Autorin/Autor:
Pierre Corboud
Übersetzung:
Philipp von Cranach
Die urgeschichtliche Ufersiedlung stellt eine besondere Form der Siedlung dar; ihre Errichtung, Verlagerung und Auflassung hing jeweils unmittelbar von Umwelteinflüssen ab. Die Umweltfaktoren wirkten sich ihrerseits auf die Erhaltungszustände der archäologischen Überreste aus. Früher wurden diese Niederlassungen als Pfahlbaudörfer bezeichnet; in der deutschen Wissenschaftssprache hat sich in den letzten Jahrzehnten auch der alternative Begriff «Feuchtbodensiedlungen» eingebürgert.
Dieser Siedlungstyp tauchte im frühen Jungneolithikum (Neolithikum) um 4500 v.Chr. auf und verschwand in der Endphase der Bronzezeit zwischen 850 und 800 v.Chr. fast vollständig. Die geografische Verbreitung der an Seeufern und in Moorgebieten gelegenen Siedlungen erstreckt sich beidseits der Alpen von Frankreich und Italien über die Schweiz, Deutschland und Österreich bis nach Slowenien. Die grösste Anzahl findet sich in der Schweiz und hier wiederum vor allem im Mittelland; allerdings sind auch einzelne im Voralpengebiet (Vierwaldstättersee, Thunersee) belegt. Ob auch im Tessin Ufersiedlungen angelegt worden sind, lässt sich auf der Basis der heutigen Fundlage nicht abschliessend entscheiden.
Zwei Luftbilder vom Pfahlfeld der Ufersiedlung Chabrey-Pointe de Montbec I in der Waadtländer Gemeinde Vully-les-Lacs am Südufer des Neuenburgersees, aufgenommen am 2. April 2011 (Schweizer Luftwaffe, Payerne; Fotografien Major Aldo Wicki).
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Im Gegensatz zu den archäologischen Lehrmeinungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zählen die Dörfer zu den gleichen neolithischen und bronzezeitlichen Kulturen wie die Siedlungen, die auf trockenen Böden oder weit entfernt von Seen errichtet wurden.
Autorin/Autor:
Pierre Corboud
Übersetzung:
Philipp von Cranach
Die Begründung des Pfahlbauermythos durch Ferdinand Keller. Oben: Village de Kouaouï au hâvre Dorey (Nouvelle Guinée), Zeichnung von Louis Auguste de Sainson, als Lithografie veröffentlicht in Jules Dumont d’Urvilles Voyage de la Corvette l’Astrolabe, exécuté par ordre du Roi pendant les années 1826-1829, Paris 1830-1833 (New York Public Library Digital Collections). Unten: Darstellung der Ufersiedlung Obermeilen aus Ferdinand Kellers "Die keltischen Pfahlbauten in den Schweizerseen", publiziert in den Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 9/2.3, Tafel 1/Figur 4 (ETH-Bibliothek Zürich, Rar 9180, e-rara.ch, DOI: 10.3931/e-rara-49149).
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Die Entdeckung der Ufersiedlungen erfolgte im Winter 1853-1854, in dem eine aussergewöhnliche Trockenheit zur Absenkung der Seespiegel bei fast allen Seen im Mittelland und in den Voralpen führte, was in Meilen am rechten Zürichseeufer in den Schlick gerammte Eichenpfähle in den trockengefallenen Uferzonen zutage förderte. Zwischen den Pfählen wurden zahlreiche Gegenstände entdeckt, die vorrömischen Zeiten zugeordnet wurden. Der zur Fundstelle gerufene Ferdinand Keller, Präsident der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, interpretierte die Funde als Reste neolithischer Behausungen, die auf von Pfählen getragenen Plattformen im See errichtet worden seien. Diese Vorstellung speiste sich auch aus kurz zuvor publizierten Stichen mit Darstellungen von indonesischen Pfahldörfern, die von der Ozeanien-Expedition des französischen Forschers Jules Dumont d’Urville gemacht worden waren. Damit war der Mythos von den Pfahlbauern geboren, welcher der durch die Bundesstaatsgründung 1848 geweckten Sehnsucht nach gemeinsamen identitätsstiftenden Vorfahren entgegenkam. Diese mythischen Vorstellungen prägten lange Zeit das Verständnis der Urgeschichte. Den «Pfahlbauern» wurden die «Landbewohner» gegenübergestellt, die man als weniger entwickelt ansah und einer kriegerischen Natur bezichtigte. Heute gilt diese Interpretation als überholt, aber Spuren von ihr halten sich hartnäckig im Unterbewusstsein der breiten Öffentlichkeit.
Von ihrer Entdeckung an beschäftigten sich mehrere Forscher leidenschaftlich mit diesen versunkenen, geheimnisumwobenen Dörfern. Dem Beispiel Kellers folgend, suchte Frédéric Troyon als erster Westschweizer am Genfer- und Neuenburgersee nach Spuren solcher Siedlungen. Den Pfahlbauten am Neuenburgersee verhalf Edouard Desor zu grosser Popularität. Nur wenig später stellte Paul Vouga auf der Basis eines gründlichen Studiums der Kulturschichten die erste Chronologie für die neolithischen Pfahlbaudörfer vor. In der Deutschschweiz entdeckte und erforschte der Landwirt Jakob Messikommer die Fundstelle Wetzikon-Robenhausen, eine Feuchtbodensiedlung am Ufer des Pfäffikersees, was ihm viel Ruhm eintrug. François-Alphonse Forel präsentierte in seiner dreibändigen Monografie über den Genfersee (1892, 1896 und 1904) einen ersten Überblick über die dortigen Pfahlbauten. 1955 setzte sich Emil Vogt in einer Publikation als Erster kritisch mit der Gegenüberstellung von Pfahlbauern und Landbewohnern auseinander.
Charakteristika der Ufersiedlungen
Autorin/Autor:
Pierre Corboud
Übersetzung:
Philipp von Cranach
Die Besonderheit dieser Siedlungen liegt in ihrer Eignung für Perioden relativer Trockenheit. Während Phasen sinkender Seespiegel fielen die Terrassen in den Uferzonen trocken und boten sich für die Errichtung von Siedlungen an, wobei die Wasserversorgung in nächster Nähe dauerhaft garantiert war. Die Klimaentwicklung mit dem Wechsel von Trocken- und Feuchtperioden während nahezu viertausend Jahren stand also am Anfang der Ufersiedlungen. Dabei war es keinesfalls ausgeschlossen, dass andere, gleichzeitig genutzte Niederlassungen etwas weiter entfernt vom Ufer bzw. etwas höher liegen konnten.
Der Unterschied zwischen Ufersiedlungen und Siedlungen auf dem Land besteht vor allem in den aussergewöhnlich guten Erhaltungsbedingungen von organischen Überresten in den Ablagerungen am Seegrund oder in Moorgebieten. Dank dieser Konservierung sind Flechtwaren, Textilien sowie hölzerne Objekte überliefert, was wiederum die genaue Datierung von Holzbauten mittels der Dendrochronologie ermöglicht.
Deutungen der Pfahlbauten – chronologische Abfolge. Quelle und Infografik: Pierre Corboud, Universität Genf, 2019.
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Die vielfältigen Materialien, Strukturen und Gegenstände aus organischen Stoffen, die aus den untersuchten Ufersiedlungen vorliegen, vermitteln uns Hinweise auf die Organisation der Dörfer, die Lebensweisen und die von ihren Bewohnern ausgeübten häuslichen Tätigkeiten. Die Fussbodendielen in den Behausungen dürften mehrheitlich etwas erhöht über dem Wasserspiegel gelegen haben, um sie vor den saisonalen Schwankungen des Wasserstands zu schützen. Die Dörfer waren auf der Seeseite häufig durch Palisaden begrenzt, die als Wellenbrecher die Stürme zurückhielten. Gelegentlich fanden sich auch auf der Landseite der Dörfer eine oder mehrere Palisaden. In einigen Siedlungen gewährleisteten aus Pfählen und Planken errichtete Stege oder aufgeschüttete Kieswege den Zugang vom Land her durch unstabiles oder sumpfiges Gelände. Wenn der Seespiegel infolge einer Klimaverschlechterung dauerhaft anstieg, wurde die überschwemmte Siedlung aufgegeben bzw. in ein höher gelegenes Gebiet verlegt. Die Kulturschicht und die organischen Reste waren dann durch das Wasser und den Schlick geschützt. In Siedlungen auf festem Grund wären solche Spuren dagegen rasch verschwunden.
Die Fläche, die ein Dorf während einer Belegungsphase umfasste, ist oft schwierig abzuschätzen, weil sich die Siedlungen laufend verschoben. Die bisher untersuchten Beispiele und die dabei ermittelten exakten Datierungen zeigen, dass die bebauten Flächen eine Ausdehnung von bis zu knapp einem Hektar erreichen konnte. Das entspräche in etwa einigen Dutzend Behausungen.
Ackerbau und Viehzucht im Neolithikum und in der Bronzezeit
Autorin/Autor:
Pierre Corboud
Übersetzung:
Philipp von Cranach
Lebensweise, Kultur, Geisteswelt und wirtschaftliches Handeln der Dorfgemeinschaften dürften mit denjenigen der höher gelegenen Siedlungen auf festem Boden durchaus vergleichbar gewesen sein. Die Menschen des Neolithikums und der Bronzezeit lebten vor allem von Ackerbau und Viehwirtschaft (Haustiere, Landwirtschaft). Diese Tätigkeiten lieferten den grössten Teil der Nahrung, welche durch Jagdbeute sowie gesammelte Pflanzen und Früchte komplettiert wurde (Jagd, Sammelwirtschaft). Auch der Fischfang wurde praktiziert, was Funde von Haken und Netzfragmenten belegen; den Nahrungsressourcen aus dem See kam aber ebenfalls nur eine ergänzende Rolle zu.
Ausschnitt aus einem rekonstruierten Wandbild, entdeckt auf der Innenwand eines abgebrannten Hauses in der Siedlung Ludwigshafen-Seehalde am deutschen Bodenseeufer, der Pfyner Kultur zugeschrieben, um 3860 v.Chr. (Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege; digitale Rekonstruktion von Monika Erne nach Vorlagen von Helmut Schlichtherle und Manuela Fischer, 2015).
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Die kulturellen und religiösen Vorstellungen sowie die Begräbnisbräuche der Ufersiedlungen sind kaum dokumentiert. Umso wichtiger sind deshalb die wenigen diesbezüglichen Ausnahmen wie zum Beispiel die symbolischen Frauendarstellungen auf den Hauswänden in neolithischen Siedlungen am deutschen Nordufer des Bodensees, der in Weihedepots gefundene Bronzeschmuck in spätbronzezeitlichen Siedlungen oder die Keramikobjekte, die als Hausaltäre derselben Kulturphase interpretiert werden. Gräber und Kultstätten wurden fast immer ausserhalb der Dörfer und ihres Umlands in hochwassersicheren Gebieten angelegt. Nur wenige Begräbnisplätze und Kultstätten lagen nahe bei den Siedlungen und können deshalb auch bestimmten Dörfern eindeutig zugeordnet werden, wie zum Beispiel die Menhire in der Promenade des Anglaises in Yverdon-les-Bains-Baie de Clendy.
Chronologischer Überblick
Autorin/Autor:
Pierre Corboud
Übersetzung:
Philipp von Cranach
Die Niedrigwasserphasen, in denen Siedlungsplätze belegt waren, dauerten einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte. Häufig folgten auf demselben Platz mehrere Siedlungen nacheinander; die Spuren solcher Dörfer sind manchmal nur durch wenige Zentimeter Sand oder Schlick voneinander getrennt.
Vier Hauptsiedlungsphasen sind an den Seen im Schweizer Mittelland auszumachen: Das Jungneolithikum (4300-3400 v.Chr) und das Spätneolithikum (3300-2450 v.Chr.), die Früh- (1810-1490 v.Chr.) und die Spätbronzezeit (1080-850 v.Chr.). Diese vier Perioden entsprachen ausgeprägten Trockenphasen mit einem Rückgang der Seen. Sie waren allerdings von kürzeren Zeitspannen unterbrochen, in denen sich die Seen wieder ausdehnten.
Die Tür von Wetzikon-Robenhausen (ZH), datiert um 3700 v.Chr. (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, A-432).
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Das Jungneolithikum gliedert sich in zwei klar voneinander getrennte Kulturphasen: Die ältere Phase (frühes Jungneolithikum) der Egolzwiler Kultur (ca. 4300-4100 v.Chr.) ist durch die namengebende Fundstelle von Egolzwil 3 im Torfmoor des Wauwilermooses gut dokumentiert. Zeugnisse dieser Phase finden sich auch in der Westschweiz, wo sie der Kultur des allerdings noch wenig erforschten Cortaillod ancien zugeordnet werden (Cortaillodkultur). Einer jüngeren Phase (Jungneolithikum), die sich etwa von 3900 bis 3400 v.Chr. erstreckte, entsprechen in der Westschweiz das Cortaillod classique bzw. in der Ostschweiz die Pfyner Kultur, von der beispielsweise die Fundstelle Thayngen-Weier zeugt. Typische Ufersiedlungen des Cortaillod classique sind Twann-Tüscherz-Bahnhof am Bieler-, Auvernier-La Saunerie am Neuenburger- und Corsier-Port am Genfersee.
Das Spätneolithikum setzt in Bezug auf die Seeufersiedlungen um 3300 v.Chr. mit der Horgener Kultur ein, die sich in der Ostschweiz entwickelt hat. Gegen Westen dehnte sich diese Kultur nicht weiter als bis Yvonand am westlichen Neuenburgersee aus (Yvonand-Le Marais). Es sind zwar auch weiter westlich gelegene Siedlungen aus dieser Zeit bekannt; deren kulturelles Profil ist jedoch nicht mehr eindeutig auszumachen. Eine der Fundstellen in der Ostschweiz, die diese Kulturphase repräsentieren, ist Zug-Riedmatt.
In der Westschweiz vollzog sich - angestossen von Einflüssen aus dem Südwesten - um 2950 v.Chr. mit dem Aufkommen der Lüscherzkultur ein Kulturbruch. Darauf folgten die Auvernierkultur und das sogenannte Auvernier-Cordé, das Elemente der Schnurkeramikkultur rezipierte. Letztere verbreitete sich gleichzeitig in der Ost- und der Zentralschweiz (z.B. Zug-Oterswil-Insel Eielen). Für die weiter westlich zu situierende Lüscherzkultur sind die Fundzonen Sutz-Lattrigen-Rütte und Lüscherz-Dorfstation charakteristisch.
Die Belegungsphasen der Ufersiedlungen und die entsprechenden Kulturen vom Neolithikum bis in die Eisenzeit in der West- und der Ostschweiz. Quelle: Corboud, Pierre; Schaeren, Gishan F., Die Pfahlbauten der Schweiz, 2017, S. 12. Infografik Pierre Corboud, Universität Genf, und HLS, 2019.
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Der Übergang von der Glockenbecherkultur in die Frühbronzezeit von 2400 bis 1800 v.Chr. ging mit einem allgemeinen Vordringen der Seen auf der Alpennordseite infolge einer Klimaverschlechterung einher. Bis heute ist keine einzige Ufersiedlung aus dieser Zeit belegt, im Gegensatz zu einigen Siedlungen an Land, in denen die Funde allerdings oft nur sehr schlecht erhalten sind. Erst ab 1800 v.Chr. wurden nach dem Absinken der Seespiegel wieder neue Ufersiedlungen errichtet, wobei diese frühbronzezeitlichen Dörfer manchmal an denselben Orten standen wie ihre aufgegebenen spät- oder endneolithischen Vorläufer; dies trifft etwa für die Fundareale Arbon-Bleiche 2 am Bodensee, Concise-Sous-Colachoz am Neuenburgersee (Corcelles-près-Concise-Stations de Concise) sowie Morges-Les Roseaux am Nordufer des Genfersees zu. Diese Siedlungsphase blieb relativ kurz, deren jüngste Dörfer waren alle um 1500 v.Chr. wieder abgegangen. Aus der Mittelbronze- und der beginnenden Spätbronzezeit sind keine Zeugnisse von Ufersiedlungen überliefert. Grund dafür war eine erneute Klimaverschlechterung, die zwischen 1500 und 1100 v.Chr. zumindest auf der Nordseite der Alpen zu einem allgemeinen Anstieg der Seepegel führte.
Von allen Kulturphasen der Ufersiedlungen ist diejenige der Spätbronzezeit (im Mittelland von 1080 bis 850 v.Chr.) am besten dokumentiert. Deren Überreste waren weniger den Schwankungen der Seepegel unterworfen; ausserdem begünstigten die Grösse der Dörfer sowie die Qualität der Hausbauten deren Erhaltung bis heute. Die Gründe für die Intensivierung der Waldnutzung und des Ackerbaus dürften in der Entwicklung von Bronzewerkzeugen liegen. In der Ostschweiz sind Zürich-Kleiner Hafner und Zürich-Enge-Alpenquai typische Fundzonen für diese Phase; am Neuenburgersee zeigen sich in den Dörfern Chabrey-Pointe de Montbec I und Bevaix-L’Abbaye 2 Ansätze einer protourbanen Entwicklung. Versoix-Bourg am Genfersee nahm eine Fläche von fast 4 ha ein; ein mit Pfählen und Steinschüttungen befestigter Weg führte vom Dorf durch ein Gebiet mit weichem Untergrund zum Ufer.
Archäologische Voruntersuchung auf der Fundstelle Grandson-Corcelettes-Les Pins aus dem Spätneolithikum (Lüscherzkultur) im Januar 2018 (Archéologie cantonale, Lausanne; Fotografien Yves André).
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Weltkulturerbe und Forschungsperspektiven
Autorin/Autor:
Pierre Corboud
Übersetzung:
Philipp von Cranach
Die Ufersiedlungen, die wegen der guten Konservierungsbedingungen ausserordentlich viele Quellen und Daten für die Erforschung der neolithischen und bronzezeitlichen Kulturen liefern, sind sehr empfindlich und durch viele natürliche und menschliche Beeinträchtigungen (Motorschifffahrt, Trockenlegung der Sümpfe, Betonierung der Ufer usw.) bedroht. Um ihren Schutz zu verbessern und die Kenntnisse, die über sie gewonnen wurden, breiten Bevölkerungskreisen zu vermitteln, wurden 111 Fundstellen 2011 ins Unesco-Welterbe aufgenommen. Davon liegen 56 in der Schweiz.
Die 56 Schweizer Ufersiedlungen auf der Unesco-Liste
Die 56 Schweizer Ufersiedlungen auf der Unesco-Liste – Pierre Corboud, 2019.
Zur Vorbereitung der Aufnahme in das Unesco-Welterbe wurde eine Auswahl der repräsentativsten und am besten erhaltenen Fundstellen getroffen. In der Schweiz sind noch 394 weitere Ufersiedlungen bekannt, die weniger gut konserviert oder deren Funde weniger aussagekräftig sind. Diese gelten als «assoziierte» Fundstellen, die ebenfalls zum Verständnis dieses aussergewöhnlichen Phänomens beitragen. Ihr Schutz und ihre Erforschung ist ebenso wichtig und stellt eine grosse Verantwortung für die Archäologinnen und Archäologen sowie die Behörden dar. Das gleiche gilt selbstredend für zukünftige Entdeckungen. Die Aufnahme der Ufersiedlungen ins Welterbe der Unesco war ein wichtiger Schritt in Bezug auf die Anerkennung und Valorisierung ihrer historischen Bedeutung. Forschungsbedarf besteht heute vor allem in zwei Richtungen: Erstens gilt es, die Kenntnisse über die Beziehungen zwischen der Entwicklung der urgeschichtlichen Umwelt und den Reaktionen der Bevölkerung auf die nachhaltigen Klimaschwankungen, die in diesen rund vier Jahrtausenden erfolgten, zu vertiefen und diese besser zu begreifen. Die Gesamtheit der überlieferten Zeugnisse über die materielle Kultur erlaubt zweitens, wichtige Fragen auf einem hohen interpretatorischen Niveau anzugehen, wie zum Beispiel diejenige nach den sozialen Beziehungen zwischen den verschiedenen identifizierten Kulturen. Das betrifft sowohl die Beziehungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Ufersiedlungen untereinander wie auch den ebenfalls gut dokumentierten materiellen und immateriellen Austausch dieser Gruppen mit anderen Kulturen auf dem europäischen Kontinent.
Die Ufersiedlungen auf der Liste des Unesco-Welterbes
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Keller, Ferdinand: Pfahlbauten. Zweiter Bericht, 1858 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 12/3).
Desor, Edouard: Les palafittes ou constructions lacustres du lac de Neuchâtel, 1865.
Vogt, Emil: «Pfahlbaustudien», in: Guyan, Walter Ulrich (Hg.): Das Pfahlbauproblem, 1955, S. 119-129 (Monographien zur Ur- und Frühgeschichte der Schweiz, 11).
Kaeser, Marc-Antoine: Les Lacustres. Archéologie et mythe national, 2004 (Le savoir suisse, 14).
Suter, Peter J.; Schlichtherle, Helmut: Pfahlbauten. UNESCO Welterbe-Kandidatur «Prähistorische Pfahlbauten rund um die Alpen», 2009.
Honegger, Matthieu; Mordant, Claude (Hg.): L'Homme au bord de l'eau. Archéologie des zones littorales du Néolithique à la Protohistoire. Actes du 135e congrès national des sociétés historiques et scientifiques, Neuchâtel, 6-11 avril 2010,section de Pré- et Protohistoire, 2012 (Cahiers d'archéologie romande, 132).
Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Hg.): Die Pfahlbauer. Am Wasser und über die Alpen, 2013 (französisch 2013).
Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg; Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (Hg.): 4000 Jahre Pfahlbauten, 2016.
Corboud, Pierre; Gowen, Margaret:«Protection of the World Heritage against archaeological research. The case of the Prehistoric Pile Dwellings around the Alps registered at UNESCO», in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, 99, 2016, S. 157-164.
Corboud, Pierre; Schaeren, Gishan F.: Die Pfahlbauten der Schweiz, 2017 (Schweizerische Kunstführer, 988-989).
Pierre Corboud: "Ufersiedlungen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.04.2019, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007857/2019-04-03/, konsultiert am 10.12.2024.