Das Wort Gletscher leitet sich vom lateinischen Wort glacies ab, das sich im französischen glacier und im italienischen ghiacciaio niederschlug. Als weitere Bezeichnung für Gletscher findet man Firn (z.B. Claridenfirn), in den westlichen Ostalpen Ferner oder Verner (Tirol). Als vereinzelte Reliktwörter vermutlich vorrömischen Ursprungs sind rosa (z.B. in Monte Rosa, Rosenlaui), byenyo oder biegno (im Val d'Hérens) als Bezeichnungen für Gletscher zu erwähnen.
Die Gletscherrezeption
Erstmals taucht glacies für Gletscher (in der Form glaciem) 1146 in einer Urkunde im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Besitztümern am Unteren Grindelwaldgletscher auf. In gedruckten Schriftquellen findet man das Wort Gletscher erstmals 1507 in der Chronik von Petermann Etterlin und 1538 in der Karte von Aegidius Tschudi. Lange Zeit verhinderten der Aberglaube, die Furcht vor tatsächlichen und vorgestellten Gefahren sowie mangelnder materieller Anreiz die Erschliessung der Alpen. Nach altem Glauben waren die höchsten Berge von Dämonen, Kobolden, Drachen und Riesen bevölkert. Selbst auf der Karte von Gabriel Walser (1768) werden die Gletscher noch als «abscheuliche Eisberge» bezeichnet. Bis weit ins 18. Jahrhundert waren es die heimischen Gelehrten, Naturforscher und ersten Alpenmaler (u.a. der berühmte Alpenmaler Caspar Wolf), die das alpine Hochgebirge eingehend erkundeten; fremden Reisenden erschienen die Gebirge als eine mit Schrecken erfüllte und öde Wildnis. Schon im Lehrgedicht von Albrecht von Haller von 1729 kündigte sich ein Umschwung in der Wertung und Popularisierung des Hochgebirges an. Jean-Jacques Rousseau gelang es schliesslich, ein neues Lebensgefühl zu wecken (Zurück zur Natur) und die Alpen als eine liebliche Naturidylle darzustellen. Daneben halfen auch Horace Bénédict de Saussure und Marc-Théodore Bourrit die alpine Gletscherwelt einem breiten Publikum zu öffnen und erste, vorab englische Touristen zu den Gletschern nach Chamonix und auch in die Schweiz zu locken. Am Ende des 18. Jahrhunderts galt die Schweiz als das Reiseland Europas mit einem Kanon von Sehenswürdigkeiten, unter anderem der Gletscherwelt von Grindelwald. Es verwundert deshalb nicht, dass aus dieser Region zahlreiche Bilddokumente, vor allem des Unteren Grindelwaldgletschers, vorliegen. Die Erforschung des Hochgebirges ging Hand in Hand mit dem Aufschwung des Alpinismus im 19. Jahrhundert. Die touristische Erschliessung der Gletscherwelt wurde mit dem Bau der Gornergratbahn 1898 und der Jungfraujochbahn 1912 stark gefördert. Seit den 1960er Jahren hat man das touristische Angebot durch das Sommerskifahren auf hoch gelegenen Gletschern erweitert (z.B. Theodulgletscher).
Dem Gletscher wurden früher auch positive Seiten zuerkannt. So war man lange Zeit der (irrigen) Meinung, dass Gletschereis Krankheiten heilen könne. Als «Kühlschrank» zur Aufbewahrung von Fleisch waren die Gletscher schon früh bekannt. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zu Kühlzwecken Eis am Unteren Grindelwaldgletscher, am Glacier de Saleina und am Glacier de Trient abgebaut und bis nach Paris exportiert. Seit Jahrhunderten wird in den inneralpinen Trockentälern das Schmelzwasser der Gletscher zu Bewässerungszwecken genutzt (Bewässerung). Davon zeugen die zum Teil alten, kilometerlangen Wasserleitungen im Wallis (Bissen oder Suonen). Das Schmelzwasser der Gletscher wird zur Energiegewinnung (Hydroelektrizität) auch in den zahlreichen Stauseen der Alpentäler gesammelt.
Gletscher stellen mitunter eine ernsthafte Gefahr für die Menschen dar. Aus den Schweizer Alpen sind mehrere katastrophale Gletscherstürze (Weisshorngletscher ob Randa 1636, 1720, 1737, 1819; Altels 1895; Allalingletscher 1965) und Ausbrüche von gletschergestauten Seen (Giétroz 1595 und 1818; zahlreiche Ausbrüche des Märjelensees am Grossen Aletschgletscher und des Gornersees im 19. Jahrhundert, Ausbrüche des Mattmarksees vom 16.-19. Jahrhundert) bekannt.
Die Ausdehnung der Gletscher
Die Ausdehnung der Alpengletscher hat sich in der Vergangenheit immer wieder klimabedingt verändert. Noch vor 20'000 bis 18'000 Jahren bedeckten sie weite Teile des Schweizer Mittellandes (Eiszeiten). Im anschliessenden Spätglazial zerfiel das Eisstromnetz (Rhone-, Aare-, Reuss-, Linth-, Bodenseegletschersystem) infolge einer einschneidenden Temperaturerhöhung. Die einzelnen Teilgletscher zogen sich etappenweise in die angestammten Alpentäler zurück. Vor rund 11'500 Jahren begann die Nacheiszeit (Postglazial oder Holozän). In der Folgezeit bewegten sich die Alpengletscher, entsprechend den längerfristigen Temperaturschwankungen von ca. 1° C gegenüber heute, nurmehr innerhalb einer kleinen räumlichen Bandbreite. In kühleren Abschnitten stiessen sie mehrmals zu sogenannten Hochständen vor und hinterliessen Moränenwälle, die das heutige Gletschervorfeld begrenzen. Die letzte ausgeprägte Vorstossphase wird als Kleine Eiszeit bezeichnet (ca. 1300-1850) mit Hochständen im 14., 17. und 19. Jahrhundert (Glaziologie).
Die Alpengletscher schmolzen innerhalb der Nacheiszeit aber auch mehrmals auf heutige, zeitweise sogar auf etwas geringere Ausmasse als heute zurück, insbesondere während der beiden länger andauernden nacheiszeitlichen Wärmeoptima vor ca. 9000-5500 Jahren und vor ca. 4500-3800 Jahren. Die letzte, allerdings kürzere Warmphase wird als mittelalterliches Klimaoptimum (ca. Ende 8. Jahrhundert bis um 1300) bezeichnet (Klima).
Der eindrückliche Schwund der Alpengletscher seit Mitte des 19. Jahrhunderts (im Durchschnitt um ca. einen Drittel der Gesamtlänge) stellt ein klar erkennbares Signal des entsprechenden Temperaturanstiegs im Alpenraum von 0,6 bis 1°C dar. Die dabei freigelegten Gletschervorfelder bilden einzigartige Lebensräume für Tiere und Pflanzen und zeichnen sich durch einen vielfältigen und interessanten geomorphologischen Formenschatz aus. Da sie von verschiedenen Seiten bedroht werden (u.a. durch Stauseeprojekte, Wasserfassungen, Kiesabbau, Militär), wurde 1991 im Auftrag des Buwal eine systematische Inventarisierung der Gletschervorfelder durchgeführt und schützenswerte Vorfelder von nationaler Bedeutung ausgeschieden.
Quellen und Literatur
- G. Seitz, Wo Europa den Himmel berührt, 1987
- H.J. Zumbühl, H. Holzhauser, Alpengletscher in der Kleinen Eiszeit, 1988
- M. Maisch et al., Lebendiges Gletschervorfeld, 1993
- C.A. Burga, R. Perret, Vegetation und Klima der Schweiz seit dem jüngeren Eiszeitalter, 1998
- M. Maisch et al., Die Gletscher der Schweizer Alpen, 1999
- A. Wipf, «Die Gletscher der Aare», in Mitt. der Naturforschenden Ges. in Bern 59, 2002, 121-147