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Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird durch Quell-, Grund-, Fluss- und Seewasser gespeist. Die Einrichtungen zur Trink- und Brauchwasserversorgung umfassen Brunnen, Reservoire (Zisternen, Feuerteiche), Kanal- und Leitungssysteme (Deuchel, Bissen, moderne Druckleitungen, Stadtbäche) sowie Pump- und Verteilwerke. Im Gebiet der heutigen Schweiz erlebte die Wasserversorgung in den römerzeitlichen Städten einen frühen Höhepunkt. Einen ähnlichen Standard erreichte sie erst wieder im 19. und 20. Jahrhundert, als in den Städten zentrale Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungssysteme angelegt wurden.

Urgeschichte bis Römerzeit

Die ältesten Überreste von Wasserversorgungen im Gebiet der heutigen Schweiz stammen aus der Bronzezeit: eine kistenförmige Zisterne aus Lärchenholz (16./15. Jahrhundert v.Chr.) in Savognin sowie eine Quellwasserfassung aus dem 14./13. Jahrhundert v.Chr. in St. Moritz Bad.

Im 1.-3. Jahrhundert n.Chr. wurde die hoch entwickelte römische Wasserleitungstechnik auch nördlich der Alpen rezipiert. Städtische Infrastrukturen zur Wasserversorgung wie auch zur Entsorgung des Abwassers gab es in den Kolonien, aber auch in anderen stadtähnlichen Siedlungen wie zum Beispiel Octodurus. So führten sechs Aquädukte nach Aventicum, ein 10 km langer Aquädukt von Divonne-les-Bains (Frankreich) nach Iulia Equestris und ein begehbarer Kanal von 6,5 km Länge aus dem Gebiet der Gemeinde Liestal in die Oberstadt von Augusta Raurica. Vermutlich über einen Wasserturm wurde hier ein innerstädtisches Verteilnetz gespeist, das unter Druck stand. In den Strassenkörpern sind vor allem Kalksinterstränge als Überreste von Deucheln (ausgebohrte Baumstämme zwecks Wasserführung) erhalten. Die Feinverteilung zu einzelnen Gebäuden und auf Laufbrunnen geschah über Rohrleitungen aus Blei, Holz oder Ton. Die Unterstadt von Augusta Raurica bezog ihr Wasser dagegen hauptsächlich aus Sodbrunnen, wie denn überhaupt Brunnen und Zisternen weiterhin in Gebrauch blieben. Das älteste Bauwerk zur Wasserversorgung in der Schweiz, das seinen ursprünglichen Zweck noch erfüllt, ist die römische Wasserleitung von Hausen (AG) nach Vindonissa. Sie wurde dem Kloster Königsfelden 1363 von König Rudolf IV. geschenkt und versorgte bis 1898 Ortsteile von Windisch mit Trinkwasser. Heute speist sie lediglich einen Springbrunnen. Der Kanal nimmt im oberen Teil als sogenannte Filterleitung Grundwasser auf, im unteren Teil dient er allein dem Wassertransport. Neben Städten und Heerlagern wiesen auch Vici sowie einzelne Kleinsiedlungen Wasserversorgungen auf. Bei archäologischen Untersuchungen in Oberwinterthur wurde eine komplette römische Wasserversorgung aus Holz erfasst, bestehend aus Quellfassung, Deucheln und dazugehörender Abwasserkanalisation.

Mittelalter und frühe Neuzeit

Wasserschöpfrad auf der Rathausbrücke in Zürich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Ausschnitt einer Illustration aus der Chronik des Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 28, Fol. 57r).
Wasserschöpfrad auf der Rathausbrücke in Zürich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Ausschnitt einer Illustration aus der Chronik des Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 28, Fol. 57r).

Klosterarchitekten pflegten antike Techniken der Wasserversorgung weiter. Bei der archäologischen Untersuchung des Dominikanerklosters in Zürich (1990) kam eine Tonröhrenleitung zum Vorschein, die in einen Mörtelguss eingepackt war (zweites Viertel 13. Jahrhundert). Die Wasserversorgung von Burgen musste auch im Belagerungsfall funktionieren. Deshalb überwiegen Sodbrunnen und Regenwasserzisternen. Eine Besonderheit sind Wasserbehälter mit Filterkörpern («Filterzisternen»), welche verschmutztes Regenwasser reinigten. Haspeln, in Romont (FR) gar ein Tretrad (18. Jahrhundert, Ersatz eines Vorgängers), dienten dazu, den Wassereimer aus den Schächten zu fördern. Die tiefsten Sodbrunnen der Schweiz befinden sich in Regensberg (52 m) und Dorneck (85 m, 1551).

In der Stadt stützte sich die Wasserversorgung auf Grundwasser (Sod- oder Ziehbrunnen), natürliche Gewässer und Quellwasserleitungen (Deuchel). In Basel existierten zudem Lochbrunnen, d.h. Quellfassungen innerhalb des Mauerrings. Das Limmatwasser wurde in Zürich mit von der Strömung angetriebenen Schöpfrädern (1382 erwähnt) gehoben. Frühe, mit Wasserkraft betriebene Pumpwerke («Wasserkünste») gab es in Zürich (1505-1597 Kloster Oetenbach, 1667-1869 Schipfe-Lindenhof) und in Genf (1708). Für die Versorgung der Städte mit Brauch- und Wirtschaftswasser wurden Kanalnetze («Stadtbäche») erstellt, zum Beispiel in Bern, Winterthur, Aarau und La Neuveville (heute noch bestehend). Der Stadtbach von Solothurn (1303 erwähnt, 1640 steinerner Aquädukt) versorgte die Siedlung auch mit Wasserkraft (1852 19 Wasserräder). Die Wasserversorgung war bereits im Mittelalter eine kommunale Aufgabe. Renward Cysat beschreibt, wie in Luzern eine Nachbarschaft eine private Wasserversorgung erstellte, für die jedoch eine Konzession des Rats nötig war und die nachträglich dem städtischen Brunnenmeister unterstellt wurde.

Mittelalterlicher Aquädukt (1640 erneuert), der den Stadtbach in die Stadt Solothurn hineinleitet. Lavierte Sepiazeichnung von Ludwig Schulthess, nach einer Bleistiftzeichnung von Emil Schulthess, 1840 (Zentralbibliothek Solothurn, ZBS S I 844, Blatt 17).
Mittelalterlicher Aquädukt (1640 erneuert), der den Stadtbach in die Stadt Solothurn hineinleitet. Lavierte Sepiazeichnung von Ludwig Schulthess, nach einer Bleistiftzeichnung von Emil Schulthess, 1840 (Zentralbibliothek Solothurn, ZBS S I 844, Blatt 17).

Nur wenige Privilegierte durften öffentliche Leitungen für die Versorgung des eigenen Hauses anzapfen. Wassertragen gehörte zum Aufgabenbereich von Frauen und Dienstboten. Schmutz verursachende Arbeiten mussten an Nebenbrunnen («Sudeltrögen») verrichtet werden. Das Recht, saubere Brunnenabwässer ableiten zu dürfen, wurde in Basel und Zug an Gastwirte und andere Privatleute verkauft. Wer Brunnen verunreinigte, wurde hart bestraft. Der Vorwurf der Brunnenvergiftung löste im 14. und 15. Jahrhundert Gewaltakte gegen Juden und Aussätzige aus. 1683 liess der Winterthurer Rat fehlbare Mägde an den Obermarktbrunnen binden.

Wenig erforscht ist die Wasserversorgung im ländlichen Raum. Der Röhrenbrunnen mit repräsentativem Stock gehörte zur Infrastruktur des Dorfes. Die Nutzungsberechtigung stand lediglich den Brunnengenossen zu. Auch dörfliche Wasserversorgungen unterstanden Brunnenmeistern. Im Engadin beispielsweise hatten Brunnengenossenschaften noch im 20. Jahrhundert Bestand. Die Namen der Nutzungsberechtigten wurden am Dorfbrunnen angeschlagen, häusliche und gewerbliche Arbeiten am Brunnen, wie das Waschen oder das Spülen von Innereien, waren wegen der Viehtränke zeitlich beschränkt.

Dorfbrunnen in La Sagne von 1786 (Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf).
Dorfbrunnen in La Sagne von 1786 (Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf). […]

19. und 20. Jahrhundert

Schweizer Städte führten in den letzten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die zentrale Wasserversorgung ein, zum Beispiel Bern 1868, Luzern 1873, Solothurn und St. Gallen 1877, Chur 1880, Schaffhausen 1883 und Lugano 1895. Die «zentrale Wasserversorgung» ist als Netzwerk konzipiert, dessen Leitungen, nunmehr Gussröhren, unter Hochdruck stehen. 1895 verfügten gemäss einer in 136 Ortschaften durchgeführten Umfrage deren 108 über eine Druckwasserversorgung (Hydrantennetz). Betrieben wurden diese Anlagen von Gemeinden (57), Privatunternehmen (30) oder Korporationen (21). Innovationsfördernd wirkte die Angst vor Feuersbrünsten. Besonders nach dem Brand von Glarus 1861 wurde die Forderung nach Löschwasserreserven laut. Kantonale Feuerversicherungen begannen, den Ausbau der Wasserversorgung zu subventionieren. 18 grössere Ortschaften wurden noch 1895 lediglich durch Brunnen versorgt, darunter mit Sitten eine Kantonshauptstadt. Die Brunnenwerke befanden sich am häufigsten in Besitz von Korporationen (8), gefolgt von Gemeinden (6) und privaten Unternehmen (4). Innovationshemmend wirkte der hohe Repräsentationswert der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Brunnen.

Die Rathausgasse in Aarau. Fotografie, 1905 (Stadtmuseum Aarau).
Die Rathausgasse in Aarau. Fotografie, 1905 (Stadtmuseum Aarau). […]

Die Anwendung der in England erprobten modernen Wassertechnik überforderte die Behörden in administrativen Belangen vorerst. Dies zeigt sich am Beispiel der Stadt Zürich: Die 1868 von Stadtingenieur Arnold Bürkli konzipierte Wasserversorgung erneuerte für die Verteilung des Quellwassers lediglich die bestehenden Brunnenleitungen. Über ein zusätzliches Leitungsnetz wurde filtriertes Seewasser (Brauchwasser) in die Häuser gepumpt. Die Qualität dieses Brauchwassers, das freilich auch getrunken wurde, war jedoch zweifelhaft (Hygiene). 1884 brach eine schwere Typhusepidemie (1600 Krankheitsfälle) aus, offenbar wegen Mängeln am Seewasserwerk. Auch in anderen Städten, unter anderem 1891 in Lausanne, breitete sich nach der Modernisierung der Wasserversorgung der Typhus aus (Epidemien). Bis zur Entdeckung der Krankheitserreger (1883 Cholera, 1906 Typhus) schenkte die Wissenschaft dem Wasser als Infektionsweg wenig Aufmerksamkeit. Der Genuss von klarem und geschmacklich einwandfreiem Trinkwasser galt als ungefährlich. Dadurch blieben Stadtsanierungen oft nur Symptombekämpfung (z.B. Beseitigung von Geruchsimmissionen). Ausserdem wurden erst durch die Vernetzung der Wasserversorgung Krankheitskeime breit gestreut.

Ob die Einführung der zentralen Wasserversorgung durch den Staat oder die Privatwirtschaft geschehen sollte, war im 19. Jahrhundert Gegenstand von politischen Diskussionen. Negative Erfahrungen mit privatwirtschaftlichen Modellen machten die Städte Basel und Lausanne: 1864 wurde unter Federführung des philanthropischen Politikers Karl Sarasin die Basler Wasserversorgungsgesellschaft A.G. gegründet. Wegen der hohen Erschliessungskosten profitierten vorab Geschäftsviertel von der neuen Wasserversorgung, während Unterschichtsquartiere unterversorgt blieben. Mit steigenden Wasserlieferungen verschärfte sich die ungelöste Abwasserentsorgung. Auf Druck der Liberalen, die damals auch die Arbeiterschaft vertraten, wurde die Wasserversorgungsgesesellschaft 1875 verstaatlicht. In Lausanne gingen der Modernisierung der Wasserversorgung Interessenkonflikte voran, sodass die Stadt 1876 zwei Unternehmen konzessionierte. Die Société des eaux de Lausanne versorgte die Stadt mit einer 30 km langen Quellwasserleitung, die Compagnie du chemin de fer de Lausanne-Ouchy lieferte Brauchwasser. 1901 kaufte die Stadt die Trinkwasserversorgung zurück.

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschte in Industrieagglomerationen Wasserknappheit. Besonders schwierig gestaltete sich die Wasserversorgung im Jura. La Chaux-de-Fonds liess 1888 in der Areuseschlucht Quellen fassen. Das Wasser musste von 600 m auf über 1100 m gepumpt werden (Projekt Guillaume Ritter). Seit 1895 bezieht die Stadt St. Gallen Bodenseewasser, wozu sie die Wasserkraft der Goldach benützt. Die Stadt Zürich versorgt sich seit 1895 mit Quellwasser aus dem oberen Sihltal und dem Lorzetal. Auf die örtlichen Grundwasservorkommen setzten 1867 und 1882 die Städte Freiburg und Basel (dampfbetriebenes Pumpwerk Lange Erlen). Die Elektrifizierung machte die Kraftübertragung durch Hochdruckleitungen hinfällig, mit denen im 19. Jahrhundert Wassermotoren angetrieben worden waren; lediglich die Wäschezentrifugen wurden bis in die 1960er Jahre durch Wasserkraft angetrieben.

Die Integration der sogenannten Nasszelle in die Wohnungen erfolgte schrittweise (Wohnen). Zunächst wurden die Grundstücke an das Wassernetz angeschlossen, danach Leitungen in die Küchen geführt. Private sanitäre Einrichtungen wie Toiletten, Badezimmer und Duschen verbreiteten sich in den Städten erst um die Wende zum 20. Jahrhundert, im ländlichen Raum oft erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die hygienische Revolution liess den Wasserkonsum steigen. Der tägliche mittlere Wasserverbrauch stieg in der Nachkriegszeit auf über 400 l pro Einwohner (inklusive Industrie und Gewerbe). Dank Sparanstrengungen in der Industrie stagnierte der Wasserkonsum in der Schweiz nach 1970 und betrug 1986 475 l. Ab den 1990er Jahren sank der Verbrauch durch die Reduzierung von Wasserverlusten in den Leitungen, die Abwanderung wasserintensiver Industriezweige und weitere Sparmassnahmen wieder und erreichte 2010 328 l. Die Verwendung des Trinkwassers in schweizerischen Haushaltungen widerspiegelt Lebensgewohnheiten: 1994 wurden 38% für die Körperpflege (Baden, Duschen) verwendet, 33% für die WC-Spülung, 20% für Reinigung und Kleiderwäsche und nur 9% zum Kochen, Trinken und fürs Geschirrspülen.

Nach den Trockenperioden der 1940er Jahre wurden die kommunalen Wasserversorgungen regional vernetzt (sogenannte Gruppenwasserversorgung), um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Der steigende Wasserbedarf liess sich nur decken durch Ausbau der Seewasserwerke (1991 18,3% des Trinkwassers, vor allem für grössere Agglomerationen von Bedeutung) und durch intensive Nutzung der Grundwasserströme (42,4%). Quell- (39,3%) und Grundwasser kann in der Regel ohne oder mit einer einstufigen Aufbereitung in das Leitungsnetz eingespeist werden. Für die Reinigung von See- und Flusswasser mussten wegen der Verschlechterung der Umweltbedingungen (Umwelt) laufend neue Reinigungsstufen eingeschaltet werden. Trinkwasser wurde in der Schweiz vom Ersten Weltkrieg an mit Chlorzugaben sterilisiert, zum Beispiel in Winterthur. In der modernen Trinkwasseraufbereitung kommen Aktivkohlefilter, UV-Strahlen, Ionentauscher und biologische Reinigungsverfahren zum Einsatz.

Quellen und Literatur

  • H. Peter, «Die Entwicklung und der heutige Stand der Wasserversorgung in der Schweiz», in Denkschr. zur 50. Jahresversammlung des Schweiz. Vereins von Gas- und Wasserfachmännern (1873-1923), 1923, 40-63
  • R. Weiss, «Brunnen und Brunnenordnung im Engadin», in Schweizer Volkskunde 33, 1943, 54-59
  • G. Heller, "Propre en ordre", 1979, 41-46
  • E. Suter, Wasser und Brunnen im alten Zürich, 1981
  • INSA
  • Siedlungswasserwirtschaft in der Schweiz, 1984
  • M. Haefliger, «Die Modernisierung der Basler Wasserversorgung 1860-1875», in BZGA 84, 1984, 129-206
  • W. Drack, R. Fellmann, Die Römer in der Schweiz, 1988, 120-125
  • H. Boxler, J. Müller, Burgenland Schweiz 1, 1990, 91-97
  • Archäologie in Graubünden, 1992, 50-55
  • F.B. Maier-Osterwalder, «Die wasserführende röm. Wasserleitung von Hausen nach Vindonissa», in ArS 17, 1994, 140-152.
Weblinks

Zitiervorschlag

Martin Illi: "Wasserversorgung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.08.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007860/2016-08-24/, konsultiert am 19.03.2024.