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Mortalität

Sterbeziffer

Wie die Fruchtbarkeit, die Natalität und die Nuptialität beeinflusst die Mortalität oder Sterblichkeit die Bevölkerungsentwicklung (Demografie, Bevölkerung). Sie kann mit der Sterbeziffer (Anzahl Verstorbener pro Jahr im Verhältnis zur durchschnittlichen Bevölkerungszahl) oder mit der Lebenserwartung (durchschnittliche Anzahl Lebensjahre, die einer Person zu einem gegebenen Zeitpunkt verbleiben) angegeben werden. Die Sterbeziffer, die sich erst seit Beginn der eidgenössischen Volkszählungen im Jahr 1850 berechnen lässt (1900 18‰, 2000 8,7‰), ist von der Altersstruktur der Bevölkerung abhängig. Deshalb ist die Lebenserwartung, die in der Schweiz seit 1876 erhoben wird, als Indikator für die Mortalität der Sterbeziffer vorzuziehen. Dieser statistische Hintergrund erklärt, weshalb im Folgenden das Augenmerk auf das 19. und 20. Jahrhundert gerichtet wird.

Säuglings- und Kindermortalität

In der Schweiz ist die Lebenserwartung bei der Geburt zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine der höchsten weltweit. Während sie 1880 bei etwas über 40 Jahren lag, erreichte sie 2006 84,0 Jahre für die Frauen und 79,1 Jahre für die Männer. Dieser Anstieg ist hauptsächlich durch den Rückgang der Säuglings- und Kindermortalität bedingt, der wiederum Fortschritten in der Hygiene und der Verbesserung der medizinischen Versorgung zuzuschreiben ist.

Die Säuglingsmortalität (Todesfälle der unter Einjährigen) nahm zwischen 1870 und 2006 von rund 210‰ auf 4,4‰ ab. Dieser Rückgang setzte im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern früh ein. Er vollzog sich schnell und spätestens ab 1871 kontinuierlich, sodass die Schweiz, die zuvor zu den Ländern mit hoher Säuglingsmortalität gezählt hatte, zu Beginn des Ersten Weltkriegs die fünftniedrigste Säuglingsmortalität in Europa aufwies. Die 100‰-Schwelle wurde 1912 unterschritten, die 50‰-Schwelle 1933. Die Krise der 1930er Jahre und der Zweite Weltkrieg bremsten diese Entwicklung. Zwischen 1947 und 1980 nahm die Säuglingsmortalität jedoch um drei Viertel von 39‰ auf 9‰ ab. Nach einer erneuten Verlangsamung in den 1980er Jahren ging sie bis 2004 weiter zurück.

Die Abnahme der Mortalität bei Kindern zwischen einem und fünf Jahren zeigte eine analoge Tendenz, nur verlief sie gleichmässiger und rascher. Bereits während des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts sank die Kindermortalität um 40%. Bis zum Zweiten Weltkrieg verringerte sie sich alle zehn Jahre um 30%, danach beschleunigte sich der Rückgang. Seit 1945 hat sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind vor seinem fünften Altersjahr stirbt, auf ein Sechstel reduziert. Bei Kindern zwischen einem und zehn Jahren liegt die Mortalität derzeit bei 1,4‰, wobei Unfälle die häufigste Todesursache sind.

Mortalität der Erwachsenen

Bei den Erwachsenen ging die Mortalität zwar erheblich, aber weniger rasch zurück als bei den Kindern. 1880 betrug die Wahrscheinlichkeit, dass ein 20-Jähriger 60 Jahre alt wurde, kaum mehr als 50%. 2007 lag sie für junge Männer bei 91%, für junge Frauen bei 95%. Bei den 20- bis 60-Jährigen belief sich der Rückgang der Mortalität bis 1920 auf nur 0,6% pro Jahr, wobei die Übersterblichkeit der Männer 20% betrug. Bis 2007 beschleunigte sich der Rückgang stärker bei den Frauen (80%) als bei den Männern (58%). Bei den 60- bis 80-jährigen Männern nahm die Mortalität bis 1940 um bescheidene 12% ab. Von 1940 bis 1990 ging die Wahrscheinlichkeit, im Alter zwischen 60 und 80 Jahren zu sterben, bei den Männern von 74% auf 51,3% und bei den Frauen von 65,8% auf 29,7% zurück. Die Übersterblichkeit der Männer nahm zwischen 1940 und 1990 von 11% auf 73% deutlich zu. Seit den 1990er Jahren verläuft diese Entwicklung jedoch in umgekehrter Richtung und der geschlechtsspezifische Unterschied bezüglich der Lebenserwartung bei der Geburt ist von 6,8 Jahren auf 4,9 Jahre (2006) zurückgegangen.

Die höhere Lebenserwartung der Frauen ist ein Phänomen, das nicht erst im 20. Jahrhundert auftrat. Allerdings war bis in die 1920er Jahre eine leichte Übersterblichkeit der Frauen im Pubertäts- und Mutterschaftsalter zu verzeichnen. Im 19. Jahrhundert war praktisch in allen Ländern eine zunehmende Übersterblichkeit der Mädchen zwischen 5 und 15 Jahren zu beobachten, die auf die Tuberkulose zurückzuführen war. Diese Benachteiligung verschlimmerte sich ab 1850, erreichte ihren Höhepunkt um die Jahrhundertwende und verschwand erst in den 1920er Jahren wieder. In der Schweiz betraf die Übersterblichkeit vor allem die Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren. Anfang des 20. Jahrhunderts war sie bei den 15-Jährigen am stärksten ausgeprägt (27%). In den 1920er Jahren wurde die Altersspanne kleiner (14-17 Jahre) und die Übersterblichkeit der Frauen betrug höchstens noch 5%. In derselben Periode entstand bei den Knaben zwischen 5 und 12 Jahren eine stetig zunehmende Übersterblichkeit.

Todesfälle und Lebenserwartung 1848-2006
Todesfälle und Lebenserwartung 1848-2006 […]

Die hohe Mortalität im Ancien Régime (Bevölkerungskrisen) war vor allem durch häufige Epidemien bedingt, die zu einer Verdoppelung bis Verfünffachung der Todesfälle führten, die zu zwei Dritteln tatsächlich auf Infektionskrankheiten zurückzuführen waren. Die Rolle der Ernährung (Versorgungskrisen) blieb zweitrangig und kann weder das Ausmass noch die Entwicklung der Mortalität erklären. Die Lebenserwartung bei der Geburt dürfte unter normalen Umständen zwischen 25 und 30 Jahren, in prähistorischer Zeit zwischen 20 und 30 Jahren betragen haben. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass im Ancien Régime unter günstigen Bedingungen eine mittlere Lebensspanne von 40 Jahren erreicht wurde. In der Genfer Landschaft betrug sie Mitte des 18. Jahrhunderts sogar 45 Jahre und stieg Anfang des 19. Jahrhunderts auf 51 Jahre an. Auf diesen ausgeprägten Rückgang der Mortalität, insbesondere der Kindermortalität, folgte Anfang der 1830er Jahre eine Periode der Stagnation, später der Zunahme der Säuglingsmortalität, die der Industrialisierung und der vermehrten Frauenarbeit zugeschrieben wird.

Geografische und konfessionelle Unterschiede

1920-1921 reichten die Extremwerte der Lebenserwartung bei der Geburt für Männer von 48,2 Jahren im Tessin bis 58,4 Jahre in Neuenburg und für Frauen von 50,4 Jahren im Tessin bis 62,3 Jahre in Basel-Stadt. 1969-1972 betrug die Differenz zwischen den Kantonen Genf und Wallis weniger als drei Lebensjahre. 1988-1993 wurden die Unterschiede noch geringer und glichen sich schliesslich aus. Die Stadtkantone lagen gegenüber den anderen Kantonen nicht mehr im Vorteil.

1920-1921 korrelierte der Anteil Katholiken an der Bevölkerung eines Kantons stark negativ mit der Lebenserwartung bei der Geburt (r = -0,88). In den acht Kantonen mit über 80% Katholiken (Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Luzern, Freiburg, Tessin und Wallis) betrug die Lebenserwartung durchwegs weniger als 53 Jahre. Dagegen belief sie sich in allen fünf Kantonen mit weniger als 25% Katholiken (Basel-Stadt, Zürich, Waadt, Bern und Neuenburg) auf 57 Jahre oder mehr. 1960 waren die Unterschiede zwar geringer geworden, aber nicht verschwunden.

Die Säuglingsmortalität ist der Hauptgrund für die von Kanton zu Kanton unterschiedliche Lebensdauer. Sie konnte in einem Kanton doppelt so hoch sein wie in einem anderen: 1871-1880 reichte sie von 169‰ (Genf) bis 301‰ (Appenzell-Innerrhoden), 1921-1930 von 45‰ (Zürich) bis 102‰ (Tessin) und 1961-1970 von 14,6‰ (Basel-Stadt) bis 28,1‰ (Nidwalden). Die Korrelation zwischen Säuglingsmortalität und prozentualem Katholikenanteil war im 19. Jahrhundert schwach, 1910-1980 deutlich positiv. Die Übersterblichkeit der Säuglinge in den katholischen Gebieten ist auch in früheren Zeiten schon zu beobachten. Im Kanton Glarus lag die Säuglingsmortalität im frühen 19. Jahrhundert im katholischen Näfels ein Drittel höher als im kaum 2 km entfernten reformierten Mollis.

Es wird allgemein anerkannt, dass die Mortalität in den höher gelegenen Regionen niedriger war. Als Gründe dafür werden die bessere Trinkwasserqualität und Ernährung sowie das dank kühlerem Klima geringere Risiko, sich mit Infektionskrankheiten anzustecken, angeführt. Ab Ende des 19. Jahrhunderts ging dieser relative Vorteil in den alpinen Regionen der Schweiz wieder verloren.

Während zwischen 1920 und 1921 sowie 1969 und 1972 die vorwiegend städtisch geprägten Kantone von günstigeren Lebensbedingungen profitierten, zeugen die für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts verfügbaren Daten von einer Säuglingsübersterblichkeit in den Städten. 1891-1910 bestanden zwischen der durchschnittlichen Säuglingsmortalität eines Kantons und derjenigen seiner Industriestädte ausgeprägte Unterschiede: So lag die Säuglingsmortalität der Stadt St. Gallen 13,6% über der des Kantons. Diese Differenz war in den weniger industrialisierten Städten wie Bern, Lausanne, Genf und Luzern wesentlich geringer oder die Städte befanden sich sogar im Vorteil. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war der Unterschied praktisch verschwunden. Die Städte hatten die negativen Auswirkungen der Industrialisierung vor allem durch die Sanierung der Trinkwasser- und Abwasseranlagen wettgemacht. Zwischen 1911 und 1940 lag die Säuglingsmortalität in den grösseren Schweizer Städten 10 bis 13% unter den kantonalen Mittelwerten.

Todesursachen

Todesursachen 1901-2004
Todesursachen 1901-2004 […]

Die Todesursachen werden seit 1901 von der eidgenössischen Statistik erfasst. 1901-1905 waren Infektions- und Parasitenkrankheiten für 22,3% der Todesfälle mit bekannter Ursache verantwortlich, gefolgt von Erkrankungen der Atemorgane (15,4%), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (13,4%), Erkrankungen des Verdauungssystems (11,3%) und Krebserkrankungen (7,7%). 2000 wurden 39,8% der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 24,8% durch bösartige Tumore und 7,4% durch Atemwegserkrankungen verursacht. Nur noch 1,1% der Todesfälle waren auf Infektionskrankheiten zurückzuführen. Der Anteil der unfall- und gewaltbedingten Todesfälle blieb stabil (1901-1905 5% und 2000 6% der Todesursachen), doch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gab es immer weniger durch Gewalt verursachte Todesfälle. Kamen 1901-1905 auf 100'000 lebende Personen 90 gewaltsame Todesfälle, waren es 2000 auf 100'000 Männer nur noch 63 und auf 100'000 Frauen noch 25. Selbstmorde gingen bei den Männern zurück und erhöhten sich bei den Frauen leicht. 1900-1905 wurden 41 bzw. 8 Selbstmorde auf 100'000 Personen, 2004 21,4 bzw. 9,3 gezählt.

Quellen und Literatur

  • P. Wanner, Sterbetafeln für die Schweiz 1988/1993, 1996
  • A. Perrenoud, «La mortalité», in Histoire des populations de l'Europe 1, 1997, 287-315
  • P. Wanner et al., «Mortalité par âges et causes de décès en Suisse», in European Journal of Population 13, 1997, 381-399
  • G. Calot et al., Deux siècles d'histoire démographique suisse, 1998
  • P. Fei et al., «Spécificités de la mortalité et de son évolution dans les cantons entre 1920/21 et 1988/93», in Geographica Helvetica 53, 1998, 3-16
  • A. Perrenoud, «Le recul de la mortalité "ordinaire"», in Histoire des populations de l'Europe 2, 1998, 57-81
Weblinks

Zitiervorschlag

Alfred Perrenoud: "Mortalität", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.01.2010, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007976/2010-01-26/, konsultiert am 06.10.2024.