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Chillon

Schloss auf einem steil aus dem Genfersee herausragenden, dem Ufer vorgelagerten Kalkfelsen aus dem unteren Lias. Es liegt in der politischen Gemeinde Veytaux VD. 1150 Chillun, 1195 castrum Quilonis, seit dem 13. Jahrhundert Chillon. Leicht zu verteidigen und an der Italienroute gelegen, war der Platz wohl schon früh besiedelt. Archäologische Untersuchungen im 19. Jahrhundert förderten bronzezeitliche Objekte zutage, die darauf hinweisen, dass Chillon damals ein fester Platz mit einer doppelten Palisade war. In römischer Zeit war der Felsen sicher schon befestigt. Wohl im 11.-12. Jahrhundert entstand der quadratische Bergfried. Die Krypta könnte aus karolingischer Zeit datieren. Vor 1150 ging Chillon vom Bischof von Sitten an die Grafen von Savoyen über; die Umstände dieser Übergabe sind nicht bekannt. 1214 gründete Thomas I. von Savoyen östlich von Chillon die "neue Stadt" Chillon, heute Villeneuve (VD), die an die Stelle des alten Fleckens Chillon trat. Von 1257 an lassen sich Arbeiten an der Burg in den Abrechnungen belegen. Schon ab 1232 bauten die Grafen von Savoyen Amadeus IV., Peter II. und Philipp die Burg aus; in Anwendung neuer Bautechniken liessen sie die gegen die Strasse exponierte Flanke durch eine zweite Ringmauer sichern, ein Zeugnis der damaligen Tendenz, die Verteidigungsanlagen zu staffeln. Die drei Türme sind gegen 1235 errichtet und 1260-1266 erhöht worden. Die Arbeiten unter Peter II. leitete Pierre Mainier. Einer der Handwerker war der von andern Bauwerken her bekannte Maurer- und Baumeister Jacques de Saint-Georges. Er gestaltete den Saal des Kastlans, dessen Decke zwei mit Knospenkapitellen gekrönte Eichensäulen stützen. Chillon diente den Grafen und späteren Herzögen von Savoyen als gelegentliche Residenz, dem Landvogt des Chablais, der zugleich auch die Kastlanei Chillon und das Schloss verwaltete, als ständiger Wohnsitz.

Aus der Vogelschau gleicht das Schloss Chillon einem hochwandigen Schiff. Die Anlage lässt eine innere Gliederung um drei Höfe erkennen: den Eingangs- und Befestigungsbereich, den leicht abschüssigen Hof des Kastlans und den Hof der fürstlichen Residenz. Obwohl die verschiedenen Schlossbewohner ihren Bedürfnissen und ihrem Geschmack entsprechend allerlei Umbauten, Vergrösserungen, Modernisierungen und Ausgestaltungen vorgenommen haben, hat Chillon doch einige Elemente aus der Savoyerzeit bewahrt. Zwischen den Mauerringen und aus den privaten Gemächern des Grafen zugänglich liegt die St.-Georgskapelle. Deren Innenraum schmückt ein Bilderzyklus, der in geschickter Ausnutzung der verschiedenen Raumelemente von der Ahnenreihe Christi über die Inkarnation zur Erlösung führt. Die Zollrechnungen der Stadt Villeneuve von 1314-1315 weisen einen Meister Jacques, der vielleicht aus Italien stammte, als Urheber dieser Fresken aus. Eine versteckte Treppe verbindet die Kapelle mit der camera domini, dem fürstlichen Privatgemach. Dieses wurde 1337 für Graf Aymo eingerichtet; die Malereien führte 1342-1344 ein gewisser Jean de Grandson aus. Das Zimmer ist ein schönes Zeugnis aristokratischer Wohneinrichtung und zugleich ein frühes Beispiel für die Pflanzen- und Tierornamentik, die im 14. Jahrhundert sehr beliebt war. Ergebnis der fortgesetzten Umgestaltungen am Gebäude waren die spätestens im 14. Jahrhundert eingerichteten Gefängnisräume in einem Teil der unteren Säle bzw. Kellergewölbe, die ursprünglich als Speicher gedient hatten. Einer der Gefangenen, François Bonivard (1496-1570), sollte dem Schloss im 19. Jahrhundert zu Berühmtheit verhelfen. Die Räume dienten bis 1895 als Gefängnis.

Als die Berner 1536 die Waadt eroberten, bemächtigten sie sich auch des Schlosses und gestalteten es ihren Bedürfnissen entsprechend um: Mehrere grosse Säle wurden unter ihrer Herrschaft als Lagerräume, Waffenhallen, Soldatenunterkünfte, Küche, Invalidenspital und sogar als Schiffswerft genutzt. Im Schloss residierte bis 1733 der Landvogt von Vevey, zugleich Hauptmann von Chillon, wie die Wandmalereien im sogenannten Wappensaal bezeugen, die vom Berner Künstler Andreas Stoss begonnen wurden. Danach siedelte der Vogt nach Vevey über. Da der Unterhalt des Schlosses schwierig und teuer war, erwogen die Berner 1785 den Umbau zu einem grossen Getreidespeicher, liessen dann aber davon ab. Während der Waadtländer Revolution zogen am 23. Januar 1798 einige Patrioten von Vevey und Montreux nach Chillon und verbrüderten sich mit der dort stationierten bernischen Besatzung. Das Schloss, in der Folge Staatsgefängnis und Zeughaus, profitierte allmählich vom aufkommenden Tourismus und von der Romantik. Es hatte bereits Jean-Jacques Rousseaus "Nouvelle Héloïse" als Kulisse gedient und wurde nun in George Byrons Gedicht über Bonivard besungen, von Victor Hugo beschrieben und von Gustave Courbet gemalt. 1888 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Eine Vereinigung für die Restaurierung von Schloss Chillon konstituierte sich und beauftragte noch im selben Jahr den Architekten Albert Naef mit der Instandsetzung. Als letzter Baumeister des Schlosses bemühte sich Naef, dessen mittelalterliches Aussehen ausfindig zu machen und wiederherzustellen. Um die Burg Peters II. von Savoyen wiederauferstehen zu lassen, schreckte er auch nicht vor der Zerstörung bernischer und waadtländischer Elemente zurück. 1914 begann Ernest Correvon mit der Restaurierung der Malereien in der camera domini und in der Kapelle. Niemand versuchte, die zahlreichen Archivdokumente, die in Turin, Bern und Lausanne liegen, auszuwerten. Mit der Kapellenrestaurierung begann 1985 eine neue Forschungsperiode, die zu einer besseren Kenntnis der Geschichte des Schlosses führen soll. Gegenwärtig ist Chillon mit jährlich gegen 300'000 Besuchern eines der bekanntesten und meistfrequentierten Touristenziele der Schweiz.

Quellen und Literatur

  • A. Naef, Chillon, 1922
  • J.-P. Chapuisat, Le château de Chillon VD, 1989 (Neuaufl.)
  • La maison de Savoie en Pays de Vaud, Ausstellungskat. Lausanne, 1990, 159-163, 197
  • Chillon: la chapelle, hg. von D. de Raemy, 1999
Weblinks
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GND

Zitiervorschlag

Evelyne Lüthi-Graf: "Chillon", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.07.2005, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007591/2005-07-15/, konsultiert am 19.03.2024.