Im Hoch- und Spätmittelalter entstanden in der Schweiz wie allgemein in Europa zahlreiche Städte, deren Ursprung auf einen planmässigen herrschaftlichen Gründungsvorgang zurückgeführt wird und die deshalb als Gründungsstädte bezeichnet werden.
Die allgemeine Entwicklung
Das unter römischer Herrschaft entstandene Städtewesen erlebte von der Spätantike bis zur Karolingerzeit einen Niedergang. Am stärksten wirkte die römische Stadtkultur noch an den Bischofssitzen nach: Basel, Chur, Genf, Lausanne, Sitten sowie das für die Deutschschweiz wichtige Konstanz erfüllten immer noch Funktionen einer Stadt.
Im 10. Jahrhundert begann ein wirtschaftlicher Aufschwung, der zuerst diesen Bischofssitzen zugutekam. Er ergriff aber auch andere Orte, die teils ebenfalls eine römische Vergangenheit besassen, teils auf rein mittelalterlicher Grundlage entstanden waren. Sehr rasch entwickelte sich Zürich, das als Pfalz mit den Bischofsstädten gleichzog. Weitere Märkte und stadtähnliche Zentren werden im 11. Jahrhundert, in grösserer Zahl dann im 12. Jahrhundert fassbar. In der Westschweiz lagen sie insbesondere entlang der Zufahrtsstrassen zum Grossen St. Bernhard. Im Norden und Osten besassen die Wasserwege von Basel über den Hochrhein, den Zürich- oder den Bodensee zu den östlichen Alpenpässen eine ähnliche Bedeutung, wobei hier die Entwicklung zum Teil durch kaiserliche Markt- und Münzprivilegien gefördert wurde. Herrschaftliche Initiative spielte überall eine wichtige Rolle, wurde jedoch erst bei der Entstehung der Gründungsstadt zum herausragenden Faktor.
Freiburg und Bern verkörperten diesen Stadttypus in fast idealer Weise. Sie wurden im 12. Jahrhundert planmässig angelegt und von Anfang an mit städtischen Strukturen ausgestattet. Die weitere Entwicklung gehörte ganz der Gründungsstadt. Die Zahl der Städte stieg im Gebiet der heutigen Schweiz von etwa 35 um das Jahr 1200 auf das Fünffache um 1300. Die Gesamtzahl der mittelalterlichen Städte, eingeschlossen die wieder verschwundenen (Wüstungen), wird auf fast 200 beziffert. Die Mehrheit der Gründungsstädte entstand also im 13. Jahrhundert. Es handelte sich meist um Klein- oder sogar Zwergstädte. Hatte zuerst vor allem der wirtschaftliche Aufschwung belebend auf das Städtewesen gewirkt, war es im Zeitalter der Gründungsstadt in erster Linie der Konkurrenzkampf von Herrschaftsträgern. Fast ein Drittel der Städtegründungen geht auf die Zähringer, Kyburger, Habsburger und Savoyer zurück, denen die Errichtung grosser Landesherrschaften vorschwebte. Daneben gründeten zahlreiche andere weltliche und geistliche Herren im Zug ihres Herrschaftsausbaus Städte.
Die Gründungstätigkeit ging in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stark zurück und kam in der zweiten Hälfte praktisch zum Erliegen. Die Städtelandschaft war überfüllt mit vielen kleineren Städten, die keinen ausreichenden Lebensraum fanden. Durch die Krise des Spätmittelalters, namentlich die Bevölkerungsverluste und Kriege seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, gerieten sie zusätzlich unter Druck. Mancherorts wirkte sich die Verlagerung von Verkehrsströmen oder das Aussterben von Herrengeschlechtern ungünstig aus. Die Zahl der Städte nahm bereits wieder ab, und die schlechten Aussichten verhinderten neue Gründungen.
Entscheidend für die weitere Entwicklung wurde dann die Verdrängung von Fürsten und Adel durch die Eidgenossen. Deren Länderorte waren der städtischen Organisationsform abhold. Die eidgenössischen Städteorte fügten zwar die von ihnen erworbenen Kleinstädte meist ohne wesentliche Minderung der Rechtsstellung in ihr Territorium ein, an einer Vermehrung der Städtezahl waren sie aber nicht interessiert. Miteinander nahmen Städte- und Länderorte diese ablehnende Haltung auch in ihren gemeinen Herrschaften ein. Wo künftig eine wirtschaftliche Ergänzung durch zusätzliche Handels- und Handwerksplätze nötig erschien, wurde dem durch die Zulassung ländlicher Märkte Rechnung getragen. Gesamthaft gesehen nahm die Geschichte der Städtegründungen in der Schweiz im 14. Jahrhundert ein Ende, denn auch vereinzelte spätere Versuche landesfremder Fürsten, im Grenzbereich zur Eidgenossenschaft Städte (wie z.B. Carouge) zu errichten, scheiterten oder blieben Stückwerk.
Die Stadtgründer
Die Gründungsstädte der Schweiz verdanken ihre Entstehung zu rund einem Fünftel geistlichen Herren, vor allem Bischöfen. In die übrigen vier Fünftel teilten sich nicht weniger als rund 50 Adelsgeschlechter, wobei Seitenlinien nicht einmal gesondert gezählt wurden. Die meisten Gründer brachten es lediglich auf ein oder zwei meist kleine Städte. Auf über fünf Gründungen kamen die Bischöfe von Lausanne, die Herren de Cossonay, die Grafen von Frohburg, die Herren von Grandson und die Herzöge von Zähringen, auf über zehn das Haus Habsburg, die Grafen von Neuenburg und die Grafen von Kyburg, auf wohl über 20 nur das Haus Savoyen. Bischöfe, alte Klöster, Herzöge, Grafen und Freiherren ― Letztere beide stellten zusammen die weitaus grösste Gründergruppe dar ― nahmen als Inhaber der Befestigungshoheit das Recht zur Städtegründung selbstständig wahr. Nur in Sonderfällen brauchten sie die Mithilfe des Reichs oder des Landesherrn, was hingegen bei Mitgliedern des Ritteradels die Regel war. Diese traten allerdings nur selten als Gründer auf, so zum Beispiel in der Westschweiz die de Billens oder die de Font.
Von einer Stadt versprach man sich Vorteile aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten (Markt, Handel, Handwerk, Verkehr), des demografischen und militärischen Gewichts (gut organisierbare Mannschaften, Funktion als Grossburg, Sicherung von Fähren, Brücken und Strassen), ihrer finanziellen Kraft (Steuern, Zölle) und gewisser Dienstleistungen (Beamte, Notare, Rat- und Gasthäuser). Die Städte lösten teilweise die Burgen als Zentren der Landesverwaltung ab. Auch kleinere Herren wollten nicht zurückstehen und versuchten, ihren Besitz mit der Gründung eines Städtchens aufzuwerten. Bei den führenden Geschlechtern spielte der politisch-strategische Aspekt der Städtegründung eine wichtige Rolle. So haben in der Westschweiz die Zähringer mit ihrem Vorstoss nach Südwesten und ihrem späteren Verschwinden, die Savoyer mit ihrem Vorstoss in die Gegenrichtung und ihrem Rückzug, schliesslich Freiburg und Bern mit ihrem territorialen Ausgreifen die Städtelandschaft massgeblich geformt bzw. umgeformt. Wie stark Städtegründungen oft von politischen Überlegungen bestimmt waren, zeigen Konkurrenzgründungen wie Glanzenberg und Schwarzenbach (SG), deren Zweck hauptsächlich darin bestand, eine ältere Nachbarstadt zu schädigen. Zwar blieben bei der Städtegründung die Gegebenheiten von Wirtschaft und Verkehr nicht unberücksichtigt, traten aber oft in den Hintergrund. Bei der vorhandenen herrschaftlichen Zersplitterung ― besonders ausgeprägt im westschweizerischen Gebiet des ehemaligen Zweiten Königreichs Burgund ― führte der Primat von Politik und dynastischen Interessen zu einer hohen Städtedichte mit zahlreichen städtischen Kümmerformen.
Die Gründungsstädte
Die Gründer und ihre Beauftragten hatten bei ihrem Unternehmen den Erfolg der Civitates und anderer älterer Städte vor Augen, in denen verhältnismässig autonome Bürgergemeinden entstanden waren. Die Gründungsstadt musste jedoch die Machtstellung ihres Schöpfers sichern und mehren, womit tendenziell das herrschaftliche dem bürgerlichen Interesse übergeordnet wurde. Bürgerliche Freiheiten und kommunale Selbstverwaltung als dynamische Faktoren der Stadtentwicklung kamen ― wenigstens nach den zähringischen Gründungen ― meist zu kurz oder fehlten überhaupt. Ausserdem ging die Verbreitung der Gründungsstädte zunehmend auf Kosten ihrer wirtschaftlichen Grundlagen.
Der Idealtyp der Gründungsstadt lässt sich durch drei Merkmale definieren: Sie wurde von einem geistlichen oder weltlichen Herrschaftsträger gegründet, entstand planmässig in einem zusammenhängenden Vorgang und besass von Anfang an städtische Strukturen. Die konkreten Verhältnisse entsprachen dem jedoch meist nur bedingt.
Selten ist der Gründungsakt durch eine Urkunde oder andere Nachrichten direkt bezeugt. In der Regel taucht die neue Stadt früher oder später unvermittelt in den schriftlichen Quellen auf. Das Gründungsjahr, der Gründungsablauf, die Person des Gründers und bisweilen sogar das Gründergeschlecht liegen im Dunkeln. Die Rekonstruktion eines «Gründungsplans» anhand späterer Zustände ist ohne archäologische Aufschlüsse sehr problematisch.
Gewisse Zentren, deren Stadtwerdung im 11. oder 12. Jahrhundert begann, entwickelten sich etappenweise, sind jedoch typologisch von den Gründungsstädten kaum zu unterscheiden. Als Gründungsakt wäre in solchen Fällen zum Beispiel die Ummauerung einer alten Marktsiedlung oder die Verleihung eines Stadtrechts zu betrachten.
Bekannte Vorbilder und ein erprobtes Verfahren erlaubten es im 13. und 14. Jahrhundert, fast nach Belieben neue Städte anzulegen. Aber auch dort, wo von einem einmaligen Gründungsakt ausgegangen werden kann, entstand die Stadt selten «auf der grünen Wiese». In der Regel wurde an eine vorhandene Verkehrseinrichtung (z.B. Land- oder Wasserweg, Strassengabelung, Engpass, Flussübergang, Hafen, Umschlagplatz) oder Siedlung (z.B. römische Ruinen, Burg, Herrenhof, Pfarrdorf, Kloster, Markt) angeknüpft, die man als vorstädtischen Kern in den Gründungsplan einbezog.
Die Zeit der Städtegründungen im Sinn ununterbrochener grösserer Planungsvorgänge war vor allem das 13. und 14. Jahrhundert. Ressourcenmangel oder andere Ursachen führten aber manchmal dazu, dass die Stadt nicht innert kurzer Frist, sondern erst in einem längeren Prozess ihre Ausformung fand.
Es hing vom Stadtgründer, seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten ab, wie er die Gründung ausstattete. So entstanden Städte in vielerlei Kombinations- und Zwischenformen. Weder eine besondere Lage noch ein Markt oder Selbstverwaltung freier Bürger waren zwingendes Erfordernis. Einzig die Stadtbefestigung, ob in aufwendiger oder notdürftiger Form, war anscheinend überall vorgesehen. Entsprechend unterschiedlich war der Stadtcharakter ausgebildet. Nicht dessen Vorhandensein oder Fehlen steht in der Regel zur Beurteilung, sondern das Mehr oder Weniger.
Während die Gründungsstadt in gewissen Landesgegenden in extremer Häufung auftrat, kam sie in anderen überhaupt nicht vor. So im Tessin, das mit seinen borghi, die sich nach Entstehung und Ausprägung von den Kleinstädten der Deutsch- und Westschweiz deutlich unterscheiden, der oberitalischen Städtelandschaft angehörte. In Teilen des Alpenraums ― namentlich im Bereich der eidgenössischen Länderorte, die nicht bereit waren, den rechtlichen und politischen Fremdkörper einer Stadt innerhalb ihres Gebiets zu dulden ― erfüllten offene Marktorte, sogenannte Flecken, als Mittelpunkte grosser Talschaften die wirtschaftlichen Aufgaben einer Stadt.
Quellen und Literatur
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- LexMA 8, 22
- Stadtgründung und Stadtplanung - Freiburg im MA, hg. von H.-J. Schmidt, 2010