Der Bau von Stauwerken ist ein Teilgebiet des Wasserbaus. Dessen wissenschaftliche Grundlagen liefert insbesondere die Hydraulik, zu der im 18. Jahrhundert die Basler Mathematiker Daniel und Johann Bernoulli (1667-1748) sowie Leonhard Euler entscheidende Beiträge geleistet haben. Das schweizerische Ingenieurwesen verfügt an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich (1930 Gründung der Versuchsanstalt für Wasserbau) und Lausanne über Forschungs- und Ausbildungszentren in diesem Wissenschaftsgebiet. Wichtige Beiträge zu Wasserbau und Talsperrenstatik haben in der Schweiz namentlich Hugo Ritter (Bogenstaumauer), Fred A. Nötzli (Pfeilerstaumauer) und Eugen Meyer (Geschiebebewegungen) beigesteuert.
Stauwerke zu verschiedenen Zwecken
In der Form von Wasserfassungen, zum Beispiel für Mühlen, und von Schutzdämmen an Gewässern sind Stauwerke seit der Antike errichtet worden. Mittelalterliche Klöster bauten unter anderem Dämme für Fischweiher; bei Lützel ist ein Stauwerk von 9 m Höhe erhalten. Städtische Gewerbekanäle sind im 12. Jahrhundert bei Basel (St.-Alban-Teich), im 13. Jahrhundert zum Beispiel für Laufenburg, Rheinfelden, Interlaken, Aarau, Kleinbasel und Nyon bezeugt. Das im 15. Jahrhundert vom Kloster Interlaken gebaute Wehr von Unterseen staute den Brienzersee um 2,1 m auf. Ein grosses Stauwerk aus steingefüllten Holzkisten wurde 1623-1626 an der Birs bei Neuewelt für den St.-Alban-Teich gebaut. Für die Wässerung der Tücher vor dem Bleichen baute St. Gallen im 17. Jahrhundert mehrere Weiher. Der natürliche Illsee bei Leuk wurde 1623 zum Schutz gegen Überschwemmungen mit einer Mauer gestaut. Mit Erddämmen abgeschlossene Ausgleichsbecken dienten im Wallis der Bewässerung (Montana). In wasserarmen Bachläufen dienten Triftklausen dazu, gestautes Wasser schwallweise abzulassen, um Holz ins Tal hinunterzuschwemmen, so zum Beispiel in Mühletal (Gemeinde Innertkirchen) um 1690, Bex im 18. Jahrhundert, Joux Verte bei Roche (VD), Campo (Vallemaggia) im 19. Jahrhundert (Flösserei). Zum Schutz vor Überflutung musste in Thun kurz nach der Kanderumleitung von 1714 der alte Stadtgraben erweitert und mit einem Schützenwehr ausgestattet werden. Luzern erneuerte 1859-1860 die alte Reussschwelle des 16. Jahrhunderts, ein Nadelwehr, zur Stabilisierung des Wasserstands. Für die Trinkwasserversorgung (Wasserversorgung) der Stadt Basel wurde 1871 am Seebach bei Seewen ein Erddamm gebaut. Zur Verhinderung von Erosion und Murgängen wird Geschiebe in Bergbächen seit dem 19. Jahrhundert mit Verbauungen nach Tiroler Beispielen zurückgehalten, so 1842 bei Mollis (18 m hohes Stauwerk), 1870 an der Nolla bei Thusis (12 m), 1873 der Saxonnez bei Martigny, 1899 am Lammbach in Schwanden bei Brienz (29 m). Von 1910 stammt die erste Betonsperre am Ruhstellibach bei Mollis. Ein 1970 erbautes Rückhaltewerk im Illgraben bei Leuk ist 50 m hoch. Die normalerweise leer stehenden Rückhaltebecken vermögen zum Beispiel nach Unwettern grosse Wassermengen aufzunehmen, wie das 18 m hohe Stauwerk von 1930 auf der Alp Albigna (Gemeinde Bregaglia) im Bergell (heute im Albigna-Stausee), das 40 m hohe Stauwerk von 1971 bei Orden auf dem Malojapass oder das 1984 geschaffene Sammelbecken bei Muri (AG). Besondere Stauwerke dienen der Schifffahrt. 1638 wurde der Bau des nie vollendeten Entreroches-Kanals begonnen, der dank Schleusen an der Venoge den Neuenburger- mit dem Genfersee verbinden sollte. Im 20. Jahrhundert entstanden Schleusen beim Kraftwerk Augst (1912), bei Laufenburg (1914), bei Eglisau (1920) sowie beim Kraftwerk Birsfelden (1956 und 1979). Freihaltebestimmungen für eine Erschliessung der Aare mit Stauwerken bei Brugg und Aarau wurden erst 1989 fallen gelassen.
Stauwerke zur Energieerzeugung
Stauwerke aus dem 18. Jahrhundert sind vereinzelt bei frühen Industrieanlagen noch erhalten, zum Beispiel in Neuthal (Gemeinde Bäretswil). Ein grösseres Flusskraftwerk baute Heinrich Moser 1863 in Schaffhausen. Ein Sperrwehr zur Ableitung von Wasser in einen Triebkanal entstand 1864 für mehrere Fabriken in Biberist an der Emme. Von 1872 stammt das 21 m hohe Stauwerk bei La Maigrauge, die erste Betonstaumauer Europas (1879 erste Fischtreppe in der Schweiz). In Zürich an der Limmat (Letten 1878) und in Genf (La Coulouvrenière 1886) standen die ersten Niederdruckkraftwerke, während das Stauwerk Taulan bei Montreux von 1887 als erstes Hochdruckkraftwerk (250 m Fallhöhe) für den Betrieb elektrischer Generatoren anzusehen ist (Elektrizitätswirtschaft). Um 1900 bestanden rund ein Dutzend Hochdruckwerke sowie erste Flusskraftwerke: Chèvres 1895 (erstes grosses Schützenwehr), Ruppoldingen (Gemeinde Olten) 1896, Rheinfelden 1898 (überströmtes Betonwehr). Speicherseen erhielten unter anderem die Kraftwerke Spiez (1899), Kubel (Gemeinde Stein AR, 1900) und Ruppoldingen (1904). Den natürlichen, 1912 höher gestauten Berninasee nutzten die 1907 für die Stromversorgung der Stadt Mailand gebauten Brusiowerke. Mit einem Erddamm von 21,5 m Höhe wurde der Klöntalersee 1908 für das Löntsch-Kraftwerk vergrössert. Nach 1900 gebaute Laufkraftwerke standen nicht mehr an Kanälen, sondern direkt im Fluss, wie Augst-Wyhlen (1912), Laufenburg (1914), Gösgen (1917) und Eglisau (1920). Nun waren auch die rechtlichen Grundlagen für den Bau von Stauwerken in Kraft getreten, 1908 Artikel 24bis der Bundesverfassung und 1916 das Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte. 1919 nahm eine schweizerisch-badische Kommission für den Ausbau des Rheins zwischen Basel und dem Bodensee die Tätigkeit auf. Der Verbund von Niederdruck- und Speicherkraftwerken wurde erstmals 1903 zwischen den Werken Hagneck (1900) und Spiez-Kanderwerk (1899) realisiert aus dem 1906 die Bernischen Kraftwerke (BKW) hervorgingen; 1908 folgte der Verbund von Beznau (1904) und Löntsch (beide seit 1914 im Besitz der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK). Grosse Stauwerke aus der Zwischenkriegszeit stauen den Lac de Montsalvens (1921, erste moderne Bogenstaumauer in Europa), den Wägitalersee (1924, mit 112 m damals die höchste Staumauer der Welt) und die Dixence (1935, frühe Pfeilerstaumauer).
Stauwerke dienten auch dazu, Eisenbahnen mit Strom zu versorgen. So bezog die Burgdorf-Thun-Bahn ab 1899 vom Kraftwerk Spiez, die Rhätische Bahn ab 1913 von Brusio elektrische Energie. Die SBB errichteten eigene Kraftwerke: in Piotta 1920 mit dem Ritom-Stausee, in Amsteg 1922 mit einem Stauwerk am Pfaffensprung, in Châtelard 1923 und in Vernayaz 1926. Auch das Etzelwerk mit dem Stauwerk des Sihlsees (1937) entstand zum Teil für die SBB, wie später die Kraftwerke Rupperswil und Göschenen.
1945-1970 wurden besonders viele grosse Stauwerke errichtet, zum Beispiel 1948 in Rossens (FR), 1961 die Grande Dixence, die höchste Staumauer der Schweiz (285 m). Stauwerke mit Erddämmen liegen bei Marmorera (1954) und auf der Göscheneralp (1962). Beim Bau des Damms von Mattmark im Saastal tötete 1965 ein Gletscherabbruch 88 Arbeiter. Das Stauwerk von Wildegg-Brugg (1952) erhielt als eines der Ersten moderne Segmentschützen. Internationale Vereinbarungen wurden 1956 für den Bau des Stausees im Valle di Lei mit Italien, 1964 für das Stauwerk Emosson mit Frankreich abgeschlossen.
Bauvorhaben für Stauwerke führten oft zu Konflikten wegen des Landschaftsschutzes. Das 1920 lancierte Urserenwerk-Projekt der Centralschweizerischen Kraftwerke (CKW) sah vor, mit einem Stauwerk Andermatt und Hospental unter Wasser zu setzen. Der um 1940 erweiterte Plan mit einem 200 m hohen Stauwerk im Urnerloch stiess auf heftigen Protest und wurde 1951 fallen gelassen. Starke Opposition verhinderte auch ein Stauwerk, dem das Dorf Splügen zum Opfer gefallen wäre, und 1946 ein weiteres am Silsersee (erste Schoggitaler-Aktion des Heimatschutzes). In Rheinau unterlag 1954 der Landschaftsschutz, während in den 1980er Jahren ein Stauwerk auf der Greina verhindert wurde. Auf ein neues Stauwerk Oberaar (Grimsel-West) in der Gemeinde Guttannen verzichteten die Kraftwerke Oberhasli Ende 1999.
Quellen und Literatur
- Führer durch die schweiz. Wasser- und Elektrizitätswirtschaft, 2 Bde., 31949
- G. Schnitter, «Staudämme», in Wasser- und Energiewirtschaft 48, 1956, 27-37
- G.A. Töndury, «Die Entstehungsgesch. der Kraftwerkprojekte am Hinterrhein», in Terra Grischuna 22, 1963, 163-170
- W. Weyermann et al., Schweiz. Talsperrentechnik, 1970
- C. Graf, Das Kraftwerk Rheinau und die Rheinau-Initiative 1954, 1972
- N. Schnitter, Schweiz. Talsperrenbibl., 1980
- E. Müller, R. Gamma, Hochspannung, 1982
- N. Schnitter, Die Gesch. des Wasserbaus in der Schweiz, 1992 (mit Bibl.)
- F. Walter, Bedrohl. und bedrohte Natur, 1996 (franz. 1990)
- M. Martignoni, P. Barelli, Impianti idroelettrici in Ticino e Mesolcina, 1997
- «Le Forze Motrici Brusio SA, una retrospettiva storica», in Estratti della rivista aziendale Linea, 1998