Archäologen haben keltische Oppida und römische Städte frei gelegt, Historiker die Gründung und Entwicklung von Städten und Siedlungen analysiert, Kunsthistoriker die Baudenkmäler und Stadtbilder erforscht, Geografen siedlungsinterne Prozesse und Stadtnetze ergründet, Urbanisten städtebauliche Muster durchleuchtet und Demografen und Soziologen die Bevölkerungsstrukturen untersucht – trotz dieser Vielzahl von Studien zum früh ausgebildeten Städtewesen und zur aktuellen Verstädterung nehmen die Bewohner der Schweiz diese immer noch primär als ein ländliches Gebilde wahr.
Frühgeschichte und Römerzeit
Seit dem Neolithikum, in dem die Menschen sesshaft wurden, und in vermehrtem Masse seit der Bronzezeit sind Dörfer oder Weiler bekannt, die vor allem zu Verteidigungszwecken angelegt wurden. Das Aufkommen sowie die zunehmende Verwendung von Eisen und die Intensivierung der Bodennutzung änderten praktisch nichts an deren landwirtschaftlichen Charakter. Die befestigten Höhensiedlungen der Hallstattzeit (Châtillon-sur-Glâne), welche einigen Wohnstätten Schutz boten, glichen eher den Burgen einer Militäraristokratie als eigentlichen Städten. Handwerkliche Aktivitäten sind in Flachlandsiedlungen bereits in der mittleren Latèneperiode fassbar, aber erst gegen Ende der Latènezeit, im 2. Jahrhundert v.Chr., etablierten sich als Folge bedeutender wirtschaftlicher Veränderungen, insbesondere der Entwicklung des Tauschhandels mit den Mittelmeerländern, die ersten städtischen Strukturen. Dieser förderte die handwerkliche Produktion und begünstigte die Einführung des Geldes und der Schrift. Als bewusste Gründungen und politische, wirtschaftliche und religiöse regionale Zentren stellten die meisten Oppida die früheste Form der Urbanisierung im Gebiet der Schweiz dar (Oppidum). Sie waren durch imposante, Macht und Stärke symbolisierende Befestigungen geschützt und abgegrenzt und ihre überbaute Flächen waren wenn auch noch nicht durch regelmässige Strassenraster, so doch durch Hauptachsen strukturiert. Im Zuge der Integration des schweizerischen Gebiets in das römische Reich, der auch die Gründungen der Kolonien in Nyon (Colonia Iulia Equestris) und Augst (Augusta Raurica) dienten, und der Reorganisation Galliens durch Augustus wurden die Oppida allmählich verlassen oder umgewandelt; aus einigen gingen Städte hervor, die als Zentren der umliegenden Territorien fungierten, wie Avenches (Aventicum) oder Augst, die beide Hauptstädte von Civitates (Civitas) waren, aus anderen kleinstädtischen Siedlungen von sekundärer Bedeutung, die an Kreuzungen von Fernstrassen oder an Flussverbindungen lagen (Vicus). Diese zweite, für unsere Geschichte wichtigere Phase der Urbanisierung stellt eine der dauerhaftesten Errungenschaften der römischen Eroberung dar. Von nun an verfügten die Städte, die als Abbilder der Stadt Rom konzipiert und nach einem rechtwinkligen Bauplan gestaltet waren, über eine besondere Rechtsstellung (Colonia, vielleicht Forum, in den heute italienischen Grenzregionen zur Schweiz auch Municipium), eine unabhängige Verwaltung, eine dem römischen Modell nachempfundene hierarchische Gesellschaftsordnung und die für die Lenkung einer res publica notwendigen repräsentativen Bauten (Forum, Basilika, Curia, Thermen, Theater, Amphitheater, Aquädukte, Brunnen), die den Einheimischen den römischen Lebensstil vermittelten. Den Angehörigen der lokalen Führungssschichten, deren Vermögen auf Grundbesitz beruhte, wurde nahegelegt, der Stadt Monumente, Spiele oder Bankette zu stiften, wenn sie eine Verwaltungslaufbahn einschlagen oder – wie in Avenches – das römische Bürgerrecht erlangen wollten. Die Vici, kleinstädtische Siedlungen, die im Wesentlichen administrative, religiöse und wirtschaftliche Aufgaben erfüllten und in denen einheimische Traditionen stärker und länger nachwirkten, leisteten sich zum Teil ebenfalls ein Stadtbild nach römischem Muster. Der für die Prachtentfaltung betriebene Aufwand blieb jedoch aus funktionellen, sozioökonomischen und kulturellen Gründen meist in bescheidenem Rahmen. Diese kleinstädtischen Siedlungen konnten mit den Hauptstädten Avenches, Augst und Martigny, von denen sie auch administrativ abhingen, nur selten konkurrieren.
In spätrömischer Zeit veränderte sich die Städtelandschaft: Machtzentren verlagerten sich, manche Siedlungen gingen unter, andere erlebten einen Aufschwung. Avenches, Nyon und später auch Augst traten in den Hintergrund, die Bischofsstädte Lausanne, Genf und Basel gewannen an Bedeutung. Martigny, Sitz der ersten Diözese des Wallis, war die einzige «Römerstadt», die weiterhin blühte. Manche Städte wurden mit Stadtmauern umgeben, die allerdings nur einen Teil der ursprünglichen Fläche umfassten. Der Niedergang der römischen urbanen Welt, der im 3. Jahrhundert mit der Verarmung der Bürgerschaften und neuen politischen, sozioökonomischen und religiösen Verhältnissen begonnen hatte, beschleunigte sich in der Folgezeit. Nur die Bischofsstädte Basel, Genf, Lausanne, Martigny sowie später Sitten und Chur überdauerten als kleine urbane Zentren das Frühmittelater. Sie wurden in den lateinischen Quellen weiterhin mit dem seit der Spätantike zur Bezeichnung der Stadt geläufigen Terminus Civitas bezeichnet, der dem französischen Begriff Cité zugrunde liegt.
Mittelalter
Das Städtewesen im Gebiet der heutigen Schweiz entfaltete sich im Rahmen der Siedlungsentwicklung des deutschen Südwestens sowie des burgundischen und lombardischen Raums (Siedlung). Unterschiedlich dichte Städtelandschaften entstanden: Städte prägen vor allem die westlichen Landesteile und die Nord- und Ostschweiz. Grössere Zentren haben sich im Tessin und im Alpenraum nicht entwickelt. Die Hauptorte der Alpentäler nahmen jedoch, zum Teil als Flecken, städtische Funktionen wahr. Die ältesten Städte im Voralpenland entstanden meist an Flussläufen und Seen, in topografisch geschützter und wirtschaftlich günstiger Lage an Verkehrsachsen vom Oberrhein über das Zürichseegebiet Richtung Bündnerpässe oder durch das Aaretal Richtung Burgund oder Savoyen. Aus spätantiken Städten hervorgegangene Bischofssitze wie Chur, Basel, Genf oder Lausanne, aber auch kleinere Siedlungen der Römerzeit wie Olten oder Solothurn entfalteten im 10. Jahrhundert mit der wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung städtische Qualitäten. Aus Klostersiedlungen entwickelten sich ab dem 12. Jahrhundert etwa Schaffhausen oder Luzern zu Städten.
Vom 12. Jahrhundert an vergrösserte sich der Stadtbestand durch eine grosse Anzahl von Städtegründungen adeliger Herrschaftsträger. Die Herzöge von Zähringen werden mit der Stadtwerdung von Bern, Freiburg, Murten, Burgdorf, Thun und Rheinfelden in Verbindung gebracht. Besonders um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurden neue Städte – anstelle einer älteren Siedlung oder in Erweiterung einer Burganlage – zum Teil planmässig angelegt. Ende des 14. Jahrhunderts bestanden ca. 200 Städte. Da sie oft in geringem Abstand zueinander errichtet wurden und ihnen somit ein Marktgebiet fehlte, entwickelten sich die meisten von ihnen nur wenig. Vor allem in der Westschweiz überlebten viele Gründungen nicht. Mit dem Städtewesen differenzierten sich die Bezeichnungen für städtische Siedlungen (civitas, oppidum, stat, städtli, Vorburg, bourg, borgo).
In den älteren Städten trat ab dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts der Rat als Repräsentativorgan der Bürgergemeinde in Erscheinung. Die Bürger übernahmen zwar sukzessive Rechte ihres Stadtherrn – des Königs, Bischofs, Abts oder sonstigen Herrschaftsträgers –, konnten sich jedoch nicht überall von ihrer Stadtherrschaft emanzipieren. Zu Reichsstädten oder Freien Städten entwickelten sich Bern, Zürich, Solothurn, Schaffhausen, Basel, Luzern, Freiburg und bis zu einem gewissen Grad auch Zug (Reichsunmittelbarkeit). Die meisten dieser Städte beteiligten sich an Städtebünden und wurden ab den 1330er Jahren Bündnispartner der Eidgenossenschaft. Hingegen lösten sich Genf oder St. Gallen erst im ausgehenden Mittelalter von ihrer geistlichen Herrschaft und gingen als zugewandte Orte Bündnisse mit den Eidgenossen ein. Die jüngeren, mehrheitlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Städte, für die Rat und städtische Hoheitszeichen oft erst um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert belegt sind, blieben alle herrschaftlich dominiert (Landstädte). Ihre adeligen Stadtherren wurden vom ausgehenden 14. Jahrhundert an vor allem durch Städte in der Herrschaft abgelöst.
Vorstellungen von der Stadt als einem besonderen Rechts- und Friedensraum werden in den seit dem 12. Jahrhundert überlieferten Stadtrechtsbriefen fassbar (Stadtrechte). Diese geben Auskunft über das Verhältnis zwischen Bürgern und Herrschaft, über bürgerliche Freiheiten und Pflichten sowie Massnahmen zur Sicherung des Stadtfriedens. Die Realität städtischen Rechtslebens wird aber erst seit dem 13. Jahrhundert deutlich, als die Bürgerschaft selbst begann, ihr Recht und ihre Verwaltung zu verschriftlichen.
In der mittelalterlichen Stadt, die auf permanente Zuwanderung angewiesen war, lebten neben Bürgern Personen ohne volles Bürgerrecht, so etwa Bürgersfrauen, Zugewanderte als Hintersassen und Juden (Judentum). Ab dem 14. Jahrhundert veränderte sich die Zusammensetzung der städtischen Führungsschicht (städtische Unruhen) und damit auch des Kleinen Rats (20 bis 50 Mitglieder) und des Grossen Rats (50 bis mehr als 200 Mitglieder). Die adlige Oberschicht wurde vor allem in den Städten mit ausgebildeten Zünften wie Zürich durch neu aufstrebende, wirtschaftlich und in Kriegsdiensten erfolgreiche Bürgergeschlechter abgelöst. In Städten im burgundischen Einflussbereich hingegen, in Bern etwa, behauptete sich die alte gegenüber der neuen Führungsschicht zumindest bis ins erste Drittel des 15. Jahrhunderts. Verfestigen konnten sich die neuen Herrschaftsstrukturen und die Beziehungsnetze der bürgerlichen Führungsschicht allerdings erst nach 1500.
Die Stadt und ihr Umland waren in vielfältiger Hinsicht aufeinander angewiesen (Stadt-Land-Beziehungen). An Transitstrecken durch das Voralpenland gelegene Städte waren nicht nur Lokal- oder Regionalmarkt, sondern profitierten auch vom Fernhandel. Tuchproduktion als Exportgewerbe entwickelte sich in Zürich ab dem 13. Jahrhundert, im ausgehenden Mittelalter auch in Freiburg oder St. Gallen. Genfs Entwicklung wurde im Spätmittelalter durch bedeutende Messen gefördert. Der wirtschaftliche Aufschwung der Städte ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war eine Voraussetzung für die Ausbildung von Territorialherrschaften. Bern zum Beispiel entwickelte sich im 15. und 16. Jahrhundert zum grössten Stadtstaat nördlich der Alpen, und auch Luzern, Zürich, Freiburg, Solothurn, Basel und Schaffhausen konnten ansehnliche Territorien erwerben. Mit der Arrondierung eines Herrschaftsgebiets wurde nicht allein die wirtschaftliche und kulturelle Zentrumsfunktion der Städte verstärkt, sondern auch ihre Rolle als Hauptsitz der Verwaltung. Die Territorialbildung bedingte gleichzeitig einen Rückzug der Städte aus dem Fernhandel.
Schätzungen zufolge zählten die meisten mittelalterlichen Städte im Gebiet der heutigen Schweiz weniger als 2000 Einwohner und gehörten somit zu den städtischen Kleinformen. Mittelstädte wie Luzern und Schaffhausen hatten zwischen 3000 und 5000 Einwohner, grössere Mittelstädte wie Bern, Zürich oder Freiburg eine Bevölkerungszahl zwischen 5000 und 7000. Allein Basel kann mit ca. 10'000 Einwohnern zu den mittelalterlichen Grossstädten gezählt werden. Während Basels Grundfläche ca. 130 ha aufwies, umfassten kleine Städte weniger als 20 ha.
Der Bevölkerungsanstieg zeigt sich in der baulichen Entwicklung der Städte (Städtebau). Ausgehend von älteren Siedlungskernen wuchsen die Städte vor allem entlang der Hauptverkehrsachsen. Bischofssitze (Basel, Chur, Lausanne, Genf), Klöster (St. Gallen, Schaffhausen), Stifte (Zürich, Solothurn, Zofingen), Pfarrkirchen (Zürich, Luzern, Basel), im 13. Jahrhundert entstehende Bettelordensklöster und Haupt- und Nebenmärkte bildeten Ausgangspunkte städtischen Wachstums. Zwar vergrösserte sich die Siedlungsfläche in mehreren Schüben, doch war der Stadtboden Ende des 15. Jahrhunderts keinesfalls vollständig überbaut. Vom 13. Jahrhundert an waren Stadtbefestigungen Kennzeichen der Städte. Sie wiesen die Stadt als einen aus dem Landrecht ausgegliederten Rechtsraum aus. Der Geltungsraum des Stadtrechts war aber in der Regel auf das Gebiet im Friedkreis, einem ausserhalb der Mauern liegenden Bereich im unmittelbaren Stadtumland, erweitert. In den älteren Städten entstanden Vorstädte bereits ab dem 13. Jahrhundert. Mit Flächenwachstum und Verdichtung der Stadt bildeten sich Quartiere. Diese dienten vor allem als Organisationseinheiten bei Wachtdienst und Stadtverteidigung sowie für die Einziehung von Steuern. Weder klare Soziotope von Handwerkern (Sozialtopografie) noch eine Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung lassen sich in den mittelalterlichen Städten der Schweiz feststellen. Handwerke, die auf spezifische topografische Bedingungen wie etwa fliessendes Gewässer angewiesen waren, konzentrierten sich jedoch in bestimmten Teilen der Stadt. Dauerhaft nahm lediglich der Hauptmarkt eine hervorragende Stellung innerhalb der bürgerlichen Raumbewertung ein (Märkte).
In Bauten spiegeln sich auch die Emanzipation des Stadtbürgertums sowie die Differenzierung der städtischen Wirtschaft und Gesellschaft wider. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts stand in entwickelteren Städten bereits ein Rathaus, in den kleineren Städten sind Rathäuser als polyfunktionale Gebäude meist erst seit dem 15. Jahrhundert nachgewiesen. Auch Produktions- und Verkaufsstätten des Gewerbes prägten das Stadtbild (Mühlen, Bäckereien, Metzgereien, Schmieden, Schustereien, Webereien usw.). Während in kleinen Städten lediglich ein Grundbedarf der Bürger garantiert wurde, entstanden in den grösseren Städten spezialisierte Handwerksbetriebe. Ab dem 13. Jahrhundert wurde der offene Marktverkehr zum Teil auf Kauf- und Lagerhäuser konzentriert, die der Kontrolle des Handels und dem Einzug von Zöllen und sonstigen Gebühren dienten. Handel fand zum Teil auch in den halböffentlichen Zunfthäusern oder – vielfach unkontrolliert – in Wirtshäusern statt. Die teilweise stattlichen Zunfthäuser (z.B. Zürich) hatten nicht nur wirtschaftliche Bedeutung, sondern waren auch gesellschaftliche und zum Teil politische Zentren. Schulen sind in vielen Städten – auch in städtischen Kleinformen – bereits im 13. Jahrhundert nachgewiesen. Als kommunale und stadtherrliche Einrichtungen entstanden Spital und Siechenhaus ab dem 13. Jahrhundert an den Ausfallstrassen. Badhäuser und Frauenhäuser am Stadtrand waren vielfach private, aber vom Rat kontrollierte Unternehmungen des ausgehenden Mittelalters. Zeughaus und Schützenhaus im unmittelbaren Stadtumland repräsentieren die zunehmende Organisation des städtischen Wehrwesens.
Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden städtische Lebensbereiche verstärkt reglementiert, so unter anderem die Wasserversorgung, die Entsorgung von Abwässern und die Bereitstellung von Holz, Steinen und Ziegeln für den bürgerlichen Hausbau. Feuer- und Bauordnungen reglementierten Brandschutz und Feuerbekämpfung sowie bauliche Massnahmen der Bürger.
Frühe Neuzeit
Neben den Städten, die eine eigenständige Verwaltung, ein besonderes Stadtrecht, die Konzentration von Handel und Gewerbe sowie Befestigungen aufwiesen, spielten ländliche Siedlungsformen in der frühen Neuzeit eine wichtige Rolle. Sie nahmen für ihre engere Umgebung immer mehr zentralörtliche Funktionen wahr, und ihre Bewohner orientierten sich an städtischen Lebensmustern. Flecken wie Altstätten, Glarus, Herisau, Herzogenbuchsee, Schwyz, Altdorf, Appenzell, Trogen, aber auch La Chaux-de-Fonds, Lugano und Locarno wurden somit wegen ihrer Bevölkerungszahl, Bevölkerungsdichte und der sich herausbildenden Oberschichtenkonzentration mit Städten vergleichbar.
In den Städten, in minderem Masse auch in den Flecken, wurde der Kreis der Regierenden immer enger (Aristokratisierung, Oligarchie). Neuaufnahmen ins städtische Bürgerrecht wurden stark eingeschränkt, und die einflussreichen Familien entzogen der Mehrheit der Bürger nach und nach das Recht, in den Rat gewählt zu werden. Schliesslich wurden wichtige Entscheidungen immer häufiger im Geheimen oder Kleinen Rat gefällt, der Grosse Rat verlor an Bedeutung. In Zürich, Basel, St. Gallen, Schaffhausen und auch in der Landstadt Biel konnten sich die Zünfte einen bestimmten Einfluss auf den Rat sichern (Zunftstädte). In Bern und in den katholischen Städteorten Luzern, Freiburg und Solothurn gelang es dagegen den regierenden Geschlechtern, ein abgeschlossenes Patriziat zu bilden (Patrizische Orte). Die nicht im Rat vertretenen Bürger wehrten sich zwar gegen diese Entwicklungen, erreichten jedoch wenig.
Die Städte intensivierten in der frühen Neuzeit ihre Regierungs- und Verwaltungstätigkeit. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begannen vor allem die Städteorte mit systematischen Kodifikationen von Gesetzessammlungen. Alltägliche Lebensbereiche wurden reglementiert (Sitte, Bildung, Armen- und Gesundheitswesen, Lebensmittelversorgung). Die städtische Verwaltung durchdrang auch das umliegende Land.
Die Einnahmequellen der Städte bestanden aus indirekten Steuern, Gebühren und Beiträgen; direkte Vermögenssteuern wurden nur zeitweilig erhoben. Im Spätmittelalter waren viele Städte verschuldet gewesen, ab 1500 zeichnete sich eine Wende zur Überschusswirtschaft ab. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Einnahmen aus den Bundes- und Soldverträgen. Die in den reformierten Orten säkularisierten Kirchen- und Klostergüter trugen dagegen nur bedingt zur Sanierung der Staatsfinanzen bei. Schwierig einzuschätzen ist die Bedeutung der Rückflüsse aus der Landschaft für den Finanzhaushalt der Städte.
Das vom Mittelalter übernommene Netz städtischer Jahrmärkte und Messen verdichtete sich in der frühen Neuzeit räumlich und zeitlich, die Landwirtschaft wurde zunehmend von der Stadt in Besitz genommen und reglementiert. Das Bank- und Finanzwesen war bis zum Ende des Ancien Régime fast ausschliesslich in Städten angesiedelt. Anfang des 16. Jahrhunderts zählten weitgehend auch Handwerk und Gewerbe zu den Privilegien der Städte. Nach 1500 bildeten sich dort restriktive Zunftwirtschaftsbedingungen aus. Mit dem Bevölkerungsanstieg des 16. Jahrhunderts vermehrten sich die Handwerker in den Dörfern und organisierten sich ebenfalls in Zünften, so unter anderem im Gebiet der Städte Bern, Luzern und Solothurn sowie in den Flecken Schwyz, Altdorf, Stans und Sarnen. Wichtig für die frühneuzeitliche Wirtschaft wurde das vor allem von Kaufleuten initiierte und kontrollierte Verlagssystem. Ab 1520 fasste es in Lugano und Locarno Fuss, ab den 1540er Jahren in Genf, später in Zürich und Basel; rund um St. Gallen entwickelte es sich aus dem selbstständigen Kleinhandwerk. In der Folge kam es zu einer von städtischen Verlegern gesteuerten Arbeitsteilung zwischen Stadthandwerkern und Landwebern oder weiblichen Hilfskräften. Bald verbreitete sich das Verlagssystem auch über die ursprünglichen Verlegerstädte hinaus. Die Verleger der Zunftstädte Basel und Zürich beanspruchten das Monopol des Verlags in ihren Territorien. In anderen Städten entstanden unabhängige Verlagshäuser. Um 1700 können in der heutigen Schweiz vier protoindustrielle Grossregionen unterschieden werden, die Gebiete um St. Gallen, Zürich, Basel und Genf.
Mit der Ansiedlung von Druckereien im 16. Jahrhundert wurden Städte zu Verteilern neuen Gedankenguts. Basel, das bis ins 19. Jahrhundert einzige Universitätsstadt im Gebiet der heutigen Schweiz war, wurde unter anderem wegen seiner führenden Rolle im Druckereiwesen Zentrum des Humanismus. Als Folge der religiösen Umbrüche des 16. Jahrhunderts entstanden in den reformierten Städten Zürich, Bern, Lausanne und Genf theologische Hochschulen, Jesuiten gründeten Schulen in Luzern, Freiburg, Pruntrut, Sitten, Brig und Solothurn. Die Alphabetisierung war in reformierten Städten grösser als in katholischen Städten und auf dem Land; die Unterschiede verringerten sich erst im 18. Jahrhundert. Vor allem in reformierten Städten entfalteten sich denn auch die Ideen der Aufklärung.
Der Urbanisierungsgrad im Gebiet der heutigen Schweiz schwankte von 1500 bis 1800 zwischen 5 und 8%. Werden auch die Kleinstädte mit weniger als 5000 Einwohnern und die Verwaltungszentren der Länderorte berücksichtigt, lag er um 1600 bei 16 bis 19%, um 1800 nur noch bei 12%. Grosse Städte gab es keine. Genf erreichte eine Bevölkerungszahl von 20'000 erst kurz vor 1750. Pläne für Stadtneugründungen, zum Beispiel Henripolis oder die Festungsstadt Versoix am Genfersee, kamen nicht über die Projektierungsphase hinaus. Nur die Gründung des damals noch savoyischen Carouge war ein Erfolg. Daneben blieben die meisten mittleren und kleineren Städte ländlich geprägt.
Demografisch waren die Städte auf das Umland angewiesen. Denn von wenigen Zeitabschnitten abgesehen starben in den Städten mehr Menschen als geboren wurden. Bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts lässt sich der Bevölkerungsanstieg in den grösseren Städten nur mit der Immigration in die Städte erklären; die Zugewanderten stammten überwiegend aus der näheren Umgebung. Auffällig ist das zahlenmässige Übergewicht der weiblichen Stadtbevölkerung, vor allem beim Dienstpersonal.
Die Städte veränderten im Zuge der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und administrativen Entwicklungen das Landschaftsbild. Sie liessen auf dem Land zahlreiche Strassen und Strassenerweiterungen anlegen. Amtshäuser, Domänen, Kornhäuser, Steuer- und Zollgebäude wurden von den städtischen Zentralverwaltungen ausgebaut. Die der Aristokratie bzw. dem Patriziat gehörenden Land- und Sommersitze sind weitere Zeichen städtischer Präsenz. Vorstädte entwickelten sich als Strassendörfer, in denen Gartenbau, Viehmast und spezialisierte Unternehmungen zur Versorgung der nahe gelegenen Stadt betrieben wurde. Hier lebten Tagelöhner, Kleinhandwerker, Gärtner, Rebleute und Bettler; bestimmte Gewerbe und Verlagsbetriebe waren dort angesiedelt, vom ausgehenden 17. Jahrhundert an auch Manufakturen, Spinnereien und Indiennedruckereien.
Innerhalb der Stadtmauern verdichtete sich in der frühen Neuzeit die Baustruktur. In grösseren Städten wurde die Grosstierhaltung vor die Tore der Stadt verlegt. Im späten 16. und im 17. Jahrhundert erstellten Genf, Schaffhausen, Bern, Solothurn und Zürich moderne Befestigungsanlagen. Die reformierten Städte richteten ihre Hochschulen meist in aufgehobenen Klöstern ein; in einigen katholischen Städten bauten die Jesuiten bis ins 18. Jahrhundert Kollegien und Kirchen. Beim Bau neuer Zeug- und Kornhäuser verband man das Nützliche mit repräsentativer Selbstdarstellung. Das gilt auch für die im Stil der Renaissance, des Barocks und des Klassizismus erstellten Wohn- und Geschäftshäuser zahlreicher Kaufleute und Verleger. Im Bereich der Wasserversorgung erlangten reiche Bürger hie und da individuelle Zuleitungen in die Innenhöfe ihrer Häuser. Ab dem späten 18. Jahrhundert – in Bern ab 1761 – wurden öffentliche Strassen und Plätze beleuchtet und Mist, Unrat und Abfall aus Abwasserkanälen und Gassen regelmässig entsorgt. Im Stadtinnern enstanden im 18. Jahrhundert erste Theater und Konzertsalons.
19. und 20. Jahrhundert
An der Schwelle zum 19. Jahrhundert war die Urbanisierung der Schweiz kaum fortgeschritten; nur gerade 42 Siedlungen mit 2000 oder mehr Einwohnern verkörperten zusammen das urbane Element. Dabei handelte es sich um Städte und Ortschaften mit Verwaltungsfunktionen (u.a. die Kantonshauptorte), um Marktorte und an Verkehrsachsen gelegene Städte sowie einige industriell-gewerblich geprägte Siedlungen. Nur die acht wichtigsten Städte, die über 5000 Einwohner zählten, übten aufgrund ihrer Rolle als Triebfeder des Handels und der industriellen Produktion einen Einfluss aus, der über das eigene Kantonsgebiet und dessen engen administrativen Rahmen hinausging. Mit der Helvetischen Revolution verloren die Städte 1798 jedoch ihre rechtlichen Privilegien, die ihre Vorrangstellung im soziopolitischen System der alten Eidgenossenschaft gesichert hatten. Sie waren von da an entsprechend dem Muster des revolutionären und napoleonischen Frankreichs nur mehr Gemeinden wie viele andere Orte auch; einzig die – jetzt meist nutzlos gewordenen – Festungsanlagen, die dem Stadtbild sein typisches Gepräge verliehen, erinnerten noch an frühere Glanzzeiten.
Die äusserliche Veränderung der Städte vollzog sich nach 1830 im Kontext der liberalen Bewegung. Die Umwälzungen in den 1830er Jahren führten die in der Revolutionszeit begonnene Entwicklung mit der Durchsetzung der politischen Gleichheit von Stadt und Land zu Ende. Für die Kantonshauptorte bedeutete dies den Abbruch der Stadtbefestigungen, der teils systematisch (Zürich ab 1833, Bern ab 1834, Genf ab 1849), teils symbolisch erfolgte, indem nur die Stadttore abgerissen wurden (St. Gallen 1835, Freiburg 1848). In jedem Fall bildete diese Öffnung einen entscheidenden Schritt in der Geschichte der Stadt: Infolge der raschen Bevölkerungszunahme ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Stadt, sich ungehindert auszudehnen und in die Landschaft hinaus zu wachsen, da die materiellen Grenzen zwischen Stadt und Land verschwunden waren. Die Diffusion des Urbanen in das Umland leitete die Entstehung beweglicher Organismen mit verwischten Grenzen ein, wie sie die Agglomerationen heute darstellen.
Die zunehmende Urbanisierung veränderte die Beziehungen der Städte untereinander und deren Positionen in einem hierarchisch strukturierten Netz. Nach 1850 kam es zu einer massiven Zunahme der Ortschaften mit 2000 bis 10'000 Einwohnern. 1910 zählte man bereits 89 Städte mit mehr als 5000 Einwohnern. Diese Erscheinung führte zu neuen Konzentrationen in immer stärker beanspruchten städtischen Ballungsräumen. Die durch den Bau der grossen Eisenbahnlinien von den 1850er bis in die 1870er Jahre verbesserte Erreichbarkeit der Städte war ausschlaggebend bei der Ausbildung einer neuen Rangordnung. Davon profitierten grosse Städte wie Basel, Zürich und St. Gallen sowie die Eisenbahnknotenpunkte wie zum Beispiel Olten. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich infolge der Dichte der Verflechtungen, der Dynamik der Aktivitäten und der starken Ausstrahlung der grossen Städte eine ausgedehnte städtische Zone im Mittelland ab, die man als helvetische «Bandstadt» bezeichnet und deren Metropole Zürich ist.
Sucht man nach den Auswirkungen der Industrialisierung auf diesen Konzentrations- und Hierarchisierungsprozess, so kommt man nicht um die Feststellung herum, dass sich die Städte in der erste Phase der industriellen Revolution nicht grundlegend verändert haben. Die Industrialisierung vollzog sich während des grössten Teils des 19. Jahrhunderts ausserhalb der Städte. So liessen sich etwa die mechanisierten Baumwollspinnereien, die auf Wasserkraft angewiesen waren, mehrheitlich in ländlichen Gebieten nieder. Die Ansiedlung von Fabriken in Dörfern erklärt indes auch den organischen Wachstumsprozess, welcher zur allmählichen Zunahme der Zahl kleiner und mittelgrosser Städte führte. Der durch die Industrie hervorgerufene Ballungseffekt wurde mit dem Aufkommen der Metall- und Maschinenindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich verstärkt. Dieser Industriezweig strukturierte die Landschaft aufgrund seines Bedarfs an Bodenflächen und Arbeitskräften sowie durch die benötigten Eisenbahnverbindungen. Winterthur ist ein typisches Beispiel für die Städte, deren Wachstum massgeblich durch die Industrie bestimmt wurde, ähnlich wie Arbon (1850 927 Einwohner, 1910 über 10'299), Rorschach, Biel und etwas später auch Renens. Die Industrie war jedoch nie ein ausschliesslich städtisches Phänomen. Trotz des hohen Industrialisierungs- und Urbanisierungsgrads der Schweiz waren noch 1930 nur 57,6% der Beschäftigten im Industrie- und Dienstleistungssektor Stadtbewohner – eine verglichen mit anderen europäischen Ländern relativ niedrige Quote.
Im 20. Jahrhundert waren es nicht mehr allein die industriellen Aktivitäten, die zu einer massiven Urbanisierung führten. Als zentraler Ort von Dienstleistungsangeboten spielte die Stadt eine ebenso wichtige Rolle bei der Vermehrung der Arbeitsplätze wie als Ort der industriellen Produktion. Abgesehen von einigen veritablen Industriestädten waren in den übrigen Städten der Schweiz um 1900 nur zwischen 45 und 50% aller Werktätigen im 2. Sektor beschäftigt. Danach nahm der Anteil der Stellen im 3. Sektor (v.a. Handel und Verkehr, aber auch Banken, Versicherungen und Tourismus) kontinuierlich zu, was sich erheblich auf die soziale Zusammensetzung der Stadtbevölkerung auswirkte. Vor 1850 lebten in den Städten vor allem gewerbliche Arbeitnehmer sowie zahlreiche Hausangestellte nebst vielen Personen, die im Handwerk und im Kleinhandel ihr Auskommen fanden. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der sogenannte Mittelstand herausgebildet, dem viele Angestellte angehörten, die eine neue soziale Statusgruppe darstellten. Obwohl kein ausschliesslich urbanes Phänomen, war diese gesellschaftliche Schicht, deren Vertreter neue Berufe aus den Bereichen Verkauf, Büro und Verwaltung oder Technik ausübten, sehr eng mit der Stadt verknüpft. So konzentrierten sich in der Zwischenkriegszeit 45% des Büropersonals, 40-50% des Verkaufspersonals und 30% der technischen Angestellten in den grossen Städten Zürich, Basel, Bern, Genf, Lausanne und St. Gallen, aber nur 17-23% der Arbeiterschaft. Die neu aufgekommenen Berufe veränderten die gesellschaftliche Struktur. Die Zahlen der Hausangestellten sowie der in Heimarbeit und im Kleinhandwerk Beschäftigten gingen zurück. Um 1925 machten in Basel die Arbeiter und die Angestellten je rund einen Drittel der arbeitstätigen Bevölkerung aus.
Noch spektakulärer wirkte sich die sogenannte Tertiarisierung in der Wachstumsphase ab 1960 aus: Damals lebten nur 46% der Gesamtbevölkerung in den Städten, die aber im 2. Sektor 55% und im 3. 68% aller Arbeitsplätze stellten. Zwischen 1960 und 1970 verzeichneten die Städte eine Zunahme von 30% an Arbeitsplätzen im 2. Sektor und über 68% an solchen im 3. Sektor. Somit traten wieder die ursprünglichen Vorzüge zutage, die das Wesen einer Stadt ausmachen: die Stadt als Markt für Güter und Dienstleistungen, als Kulturraum und als Ort der Wissensproduktion und des Informationsaustauschs.
Erscheinungen wie die massive Bevölkerungszunahme, die Vervielfachung der Städtezahl, die Auswirkungen der Industrialisierung und die Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen als Folgen neuer Produktionsweisen revolutionierten die städtischen Lebensformen, die von Ungewissheit und Mobilität geprägt sind. Diese Umschichtungen im 19. und 20. Jahrhundert führten zu einer Verjüngung der Stadtbevölkerungen, deren Zunahme durch positive Migrationsbilanzen der Städte wesentlich gefördert wurde. Gleichzeitig herrschte aber auch ein hohes Mass an Unbeständigkeit; nicht selten betrug die Zahl der in einem einzigen Jahr zu- bzw. wegziehenden Einwohner mehr als die Hälfte der ganzen Stadtbevölkerung. Die Stadt lockte massenweise Einwanderer an, von denen dann allerdings ein grosser Teil wieder weiterzog, um anderswo erneut ihr Glück zu versuchen. Liessen sie sich wegen einer Heirat dauerhaft nieder, so war das ein Erfolgszeichen und ein Hinweis auf eine beginnende Integration. In der Zwischenkriegszeit zeichnete sich ein Rückgang des zwischenstädtischen Nomadentums ab. Überdies erzeugten die Unsicherheit des Stadtlebens und die jahreszeitliche Befristung vieler Arbeitsverhältnisse – vor allem solcher von Frauen – ein hohes Mass an Mobilität innerhalb der Städte. Anfang des 20. Jahrhunderts wechselten in den grösseren Städten in 30-40% der Wohnungen innerhalb eines einzigen Jahres die Mieter. Oft zogen die Menschen aus, weil sie die Wohnungsmiete nicht mehr bezahlen konnten. Diese Unbeständigkeit schwächte sich mit zunehmender Sicherheit der Arbeitsplätze ab, zumindest in Zeiten wirtschaftlichen Wohlstands wie zum Teil in den 1920er Jahren und dann vor allem ab 1960. Schliesslich prägte eine weitere Form der Mobilität, nämlich das tägliche Pendeln, die urbane Lebensweise zunehmend (Pendler). Da die Bereitstellung erschwinglicher Verkehrsmittel wie elektrischer Strassenbahnen oder Fahrräder ab Ende des 19. Jahrhunderts die Trennung von Wohn- und Arbeitsort begünstigte, bevölkerten die Stadtbewohner nach und nach die Vororte, die sich in Schlafstädte verwandelten. Die Grünflächen zwischen der Stadt und den Vororten wurden allmählich überbaut, sodass die beiden miteinander verschmolzen und sich die Grenzen zwischen ihnen auflösten.
Nachdem die physischen Grenzen durch die Schleifung der Stadtmauern einmal beseitigt worden waren, ging man in einer ersten Phase dazu über, die Stadt auf Grund eines statistischen Schwellenwerts zu definieren. Dieser wurde 1882 auf 10'000 Einwohner festgelegt. Um der Expansion der Urbanisierung im Umkreis der bestehenden Städte Rechnung zu tragen, führten die Statistiker den Begriff der Agglomeration ein, der 1930 determiniert wurde. Agglomerationen sind demnach komplexe städtische Räume, bestehend aus den eigentlichen Städten, sub- sowie periurbanen Räumen und «urbanisierten» Landschaften. Dieser polyzentrische Raum entspricht heute den – so die Bezeichnung durch die amtliche Statistik – städtischen Gebieten, in denen 2000 73,3% der Bevölkerung lebten, insgesamt rund 50 Agglomerationen, in denen sich fünf Grosszentren abzeichnen (Zürich, Genf-Lausanne, Basel, Bern und Tessin).
Diese Realität – der immer stärker urbanisierte Raum und die allgemeine Verbreitung der städtischen Lebensweise – wurde von der politischen Kultur der Schweiz lange Zeit ausgeklammert. Beobachter des gesellschaftlichen Lebens betrachteten vom 19. Jahrhundert an die Urbanisierung und ihre Folgen aus einer Rousseau'schen Grundhaltung heraus stets mit Besorgnis. Sie verfolgten vor allem die negativen Aspekte des Stadtlebens aufmerksam und negierten dessen materielle und kulturelle Vorteile. Der Freiraum Stadt wurde als Ort mit vielfältigen Möglichkeiten wahrgenommen, sich von traditionellen Werten loszusagen oder gar abweichende oder deliktische Verhaltensweisen anzunehmen; in den Augen seiner Kritiker leistete er materiellem wie moralischem Elend Vorschub. Dass die grossen sozialen Konflikte in den Städten ausgetragen werden, dass die Städter schon früh im Vergleich zu der gesamten Wählerschaft eher für die politische Linke stimmten und dass die Städte in den beiden Weltkriegen stärker unter Unzufriedenheit, hervorgerufen durch Versorgungsschwierigkeiten, litten als die ländlichen Regionen, sind unbestrittene Tatsachen; sie reichen jedoch nicht aus, um das hartnäckige Fortbestehen von stadtfeindlichen Haltungen in der politischen Kultur der Schweiz und deren Furcht vor gesellschaftlichen Umstürzen zu erklären.
Seit rund zehn Jahren erleben die Stadt und urbane Werte in der Schweiz ein Revival, das sich auf vielfältige Weise manifestiert. Nachdem Städter jahrzehntelang von nichts anderem als einem Häuschen auf dem Lande geträumt haben, bekunden zu Beginn des 21. Jahrhunderts zahlreiche Personen eine Vorliebe für Formen gemeinschaftlichen Wohnens in einer städtisch geprägten Umgebung. Die Stadt war in der Raumordnungspolitik lange ins Abseits gedrängt worden (Raumplanung), bis sich der Bund 1996 für Massnahmen zur Vernetzung des «Städtesystems Schweiz» aussprach. Sogar der Begriff Stadt hatte lange Zeit im Wortschatz der Verwaltung gefehlt, in dem immer nur von Gemeinden und Ortschaften die Rede gewesen war. Heute gelangt er zu neuer Geltung; die «besondere Situation der Städte und der Agglomerationen» fand spezielle Erwähnung im Artikel 50 der neuen Bundesverfassung von 1999. Dieser Artikel ist zu einem guten Teil dem Einsatz des Schweizerischen Städteverbands zu verdanken. Dieser Verband, der 1897 zur Verbesserung der Kontakte unter den Städten gegründet worden ist, verteidigt heute die spezifischen Interessen seiner Mitglieder, so zum Beispiel in den Diskussionen um den Neuen Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen. Einige Vordenker erwägen in diesem Zusammenhang bereits die Möglichkeit, den Städten eine neue rechtliche Stellung zuzuerkennen, die sie im politischen Leben zu gleichwertigen Partnern von Kantonen und Gemeinden machen würde.
Quellen und Literatur
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