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Pest

Bestattung von drei Pesttoten auf dem Kirchhof des Grossmünsters in Zürich, 1582. Aquarellierte Federzeichnung aus der 24-bändigen handschriftlichen Chronik des Zürcher Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 30, Fol. 11r).
Bestattung von drei Pesttoten auf dem Kirchhof des Grossmünsters in Zürich, 1582. Aquarellierte Federzeichnung aus der 24-bändigen handschriftlichen Chronik des Zürcher Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 30, Fol. 11r). […]

Bei der Pest handelt es sich um eine durch das Bakterium Yersinia pestis verursachte Infektionskrankheit, die ab Mitte des 14. Jahrhunderts bis in die späten 1660er Jahre in periodisch wiederkehrenden Seuchenzügen die Schweiz heimsuchte. Die Infektionsmechanismen wurden indessen erst nach der Entdeckung des Pestbazillus 1894 in Hongkong durch Alexandre Yersin herausgefunden. Wild lebende Nagetiere (v.a. Ratten und Mäuse) bilden das natürliche Erregerreservoir, die Übertragung geschieht durch infizierte Flöhe, welche auch Menschen anstecken. Charakteristische Zeichen sind die nach einigen Tagen auftretenden Schwellungen der Lymphknoten, die Pestbeulen. Breitet sich die Krankheit aus und wird auch die Lunge befallen, kann sich die Pest über Tröpfcheninfektion als Lungenpest direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Je nach Schweregrad führte die Pest nach wenigen Tagen oder Wochen zum Tod. Höchstens jeder fünfte an Beulenpest Erkrankte überlebte die Seuche und entwickelte eine Resistenz. Die Pest tritt auch heute noch endemisch in Nagerpopulationen Asiens und Amerikas auf und führt jedes Jahr weltweit zu einigen tausend Infektionsfällen bei Menschen.

Die erste grosse Pestwelle traf kurz vor Mitte des 14. Jahrhunderts ganz Europa heftig und unvorbereitet. Der Schwarze Tod erreichte die Schweiz Ende 1347 von Süden her im Rhonetal und im Tessin. 1348 brach die Pest in den Städten des Mittellands aus. Danach blieb sie eine ständige Bedrohung: Alle 10 bis 20 Jahre traten grössere oder kleinere Epidemien auf. Die Eintrittspforten waren vor allem die Verkehrs- und Handelswege von Norden her über Basel und aus dem Westen über Genf. Hauptsächlich entlang der Transitrouten forderte die Pest ihre Opfer auch in Graubünden und im Tessin. Durch viele regionale Ausbrüche war die Westschweiz am meisten, die Süd- und Zentralschweiz am wenigsten betroffen. 1519, 1541, 1611 sowie 1630 wurde die gesamte Eidgenossenschaft von Epidemien heimgesucht. Dabei handelte es sich meist um die über den Menschenfloh verbreitete Beulenpest. Die direkt von Mensch zu Mensch übertragene Form der Lungenpest war vermutlich weit weniger häufig.

Heiliger Rochus. Skulptur aus Holz, gefasst. Unbekannter Künstler, um 1500 (Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, Peyersche Tobias Stimmer-Stiftung).
Heiliger Rochus. Skulptur aus Holz, gefasst. Unbekannter Künstler, um 1500 (Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, Peyersche Tobias Stimmer-Stiftung). […]

Das Krankheitsbild der Pest und die hohe Mortalität jagten den Menschen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit grosse Angst ein. Primär wurde die Seuche als Strafe Gottes für die sündige Menschheit interpretiert. Doch der Glaube an Gott, die Fürbitte bei Jesus, Maria und den Heiligen, vor allem Sebastian und Rochus (Heiligenverehrung, Volksfrömmigkeit) boten Stärkung und Zuflucht. Die Kirche organisierte Bitt- und Bussprozessionen. Die Gründung von Bruderschaften, Kapellenstiftungen oder Vergabungen für die Armen gehörten ebenso zu den indirekten Massnahmen gegen die Pest. Die Phänomene der Geisslerzüge (Ketzer) und der Judenverfolgung (Antisemitismus) traten in der Schweiz insbesondere 1348-1350 im Kontext der sozialen Erschütterungen durch die Pestepidemien auf; mindestens 28 jüdische Gemeinden wurden zerstört.

Ab dem Mittelalter versuchten zwei konkurrierende Lehrmeinungen das Entstehen der Pestepidemien zu erklären: Nach der Miasmatheorie verdarben pesterzeugende Stoffe die Luft und führten zu lokal begrenzten, gehäuften Erkrankungen der Menschen. Dagegen fusste die Kontagionslehre auf der Erfahrung der Ansteckbarkeit der Pest. Das Pestgift – über dessen Natur vor der Entdeckung der Mikroorganismen nur spekuliert werden konnte – wurde direkt oder über sogenannte giftfähige Waren von Mensch zu Mensch übertragen. Entsprechend unterschiedlich waren die empfohlenen prophylaktischen Massnahmen: Aufgrund der Miasmatheorie sollte man aus Gegenden mit verdorbener Luft wegziehen. Die Kontagionslehre dagegen setzte auf eine Vermeidung der Übertragung des Pestgifts, besonders durch die Isolation der Kranken sowie die Überwachung des Personen- und Warenverkehrs aus infizierten Gegenden. Als Massnahmen gegen die Pest im Fall einer Erkrankung empfahlen die mittelalterlichen Heilkundigen eine richtige Lebensführung, Aderlass und Arzneien entsprechend der Säftelehre zur Stärkung des Organismus. Dazu kam das Aufschneiden der Pestbeulen.

Die demografischen Folgen der Pestepidemien waren verheerend (Bevölkerungskrisen). 1349 raffte die Pest in Saint-Maurice ein knappes Drittel der Bevölkerung dahin. Die europäische Gesamtsterblichkeit wird auf 25-50% geschätzt. Genf, 1568-1572 vom schlimmsten Pestzug betroffen, begrub innerhalb von vier Jahren über 3000 Pesttote, wobei die Seuche im Sommer und speziell im August die meisten Opfer forderte. In der Stadt St. Gallen starben an der Pest 1585 etwa 7% und 1629 rund 30% der Bevölkerung. Nach dem Pestbericht des Basler Stadtarztes Felix Platter für die Epidemie von 1610-1611 erkrankten 50,5% der Einwohner, 62% davon (oder 31,4% der Gesamtbevölkerung) starben. Dabei waren Männer und Frauen meist gleichermassen betroffen. Der Rückgang der Bevölkerung wirkte sich in der Stadt und auf dem Land unterschiedlich aus. Die Städte konnten etwa durch vergünstigte Einbürgerungen die durch die Pest entstandenen Lücken schneller schliessen. Die wirtschaftlichen Folgen insbesondere auf die Landwirtschaft und innerhalb der ländlichen Gesellschaft wurden als Agrarkrise oder Krise des Spätmittelalters analysiert.

Um die Versorgung der Pestkranken kümmerten sich Stadtärzte, Scherer, weltliche und geistliche Institutionen. Nebst den Siechenhäusern nahmen temporär errichtete Holzbauten oder bereits bestehende, ausserhalb der Siedlungen gelegene Gebäude, zum Beispiel aufgehobene Klöster, die Kranken auf. Seltener wurden eigentliche Pestspitäler – Zeichen einer aktiven städtischen Pestpolitik – wie das Spital Saint-Roch in Lausanne (1495) errichtet. Für die Sicherung des Seelenheils sorgte etwa in Zug 1492 die Sebastians-Bruderschaft, die sich um Begräbnisse, Messlesungen und Seelenheil der Pesttoten kümmerte.

Individuelle Massnahmen erwiesen sich als wenig hilfreich; die Flucht war nur für wenige möglich. Die Zuständigkeit der Behörden für die Organisation der Pestabwehr wurde anerkannt, was vor allem in Städten zur Schaffung von Sanitätsräten führte. Wegweisend für die Entwicklung von Pestreglementen waren die exponierten norditalienischen Städte Mailand und Venedig, die zum Beispiel mit Bern und Zürich zusammenarbeiteten. Ihrem Vorbild folgte die erste bekannte Pestordnung in der Schweiz von Renward Cysat in Luzern von 1580. Bereits 1571 veröffentlichte der Lausanner Stadtarzt Jacques Aubert ein Pesttraktat. In Sitten erarbeitete der Stadtarzt Constantin a Castello 1629 ein Pestreglement. In Schaffhausen verfasste Johannes Ammann, der spätere Stadtarzt, 1667 eine Pestschrift. Künstlerisch fand die Pest ihren Ausdruck in Form zahlreicher Totentanzdarstellungen.

Der letzte schweizerische Pestzug 1665-1670
Der letzte schweizerische Pestzug 1665-1670 […]

Entsprechend der Miasmalehre wurden Massnahmen zur Luftreinigung oder zur Verbesserung der öffentlichen Hygiene – etwa die Entfernung der Misthaufen aus der Stadt – ergriffen. Friedhöfe wurden ab dem 16. Jahrhundert zunehmend an einen Platz ausserhalb der Wohngebiete verlegt. Mit der Verbreitung der Kontagionslehre im 17. Jahrhundert erfolgten weiter reichende wirksame Massnahmen. Über Orte, in denen die Pest wütete, wurde der «Bando», eine Grenzsperre, verhängt, um den Personen- und Warenverkehr zu unterbrechen. Durch die Sperrung der Verkehrswege, welche die Innerschweiz aufgrund des Drucks von Mailand durchführte, blieben ihre Gebiete während der letzten Pestwelle von 1665-1670 pestfrei, während Basel als wichtige Handelsstadt weniger konsequent verfuhr und von einer Epidemie heimgesucht wurde. 1629 blieb die Stadt Luzern im Gegensatz zur Landschaft pestfrei; gleiches gilt für Bern und Zürich in den Epidemien 1667-1670. Die Pest 1633-1636 erreichte die Zentralschweiz nicht mehr (mit Ausnahme von Obwalden), die letzte Welle ab 1667 nur noch die reformierten Gegenden wie Basel, Schaffhausen, Aargau, die Landschaften Zürich und Bern, dort bis hinauf ins Oberland, wo sie 1670 erlosch. Als fünfzig Jahre später die Pest von Marseille aus die Schweiz erneut bedrohte, beschloss eine ausserordentliche Tagsatzung im Oktober 1720 Abwehrmassnahmen, was zu Spannungen mit den angrenzenden französischen Gebieten führte. Wie ernst die Bedrohung der Pest auch später noch genommen wurde, zeigt ein Erlass des Bundesrats zum Vorgehen bei Pestverdacht von 1900.

Quellen und Literatur

  • E. Olivier, Médecine et santé dans le pays de Vaud 2, 1962, 580-634
  • O. Sigg, «Die drei Pestzüge in Ossingen 1611/12, 1629/30 und 1634», in 2. Basler Pestkolloquium vom 3. Juni 1978, [1978]
  • S. Bucher, Die Pest in der Ostschweiz, 1979
  • A. Perrenoud, La population de Genève du seizième au début du dix-neuvième siècle, 1979, 446-454
  • H. Koelbing, «Zur Geschichte der Pest in der Schweiz», in JbSolG 57, 1984, 5-12
  • A. Gili, «L'uomo, il topo e la pulce: epidemie di peste nei territori ticinesi, avamposti naturali del cordone sanitario dello Stato di Milano verso i Paesi svizzeri (XV-XVII s.)», in Pagine storiche luganesi, 1986, Nr. 2, 7-254
  • F. Hatje, Leben und Sterben im Zeitalter der Pest, 1992
  • LexMA 6, 1915-1921
  • H. Kupferschmidt, Die Epidemiologie der Pest, 1993
  • Pest, hg. von M. Meier, 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Roger Seiler: "Pest", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007980/2010-09-27/, konsultiert am 19.03.2024.