Als Eiszeiten gelten im Alpenraum die Vorstösse der Gletscher über den Alpenrand hinaus. Dies ereignete sich im jüngsten erdgeschichtlichen Abschnitt, dem Eiszeitalter. Es umfasst die letzten 1,67 Mio. Jahre, wobei diese Grenze umstritten ist. Nach neuen Forschungen wäre sie bei 2,4 Mio. Jahren besser anzusetzen. Eine Eiszeit dauerte rund 100'000 Jahre. Kennzeichnend für die Eiszeiten waren die bedeutenden Schwankungen des Klimas. Die Gletscher hinterliessen charakteristische geologische Spuren wie Moränenwälle, Findlinge, Gletscherschliffe, übertiefte Täler und Schotterterrassen.
Von den ältesten Eiszeiten zur Würmeiszeit
Beim Vorstoss der Gletscher waren die randalpinen Seen im Norden wie im Süden – zum Beispiel Thunersee, Walensee und Comersee – mit Eis gefüllt. Klimatisch setzte eine solche Vergrösserung des alpinen Eisvolumens eine Senkung der Jahresmitteltemperatur um mindestens 12-15°C voraus. Fossile Käferfaunen, zum Beispiel in den Schieferkohlen von Gossau (ZH), machen genauere Temperaturangaben möglich: Für die letzte Schicht vor der Gletscherbedeckung wurden für den wärmsten Monat 9°C (Zürich-Kloten heute 18°C), für den kältesten Monat -21°C (Zürich-Kloten heute -1°C) berechnet. Das eiszeitliche Klima war vor allem im Winter wesentlich kälter und somit kontinentaler.
Geologische Zeugnisse über das nördliche und südliche Alpenvorland der Schweiz dokumentieren im Eiszeitalter mindestens 15 Gletschervorstösse über den Alpenrand hinaus. Man unterscheidet bei diesen 15 Eiszeiten zwischen einer älteren und einer jüngeren Gruppe. Zeitlich fällt die Grenze zwischen den beiden Gruppen mit der letzten Umkehr des Erdmagnetfeldes vor knapp 800'000 Jahren zusammen. Die ältesten Eiszeiten im alpinen Raum traten zwischen mehr als 2 und 1,67 Mio. Jahren auf. Dabei handelte es sich um die anhand von Säugetierresten datierten Deckenschotter-Vergletscherungen am Irchel (Zürich). Die jüngere Gruppe der Eiszeiten ist durch grössere Schwankungen in der Amplitude der Eisausdehnung gekennzeichnet. Klimaschwankungen bilden das Wesen des Eiszeitalters. Die Warmzeiten zwischen den Eiszeiten waren mit unserem heutigen Klima vergleichbar, zum Teil waren sie aber noch wärmer. Für den wärmsten Abschnitt der letzten Warmzeit wird mit einer um 2°C höheren Jahresmitteltemperatur als in der jetzigen Warmzeit gerechnet. Die jeweiligen Wechsel von Warm- zu Kaltzeit haben innerhalb weniger Jahrzehnte stattgefunden. Die Warmzeiten des Eiszeitalters sind im Einzelnen noch wenig bekannt.
Die herkömmliche Klassifizierung der Eiszeiten in Günz, Mindel, Riss und Würm – benannt nach Flüssen im süddeutschen Voralpengebiet – ist überholt. Nur der Begriff Würm für die letzte Eiszeit vor 115'000-10'000 Jahren wird noch verwendet. Die sechstletzte Eiszeit der Alpen, die sogenannte Grösste Vergletscherung (vor ca. 780'000 Jahren) mit der Ausdehnung des Rhonegletschers bis an den Hochrhein (Möhlin), bestand aus mindestens zwei Vorstössen dieser Grössenordnung. In der vorletzten Eiszeit blieb die Vergletscherung bescheiden und das Mittelland weitgehend eisfrei.
Die letzte Eiszeit
Die letzte Eiszeit kann etwa folgendermassen gegliedert werden: Nach dem Ende der letzten Warmzeit vor rund 115'000 Jahren stiessen die Gletscher zweimal vor, erstmals vor rund 100'000 Jahren (Lumineszenzdatierungen). Vor 60'000 Jahren waren sie aus dem Mittelland zurückgeschmolzen. Im mittleren Teil der letzten Eiszeit vor rund 60'000-28'000 Jahren zeigte sich das Mittelland eisfrei und meist steppenartig bewachsen, mit einer Waldgrenze um die 800 m (Wald). Permafrosterscheinungen wurden im östlichen Mittelland für die Zeit von 33'000-28'000 Jahren vor heute nachgewiesen. Der zweite letzteiszeitliche Gletschervorstoss entwickelte sich erst nach 32'000 Jahren vor heute, denn bis um diese Zeit waren die Alpen bis auf 1800 m eisfrei, wie ein Braunbärenfund in den Höhlen von Melchsee-Frutt beweist. Die maximale Ausdehnung des Linthgletschers während der letzten Eiszeit erfolgte in der Zeit nach 28'000 Jahren vor heute. Der Rhonegletscher hatte gemäss Oberflächenaltersbestimmungen an Findlingen bei Burgäschi und Steinhof seinen maximalen Vorstoss im Mittelland vor 18'900 Jahren erreicht.
Aus der räumlichen Rekonstruktion der letzteiszeitlichen inneralpinen Eismassen geht hervor, dass über dem Oberengadin, der Surselva, dem Goms und dem Mattertal bei Zermatt riesige Eisdome mit maximalen Eisoberflächen auf knapp über 3000 m vorhanden waren. Von diesen flossen dann die Eismassen zum Teil auch in nördlicher Richtung über die Hauptwasserscheiden ab. Der Aufbau eines räumlich solcherart gestalteten eiszeitlichen Eiskörpers in den Alpen setzt Zirkulationsverhältnisse voraus, die durch eine Südströmung in den Alpenraum dominiert gewesen sein muss.
Die Spätphase der letzten Eiszeit war durch zwei einschneidende Erwärmungsphasen vor rund 17'000 und rund 14'600 Jahren geprägt, mit einem in wenigen hundert Jahren erfolgten Eiszerfall. So waren die inneralpinen Pässe, zum Beispiel Simplon und Julier, vor 14'000 Jahren bereits eisfrei. Verzögert wurde das Ende der letzten Eiszeit durch eine Kälteschwankung vor 11'500-10'000 Jahren. Vor rund 11'500 Jahren stiessen die Alpengletscher markant bis in die Passregionen vor. Ebenfalls sind in den Sedimenten der Mittellandseen Veränderungen in der Isotopenzusammensetzung der Sedimente und zum Teil in der Vegetation (Flora) ersichtlich. Dieser letzte Kältepuls der letzten Eiszeit wird als die Phase der Jüngeren Dryas bezeichnet (im Fall der Gletscherausdehnung als das Egesen Stadium). Ursprünglich nahm man an, dass sich diese Kältewelle auf die nordatlantische Region beschränkte. Klimamodelle ordneten dem Nordatlantik die Funktion eines Schrittmachers von Klimaschwankungen zu. Aufgrund der Datierungen von Endmoränen in Skandinavien, den Alpen und in Neuseeland interpretiert die heutige Forschung auch die Jüngere Dryas als globales Ereignis.
Entwicklung von Umwelt und Mensch
Der Mensch trat bei uns vor rund 300'000 Jahren auf, also nach der Grössten Vergletscherung, was durch den Faustkeil von Pratteln belegt ist (Paläolithikum). Damit war er Zeuge von radikalen Veränderungen der Umwelt während mindestens zwei grossen Eiszeiten, der vorletzten und der letzten, und der dazwischenliegenden Warmzeit. Die klimatischen Wechsel wirkten sich auf Fauna und Flora aus. Der natürliche Lebensraum des Menschen war vom heutigen nicht wesentlich verschieden: Die grossen alpinen Flüsse folgten bereits den gleichen Tälern und das nordalpine Wasserschloss sammelte die Wasser von Aare, Reuss, Limmat und Rhein. Die eiszeitlichen Gletschervorstösse veränderten die Lage der Flussläufe nur unwesentlich, wohl aber deren Charakter. Eiszeitliche Flüsse waren vorwiegend verwilderte, die warmzeitlichen dagegen mäandrierende Systeme. In den Warmzeiten war das Mittelland wie heute mit Misch- und Laubwäldern bedeckt. In den Kaltzeiten gedieh in den eisfreien Perioden nur eine spärliche Steppenvegetation. Während langen Zeiten innerhalb einer Eiszeit war das Mittelland eine Kältesteppe mit einer Waldgrenze zwischen 700 und 800 m und einer entsprechend tiefen Schneegrenze. Allerdings lag diese mindestens bis vor 32'000 Jahren auf über 1800 m. Erst während der maximalen Gletscherausdehnung vor 28'000-18'000 Jahren sank sie unter 1000 m ab (Napfgebiet, Jura). Jeweils am Ende einer Vergletscherung erfolgte der grösste geologische Massenumsatz, bevor die Vegetationsdecke die frei geschmolzene Oberfläche stabilisieren konnte.
Die Erforschung des Eiszeitalters (Glaziologie) wurde in der Schweiz wesentlich bestimmt durch Jean-Pierre Perraudin, Ignaz Venetz, Jean de Charpentier, Adolf von Morlot, Louis Agassiz, Friedrich Mühlberg und Paul Beck.
Quellen und Literatur
- G. Monjuvent, J. Winistörfer, «Glaciations quaternaires dans les Alpes franco-suisses et leur piedmont», in Géologie alpine, 56, 1980, 251-282
- S. Wegmüller, Vegetationsgesch. und stratigraph. Untersuchungen an Schieferkohlen des nördl. Alpenvorlandes, 1992
- SPM 1
- C. Schlüchter, C. Röthlisberger, «100'000 Jahre Gletschergesch.», in Gletscher im ständigen Wandel, 1995, 47-63
- P. Morel et al., «Entdeckung eines jungpleistozänen Braunbären auf 1800 m ü.M. in einer Höhle der Obwaldner Voralpen», in Mitt. der Naturforschenden Ges. Ob- und Nidwalden 1, 1997, 116-125
- M. Jost Stauffer et al., «A coleopteran fauna from the middle Würm (Weichselian) of Switzerland and its bearing on paleobiogeography, paleoclimate and paleoecology», in Journal of Quaternary Science, 16, 2001, 257-268