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Schweizer Kolonien

Bild auf dem Frontispiz einer Broschüre der Auswanderungsagentur Bonetti in Locarno, 1904 (Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona).
Bild auf dem Frontispiz einer Broschüre der Auswanderungsagentur Bonetti in Locarno, 1904 (Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona).

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war die Auswanderung ein wesentlicher Faktor der Bevölkerungsentwicklung der Schweiz. Zu den verschiedenen Motiven für eine Emigration gehörte auch die Absicht mancher Auswanderergruppen, eine Schweizer Kolonie zu gründen. Solche Gründungen in meist von grossen Kolonialmächten (Kolonialismus) beherrschten Gebieten erfolgten aus patriotischen, ja utopischen Überlegungen. Manche Schweizer Kolonien sollten als Vorposten der Mission, der Zivilisation oder als Brückenköpfe für eine schweizerische Expansion dienen, andere Schweizer Kolonien sollten bessere Lebensbedingungen als die von Pauperismus, Bevölkerungsdruck oder Agrar- und Industriekrisen geprägte Schweiz bieten. Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden durch die jeweiligen Herrscher unterstützte Siedlungen in Ostpreussen und in der spanischen Sierra Morena. Anfang des 19. Jahrhunderts förderte der Zar die Niederlassung von Einwanderern an der Schwarzmeerküste: 1803 wurde dort Zürichtal, 1822 von Waadtländern das Winzerdorf Chabag gegründet. Die europäische Expansion begünstigte Emigrationsprojekte. So erstellte Jean Pierre Pury im Dienst der Niederländisch-Ostindischen Kompanie Siedlungspläne für Südafrika und Neuholland (Australien). Schliesslich gründete er 1731 in South Carolina Purrysburg. Berner und Zürcher Emigranten liessen sich im Südosten der späteren USA nieder. In den 1840er Jahren gründete John Sutter in Kalifornien Neu-Helvetien. Der Goldrausch wurde dieser bedeutenden Schweizer Kolonie bald zum Verhängnis. Später liessen sich zahlreiche Tessiner in Kalifornien nieder.

Das Postgebäude der Stadt Vevay in Indiana. Foto von Paul Senn, aufgenommen auf einer Reportagereise in die USA von 1946 für die Schweizer Illustrierte (Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Bern) © Gottfried Keller-Stiftung.
Das Postgebäude der Stadt Vevay in Indiana. Foto von Paul Senn, aufgenommen auf einer Reportagereise in die USA von 1946 für die Schweizer Illustrierte (Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Bern) © Gottfried Keller-Stiftung.

Im 19. Jahrhundert waren die Vereinigten Staaten das Hauptziel der Schweizer Auswanderer: 1803 entstand Nouvelle Vevay in Indiana (heute New Vevay), 1831 New Switzerland in Illinois, 1845 New Glarus in Wisconsin. Trotz Hürden und Misserfolgen folgten viele weitere Siedlungen. Zahlreiche Kultur-, Wohltätigkeits- und Heimatvereine sowie ein gut ausgebautes Konsularwesen unterstützten die Schweizer beim Aufbau ihres neuen Lebens in den USA. Auch in Lateinamerika entstanden Schweizer Kolonien, so etwa 1819 Nova Friburgo in Brasilien. In Argentinien prägten Schweizer die Provinz Santa Fè 1857-1890 entscheidend. Dieser wirtschaftliche Erfolg regte die Gründung der Kolonien Nueva Helvecia 1861 und Nouvelle Berne 1869 in Uruguay an. Wie in den USA hielten weder die Akkulturation noch politische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten die Emigranten davon ab, sich in Schützengesellschaften, Gesangs- und Wohltätigkeitsvereinen zu treffen und den Zusammenhalt untereinander zu festigen. Die Kolonisierung Afrikas schuf neue Emigrationsräume: So versuchten sich etwa im Zuge der französischen Eroberungen in Nordafrika auch Schweizer mit Kolonisations- und Missionsprojekten. Zu den erfolgreichen zählte die von einer Genfer Gesellschaft betriebene Kolonie Sétif in Algerien; die Gesellschaft erhielt 1853 eine kaiserliche Konzession.

Im 20. Jahrhundert kämpften Schweizer Kolonien vor allem in Lateinamerika oder in der UdSSR mit schwierigen Bedingungen. Institutionen wie die Neue Helvetische Gesellschaft versuchten daraufhin, die Auslandschweizer von der Schweiz aus zu unterstützen. Insgesamt liess die Emigration nach und es wurden keine neuen Schweizer Kolonien mehr gegründet.

Quellen und Literatur

  • L. Schelbert, Einführung in die schweiz. Auswanderungsgesch. der Neuzeit, 1976
  • G. Arlettaz, «Emigration et colonisation suisses en Amérique, 1815-1918», in SQ 5, 1979, 3-236
  • O. Grivat, Les vignerons suisses du tsar, 1993
  • L.-E. Roulet, «Jean-Pierre Pury et ses projets de colonies en Afrique du Sud et en Australie», in MN, 1994, 49-63
  • L.M. Schneider, Die Politik des Bundes gegenüber projektierten Kolonisationsunternehmen in Argentinien und Brasilien, 1998
  • C. Lützelschwab, La Compagnie genevoise des Colonies suisses de Sétif (1853-1956), 2006
Weblinks

Zitiervorschlag

Marc Perrenoud: "Schweizer Kolonien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.10.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007989/2011-10-13/, konsultiert am 28.03.2024.