anteil an der Gesamtbevölkerung der Schweiz
0,5%
0,4%
0,3%
0,2%
Sprache
Deutsch
13 412
13 303
12 723
Französisch
7
13
22
Italienisch
69
77
234
Rätoromanisch
8
20
14
Andere
3
14
877
Konfession
Protestantisch
42
833
572
1 275
Katholisch (bis 1900 inkl. Christkatholisch)
11 230
12 665
12 833
11 875
Christkatholisch
5
3
Israelitisch
0
0
2
3
Andere und konfessionslos
0
1
15
572
davon konfessionslos
142
Nationalität
Schweizer
11 198
13 170
13 095
12 524
Ausländer
74
329
332
1 346
Jahr
1905
1939
1965
1995
Beschäftigte im Kt.
1. Sektor
2 718
4 444
1 668
1 501a
2. Sektor
4 437
1 304
1 848
1 940
3. Sektor
875
1 230
1 387
2 946
Jahr
1965
1975
1985
1995
Anteil am Schweiz. Volkseinkommen
0,2%
0,2%
0,2%
0,2%
a Ziffern von 1996
Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur des Kantons Appenzell Innerrhoden - Bundesamt für Statistik; Bundesamt für Landwirtschaft; Historische Statistik der Schweiz
Kern des aus der Landteilung vom 8. September 1597 hervorgegangenen Staatswesens bildeten die inneren fünf Rhoden Schwende, Rüte, Lehn, Schlatt und Gonten sowie die beiden Halbrhoden Rinkenbach (westlicher Teil der ehemaligen inneren Rhode Rinkenbach/Wies) und Stechlenegg (gegründet 1598). Es entsprach der Kirchhöre Appenzell und trug die Bezeichnung Inneres Land (heute Innerer Landesteil). Zu Appenzell Innerrhoden gehörten zudem die katholischen Bewohner am oberen Hirschberg und in Oberegg, die nach der Abtrennung von Trogen als zwei Halbrhoden innerrhodische Exklaven bildeten. Während Stechlenegg weitgehend in die Verwaltung des Inneren Landes integriert wurde, entwickelten Hirschberg und Oberegg mit der Zeit eine gewisse politische Eigenständigkeit. Sowohl die territoriale Abgrenzung als auch der Status der auf ausserrhodischem Gebiet gelegenen Innerrhoder Frauenklöster Wonnenstein und Grimmenstein gaben bis ins 19. Jahrhundert immer wieder Anlass zu Streitigkeiten unter den beiden appenzellischen Halbkantonen.
Der Landteilungsbrief sprach Hoheitszeichen und öffentliche Gebäude des gemeinsamen Landes Innerrhoden zu. Der bisherige Staatsaufbau blieb weitgehend bestehen. Gemäss Silbernem Landbuch (1585), das weiterhin Geltung hatte und laufend nachgeführt wurde, verfügte die im Hauptort tagende Landsgemeinde über die grösste "Gewalt". Während Sachgeschäfte wohl nur in Ausnahmefällen verhandelt wurden, wählte sie Landammann, Säckelmeister, Landschreiber, Landweibel, Gerichtsschreiber (bis 1617) und den Landvogt für das Rheintal (alle 32 Jahre). Im Verlaufe des 17. Jahrhunderts dehnte sich ihre Wahlkompetenz auf Statthalter (ab 1623), Landeshauptmann (ab 1640), Bauherr, Siechenpfleger, Spital- und Armleutsäckelmeister und Landesfähnrich (alle ab 1651) aus. Als oberste gesetzgebende und höchste richterliche Gewalt ("Blut-" oder "Hochgericht") nach der Landsgemeinde fungierte der unter anderem Zweifacher Landrat genannte Grosse Rat. Ihm oblagen die Besetzung verschiedener staatlicher Ämter (z.B. Tagwächter, Landläufer, Waagmeister) sowie zahlreiche administrative und polizeiliche Aufgaben (Vorbereitung der Landsgemeinde, Erlass von Mandaten). Neben den neun amtierenden Landesbeamten, dem Kirchenpfleger der Kirchhöre Appenzell und dem Landweibel (bis 1745) umfasste er 24 Vertreter pro Rhode bzw. zwölf pro Halbrhode (nach 1629 16 bzw. acht Vertreter), doch erschienen zu den Sitzungen jeweils höchstens zwei Drittel der Ratsherren. Teile des Grossen Rats sowie die Landesbeamten, die Rhodshauptleute und die Mitglieder des Kleinen Rats versammelten sich in der Regel kurz nach der ordentlichen Landsgemeinde als "Neu- und Alträt" und nahmen jene Wahlgeschäfte vor, die nicht im Kompetenzbereich des Souveräns lagen.
Allegorische Darstellung des Rats, "Kleine Ratsrose" genannt. Öl auf Holz von Johann Martin Geiger, 1688 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
[…]
Aufgrund der strikten Geheimhaltungspflicht und der unbeschränkten Amtsdauer verfügte der Geheime Rat über grossen Einfluss. Er umfasste neben dem amtierenden Landammann und einzelnen Landesbeamten auch ehemalige Landammänner und Rhodshauptleute, aber keine Vertreter der Halbrhoden Stechlenegg, Hirschberg und Oberegg. Er erliess und vollzog gesetzliche Bestimmungen und amtierte als voruntersuchende und antragstellende Behörde in der Gerichtsbarkeit, so zum Beispiel bei den Hexenverfolgungen, die im 17. Jahrhundert ihr grösstes Ausmass (27 Hinrichtungen) erreichten und bis 1715 dauerten. 1716 löste der Grosse Rat den Geheimen Rat auf und übertrug dessen Geschäfte dem Kleinen Rat.
Letzterem, seit 1603 als Wochenrat aufgeführt, gehörten vor 1629 die Landesbeamten und 84 von den Rhodsgemeinden gewählte Rhodsvertreter an. 1629-1716 wurde die nun noch 67 Mitglieder zählende Behörde vom Geheimen Rat ernannt. Wie der Grosse Rat hatte auch der Wochenrat exekutive und legislative Kompetenzen und war zudem Gerichtsbehörde für zivil- und strafrechtliche Belange. Der Aufgabenbereich zwischen Gross- und Kleinräten war fliessend. Ab 1716 gewann der Wochenrat an Bedeutung, verstärkt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als ihm der anhaltend überlastete Grosse Rat zusätzliche Geschäfte übertrug.
Obwohl die Rechtsprechung teilweise in den Händen der Räte lag, gab es eigenständige Gerichte. Das Geschworenengericht (21-24 Mitglieder) befasste sich vor allem mit finanziellen und Eigentumsfragen, überliess aber im Verlauf des 17. Jahrhunderts seine Kompetenzen zunehmend dem Wochenrat und geriet in Vergessenheit. Das Gassen- und Bussengericht (vermutlich zwölf Mitglieder) war für einfache Fälle zuständig, wurde aber 1625 vom Geheimen Rat aufgelöst. Auch seine Aufgaben übernahm der Wochenrat. Das Spangericht fällte zur Erledigung von Streitigkeiten auf Weiden und Fluren den Rechtsspruch an Ort und Stelle.
Das politische System Appenzell Innerrhodens um 1750
[…]
Unter den Landesbeamten nahm der Landammann eine überragende Stellung ein. Er repräsentierte das Land gegen aussen und verfügte im Innern über eine grosse Machtfülle. Seine Amtszeit war in der Regel auf zwei Jahre beschränkt. Sein Stellvertreter, der Statthalter, führte kein eigenes Ressort. Wichtige Funktionen übten Säckelmeister (Verwalter des Staatsvermögens), Landeshauptmann (Vorsteher des Militärwesens), Bauherr (Aufsicht über staatliche Bauten, Wege, Strassen und Brücken) und Armleutsäckelmeister (Verwalter der staatseigenen Güter, Unterhalt der Armenanstalten) aus. Zu den Landesbeamten gehörten zudem Landesfähnrich (militärische Aufgaben), Siechen- und Armenpfleger (Verwalter von Siechen- und Armenhaus), Spitalmeister (Verwalter des Spitals), Reichsvogt (Aufseher über den Vollzug von Strafen und Folterungen), Zeugherr (Verwalter von Zeug- und Schützenhaus), Landschreiber, Landweibel, Gerichtsschreiber, der von der Kirchhöre Appenzell gewählte Kirchenpfleger (Verwalter des Kirchenguts der Pfarrei Appenzell), der Landvogt im Rheintal (erstmals 1600-1602, letztmals 1792-1794) sowie der Pannerherr (Ehrentitel ohne klar zugewiesenes Aufgabengebiet).
Das Personal für hohe politische Ämter rekrutierte sich in der Regel aus der wohlhabenden Schicht des Hauptortes. Die Rivalität unter verschiedenen regierenden Familien führte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum sogenannten Sutterhandel, der schwersten innenpolitischen Krise Innerrhodens im Ancien Régime.
Im Militär- und Schiesswesen übernahmen die Rhoden einen grossen Teil der Aufgaben. Räte, welche die Rhoden in den Landesbehörden vertraten, sowie die Hauptleute wurden im Anschluss an die Landsgemeinde an den alljährlichen Rhodsversammlungen gewählt. Grössere Eigenständigkeit als die Rhoden des Inneren Landes entwickelten im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts Hirschberg und Oberegg. Sie bildeten erstinstanzliche Gerichte, übten die Aufsicht über das Armen- und Vormundschaftswesen aus und erteilten das Rhodsbürgerrecht. Im Flecken Appenzell nahm die sogenannte Feuerschau weitere Aufgaben wahr.
Im Zentrum der Innerrhoder Aussenpolitik stand zunächst das zwischen feindnachbarlichem Misstrauen und pragmatischer Verständigung schwankende Verhältnis zu Ausserrhoden. Trotz Unterstützung durch die katholischen Orte vermochte Innerrhoden im Tannerhandel den Schutz der katholischen Minderheiten in den ausserrhodischen Kirchhören nicht durchzusetzen. Andererseits konnten verschiedene Probleme durch Verträge gelöst werden wie zum Beispiel die Rechtsstellung der exemten Frauenklöster (1608, 1668/1669, 1722/1723 sowie 1817 und 1870), die Unterhaltspflicht für die gemeinsamen Brücken (1630) oder die Verhältnisse in den Grenzgebieten Oberegg und Stechlenegg (1637).
Auf eidgenössischer Ebene führte Innerrhoden die vor der Landteilung begonnene Bündnispolitik konsequent weiter: 1598 Beitritt zum Bündnis der sechs katholischen Orte mit Spanien, 1600 zum Goldenen Bund, 1602 zum Bündnis mit Frankreich, 1647 zum Eidgenössischen Defensionale von Wil (1680 zusammen mit anderen katholischen Orten gekündigt), 1684 zum Bündnis mit Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen-Piemont. Den Bündnissen entsprachen obrigkeitlich bewilligte Auszüge nach Mailand und Portugal sowie in französische Dienste. Ohne besondere Staatsverträge dienten Innerrhoder in den Niederlanden, in Venedig oder beim Papst. An Tagsatzungen kam die geteilte Stimme der beiden Appenzell infolge ihrer meist gegensätzlichen Stimme kaum je zum Tragen. Hatte Innerrhoden im 17. Jahrhundert noch vom Kapital seiner politischen Tradition gezehrt und von der Vorherrschaft der katholischen Orte profitiert, so verlor das Land nach dem Zweiten Villmergerkrieg (1712) zusehends an Bedeutung. Da half auch der Versuch wenig, durch Prägung eigener Münzen (1737-1742) an Prestige und Finanzkraft zu gewinnen.
Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft
Autorin/Autor:
Markus Schürmann
Um 1600 betrug die Einwohnerzahl im Inneren Landesteil rund 6500. Obwohl schwere Pestzüge (1611, 1629, 1635) und Hungersnöte (1622, 1689-1692, 1710-1714) vor allem im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts grosse Lücken rissen, wuchs die Bevölkerung zwischen 1660 und 1720 auf gegen 7500 Einwohner an, um anschliessend zu stagnieren (um 1800 ca. 7400, Hirschberg-Oberegg ca. 1400). In Gonten hielt das Wachstum bis 1765, in Haslen sogar während des gesamten 18. Jahrhunderts an. Die Gründe für die Stagnation lagen in von Epidemien begleiteten Hungerzeiten (1740er und 1770er Jahre), einem geringen Geburtenüberschuss (ausserordentlich hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit) und einer geringen Abwanderung.
Abseits des grossen Fernverkehrs gelegen, blieb die wirtschaftliche Struktur Innerrhodens geprägt durch eine kleinbäuerliche Subsidiärwirtschaft. Die Verdrängung des seit jeher bescheidenen Ackerbaus (v.a. Gerste, Hafer) durch die Graswirtschaft war vermutlich um 1700 weitgehend abgeschlossen, was im 18. Jahrhundert zu grosser Abhängigkeit von Getreideimporten (v.a. aus Süddeutschland, Fürstenland, Thurgau, Oberitalien) führte. Als Folge der Hungersnot von 1771-1772 wurden vermehrt Gemüse und neu Kartoffeln angebaut (v.a. auf Allmendboden). Von weitaus grösserer Bedeutung waren Mastviehhaltung und Milchproduktion durch Bauern bzw. Sennen. Während die Bauern, die ein bis zwei Kühe zur Selbstversorgung hielten, auf den umliegenden Märkten (Toggenburg, Graubünden, Vorarlberg) trächtige Rinder kauften, diese sieben bis acht Jahre nutzten und dann mit anderem Mastvieh verkauften, bestiessen die Sennen mit eigenen und zugemieteten Kühen eigene und von Bauern gepachtete Alpen. Im Winter wurden ihre Herden auf den Höfen der Bauern mit deren Heu gefüttert. Als Folge der intensiv betriebenen Viehzucht erlangte der Handel mit Milchprodukten grosse Bedeutung. Sogenannte Molkengrempler vertrieben die Produkte auf den Wochenmärkten in Appenzell (seit 1537) und der weiteren Umgebung (Rheintal, St. Gallen, Zürich, Käse auch in Süddeutschland und Tirol). Am Ende des 18. Jahrhunderts herrschten Klein- und Kleinstbetriebe vor: Mehr als 80% der Bauern hatten für weniger als sieben Kühe Winterfutter, die überwiegende Mehrheit der Alpweiden (Weidetage und Stösse) war in Privatbesitz, von geringem Umfang und unter mehreren Besitzern aufgeteilt. 50% der Weidefläche gehörten 10% der Eigentümer. Die Verschuldung der Betriebe nahm im 18. Jahrhundert aufgrund von Wirtschaftskrisen und vergleichsweise hohen Zinssätzen (wegen Geldmangel bis 8%) massiv zu. Viele Bauern mussten ihren Grund und Boden veräussern, wurden zu Taglöhnern und Heimarbeitern oder in zunehmendem Mass von subsidiären Einkommen abhängig. Mit restriktiven Massnahmen versuchten die Behörden den Verkauf von Liegenschaften ins "Ausland" (v.a. an Ausserrhoder und Rheintaler) zu verhindern. Der Abbau von Bau-, Hag- und Brennholz sowie die Gewinnung von Salpeter und Kohle waren auf den Eigenbedarf beschränkt. Die Gemeinwälder (weniger als 50% der Waldfläche) mussten wegen Übernutzung immer wieder gebannt werden.
Zusätzliches Einkommen verschaffte die vom 15. Jahrhundert an in Innerrhoden heimische Textilindustrie. Nach der Landteilung wurde Garn gesponnen (Flachsanbau bis 1740), grobe Leinwand hergestellt und im Flecken Appenzell auch gebleicht. Drei Versuche, mit Verkaufsgesellschaften (1604, vor 1628, 1683) Handel und Produktion von Leinwand zu fördern, schlugen trotz staatlicher Hilfe fehl. Die Bleiche hingegen arbeitete von 1604 bis ins 19. Jahrhundert, nach 1739 ausschliesslich für auswärtige Handelshäuser. Im 18. Jahrhundert beschränkte sich die Weberei hauptsächlich auf Haslen. Als einzige bedeutende Neuerung wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Baumwollspinnen eingeführt, vorerst im Verlagssystem (Verleger in Ausserrhoden und St. Gallen). Während sich Spinnerei und Leinwandweberei im Inneren Landesteil bis zum Ende des 18. Jahrhunderts halten konnten, gingen Oberegg und Hirschberg zur Baumwollweberei über. Nach 1800 brach der Spinnerlohn zusammen, und die neu eingeführte, auch von einheimischen Unternehmen betriebene Handstickerei entwickelte sich innert weniger Jahre zur dominierenden Heimindustrie.
Einheimisches Handwerk ― meist im Nebenberuf ausgeübt ― war vor auswärtiger Konkurrenz geschützt: Fremde Handwerker durften sich nur niederlassen, wenn Bedarf bestand. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts liessen sich vermehrt Innerrhoder in der Fremde zu Handwerkern ausbilden. Der Solddienst besass nur bis in die 1740er Jahre eine gewisse Bedeutung. Er verschaffte Pensionen, Offiziersstellen, Studienplätze und Beschäftigung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verringerte sich der Anteil der Pensionen an den Staatseinnahmen zusehends (1720 10%, 1770 weniger als 2%). Ehemalige Offiziere spielten im 17. und frühen 18. Jahrhundert in der Politik eine gewisse Rolle.
Einzelne Grossbauern, Sennen, Grempler, Ärzte, Wirte und vereinzelt auch Handwerker waren vermögend, sie bildeten eine kaum klar abtrennbare Oberschicht (ca. 10%), welche die meisten Landesbeamten und Rhodshauptleute stellte. Im 17. Jahrhundert, vor allem aber im 18. Jahrhundert ist eine Polarisierung festzustellen. Der wachsenden Zahl von Kleinbauern, armen Handwerkern, Dienstboten und Heimarbeitern stand eine geringe Zahl von mehr oder weniger reichen Grund- und Kapitalbesitzern gegenüber.
Kirche und Kultur
Autorin/Autor:
Josef Küng
Die Auferstehung Christi. Links und rechts die beiden Landespatrone Mauritius und Achatius. Glasmalerei von 1599 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Nach der Landteilung versuchte der katholische Stand Innerrhoden seinen konfessionellen Besitzstand zu konsolidieren. Die Protestanten verloren ihr Landrecht und hatten sich in Ausserrhoden niederzulassen. Den umgekehrten Weg nahmen Katholiken aus Ausserrhoden. Die seit 1587 in Appenzell niedergelassenen Kapuziner setzten sich im Geiste des Konzils von Trient für die Festigung des alten Glaubens ein. Aus den gleichen Gründen wurden in den Grenzgebieten zu Ausserrhoden neue Pfarreien errichtet (1647 Gonten, 1658 Oberegg, 1666 Haslen). Die Kirchhöre Appenzell, die seit 1071 den ganzen Inneren Landesteil umfasst hatte, büsste dadurch in diesen Gebieten ihre kirchlichen, nicht aber ihre politischen Kompetenzen ein. Das seit 1532 von Landammann und Grossem Rat von Innerrhoden ausgeübte Kollaturrecht ging 1645 auch de jure an diese über. Die weltliche Obrigkeit versuchte ihren Einfluss auf die Kirche als Institution und auf die Gläubigen geltend zu machen, stellte sich meist gegen Reformen und überwachte den Kirchenbesuch wie auch die Einhaltung der Feiertage, Wallfahrten, Prozessionen, Fasten- und Abstinenzgebote. Die staatskirchlichen Tendenzen verstärkten sich durch absolutistische Einflüsse im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts.
Wohl noch vor der Mitte des 15. Jahrhunderts im Flecken Appenzell gegründet, behaupteten sich die Deutsche und die Lateinschule nach der Landteilung. 1695 wurde die von Geistlichen geführte Lateinschule von der von Laien geleiteten Deutschen Schule getrennt. Erstere trug zur Hebung des Bildungsniveaus wesentlich bei und ermöglichte Innerrhoder Schülern den Zugang zu einer Hochschule. Die Errichtung von Landschulen in Gonten, Haslen, Oberegg, Brülisau, Schwende und Schlatt steht in engem Zusammenhang mit den Pfarrei- bzw. Filialgründungen im 17. und 18. Jahrhundert.
Epitaph des 1783 verstorbenen Landammanns Johann Konrad Fässler. Öl auf Holz vonCarl Anton Eugster (Museum Appenzell; Fotografie Bibliothèque de Genève, ArchivesA. & G. Zimmermann).[…]
Das 17. Jahrhundert gilt als goldenes Zeitalter der Innerrhoder Kunst. Kulturell eingebettet in den Bodenseeraum, schaffte Innerrhoden durch den Einfluss von Werken niederländischer, italienischer und schwäbischer Herkunft, aber auch durch einheimisches Schaffen (z.B. Porträts und religiöse Tafelbilder von Johann Sebastian Hersche, Wand- und Tafelmalereien von Jakob und Moritz Girtanner, Malereien von Hans Bildstein) den Anschluss an die europäischen Kunstströmungen des Manierismus und des Barocks. Im 18. Jahrhundert wurde vor allem die einheimische Tradition weitergeführt. Als herausragende Beispiele sind der Oberegger Rokokomaler Carl Anton Eugster (1713), der als Begründer der Bauernmalerei geltende Conrad Stark von Gonten (1769-1817) sowie der bedeutendste Innerrhoder Bildhauer Josef Ulrich Hörler (1737-1810) zu nennen. Im Zuge der Gegenreformation erfuhr auch das Innerrhoder Theaterschaffen einen Aufschwung. Besonders Komödien und Osterspiele in barocker Ausschmückung waren sehr beliebt. Eine lange Tradition haben Kirchengesang und Volksmusik. 1567 wird ein Hackbrettspieler erwähnt, 1792 ist eine Blasmusik (sogenannte türkische Musik) nachweisbar. Die Innerrhoder Geschichtsschreibung prägten Chronisten wie Johann Konrad Geiger, Ulrich Sutter und sein Sohn Johann Baptist, der Benediktinerpater Desiderius Wetter und der Hasler Pfarrer Joseph Anton Sutter.
Der Kanton im 19. und 20. Jahrhundert
Staat und Politik
Helvetik und Mediation (1798-1814)
Autorin/Autor:
Josef Küng
Zu Beginn der Helvetischen Revolution versuchten die Innerrhoder Behörden an der alten Ordnung festzuhalten. Sie beschworen am 18. Januar 1798 an einer ausserordentlichen Landsgemeinde den Bundesbrief von 1513. Noch bevor französische Verbände weite Teile der Eidgenossenschaft eroberten, entliess Innerrhoden am 25. Februar 1798 durch Landsgemeinde-Beschluss gleich den übrigen regierenden Orten das Rheintal aus seiner Untertanenschaft. Am 6. Mai 1798 stimmte eine weitere ausserordentliche Landsgemeinde widerwillig der helvetischen Verfassung zu. Beide Appenzell und grosse Teile des heutigen Kantons St. Gallen wurden im Kanton Säntis zusammengefasst. In diesem bildete Innerrhoden den Distrikt Appenzell sowie einen Teil des Distrikts Wald (Hirschberg und Oberegg). Im Herbst 1798 nahm der Widerstand gegen die auferzwungene Verfassung so sehr zu, dass helvetische und französische Truppen den Hauptort Appenzell vorübergehend besetzten. Nach einem ersten Zusammenbruch der neuen Ordnung im Mai-Juni 1799 marschierten im Oktober 1799 erneut französische Truppen in Appenzell ein und erhoben drückende Kriegssteuern. Die neue helvetische Verfassung vom Mai 1801 brachte einige föderalistische Zugeständnisse und die Umbenennung des Kantons Säntis in Kanton Appenzell. Nach dem Rückzug der französischen Truppen aus der Schweiz im Sommer 1802 brach die helvetische Ordnung auch in Innerrhoden zusammen.
Eine ausserordentliche Landsgemeinde beschloss am 30. August 1802, die alten Grenzen wieder zu errichten und eine Regierung nach altem Muster zu wählen. Die Mediationsverfassung vom 19. Februar 1803, welche die beiden appenzellischen Halbkantone (zusammen eine Stimme an der Tagsatzung) wieder erstehen liess, wurde erst am 23. Oktober 1803 von der Landsgemeinde angenommen. Innerrhoden wehrte sich insbesondere gegen die darin formulierten Postulate des freien Handels und des Niederlassungsrechts, da es eine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Interessen und seiner konfessionellen Einheit befürchtete. Auf Ablehnung stiessen auch die militärischen und wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber Frankreich und der Schweiz. Zwar schuf der Grosse Rat 1804 eine neue Militärorganisation, die jeden in Innerrhoden wohnenden Schweizer zum Militärdienst verpflichtete, doch zeigte sich in der Bevölkerung grosser Widerstand gegen französische Solddienste.
Innenpolitisch war die Mediationszeit gekennzeichnet durch verschiedene kirchen- und schulpolitische Massnahmen, erste zaghafte Ausbauschritte beim Strassennetz und in der medizinischen Versorgung sowie durch verschiedene Versuche der Obrigkeit, mit Steuern neue finanzielle Quellen zu erschliessen. Besteuert wurden seit 1808 alle Zins und Nutzen tragenden Vermögen. Als sich 1814 der Untergang der napoleonischen Ordnung abzeichnete, ging Innerrhoden an die Ausarbeitung einer neuen Kantonsverfassung. Eine Landsgemeinde von Anfang Juli lehnte den schweizerischen Bundesvertrag ab, hiess aber die ihr ebenfalls vorgelegte Kantonsverfassung gut. In dieser ersten eigentlichen Verfassung Innerrhodens, die ganz im Zeichen des Ancien Régime und der kantonalen Autonomie stand, wurden die Kompetenzen der einzelnen Gewalten und Institutionen geregelt, die katholische Religion als ausschliessliche Konfession Innerrhodens bestimmt und die richterlichen sowie administrativen Befugnisse der Exklaven Hirschberg und Oberegg genau umschrieben. Als einer der letzten Kantone stimmte Innerrhoden nach mehreren Anläufen am 21. Mai 1815 dem Bundesvertrag zu, verlangte jedoch vom Bund Garantien bezüglich Religion, Unabhängigkeit und Grenzverhältnissen.
Restauration und Regenerationszeit (1814-1848)
Autorin/Autor:
Josef Küng
In den 1820er Jahren löste das zunehmend selbstherrliche Gebaren des Grossen Rats bei einem Teil der Bevölkerung Unmut aus. Eine kleine, aber aktive Oppositionsgruppe verlangte konkrete demokratische Reformen, unter anderem die Erweiterung der Volksrechte, Einsichtnahme in die Verwaltung und die Drucklegung der bis dahin nicht veröffentlichten Kantonsverfassung. Die Regierung verlangte eine eidgenössische Vermittlung, die im Sommer 1827 zustande kam. Die 1828 grossenteils neu konstituierte, mehrheitlich aus Vertretern der demokratischen Bewegung zusammengesetzte Regierung leitete die Revision der Verfassung in die Wege. Mit grosser Mehrheit nahm die Landsgemeinde 1829 das neue Vertragswerk an, das allerdings im Wesentlichen der Verfassung von 1814 entsprach. Die wichtigste Neuerung bestand in der Einführung des Einzelantragsrechts: Jeder Landmann konnte, wie schon im 15. und 16. Jahrhundert, vorgängig vom Grossen Rat eingesehene Gesetzesvorlagen der Landsgemeinde vorlegen. Neben der grösseren Gesetzgebungskompetenz wurde der Landsgemeinde auch die Wahl von Zeugherr und Reichsvogt übertragen. Ohne dass von einem liberalen Durchbruch im Sinne der Regeneration gesprochen werden könnte, setzten sich in den folgenden Jahren auch auf Gesetzesebene zahlreiche Neuerungen durch, etwa die Revision von Erb-, Pfand- und Schatzungsrecht, die Reformen im Sozialbereich (Beseitigung des Gassenbettels 1840, Ausbau des Armenhauses 1841, Wiederinbetriebnahme des Waisenhauses 1853) und im Schulwesen.
Die Beziehungen zu Ausserrhoden blieben von der Frage der Repräsentation an der Tagsatzung belastet. Um die Gleichberechtigung der beiden Halbkantone zu gewährleisten, wurde deshalb das Prinzip der jährlichen Kehrordnung eingeführt. Das änderte sich 1848 mit der Schaffung des Ständerats. Obwohl die Tagsatzung bereits 1810 verfügt hatte, dass in Innerrhoden niedergelassenen Ausserrhodern der Erwerb von Häusern und Liegenschaften zu gestatten sei, und Ausserrhoden stets die konsequente Durchsetzung der Niederlassungs- und Gewerbefreiheit verlangte, zeigte sich Innerrhoden in dieser Frage bis in die 1870er Jahre sehr zurückhaltend. Am stärksten spitzte sich aber der Konflikt zwischen den beiden Halbkantonen wegen Territorialitäts- und Grenzfragen zu. Erst 1870 konnte dank eidgenössischer Vermittlung die Frage der exemten Güter und des Grenzverlaufs endgültig gelöst werden.
In der eidgenössischen Politik der 1830er und 1840er Jahre zeigte Innerrhoden kein Interesse an der Revision des Bundesvertrags, stellte sich gegen die zentralistische Staatsidee, den Antiklerikalismus und die individualistischen Freiheitsvorstellungen der Radikalen und unterstützte die innerschweizerischen Orte in ihrer politischen Haltung bedingungslos. Dem ultimativen Truppenaufgebot der Tagsatzung während des Sonderbundskriegs kam Innerrhoden nur halbherzig nach und demonstrierte nach aussen Neutralität. Nach dem Krieg bestrafte die Eidgenossenschaft Innerrhoden wegen "Nichterfüllung seiner Bundespflichten" mit einer Busse von 15'000 Franken.
Verfassungskämpfe und vorsichtige Reformen (1848-1872)
Autorin/Autor:
Josef Küng
Wie die Innerschweiz verwarf Innerrhoden eindeutig die Bundesverfassung von 1848, an deren Ausarbeitung es nicht beteiligt gewesen war. Zur Überwindung der Widersprüche zwischen innerrhodischem und Bundesrecht schlossen sich Ende der 1850er Jahre liberale Kreise zusammen, darunter Landammann Johann Baptist Rechsteiner, Statthalter Johann Baptist Kölbener und Landschreiber Carl Justin Sonderegger. Nach mehreren gescheiterten Anläufen zu einer Verfassungsrevision und nachdem Bundesrat und eidgenössisches Parlament von Appenzell Innerrhoden eine neue Verfassung verlangt hatten, sprachen sich im Frühjahr 1870 der Grosse Rat und die Stimmbürger für die Totalrevision aus. Während ein von Konservativen dominierter Verfassungsrat mit seinem Entwurf 1871 noch scheiterte, wurde die von einem liberal-konservativen Verfassungsrat unter Führung von Johann Baptist Rechsteiner und Johann Baptist Emil Rusch ausgearbeitete Vorlage nach nahezu einhelliger Zustimmung durch den Grossen Rat an der ausserordentlichen Landsgemeinde vom 24. November 1872 gutgeheissen.
Reformen unternahmen die Behörden insbesondere im Schulwesen. In Rechtssprechung und -vollzug wehrte sich Appenzell Innerrhoden lange gegen Neuerungen. Bis weit ins 19. Jahrhundert bildete das Landbuch von 1585 die Grundlage der innerrhodischen Strafrechtspflege. 1849 erfolgte die letzte Hinrichtung, 1870 wurde die Folter abgeschafft. Die Landsgemeinde von 1877 verwarf ein Strafgesetzbuch. Erst 1899 wurden mit der Einführung des ersten Strafgesetzes die Grundlagen für eine zeitgemässe Rechtsprechung geschaffen. Neue Steuergesetze (Einführung der Vermögenssteuer), die zur Verringerung der Staatsschulden geführt und dem Staat einen grösseren Spielraum bei der Finanzierung von Strassenbauvorhaben und Eisenbahnprojekten ermöglichte hätten, scheiterten an mehreren Landsgemeinden (erstmals 1867). Innerrhoden blieb bis 1921 angewiesen auf die Einnahmen aus verschiedenen staatlichen Liegenschaften, dem Salzregal und den Zuwendungen aus der Bundeskasse.
Die staatliche Organisation seit 1872
Autorin/Autor:
Josef Küng
Die 1873 in Kraft gesetzte, nur 48 Artikel umfassende Verfassung regelte erstmals in Innerrhoden die individuellen Freiheitsrechte, vor allem die Wahl- und Stimmrechte, die neu für alle niedergelassenen Schweizer Bürger ab dem 20. Lebensjahr galten. Jeder Stimmberechtigte unterstand bis zum 65. Lebensjahr dem Amtszwang.
Die Landsgemeinde behielt als einzige "gesetzgebende Behörde und oberste Wahlbehörde" ihre überragende Bedeutung. Sie entscheidet über Gesetze, Verfassungsänderungen, Initiativen, über die Erteilung des Landrechts (1993 an den Grossen Rat abgetreten) und ernennt alljährlich die neun, seit 1996 sieben Mitglieder der als Standeskommission bezeichneten Regierung, das Kantonsgericht, den Landschreiber sowie den Landweibel (bis 1993). Zudem wählt sie in den Jahren der Gesamterneuerung des Nationalrats den Ständerat.
Die exekutiven Funktionen blieben der Standeskommission übertragen, deren Mitgliedern – mit Ausnahme des Volkswirtschafts- und Erziehungsdepartements – die Landsgemeinde das Ressort zuweist. Die alten Bezeichnungen wurden im neuen Departementalsystem weitgehend beibehalten: Statthalter (Gesundheits- und Fürsorgewesen), Säckelmeister (Finanzen), Landeshauptmann (Land- und Forstwirtschaft), Bauherr (Bauwesen und Umweltschutz), Landesfähnrich (Justiz-, Polizei- und Militärwesen). Die Departemente für Erziehung und Volkswirtschaft werden von der Standeskommission den beiden Landammännern zugewiesen. Der Landammann steht nicht nur der Regierung vor, sondern leitet auch die Landsgemeinde (und präsidierte bis 1995 den Grossen Rat). Er übt in der Regel sein Amt zwei Jahre in Folge aus und wird durch den stillstehenden Landammann, der zuvor sein Stellvertreter war, abgelöst. Stabsstelle der Regierung ist die Ratskanzlei. Bis zur Einführung der Gewaltentrennung 1995 nahmen auch die neun Mitglieder der Standeskommission Einsitz im Grossen Rat.
Der Grosse Rat bereitet die Verfassungs- und Gesetzesvorlagen zuhanden der Landsgemeinde vor, genehmigt Budget und Rechnung des Kantons und erlässt Verordnungen und Reglemente. Hinzu kommen Aufsichts- und Wahlkompetenzen. 1995 wurde die Amtsdauer der Grossräte auf vier Jahre ausgedehnt, die Anzahl Sessionen von drei auf fünf erhöht und die für einen Grossratssitz notwendige Bevölkerungszahl auf 300 Einwohner bzw. einen Rest von mindestens 150 Einwohnern (bis dahin 250 Einwohner bzw. Rest von mindestens 125 Einwohnern) erhöht. 2015 umfasste das Parlament 50 Mitglieder.
Die Verfassung von 1872 ersetzte die bisherigen Rhoden durch die neuen Bezirke Appenzell, Schwende, Rüte, Schlatt-Haslen, Gonten und Oberegg. Die alten Grenzen wurden beibehalten. Die Rhoden büssten ihren politischen Charakter ein. Einzig im Inneren Landesteil verblieben ihnen als Geschlechterrhoden korporationsähnliche Aufgaben. In den Bezirken übernahmen die Bezirksräte verschiedene Exekutivaufgaben, die in anderen Kantonen den politischen Gemeinden zugewiesen sind. Grundbuchwesen, Einwohnerkontrolle, Erbschafts- und Fürsorgewesen wurden ursprünglich im Inneren Landesteil zentral im Hauptort wahrgenommen. Nach der Aufhebung des "Inneren Landes" als Verwaltungseinheit 1997 gingen diese Aufgaben an den Kanton über. Innerrhoden kennt einzig das Gemeindebürgerrecht von Appenzell und von Oberegg. Unabhängig von den Bezirken bilden Schul- und Kirchgemeinden eigene Territorien und sind weitgehend selbstständig. Einen Sonderfall bildet die Feuerschaugemeinde Appenzell, der die Aufgaben einer Baubewilligungsbehörde zukommt und die gebietsmässig in die drei Bezirke Appenzell, Schwende und Rüte hineinreicht.
Die erste richterliche Instanz umfasst zwei Bezirksgerichte, nämlich Appenzell und Oberegg, welche in Zivil- und Strafsachen fungieren. Berufungsgericht ist das Kantonsgericht. Seit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahre 1999 kommt dem Kantonsgericht zusätzlich die Funktion eines Verwaltungsgerichts zu. Das Kassationsgericht und die Spangerichte, die "dingliche Streitsachen" bezüglich Flur und Weide beurteilten, wurden im Rahmen einer Neuorganisation des Gerichtswesens 1999 abgeschafft.
Das Verhältnis zu Ausserrhoden verlor im Verlauf des 20. Jahrhunderts an Brisanz. Die beiden appenzellischen Halbkantone entwickelten sich in verschiedenen Belangen eigenständig weiter und lösten anstehende Probleme einvernehmlich (z.B. Grenzfragen) bzw. gemeinsam (z.B. Gesundheitswesen, Schulpolitik, Kantonstierarzt sowie Lebensmittel- und Arbeitsinspektor). Verschiedene Dienstleistungen nimmt Innerrhoden vom Kanton St. Gallen in Anspruch.
Gegenüber der Eidgenossenschaft hielt Innerrhoden an seiner ausgeprägten föderalistischen Politik fest. Bei eidgenössischen Vorlagen zeichnete sich der Kanton vor 1900 durch eine hohe Nein-Quote aus. Im 20. Jahrhundert zeigt sich in einer positiveren Abstimmungsbilanz auch ein entspannteres Verhältnis zum Bund. Grosse Vorbehalte bestanden weiterhin gegenüber einer internationalen Öffnung (gegen Beitritte zum Völkerbund 1920, zur UNO 1986 und zum EWR 1992). Demgegenüber hiessen die Stimmberechtigten im Jahre 2000 die bilateralen Verträge knapp gut.
Der staatliche Tätigkeitsbereich hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts, vor allem aber seit den 1970er Jahren stark ausgeweitet. Die Stimmberechtigten wehrten sich lange vehement, erhöhten Ausgaben der öffentlichen Hand mit der Erschliessung neuer Steuerquellen zuzustimmen. Die Katastersteuer blieb bis zur Einführung des neuen Steuergesetzes 1921 die einzige kantonale Steuer. Der Grosse Rat setzt jährlich den Steuersatz fest. Er überwacht zudem den Staatshaushalt, indem er jährlich Budget und Staatsrechnung genehmigt. Für die Bezirks-, Schul- und Kirchgemeinden bestimmen die jeweiligen Gemeindeversammlungen den Steuersatz.
Reformen der 1980er und 1990er Jahre
Autorin/Autor:
Josef Küng
In den 1980er und 1990er Jahren erlebte das politische System Innerrhodens zahlreiche Umgestaltungen. Wichtigste Neuerung war zweifellos das nach drei negativ verlaufenen Abstimmungen (1973, 1982, 1990) aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids vom 27. November 1990 eingeführte Frauenstimmrecht auf Kantons- und Bezirksebene. Eine weitere Ausweitung erfuhr die Zahl der Stimmberechtigten 1993 durch die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 18 Jahre. 1995 wurde die Gewaltenteilung zwischen Standeskommission und Grossrat konsequent durchgesetzt, 1996 die Regierung auf sieben Mitglieder verkleinert (Aufhebung der Ämter Zeugherr und Armleutsäckelmeister), gleichzeitig der Grosse Rat aufgewertet und neu strukturiert. Die Landsgemeinde verlor 1993 das Recht zur Erteilung des Landrechts sowie 1994 die Kompetenz zur Wahl von Landschreiber und Landweibel, andererseits wurden ihr in den letzten Jahren vermehrt umfassende Gesetzesvorlagen unterbreitet. Zwei Einzelinitiativen zur Abschaffung der Landsgemeinde scheiterten 1991. Die Volksrechte wurden moderat ausgebaut: 1966 erfolgte die Einführung des fakultativen, 1979 des obligatorischen Finanzreferendums. Im Gerichtswesen wurden die Kompetenzen zwischen Bezirksgerichten und Kantonsgericht neu abgegrenzt und 1999 die Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt.
Landsgemeinde in Appenzell nach der Einführung des Frauenstimmrechts. Fotografie, 1996 (Heinz Dieter Finck).
Landsgemeinde in Appenzell. Fotografie von Dany Gignoux, 1976 (Bibliothèque de Genève).[…]
Politisches Leben
Autorin/Autor:
Josef Küng
Die konfessionell und sozioökonomisch homogenen Verhältnisse in Innerrhoden brachten es mit sich, dass erst spät Parteien entstanden. Die 1870 gegründete Sektion des Schweizerischen Grütlivereins bestand bis 1925 und wurde darauf teilweise durch die Sozialdemokratische Partei (SP) von Innerrhoden abgelöst, die bis 1945 existierte. Als Folge der konservativ-liberalen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts gründeten die bis dahin nur locker organisierten liberalen Kreise 1906 den Freisinnig-demokratischen Verein, der 1931 in Fortschrittliche Bürgerpartei umbenannt wurde, sich aber 1946 auflöste. Mit der Gründung der Katholisch-Konservativen Volkspartei von Innerrhoden gaben sich 1914 auch die in Regierung und Gesellschaft dominierenden konservativen Kreise straffere Strukturen. Eigentliche Parteistrukturen zeichneten sich erst 1988 mit der Gründung der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) ab. Oft in Opposition zur konservativen Mehrheit steht seit ihrer Gründung 1969 die Gruppe für Innerrhoden (GFI). Innerrhoder Frauen haben 1992 den Verein Frauenforum gegründet und setzen sich für Frauenförderung und politische Frauenarbeit ein. Seit 1996 besteht eine kantonale Sektion der Schweizerischen Volkspartei (SVP).
Obwohl die Bauern in Innerrhoden heute nur noch ca. 17% aller Erwerbstätigen ausmachen, verschafft ihnen ihr hoher verbandsmässiger Organisationsgrad eine nach wie vor grosse, allmählich allerdings schwindende politische und wirtschaftliche Bedeutung. Die mehrheitlich im Gewerbeverband (gegründet 1878) oder im Handels- und Industrieverein (1966) organisierten kleinen und mittleren Betriebe üben einen beachtlichen Einfluss auf die kantonale Wirtschaftspolitik aus. Die Erwerbstätigen werden im Grossen Rat von den drei Arbeitnehmervereinigungen Appenzell (1964), Oberegg (1964) und Gonten (1994) vertreten. Frauen sind auf schul- und kirchenpolitischer Ebene seit 1972 aktiv. Seit 1990 sind sie auch in alle weiteren politischen Ämter wählbar. Ihr Anteil belief sich 2015 im Grossen Rat auf 16 von 50, im Kantonsgericht auf 4 von 13. Nach der Wahl von Ruth Metzler-Arnold in den Bundesrat (1999-2003) waren die Frauen bis April 2010 nicht mehr in der Innerrhoder Standeskommission vertreten. Im Unterschied zu anderen Kantonen wird die Parteizugehörigkeit der Regierungs- und Parlamentsmitglieder offiziell nicht erfasst, Fraktionen sind nicht institutionalisiert. Die meisten Grossräte und Regierungsmitglieder gehören der CVP an oder stehen ihr nahe, ebenso die Vertreter Innerrhodens in der Bundesversammlung (je ein National- und Ständerat). 1987-1999 stellte Innerrhoden mit Arnold Koller erstmals auch einen Bundesrat.
Mit dem Erscheinen des Wochenblatts Der Sentis (1858-1860) nahm das Zeitungswesen in Innerrhoden seinen Anfang. Zu Beginn kirchlich-konservativ ausgerichtet, geriet die Zeitung bald unter liberalen Einfluss und änderte mehrmals ihren Namen (Der Appenzeller 1860-1861, Appenzeller Anzeiger 1862-1869, Appenzell Innerrhoder-Zeitung 1869-1872). Der erwünschte Erfolg blieb aus, weshalb es zu einem konservativen Kurswechsel kam. Das Nachfolgeblatt Neue Appenzeller Zeitung (1872-1878) stellte sich aber ab 1873 erneut gegen konservative Kreise. Die konservative Mehrheit behalf sich in dieser Zeit mit der Herausgabe des in Rorschach gedruckten Echo vom Säntis (1873-1875), doch befriedigte diese Lösung auf die Dauer nicht. 1876 wurde deshalb unter Redaktor Johann Baptist Emil Rusch der Appenzeller Volksfreund gegründet, die heute einzige Zeitung des Kantons. Die zum Organ der Liberalen gewordene Neue Appenzeller Zeitung wurde 1878 in Freier Appenzeller umbenannt, stellte aber 1895 ihr Erscheinen ein. Ab 1906 verfügte die liberale Minderheit mit dem Anzeiger vom Alpstein wieder über ihr eigenes Sprachrohr, das auch nach dem Verschwinden des parteimässig organisierten Liberalismus in Innerrhoden 1946 noch bis 1972 herausgegeben wurde.
Sitze des Kantons Appenzell Innerrhoden in der Bundesversammlung 1919-2015
1919
1939
1959
1979
1999
2015
Ständerat
CVP
1
1
1
1
1
1
Nationalrat
CVP
1
1
1
1
1
1
Sitze des Kantons Appenzell Innerrhoden in der Bundesversammlung 1919-2015 - Historische Statistik der Schweiz; Bundesamt für Statistik
Zusammensetzung der Standeskommission im Kanton Appenzell Innerrhoden 1980-2015
1980
1985
1990
1995
1996
1999
2000
2007
2008
2012
2013
2015
CVP
9
9
9
9
7
6
5
6
7
6
5
4
Übrige
1
2
1
1
2
3
Total Sitze
9
9
9
9
7
7
7
7
7
7
7
7
Zusammensetzung der Standeskommission im Kanton Appenzell Innerrhoden 1980-2015 - Historische Statistik der Schweiz; Bundesamt für Statistik
Bevölkerung und Siedlung
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
1801 betrug die Einwohnerzahl Innerrhodens 8489. Politische Wirren und die Wirtschaftskrise von 1812 bedingten bis 1813 vorerst nur eine durchschnittliche Zuwachsrate von 3,7‰, die aber bereits nach der verheerenden Hungersnot von 1817-1818 und der Teuerung von 1830/1831-1836 auf 6‰ stieg. 1836-1850 wies Appenzell Innerrhoden die gesamtschweizerisch höchsten Geburtenziffern auf.
Analog zur gesamtschweizerischen Entwicklung war die Periode 1850-1910 gekennzeichnet durch ein zunächst verhaltenes, ab den 1880er Jahren beschleunigtes Wachstum. 1910 erreichte die Bevölkerungszahl Innerrhodens mit 14'659 einen erst Mitte der 1990er Jahre wieder übertroffenen Wert. Das Wachstum basierte im Wesentlichen auf Geburtenüberschüssen mit Natalitäts- wie Mortalitätsraten weit über dem schweizerischen Mittel. Allerdings entsprach dem starken Wachstum keine wirtschaftliche Basis, so dass viele Innerrhoder zur Auswanderung gezwungen waren. Besonders betroffen war der landwirtschaftlich geprägte Innere Landesteil, während die Bevölkerungsentwicklung des Äusseren Landesteils weitgehend dem Konjunkturverlauf der ausserrhodischen Textilindustrie folgte. Bevorzugte Zielgebiete waren die katholischen Gebiete St. Gallens und Süddeutschlands sowie Vorarlberg und Tirol. Von besonderer Bedeutung war im 19. Jahrhundert die saisonale Auswanderung (u.a. die von Kindern praktizierte sogenannte Schwabengängerei). Eine untergeordnete Rolle spielte die Emigration nach Übersee.
Mit dem Zusammenbruch der Ostschweizer Stickereiindustrie nach 1910 setzte auch in Innerrhoden ein sich in den 1920er und 1930er Jahren verstärkender Bevölkerungsrückgang ein. Die Abwanderung vor allem junger Erwachsener erreichte zwar bereits in den 1920er Jahren ihren Höhepunkt, doch vermochten die Geburtenüberschüsse die Abwanderung, trotz Zuwanderung von Ausländern (Anteil 1950 2,5%, 1970 8,3%), bis in die 1980er Jahre nicht langfristig auszugleichen. Baulanderschliessungen, die Ansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben, ein verbessertes Bildungsangebot sowie staatliche Wirtschaftsförderung führten dazu, dass 1990 wiederum 13'870 Einwohner gezählt werden konnten.
Ausser dem Flecken Appenzell und den ländlichen Dörfern Gonten und Oberegg existierten bis 1910 keine eigentlichen Ortschaften im durch Einzelhöfe geprägten Siedlungsbild Innerrhodens. Bis 1960 verdichteten sich die Weiler mit guten Verkehrsverbindungen zum Hauptort Appenzell zu Dörfern (Haslen, Steinegg, Schwende, Weissbad). Periphere Siedlungen wie Brülisau, Eggerstanden oder Schlatt vollzogen trotz zum Teil zentralörtlichen Funktionen diese Entwicklung weniger. Der Bauboom der Hochkonjunktur bedrohte nach 1945 die typische Streusiedlung, vor allem um Appenzell und Oberegg, wo neben Neubauquartieren 1965-1976 auch kleinere Industriequartiere entstanden. Auch in Steinegg, Eggerstanden und Meistersrüte bildeten sich seit den 1960er Jahren neue Wohn- und Gewerbezonen aus. Rege private Bautätigkeit sowie der Bau von Mehrzweckanlagen liessen 1969-1989 auch in den überwiegend ländlich geprägten Bezirken Gonten, Rüte und Schwende allmählich neue Dorfbilder entstehen.
Wirtschaft
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb die Landwirtschaft der wichtigste Erwerbszweig Innerrhodens. Noch 1970 machten die Erwerbstätigen des 1. Sektors fast einen Drittel aller Beschäftigten aus. Innerhalb der Textilbranche vollzog sich um 1800 der Übergang von der Leinwandproduktion zur Handstickerei. Den Anstoss zu ersten industriellen Tätigkeiten gab um 1870 eine konjunkturelle Krise der Handstickerei. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine leistungsfähige Fremdenindustrie mit Kurhäusern, Bädern und Berggasthäusern, und das Land wurde durch Bahnen und Strassen erschlossen. Von 1888 an setzte die Versorgung mit Wasser und Elektrizität ein. Die Krise der Stickereiindustrie nach dem Ersten Weltkrieg leitete einen Strukturwandel ein, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Ansiedlung von Unternehmen der Metall-, Maschinen- und Kunststoffindustrie sowie des Dienstleistungssektors verstärkt fortsetzte.
Landwirtschaft
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
Die auf Vieh- und Milchwirtschaft ausgerichtete, auf kleinen und mittleren Gütern betriebene Landwirtschaft Innerrhodens verharrte bis in die 1930er Jahre in der eigenwilligen Produktionsweise, die auf einer Arbeitsteilung zwischen Bauern und Sennen beruhte. Grosse volkswirtschaftliche Bedeutung kam der Milchverarbeitung auf den überwiegend in Privatbesitz befindlichen Alpen (1899 167 Alpen mit 3582 ha Alpweiden) zu. Bis zur Einführung der Milchsammelstellen in den 1930er Jahren wurden die Produkte von Gremplern abgesetzt, meist auf regionalen Märkten. Der Käse wurde auch ins Ausland exportiert.
Neben der Milchwirtschaft nahm die Viehzucht eine wichtige Stellung ein. Zur Aufstockung der Viehbestände kauften Sennen und Händler Vieh im Tessin, in Tirol, Vorarlberg und Graubünden ein, während St. Gallen, Zürich, Lindau am Bodensee und das vorarlbergische Feldkirch bis zum Ersten Weltkrieg die grössten Abnehmer für Innerrhoder Mastvieh waren. Der Viehbestand (1866 6748, 1916 10'419) erhöhte sich nur allmählich, da wegen der hohen Kaufpreise für Grossvieh sich im 19. Jahrhundert viele Bauern auf die billigere Aufzucht von Ziegen verlegten. Ziegenmilch und Ziegenmolke, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wurde, erfreuten sich zwischen 1850 und 1914 in den europäischen Kurorten einer grossen Beliebtheit. Die im Ersten Weltkrieg drastisch zurückgehende Nachfrage liess die Ziegenzucht danach schnell an Bedeutung verlieren (1866 4825, 1916 3579, 1996 597). An ihre Stelle trat vor allem ab den 1930er Jahren die Schweinemast (1866 2446, 1931 13' 879).
Von 1950 an erfasste der agrarische Strukturwandel auch Innerrhoden: Die Anzahl der Betriebe ging stark zurück (1950 1357, 1996 735), die durchschnittliche Betriebsfläche (1950 5,4 ha, 1996 10,7 ha) wie auch der Viehbestand pro Betrieb nahmen deutlich zu. Die Mechanisierung hielt Einzug und die Wohn- und Ökonomiegebäude wurden modernisiert. Die in den 1950er und 1960er Jahren betriebene "innere Aufstockung", d.h. die intensivere Schweine- (1973 44'037, 1996 26'726) und Kälbermast (1973 3157, 1996 1730) musste wegen des begrenzten Bodens und strengerer Umwelt- und Tierschutznormen seit den 1980er Jahren wieder eingeschränkt werden. Einen gewissen Ersatz boten Geflügelzucht (1918 9595, 1946 12'487, 1996 162'233) und Schafhaltung (1966 1004, 1996 3517). Neben der dominierenden Vieh- und Milchwirtschaft spielten – ausser während den beiden Weltkriegen – Acker-, Obst und Gemüsebau nie eine Rolle. Gering an Quantität und Qualität war früher der Weinbau in talnahen Lagen von Oberegg (1976 Neuanpflanzung).
Der ständige Mangel an Futtervorräten und die steigende Nachfrage nach Bauerngütern führte zu übersetzten Preisen und zu einem hohen Zinsfuss der auf die Liegenschaften ausgestellten Zettel, was den hohen Verschuldungsgrad der Bauern im 19. Jahrhundert erklärt. Aufgrund der Finanzknappheit ohne grosse Einflussmöglichkeiten versuchte der Staat mittels Viehschauen und durch die Aussetzung hoher Prämien die Viehzucht zu fördern. Nach der Agrarkrise der 1870er Jahre begannen sich die Landwirte zur Selbsthilfe und zur Wahrung ihrer Interessen zu organisieren: Kantonaler Landwirtschaftlicher Verein 1888 (seit 1942 Bauernverband Appenzell), verschiedene Viehzuchtgenossenschaften ab 1894. Die ab 1900 zunehmende Bedeutung der Milchproduktion führte zur Entstehung des Käsereigenossenschaftsverbands (1902), des Sennenverbands Appenzell-Toggenburg (1918), der Geschäftsstelle "Appenzeller Käse" (1942) sowie von Flurgenossenschaften zur Erschliessung landwirtschaftlicher Grundstücke (1950er-1960er Jahre).
Heimindustrie und Fabrikwesen
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
Appenzeller Trachtenhaube. Handstickerei 1922 nach einer Zeichnung des Zürcher Künstlers Johann Caspar Ulrich, der sich von 1914-1922 in Appenzell aufhielt (Museum Appenzell; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Während sich das Textilgewerbe in Ausserrhoden und St. Gallen nach 1800 industrialisierte und damit viele Innerrhoder Handspinnerinnen arbeitslos machte, verlegte sich Innerrhoden, da Unternehmer und Kapital fehlten, auf die in Heimarbeit betriebene Handstickerei, die sich bis in die 1830er Jahre zu einem bedeutenden Erwerbszweig entwickelte. Neben Frauen und Mädchen stickten auch Männer und Knaben für ausserrhodische und sankt-gallische Unternehmer. Später arbeiteten sich Einheimische über die Ferggerei zu Fabrikanten empor oder betrieben bis 1914 an europäischen Kurorten einen florierenden Handel, wobei die Auftragslage aufgrund von Modetrends und konjunkturellen Einflüssen stark schwankte (1845-1850 Arbeitslosigkeit, 1850-1857 Aufschwung, ca. 1880-1914 Blütezeit). Die Innerrhoder Stickerei, in der ein Grossteil der Innerrhoder Frauen beschäftigt war (1880 2330, 1920 2981), antwortete auf die verstärkte Konkurrenz mit einer Qualitätssteigerung. Zusammen mit der Schweinehaltung war dieser Erwerbszweig hauptverantwortlich für den sichtbar steigenden allgemeinen Wohlstand.
Eine konjunkturelle Krise in der Handstickerei führte um 1870 zu ersten fabrikindustriellen Tätigkeiten. 1890 waren ca. 650 Personen an Stickmaschinen in Privathäusern oder in der Stickfabrik (1871-1930) in Appenzell beschäftigt. Nur wenige Betriebe überlebten die Krise der Ostschweizer Stickereiindustrie nach dem Ersten Weltkrieg, während die Handstickerei, mit Ausnahme der Krisenjahre 1930-1935, ihren Aufschwung bis in die 1950er Jahre fortsetzte. Dazu beigetragen haben unter anderem der Handstickerei-Industrie-Verein Appenzell (1902-1991), der Markenschutz (1930-1970) sowie Stickereikurse (1928-1955). Nach 1955 wirkte sich die asiatische Konkurrenz negativ auf das Wachstum dieses Industriezweigs aus. Neuen, aber bescheidenen Aufschwung nahmen Betriebe der Metall-, Maschinen- und Kunststoffindustrie nach dem Ersten Weltkrieg. Ein im Vertrieb von Textilien ansässiges Unternehmertum nimmt noch heute einen wichtigen Platz ein.
Gewerbe, Banken und Tourismus
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
Das Gewerbe organisierte sich erst 1878 verbandsmässig (seit 1937 Innerrhodischer Gewerbeverband). Seinen Bemühungen ist die Gründung der Gewerbeschule 1892 zuzuschreiben, die von 1935 an vom Kanton geführt wurde. Seit den 1950er Jahren wurde die Berufsbildung schrittweise in andere Kantone (v.a. Ausserrhoden und St. Gallen) verlegt, die letzten Kurse 1975 nach Herisau. Der Ruf aus Wirtschaftskreisen nach einem einheimischen Geldinstitut führte 1879 zur Gründung der Ländlichen Spar- und Leihkasse und 1900 zur Eröffnung der Kantonalbank. Weitere Banken richteten im Flecken Appenzell Filialen ein. In Appenzell, Brülisau und Gonten existieren zudem Raiffeisenbanken.
Wander- und Gesundheitstourismus haben in Innerrhoden eine lange Tradition. Noch bevor der Bergtourismus um 1800 den Alpstein zu erobern begann, profitierten Molkenkuranstalten und Bäder vom Zustrom einheimischer und fremder Gäste (Gontenbad, Weissbad, Jakobsbad). In deren Sog entstanden weitere (Berg-)Gasthäuser (z.B. Säntis), sodass der Fremdenverkehr gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten Erwerbszweige wurde. Die Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise brachten für die Kurbäder starke Rückschläge. Dank des Ausbaus der Berg- und Wanderwege und der Gasthäuser und dank der Errichtung von Bergbahnen und Skiliften seit den 1950er Jahren erfuhr der Tourismus einen erneuten grossen Aufschwung. Trotz geringer Innovationsbereitschaft und vorwiegendem Ausflugs- und Tagestourismus stammen heute 15-20% der Staatseinnahmen aus dem Fremdenverkehr. In jüngster Zeit wird zudem der Seminartourismus gefördert.
Ansicht von Weissbad. Aquatinta vonKaspar Burkhardt, um 1840 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
[…]
Von besonderer Bedeutung für die touristische Erschliessung war ein genügendes Verkehrsnetz. Die erste mit Kutschen befahrbare Strasse wurde 1809 von Gais nach Appenzell verlegt. 1864 konnte die Strasse Appenzell-Gonten und 1869 die Strasse Appenzell-Wasserauen ausgebaut werden. Nach Annahme des ersten Strassengesetzes (1876) richtete der Staat seine Aufmerksamkeit auf die Erstellung der Hauptverbindungen. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war dieses Ziel erreicht. Im 20. Jahrhundert änderte sich nur noch der Ausbaustandard, das Strassennetz blieb weitgehend unverändert. Ab 1886 wurde Innerrhoden auch dem Bahnverkehr erschlossen (Appenzeller Bahnen).
Gesellschaft
Autorin/Autor:
Achilles Weishaupt
Aus den Verhältnissen in der Land- und Alpwirtschaft, im Viehhandel und – weit weniger ausgeprägt – in Militär und Staat kann auch für das 19. Jahrhundert auf die Existenz einer kleinen Führungsgruppe aus mehr oder weniger reichen, im Hauptort wohnenden Bauern, Sennen, Viehhändlern und vor allem Güter- und Kapitalbesitzern geschlossen werden. Nur sie waren mit der zur Ausübung der zeitraubenden und schlecht besoldeten höheren Ämter nötigen Bildung ausgestattet und verfügten über die entsprechenden finanziellen Mittel. In Einzelfällen gelangten auch einfache Landleute zu Ansehen und politischen Ämtern. Nach 1848 wurde der enge Kreis der Einheimischen durch die veränderte Situation der Rhodszugehörigkeit und der zugezogenen Schweizer allmählich gesprengt, ebenso verbesserte sich die Lage für die im Kanton ansässigen Heimatlosen, deren Einbürgerung am 16. Oktober 1851 durch den Grossen Rat vorgenommen wurde.
Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb die innerrhodische Gesellschaft stark bäuerlich geprägt. Die überwältigende Mehrheit der Landleute scheint im 19. Jahrhundert auf einem wirtschaftlich und sozial sehr tiefen Niveau gestanden zu haben. So war 1803 – und auch noch Jahrzehnte später – die Hälfte der Bevölkerung völlig mittellos, ein Drittel verfügte über minimale Mittel und nur 5% über mehr als genügende finanzielle Reserven. 1816 waren 1800 Personen in die Armenliste eingetragen, 1839 300 Armengenössige. Die gedeihliche Ergänzung von Landwirtschaft und Heimindustrie vermochte die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich zu verbessern. 1880 fanden bei einer Gesamtbevölkerung von 12'874 Personen 9134 Erwerbende und Nutzniessende ihr Auskommen aus diesen beiden Branchen (1900 85,3%, 1930 79,8%).
Die Struktur der innerrhodischen Gesellschaft hat sich seit 1870, vor allem aber seit 1945 stark gewandelt, wenn auch mit auffälliger Verzögerung gegenüber der gesamtschweizerischen Entwicklung. Erst spät reduzierte sich der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung (1950 2207, 1990 1167) zugunsten der Angestellten- und Arbeiterschaft. Seit den 1970er Jahren ging auch im Zuge der Tertiarisierung (1950 1322, 1990 3106) die Zahl der im 2. Sektor Beschäftigten (1950 2596, 1990 2390) zurück. Betrug 1870 der Anteil der in anderen Kantonen Heimatberechtigten 3,4%, so stellten die Einwohner mit Innerrhoder Bürgerrecht 100 Jahre später noch immer beinahe 80% der Gesamtbevölkerung. Infolge der zunehmenden Integration in die Wirtschaftsregion St. Gallen gewann nach 1945 der Wegpendlerstrom zunehmend an Bedeutung.
Waren die Frauen einerseits seit je in die von Landwirtschaft und Handstickerei geprägte Arbeitswelt integriert, blieben sie nach Brauch und Gesetz den Männern gegenüber lange benachteiligt. Erst 1990 erreichten sie durch einen Bundesgerichtsentscheid das kantonale Stimm- und Wahlrecht und damit ihre volle politische Gleichberechtigung. Seit 1992 gehören Frauen dem Kantonsgericht an; 1996 wurde die spätere Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold in die Standeskommission gewählt.
Das Vereinswesen ist mit 186 Organisationen besonders ausgeprägt. Kulturellen Aufgaben widmen sich der Historische Verein Appenzell (1879) und die Trachtenvereinigung (1932). Im kirchlichen Bereich haben im 19. Jahrhundert die Standesvereine die ins 16. Jahrhundert zurückgehenden Bruderschaften abgelöst. Besonders zu erwähnen ist der 1853 gegründete Gesellenverein, der älteste der Schweiz. In der kirchlichen Liturgie sind Chöre seit dem 16. Jahrhundert belegt, statutarisch haben sie sich aber erst seit 1850 konstituiert. Die Musikgesellschaft Appenzell scheint 1846 gegründet worden zu sein. Die Volksmusik, die um 1965 auszusterben drohte, erlebte in den 1990er Jahren einen beachtlichen Wiederaufschwung. Bis ins 15. Jahrhundert führen sich Schützengesellschaften zurück. Die meisten sind allerdings erst in der Mitte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Sie schlossen sich 1885 zum kantonalen Schützenverein zusammen. Der älteste unter den zahlreichen Sportvereinen, die seit 1974 in einem Dachverband zusammengeschlossen sind, ist der Turnverein von Appenzell (1866 bzw. 1876).
Kirche, Bildung und Kultur
Autorin/Autor:
Hermann Bischofberger
Bis 1814 gehörte Innerrhoden zur Diözese Konstanz, ab 1806 als bischöfliches Kommissariat. Bei der Ablösung der schweizerischen Quart von Konstanz wurde es zunächst der Apostolischen Administratur unter Propst Franz Bernhard Göldlin von Tiefenau in Beromünster, 1819 derjenigen von Chur, 1866 derjenigen von St. Gallen unterstellt. Auf das Kollaturrecht, das seit 1645 bei Landammann und Grossem Rat gelegen hatte, verzichtete der Kanton 1995 zugunsten der Kirchgemeinde. Die staatliche Obrigkeit griff öfters in innerkirchliche Angelegenheiten ein. So überwachte sie ab 1807 sämtliche Finanzgeschäfte der exemten Frauenklöster und untersagte die Aufnahme von Novizinnen ohne obrigkeitliche Bewilligung, setzte 1858 einen nicht genehmen Oberegger Pfarrer ab oder verhinderte lange Zeit die Gründung der Pfarrei Brülisau (1845 gegründet). Eine weitere Pfarrei entstand 1915 in Schwende. Die Filialkuratie und Kirchenverwaltung Schlatt wurde 1970 der Kirchgemeinde Appenzell einverleibt, während Eggerstanden bei gleicher Rechtslage trotz Wegzug des letzten Seelsorgers (1981) selbstständig blieb. Aufgrund der Bevölkerungszunahme wurden zwischen 1863 und 1929 in Gonten, Oberegg, Brülisau, Haslen, Eggerstanden, Schlatt und Schwende die bestehenden Kirchen durch geräumigere Neubauten ersetzt. 1851 wurde als fünftes Innerrhoder Kloster das Frauenkloster Leiden Christi in Jakobsbad gegründet.
Der 1875 im Flecken Appenzell gegründete Protestantenverein (seit 1909 eigene Kirche) wurde 1925 als evangelisch-reformierte Kirchgemeinde zur öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Sie schloss sich 1977 mit den reformierten Kirchgemeinden Ausserrhodens zur Evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell zusammen. Der Anteil der Protestanten stieg von 0,4% (1850) über 4,3% (1950) auf 9,2% (1990). Auch im kirchlichen Bereich öffneten sich die Kantonsgrenzen. Seit 1968 gehören die Katholiken von Stein (AR) und Hundwil zu Haslen und diejenigen von Reute (AR) zu Oberegg, seit 1971 diejenigen von Kapf (AI) zu Marbach (SG), umgekehrt seit 1969 die Reformierten von Oberegg zu Reute. Noch ca. 80% der Katholiken besuchten 1990 regelmässig Gottesdienste. Der Mangel an katholischen Priestern erforderte die Mithilfe von Laientheologen, Gruppen, Vereinen und des Kapuzinerklosters (v.a. Seelsorge). Die meisten erzieherischen und sozialen Aufgaben sind weltlichen Fachleuten übertragen worden. Auch in rein kirchlichen Bereichen wirken weltliche Kräfte vermehrt mit. Im privaten und öffentlichen Leben hat der Einfluss der katholischen Kirche stark abgenommen, auch wenn sich 1990 noch immer über 85% zur katholischen Konfession bekannten.
Der Aufbau des Innerrhoder Schulsystems und die Existenz zahlreicher sozialer Einrichtungen sind ohne die Hilfe kirchlicher Institutionen undenkbar. Kapläne amteten als Schulinspektoren (1902-1966), Kapuzinerinnen (1811-1973), Lehrschwestern aus Baldegg (seit 1920), Menzingen (seit 1873) und Ingenbohl (1880-1982) führten Schulen, Altersheime, Waisenhäuser, Krankenpflege und waren im Krankenhaus Appenzell tätig. 1811 wurde der Schulunterricht vom Grossen Rat unentgeltlich erklärt. 1828 trat eine erste Schulverordnung in Kraft, 1858 wurde das Schulobligatorium eingeführt. Die Schulverordnung von 1873 verstärkte den Einfluss des Staates. Nach 1900 erfolgte der Bau und Ausbau verschiedener Schulhäuser im Hauptort und in den Aussengemeinden. Zu Beginn der 1970er Jahre wurden die Halbtagesschulen aufgehoben, die allgemeine Schulpflicht auf acht Jahre angehoben und eine landwirtschaftliche Berufsschule eingeführt. Hilfsschule, schulpsychologischer Dienst und Berufsberatung wurden seit den 1960er Jahren schrittweise ausgebaut und die Oberstufe erweitert. 1999 übernahm der Kanton das 1908 gegründete Kapuziner-Kollegium, das er als kantonale Mittelschule weiterführt.
Prozession vor der Heiligkreuzkapelle in Appenzell 1910 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, EAD-WEHR-12866-B).
Das traditionelle Brauchtum wie Alpfahrt und Viehschau wird eifrig gepflegt, verstärkt wieder seit den 1970er Jahren. Im kirchlichen Brauchtum sind die feierlichen Orchesterämter von Appenzell, seit den 1980er Jahren auch anderer Pfarreien, zu nennen. Höhepunkte im Festkalender bilden die Fronleichnamsprozessionen. Zum staatlich-kirchlichen Brauchtum gehört die jeweils an einem Sonntag Mitte Mai abgehaltene Wallfahrt zum Gedenken an die Schlacht am Stoss (1405).
Innerrhoden wurde zuerst von auswärtigen Künstlern wie Emil Nolde, Emil Rittmeyer oder Carl August Liner "entdeckt". Aus der Appenzeller Möbelmalerei hat sich im frühen 19. Jahrhundert die Bauernmalerei entwickelt (z.B. Franz Anton Heim). Kunst verschiedenster Art wurde in der Ziegelhütte präsentiert (1986-1996); heimatliche Formen sind in den Galerien Pappelhof (seit 1979) und Ziel (seit 1987) ausgestellt. Das 1998 eröffnete Museum Liner in Appenzell (ab 2014 Kunstmuseum Appenzell) präsentiert neben Werken der beiden Liner vor allem zeitgenössische Kunst. Einheimischen Stoffen widmen sich die Theatergesellschaften von Appenzell (gegründet 1959) und Oberegg (gegründet 1902). Appenzellisches Schrifttum sammeln die Kantonsbibliothek und das Landesarchiv, die 1994 in neuen Räumen untergebracht worden sind. Das 1879 gegründete Museum Appenzell wurde mit neuer Konzeption 1995 wiedereröffnet.
Der Kanton Appenzell Innerrhoden verfügt seit 1984 mit den von Rainald Fischer verfassten Kunstdenkmälern Appenzell Innerrhoden über eine stark kultur- und kunstgeschichtlich orientierte Darstellung seiner Geschichte. Es folgte 1993, als Abschluss des Ende der 1950er Jahre initiierten Projekts einer Geschichte beider Appenzell, der breitenwirksam angelegte, stark ereignis- und politikgeschichtlich ausgerichtete dritte Band der Appenzeller Geschichte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beschränkte sich die Historiografie Innerrhodens bisher auf regionale und lokale Einzelstudien oder auf umfassende Darstellungen bestimmter Themen oder Epochen. Obwohl mehrere Reihen herausgegeben werden und reiches Material zur Landes- und Personengeschichte von Jakob Signer und Ernst Hans Koller im Appenzellischen Wappen- und Geschlechterbuch (1926), in der Chronik der Appenzell I.-Rh. Liegenschaften (1939-1963, ohne Bezirk Oberegg) sowie in der Innerrhoder Tageschronik mit Bibliographie und Totentafel (seit 1945) vorliegt, ist Innerrhoden ― mit Ausnahme einiger, moderner Ortsgeschichten (Pfarrei Appenzell, Gonten) ― ein relativ quellen- und forschungsarmer Raum.
Achilles Weishaupt; Josef Küng; Markus Schürmann; Hermann Bischofberger: "Appenzell Innerrhoden", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.10.2019. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007475/2019-10-25/, konsultiert am 05.10.2024.