Die Epochenbezeichnungen Paläolithikum und Neolithikum wurden 1865 vom britischen Naturforscher John Lubbock eingeführt. Er unterteilte die Steinzeit basierend auf der Werkzeugtechnologie in ein Zeitalter des behauenen Steins (Paläolithikum) und des geschliffenen Steins (Neolithikum). In der aktuellen Forschung werden die beiden Epochen über die Lebensweise der Menschen definiert: In der ältesten Periode der Steinzeit (Paläolithikum) lebten die Menschen in umherziehenden Gruppen, die ihre Nahrung hauptsächlich durch Jagd, Fischerei und Sammelwirtschaft beschafften. In der jüngsten Periode der Steinzeit (Jungsteinzeit) begannen die Menschen Ackerbau und später Viehzucht(Viehwirtschaft) zu betreiben und wurden sesshaft. Weiterhin deckten Jagd, Fischerei und Sammelwirtschaft einen Teil der Nahrungsversorgung ab, insbesondere in Krisenzeiten (z.B. bei Missernten). Gegen Ende des Neolithikums kommt mit Kupfer ein neuer Rohstoff auf, der vorerst aber nur rein und noch nicht für Bronzelegierungen aus Kupfer und Zinn verwendet wurde. Letztere charakterisieren die Bronzezeit, die auf das Neolithikum folgt.
Ausbreitung neolithischer Lebensformen
[…]
Ausbreitung neolithischer Lebensformen
[…]
Das Neolithikum ist in den verschiedenen geografischen Räumen unterschiedlich datiert. In der Schweiz dauerte es – einschliesslich der ihm zugeordneten Kupferzeit – etwa von 6500 bis 2200 v.Chr.Das naturräumlich stark gegliederte Gebiet der Schweiz (Rhonetal/Westschweiz, Nordostschweiz, Alpenrheintal/Graubünden, Alpen, Tessin und Wallis) weist wegen seines umfangreichen, gut datierten und regional unterschiedlichen Fundmaterials für die europäische Neolithikumsforschung enormes Potenzial auf.
Das Schweizer Mittelland mit seinen Seen und Mooren bietet ideale Erhaltungsbedingungen für archäologische Überreste. Im anhaltend feuchten Milieu der Ufersiedlungen und unter Luftabschluss blieben im Boden neben Funden aus dauerhaften Materialien (z.B. Stein und Keramik) über Jahrtausende auch zahlreiche Reste von Dörfern sowie von Objekten und Nahrungsmitteln aus organischem Material erhalten. Nach der Absenkung der grossen Seen Mitte des 19. Jahrhunderts inspirierten die aus den Strandplatten herausragenden Holzpfähle von ehemaligen Ufersiedlungen Ferdinand Keller zur populären, jedoch mittlerweile überholten Pfahlbauertheorie.
Aufgrund der Grabungen am Moossee (Moosseedorf) erkannte Frédéric Troyon 1857, kurz nach der Lancierung der Pfahlbautheorie, weltweit als Erster, dass es schon in der Steinzeit Ackerbau und Viehzucht gegeben hatte. Damit waren alle Elemente bekannt, die das Neolithikum während etwa 100 Jahren definieren sollten: Ackerbau, Viehzucht, Steinbeile und Keramik. Erst die Ausgrabungen der britischen Archäologin Kathleen Mary Kenyon in Jericho 1952-1956 haben den Nachweis eines präkeramischen Neolithikums mit Ackerbau bzw. mit Ackerbau und Viehzucht als Vorläuferperioden des keramischen Neolithikums erbracht.
Die zeitliche Gliederung des Neolithikums machte sehr langsame Fortschritte. Jakob Heierli unterschied beispielsweise 1901 nur drei neolithische Phasen, wobei er sich bezüglich der Reihenfolge der ersten zwei noch irrte. Erst Paul Vouga (1929) und Emil Vogt (ab 1934) haben die chronologische und regionale Gliederung für das Gebiet der heutigen Schweiz erarbeitet, auf der die heutige Forschung teilweise noch immer aufbaut. Die relative Chronologie beruht in erster Linie auf den stratigrafischen Resultaten der Ausgrabungen von Delley - Portalban (1962-1979), von Twann - Bahnhof (1974-1976) und von Zürich - Kleiner Hafner (1981-1984) sowie auf der Anwendung der Dendrochronologie (Datierung). Noch Mitte der 1990er Jahre hat die Forschung sich in der Schweiz aber nur mit dem keramischen Neolithikum beschäftigt, denn erst durch Untersuchungen zur Vegetationsgeschichte (Pollenanalyse) wurde eine Vorläuferphase mit Ackerbau, aber ohne Viehzucht und Keramik fassbar, die nach der klassischen Terminologie ins späte Mesolithikum fällt, hier aber als präkeramisches Neolithikum behandelt wird. Auch eine jüngere präkeramische Phase mit Ackerbau und Viehzucht muss für das Gebiet der heutigen Schweiz noch vor dem keramischen Neolithikum angenommen werden, ist aber bisher in den wenigen Fundstellen aus dieser Zeit nicht nachweisbar.
Doppelseite aus Emil VogtsPfahlbaustudien von 1954 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Nq 75082).
[…]
Naturwissenschaftliche Methoden bilden heute einen wesentlichen Teil der archäologischen Forschung (Archäologie): Mittels Radiokarbondatierungen und Dendrochronologie können Schichtablagerungen und Funde absolut datiert werden. Die jahrgenaue Bestimmung der Schlagjahre von Bäumen ermöglicht, aus datierten Pfählen Hausgrundrisse und Baugeschichten von Siedlungen zu rekonstruieren. Dendrotypologische Untersuchungen von Baumarten und deren Wachstumsmuster geben Auskunft über die Waldbestände sowie derenBewirtschaftung und helfen bei der Rekonstruktion von Klima und Umwelt, ebenso wie Pollenanalyse und Geoarchäologie. Analysen der Tierknochen und der Pflanzenreste (Archäobiologie) verweisen auf die genutzten Nahrungsressourcen, die Vegetation im Umfeld der Siedlungen und Fortschritte bei der Vieh- und Pflanzenzucht (Flora, Fauna). Die Untersuchung menschlicher Überreste (Anthropologie) informiert über Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand (Paläopathologie) unserer Vorfahren. Weitere sich in den letzten Jahren rasant entwickelnde Methoden wie die Genetik (ancient DNA) oder die Isotopenanalyse vermitteln Kenntnisse über Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse sowie zu Aufenthaltsorten und Mobilität oder Ernährungsgewohnheiten von Menschen und Tieren. Anhand von Materialanalysen können schliesslich die verwendeten Rohstoffe sowie deren Herkunft bestimmt und auf dieser Basis Handelsnetzwerke und indirekt menschliche Mobilität rekonstruiert werden. Neben Eingriffen in den Boden(Ausgrabungen, Sondierschlitzen, Kernbohrungen) liefern verschiedene nicht invasive Prospektionstechniken wie Geophysik, Fernerkundung oder Side Scan SonarEinblicke in das Erdreich.
Periodisierung und Regionalität
Quellenlage
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Die neolithischen Funde und Befunde sind äusserst ungleich über die Jahrhunderte und über das Gebiet der heutigen Schweiz verteilt. Die Zeit zwischen 4300 und 2400 v.Chr. ist im Schweizer Mittelland dank zahlreicher Ufersiedlungen sehr gut belegt;trotz kürzerer und längerer Fundlücken ist das Mittelland diesbezüglich eines der reichsten Fundgebiete in ganz Europa. Die Spuren von Siedlungen abseits der Seeufer sind im trockenen Boden deutlich schlechter erhalten, auch weil sie durch nachfolgende Landnutzung zerstört und überprägt wurden. Auf sie verweisen häufig nur typologisch datierbare Einzelfunde aus dauerhaften Materialien wie Steinbeilklingen und Keramikscherben (Keramik) oder kaum erkennbare Verfärbungen von Strukturen und Ablagerungen im Boden. Besser erhalten blieben einerseits die Reste einiger Siedlungen im Rhein-, Rhone- und Tessintal, die ab dem Frühneolithikum auf flachen Hügeln errichtet wurden, sowie andererseits solche auf Lössboden am Nordrand der heutigen Schweiz. Neben den Siedlungen geben vereinzelte Bestattungen Einblicke in die damalige Gesellschaft. Die Gräber können allerdings bisher nur in den seltensten Fällen mit den bekannten Siedlungen in Verbindung gebracht werden. Auf Ritual- und Kultorte weisen unter anderem Stelen, Menhire und Felszeichnungen hin, auch wenn bei Letzteren die Datierung meist schwierig ist. Weiter sind vereinzelt Abbaustellen für Rohmaterial (v.a. Silex) bekannt, denen gewisse Funde mittels Materialanalysen zugewiesen werden können. Das Vorkommen von Funden aus nicht lokalen Rohmaterialien belegt somit Netzwerke zwischen verschiedenen näher und weiter entfernten Regionen. Für Untersuchungen zur Umwelt- und Klimageschichte bilden Seesedimente und Bodenproben geeignete Quellen (Klimatologie).
Für die Zeiträume vor und nach der Periode mit Feuchtbodensiedlungen ist die Quellenlage dagegen schlecht. Vor allem aus der Zeit zwischen 6500 und 4300 v.Chr. gibt es nur spärliche Spuren und diese können meist nur anhand des Vergleichs mit Material aus dem Ausland eingeordnet werden. Etwas mehr Funde liegen aus der Zeit zwischen 2400 und 2200 v.Chr. vor.
Die «archäologische Kultur» als begriffliches Ordnungsinstrument
Autorin/Autor:
Regine Stapfer
Die frühe frankophone Neolithikumsforschung – unter anderem Paul Vouga in der Westschweiz – gliederte das Fundmaterial in Stufen, während die deutschsprachige Wissenschaft entsprechend sogenannter archäologischer Kulturen klassifizierte. Seit Ende des 20. Jahrhunderts hat sich der Gebrauch von Kulturnamen, die zufällig in einer langen Forschungsgeschichte wegen einer Eigenheit des Keramikstils oder eines Fundorts mit einem spezifischen Keramikstil geprägt wurden und hauptsächlich auf der materiellen Kultur vor allem der Keramik beruhen, weitgehend durchgesetzt. Im Wissen darum, dass solche Kulturen nicht mit ethnischen Gruppierungen gleichzusetzen sind, werden diese Kulturbegriffe im Sinne eines terminus technicus zur räumlich-zeitlichen Gliederung verwendet, da sich eine Systematisierung für die räumlich-zeitliche Ordnung des schweizerischen Neolithikums bisher nicht durchgesetzt hat. Die eingebürgerten Kulturbegriffe ermöglichen Vergleiche mit älterer Literatur und einen Überblick über die räumliche und zeitliche Einordnung von Funden und Befunden. Parallel zu den regional unterschiedlichen Kulturbegriffen existiert in der Schweizer Forschungsliteratur eine Gliederung in fünf Zeitstufen. Für die Deutschschweiz: Alt-/Frühneolithikum (ca. 5400-5000 v.Chr.), Mittelneolithikum (ca. 5000-4300 v.Chr., Jungneolithikum (ca. 4300-3300 v.Chr.), Spätneolithikum (ca. 3300-2800 v.Chr.) und Endneolithikum (ca. 2800-2200 v.Chr.). Für die Westschweiz: Néolithique ancien (ca. 5400-4300 v.Chr.), Néolithique moyen I (ca. 4300-3900 v.Chr.), Néolithique moyen II (ca. 3900-3300 v.Chr.), Néolithique récent (ca. 3300-2800 v.Chr.) et Néolithique final (ca. 2800-2200 v.Chr.).
Durch die Zunahme von Fundstellen mit gut datierten Funden zeichnen sich über kleinere und grössere Regionen einerseits stilistische Ähnlichkeiten und Unterschiede und andererseits kontinuierliche Entwicklungen und Brüche im Laufe der Zeit ab. Weiter zeigt die Untersuchung des Fundmaterials mit verschiedenen (naturwissenschaftlichen) Methoden, dass neben der grossen Masse der für eine Zeit und Region typischen Objekte in zahlreichen Fundstellen Stücke vorkommen, die stilistisch, technologisch oder aufgrund ihrer Rohstoffe an andere Regionen erinnern. Dies lässt sich nur durch den Austausch und die Mobilität zwischen Siedlungsgemeinschaften verschiedener und zum Teil weit entfernter Regionen über einen längeren Zeitraum erklären.
Bezüge zu benachbarten Regionen sind häufig fassbar und machen nicht an den heutigen Landesgrenzen halt. Das Fundmaterial erlaubt eine grobe Unterscheidung von sozialen Gruppen, die sich eher nach Südwesten, Süden oder Richtung Mitteleuropa orientierten. In der Zentralschweiz, welche die Kontaktzone zwischen West- und Nordostschweiz bildete, zeichnete sich hingegen eine eigenständige Entwicklung ab.
Lange Zeit galten die «neolithischen Kulturen» bzw. die entsprechenden Gesellschaften oder Bevölkerungsgruppen, die sie schufen, als statisch. Die Ergebnisse der neuesten Forschung zeichnen dagegen das Bild von in verschiedene Richtungen vernetzten und dynamischen Gesellschaften, deren gemeinsames Leben und Arbeiten sich durch Kombinationen und Adaptionen von Stilelementen oder Techniken bis hin zur Ausbildung von Neukreationen im Fundmaterial materialisierten.
Zeitliche und räumliche Gliederung
Präkeramisches Neolithikum (6500-5400 v.Chr.)
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Das präkeramische Neolithikum (oder Spätmesolithikum; Mesolithikum) ist durch den ersten Getreidebau definiert, der nur durch Pollenanalysen nachweisbar ist. Auch ein Leinsamen aus Wallisellen - Langachermoos aus der Zeit um 6500 v.Chr. bezeugt den Anbau von Kulturpflanzen (Ackerbau), da Lein in Mitteleuropa nicht heimisch war. Archäologisch sind die spätmesolithischen Objekte hier miteinzubeziehen. Aus dieser Zeit gibt es nicht besonders viele gute Funde; die aussagekräftigsten stammen vom Lagerplatz Schötz 7 im Wauwilermoos. Charakteristisch für diese Periode waren Silextrapeze und Hirschgeweihharpunen, wie sie in Schötz 7 oder in Arconciel - La Souche vorkommen. Aus Arconciel stammt auch ein Stempel aus gebranntem Ton (sogenannte pintadera), der um 6100 v.Chr. datiert und Kontakte zum Balkan belegt.
Eine regionale Gliederung des Gebiets der heutigen Schweiz ist für die Zeit des präkeramischen Neolithikums anhand der wenigen Funde nicht auszumachen. Dass es Fundkomplexe gibt, die archäologisch die spätmesolithischen Merkmale besitzen und noch vor dem Auftreten des Getreideanbaus zu datieren sind, ist zu vermuten, aber bisher nicht belegt. Die typologische Entwicklung der Pfeilbewehrung, von Trapezen über Dreiecke hin zu asymmetrischen einseitig retuschierten Dreiecken im frühen keramischen Neolithikum (Waffen), weist auf eine gewisse Kontinuität vom präkeramischen zum keramischen Neolithikum hin.
Frühes keramisches Neolithikum (5400-4300 v.Chr.)
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Die ältesten Fundkomplexe mit Keramik datieren aus der Zeit ab 5400 v.Chr. Neben Keramik sind die eben erwähnten asymmetrischen, einseitig retuschierten Silexpfeilspitzen typisch, wie sie etwa in der Schicht 1 von Arconciel - La Souche um 5100 v.Chr. vorkommen. Dank Kenntnissen aus dem Ausland, wo für diese Zeit viel bessere Erhaltungsbedingungen vorliegen, sind die wenigen überlieferten Keramikfragmente der Schweiz aufgrund typologisch charakteristischer Formen und Verzierungen recht gut den bekannten Kulturerscheinungen in Europa zuzuordnen. Während die Silices keine regionalen Unterschiede erkennen lassen, zeichnen sich in den keramischen Zeugnissen charakteristische Stile der Süd-, der West- und der Nordostschweiz ab. Die Südschweiz orientierte sich nach der Poebene mit Keramik in den Stilen Neolitico inferiore padano-alpino und Vasi a bocca quadrata, die Westschweiz nach Frankreich mit Scherben im La Hoguette-Stil und später ganz im Südwesten mit solchen im Saint-Uze-Stil, die Nordostschweiz Richtung Mitteleuropa mit Zeugnissen der Bandkeramikkultur, Hinkelsteinkultur, Grossgartach-Kultur und der Rössener Kultur. In der Nordschweiz kommen Bandkeramik und La Hoguette-Keramik – teils in den gleichen Fundstellen – vor, wobei das Auftreten der zwei Keramikstile und ihr zeitliches Verhältnis zueinander im Gebiet der heutigen Schweiz aufgrund geringer Datenmenge nicht abschliessend geklärt ist. Möglich scheint zuerst eine Orientierung nach Westen (La Hoguette-Scherbe ausLiestal) und kurz danach (Bandkeramik aus Bottmingen) nach Mitteleuropa. Noch nicht deutlich, aber doch erkennbar ist die Eigenständigkeit des Wallis. Ein Flachboden und ein Bandhenkel aus Sitten - Place de la Planta Schicht 6C deuten auf eine Orientierung nach Süden und Westen, wie es in den jüngeren Epochen des Neolithikums immer der Fall sein sollte. Auch für einige während der Grabungen 2021-2022 geborgene Scherben aus Naters - Breite finden sich Parallelen in der Poebene. Die Zentralschweiz hat bisher nur Silices geliefert und entzieht sich damit einer genauen Beurteilung. In der Siedlung Zizers - Friedau im Alpenrheintal sind Elemente aus dem westlichen Mitteleuropa (Hinkelstein) mit solchen aus dem Süden (Neolitico inferiore padano-alpino) verbunden. Die Quellenlage war Anfang der 2020er Jahre aber noch zu lückenhaft für eine detaillierte räumliche und zeitliche Charakterisierung der verschiedenen Regionen der Schweiz.
Zahlreiche Ufersiedlungen aus der Zeit zwischen 4300-2400 v.Chr. wurden an den Seen des Schweizer Mittellands ausgegraben. Sie lieferten grosse Mengen an gut erhaltenen und absolut datierbaren Funden, anhand derer (insbesondere der Keramik) typochronologische Veränderungen des Fundmaterials und regionale Unterschiede beobachtbar sind.
Für die Zeit um 4300 v.Chr. liegen aus der Westschweiz allerdings erst wenige umfangreiche und gut datierte Fundensembles vor. Die Keramik (als Néolithique moyen I bezeichnet) ist durch geradwandige, rundbodige Töpfe mit gegenständigen Bandhenkeln, zwischen denen sich manchmal Knubben befinden, sowie hohe Schüsseln mit Wandknick charakterisiert. ÄhnlicheGefässe sind im ostfranzösischen Keramikstil Saint-Uze anzutreffen, auch wenn dieser scheinbar eine höhere Formenvielfalt und etwas andere Verzierungselemente wie Knubben an der Randlippe und Tunnelösen aufweist – dies könnte aber auch auf die grössere Fundmenge zurückzuführen sein. Im zentralen Mittelland kommt zur gleichen Zeit Keramik im Stil Egolzwil vor. Typisch für diesen sind rundbodige, sackförmige Töpfe mit gegenüberliegenden Henkelösen sowie Flaschen mit kurzen trichterförmigen Rändern und Ösenhenkeln an länglichen Gefässkörpern mit rundem Boden. Trotz formaler Ähnlichkeit unterscheidet sich die Keramik des zentralen Mittellands von derjenigen der Westschweiz. Noch deutlicher ist der Unterschied zum nordöstlichen Mittelland, wo späte Rössener Keramik eineOrientierung nach Mitteleuropa belegt.
Keramik im Stil Egolzwil und Rössen aus Schicht 5 der Fundstelle Zürich - Kleiner Hafner, um 4300/4200 v.Chr. Höhe des hinteren Topfs mit Knubbe ca. 12 cm (Amt für Städtebau, Unterwasserarchäologie Zürich, P03003; Fotografie 1969).
Ab 4200/4100 v.Chr. nahm dann im Mittelland die Vielfalt der Gefässformen zu und die Verzierungselemente veränderten sich. Im Cortaillod ancien der Westschweiz treten neben Töpfen vermehrt Knickwandgefässe und Schalen auf. Zahlreiche Gefässe weisen eine S-förmig geschweifte Wandform auf, an Töpfen sind Randknubben und an Schalen und Schüsseln Ösen(paare) typisch. Einzelne Gefässe tragen zudem Ritzverzierungen, wie sie im Chasséen Ost- und Südostfrankreichs vorkommen. Von 3900 bis 3500 v.Chr. entwickelte sich die Keramik kontinuierlich weiter (Cortaillod classique bis tardif). Aus Gefässen im Stil Egolzwil entfaltete sich im zentralen Mittelland der Keramikstil frühes zentralschweizerisches Cortaillod. Weiterhin sind Töpfe und Flaschen mit länglichem Gefässkörper sowie zylindrischem Hals dominant, konische Becher mit charakteristischer Ritzzier im Stil Lutzengüetle deuten Richtung Bodensee. Ab 3900 v.Chr. entstand hier Keramik, die derjenigen des Cortaillod der Westschweiz stark ähnelt. Allerdings weisen die Gefässe doch deutlich früher flache Böden auf und zwischen 3800 und 3500 v.Chr. verstärkt sich der Einfluss des nordöstlichen Mittellands in der Region Zürichsee/zentrales Mittelland, was sich in einer Umorientierung von Keramik im Stil Cortaillod zu solcher im Stil Pfyn niederschlägt. Die Pfynerkeramik (3900-3500 v.Chr.) des nordöstlichen Mittellands/der Bodenseeregion hebt sich von der Cortaillodkeramik klar durch andere Gefässtypen wie Krüge und konische Schüsseln, Töpfe mit eckiger Schulter und flachen Gefässböden sowie durch Verzierungselemente wie Randleisten, Eindruckdekor sowie später Schlickrauhung ab.
Weiterhin unterscheidet sich die Keramik zwischen Genfersee und Bodensee demnach grob in drei Regionen, wobei die Grenzen ungefähr auf der heutigen Sprachgrenze im Westen und auf der Linie Limmat-Zürichsee im Osten liegen. Ab 3400 v.Chr. manifestierte sich mit den flachbodigen Töpfen im Port-Conty (Saint-Aubin-Sauges - Port-Conty) und im Horgen occidental der mitteleuropäische Einfluss(Stil Horgen) auch in der Westschweiz; vermutlich hat sich das zentrale Mittelland während der dort schlecht dokumentierten Horgener Phase schon ganz dem Osten angeschlossen.
Ab 2900 v.Chr. orientierte sich die Westschweiz mit Keramik der Lüscherzkultur wieder ganz nach Südwesten (Ostfrankreich). Im zentralen und nordöstlichen Mittelland setzte sich hingegen die Vereinfachung und Vergröberung der Keramik bis zum späten Horgen um 2800 v.Chr. fort. Ein neuer Kulturschub aus Mitteleuropa beendete diese Entwicklung schlagartig: Die Schnurkeramik brachte neue Formen und Verzierungselemente ins Mittelland. Diese bilden die Grundlage für die weitere formale Entwicklung bis in die Eisenzeit (Hallstattzeit, Latènezeit). Der Wechsel vollzog sich bei der Keramik im nordöstlichen und zentralen Mittelland abrupt und vollständig, bei der eher aus Westen beeinflussten Beiltechnologie (den Steinklingen und ihren Schäftungen aus Hirschgeweih und Holz) aber gar nicht; es liegt also kein totaler kultureller Bruch vor, der mit einem kompletten Bevölkerungswechsel in Verbindung zu bringen wäre. In der Westschweiz entstand hingegen eine Mischkultur, die als Auvernier-Cordé bezeichnet wird, wobei die autochthonen Gefässformen und Verzierungselemente teilweise mit neuen Formen und Verzierungen der Schnurkeramik kombiniert wurden. Die Entstehung dieser Mischkultur sowie das vermehrte Auftreten mitteleuropäischer Werkzeugtechnologien wie Knieholmschäftung und Lochäxte aus Stein könnte durchaus mit einer Zuwanderung von Menschengruppen in die bestehenden Siedlungsgemeinschaften einhergegangen sein.
Die Entwicklungen im Tessin, im Wallis und Graubünden unterscheiden sich von denjenigen im Mittelland. Mit Keramik der Stile Vasi a bocca quadrata und Lagozza ist im Tessin die Ausrichtung auf die Poebene eindeutig erkennbar. Beide Keramikstile finden sich ebenso im Wallis (z.B. Naters - Breite); eine Eigenständigkeit des Wallis zeigt sich speziell durch die kannelurverzierte Keramik im Stil Saint-Léonard, auch wenn das Wallis geografisch und kulturell zur Westschweiz und zur Poebene offen war. Inwieweit die Entwicklung in Graubünden autochthon ablief, ist zu Beginn nicht gut beurteilbar, weil die bekannten Fundkomplexe zu klein sind. In der Zeit kurz vor 3000 v.Chr., aus der erstmals ganze Gefässe überliefert sind (Tamins - Crestis), trittsofort die Eigenständigkeit Graubündens gegenüber dem östlichen Mittelland hervor, wobei Beziehungen zum Tessin erkennbar sind.
Eine spezifische Problematik stellt sich der Forschung in der Nordschweiz und im mittleren Juragebiet, wo an vielen Fundstellen zwar kaum Keramikscherben, wohl aber zahlreiche sogenannte Dickenbännlispitzen zum Vorschein kamen (benannt nach dem Dickenbännli bei Olten). Diese sind nach Vergleichsfunden im östlichen Mittelland von der Mitte des 5. bis ins 4. Jahrtausend v.Chr. zu datieren. Kulturell richtete sich das Gebiet demzufolge nach Mitteleuropa aus.
Spätes keramisches Neolithikum (2400-2200 v.Chr.) und Übergang zur Bronzezeit
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Für die Schlussphase des Neolithikums ist die Quellenlage deutlich schlechter, insbesondere Holzobjekte fehlen fast gänzlich. Dass Datierungen mit der C-14-Methode viel ungenauer sind als solche mit der Dendrochronologie, erschwert die Interpretation des Geschehens. In die Zeit zwischen 2400 und 2200 v.Chr. fällt die Glockenbecherkultur, deren Spuren sich in der ganzen Schweiz mit Ausnahme Graubündens finden. Die Summe der absoluten Datierungen weist dieser Kultur in der Schweiz eine eigene Phase zwischen der Schnurkeramik und der Frühbronzezeit zu. Der stratigrafische Befund von Wädenswil - Vorder Au belegt, dass die ersten Glockenbecher in der Schweiz um 2425 v.Chr. noch im Rahmen der späten Schnurkeramik auftraten und die Glockenbecherkultur die kontinuierliche Fortsetzung der Schnurkeramik bildet. Dies unterstreichen auch die grobkeramischen Kochtöpfe aus dem grossen Fundkomplex in Alle - Noir Bois, die genauso wie die sogenannten Glockenbecher in schnurkeramischer Tradition stehen. Im Wallis wurden mittels Isotopen- und ancient DNA-Analysen im FriedhofSitten - Le Petit-Chasseur neben einheimischen auch zugezogene Menschen identifiziert. Eine solche heterogene Gesellschaft legen auch einzelne Fundstücke mit exakten Parallelen in Niederbayern und Mähren nahe. Auch deuten dickwandige Becher mit rundem Boden, die formal nicht den typischen Glockenbechern Mitteleuropas entsprechen, auf eine lokale Adaption neuer Formen und Verzierungselemente durch die einheimische Bevölkerung hin.
Die Vereinheitlichung der materiellen Kultur im Gebiet der heutigen Schweiz mit Ausnahme Graubündens, die mit der Schnurkeramik begann und bis in die Eisenzeit andauerte, stand vielleicht mit der Keltisierung in Zusammenhang. Die Menschen in der Region Zürich sprachen beim Auftreten der Schnurkeramik womöglich bereits keltisch, weshalb kein totaler Bruch feststellbar ist. Keltisch sprechende Personen könnten sich auch in der Westschweiz während des Auvernier-Cordé sowie im Tessin und im Wallis während der Glockenbecherkultur in die lokalen Gesellschaften integriert haben. Dass im Mittelland, Tessin und Wallis Kelten gelebt haben, ist aber erst durch Inschriftenfunde aus der Latènezeit und die schriftliche Überlieferung aus römischer Zeit gesichert. Seit der Glockenbecherzeit haben die diversen kulturellen Substrate immer ihre Wirkung gehabt und sind in den verschiedenen Phasen der Urgeschichte unterschiedlich spürbar geblieben. Der Übergang von der Glockenbecher- zur Bronzezeit erfolgte kulturell in einem langen, kontinuierlichen Prozess, auch wenn es keine lückenlose Fundüberlieferung gibt, welche diese plausible Hypothese bestätigt.
Umwelt und Klima
Klima
Autorin/Autor:
Regine Stapfer
Die vorgeschichtliche Umwelt kann insbesondere durch die Messung des Verhältnisses zwischen den stabilen Sauerstoffisotopen 16 und 18 rekonstruiert werden (also δ18O). Eine allgemeine Klimaentwicklung lässt sich an den Eisbohrkernen in Grönland ablesen, da die Schwankungen dieser δ18O-Werte mit der Temperatur korrelieren. Aufgrund der parallel verlaufenden δ18O-Schwankungen aus den Seekreideablagerungen im Gerzensee lassen sich die Erkenntnisse aus Grönland auf den Klimaverlauf der Schweiz übertragen.
Die δ18O-Kurve von einem Eisbohrkern des North Greenland Ice Core Projects (NGRIP) zeigt am Anfang des Präboreals um 9600 v.Chr. eine sprunghafte Erwärmung, mit der die Nacheiszeit (Holozän) beginnt. Danach schwankten die Temperaturen nur noch schwach. Einzig im präkeramischen Neolithikum um 6250 v.Chr. fiel die Temperatur noch einmal stark ab. Kleinere Klimaschwankungen sind danach im Holozän immer wieder feststellbar; sie können besonders gut anhand des C-14-Gehalts in der Atmosphäre (Residuenkurve) abgelesen werden, der bei starker Sonnenaktivität tiefer und bei geringer Sonnenaktivität höher ausfällt. Rückgänge der Sonnenaktivität und somit klimatisch ungünstige Zeiten werden für das Neolithikum anhand der Residuenkurven zwischen 3650-3600, 3400-3300 und 2950-2830 v.Chr. postuliert. Die nachfolgende Bronzezeit scheint von solchen Klimarückschlägen verschont geblieben zu sein.
Vegetation
Autorin/Autor:
Regine Stapfer
Aus verschiedenen Seen wurden Bohrkerne mit Sedimentproben geborgen und Pollenprofile erstellt, anhand derer die Vegetation über Jahrtausende zurück rekonstruiert werden kann (Flora). Das Pollendiagramm von Buttisholz - Soppensee zeigt im Boreal um 9000 v.Chr. einen starken Anstieg der Haselpollen und fast gleichzeitig das Auftreten von Eichenmischwald. Die vielen Haselpollen lassen einen lichten Wald mit zahlreichen anderen Pflanzen am Waldboden vermuten, welcher ideale Bedingungen zum Sammeln und Jagen bot (Sammelwirtschaft). Nach dem Kälteeinbruch im präkeramischen Neolithikum um 6250 v.Chr. kamen im Atlantikum (5500-2500 v.Chr.) Weisstanne und Buche auf und im Mittelland bildete sich ein Mischwald ähnlich dem heutigen aus. Um 4200 v.Chr. zeigt das Pollendiagramm von Buttisholz - Soppensee eine Abnahme von Ulme sowie Linde und eine Zunahme von Fichte, was mit einer Kältephase zusammenhängen könnte. Erste Getreide- und Spitzwegerichpollen (als Begleitvegetation) ab 6500 v.Chr. dokumentieren Eingriffe der Menschen in die Vegetation (Getreidebau). Besser als an Pollendiagrammen ist die Entwicklung des Ackerbaus im Neolithikum an den botanischen Makroresten abzulesen, die in der Schweiz aber erst ab 4300 v.Chr. in den Feuchtbodensiedlungen erhalten blieben. Gemäss diesen nahm im Neolithikum zwischen 4300 und 2500 v.Chr. die Landwirtschaft stetig zu (z.B. Aufkommen des Pflugs), wenn auch auf tieferem Niveau als in der darauffolgenden Bronzezeit.
Fauna
Autorin/Autor:
Regine Stapfer
Aus archäologischen Zusammenhängen ist die Kenntnis über die neolithische Fauna eingeschränkt und hauptsächlich durch Jagdwild und später Haustiere geprägt. Wenig oder nicht bejagte Kleintiere sind nur dank Zufallsfunden bekannt.
Mit der Wiederbewaldung aufgrund des Temperaturanstiegs im Bölling um 12'600 v.Chr. verschwanden Ren und Pferd, die eine offene Landschaft liebten, und typische Waldtiere wie Hirsch und Wildschwein erschienen, welche fortan die wichtigsten Jagdtiere darstellten (Jagd). Vermehrtes Aufkommen von Feldhase (ab 2800 v.Chr.) und Reh weist darauf hin, dass sich die Landschaft durch menschliche Rodungen langsam öffnete. Weiteres Jagdwild waren Auerochse (Ur) und Wisent ebenso wie Wolf, Biber, Igel oder Eichhörnchen, die nicht vorrangig als Fleischlieferanten dienten, und Arten, deren Reste kaum erhalten blieben, vor allem Vögel und Fische (Fischerei). In den Alpen und Voralpen kamen Gämse und Steinbock dazu.
Einschneidend für die Entwicklung der Fauna war ab etwa 5400 v.Chr. das Auftauchen der Haustiere mit Schaf, Ziege, Hausrind und Hausschwein, die einen wesentlichen Bestandteil der Nahrungsversorgung bildeten. Zwischen 4300 und 2800 v.Chr. ist eine schwache, aber stetige Zunahme der Haustiere festzustellen, die sich 2750-2500 v.Chr. erheblich beschleunigte (Viehwirtschaft).
Siedlungs- und Hausbau
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Bis heutesind 22 vierschiffige Langhäuser der Bandkeramik aus der Zeit vor 5000 v.Chr., ein mittelneolithischer Grossbau aus Gächlingen - Goldäcker sowie ein zweischiffiges Haus in Bellinzona - Castel Grande des Neolitico inferiore padano-alpino bezeugt, deren Grundrisse an den Verfärbungen im Boden erkennbar sind, welche die Pfosten, Pfostenlöcher und Pfostengräbchen hinterlassen haben. Im Wallis wurden auf dem Schuttkegel der Sionne Siedlungsspuren entdeckt (z.B. in Sitten - Place de la Planta und Sitten - Tourbillon); aus den ausgegrabenen Pfostengruben und Feuerstellen lassen sich jedoch keine Hausgrundrisse rekonstruieren. Weitere Siedlungsspuren (Gräben und Gruben) aus dem Mittelneolithikum sind aus Oberhallau - Überhürst bekannt.
Rekonstruktion der Langhäuser von Gächlingen - Goldäcker. Modell von Hans Bendel für die Dauerausstellung im Museum zu Allerheiligen, die im Frühling 2012 eröffnet wurde (Kantonsarchäologie Schaffhausen; Fotografien Max Baumann, 2011).
Typisch für die Bandkeramik waren Langhäuser mit Wänden aus Rutengeflecht und Lehmverputz, die wohl über Jahrzehnte genutzt wurden. Die älteste bekannte dorfartige Siedlung von Gächlingen - Goldäcker wurde während der Linearbandkeramik im Bereich fruchtbarer Lössböden gebaut. Die Siedlungsspuren in leicht erhöhter Lage auf dem Plateau Castel Grande von Bellinzona sind aufgrund der Quellenlage schwieriger zu deuten; sie könnten zu einem Gehöft oder einer locker bebauten dorfartigen Siedlung gehören. Obschon beide Fundstellen nur ausschnitthaft bekannt sind, ist aufgrund der rekonstruierbaren Gebäude und Analogien zu anderen Fundstellen aus dem Ausland (v.a. der Bandkeramik) am ehesten eine lockere Bebauung aus mehreren beieinanderstehenden Wohn- und Wirtschaftsgebäuden anzunehmen.
Die ab 4300 v.Chr. aufkommenden Ufersiedlungen sind besonders gut erforscht. Jahrgenau datierte Hölzer liefern Informationen zum Hausbau und erlauben die Rekonstruktion ganzer Dorfgeschichten (Datierung), auch wenn ausser den im Boden steckenden Pfählen des Grundgerüsts lediglich Bruchstücke der Boden-, Wand- und Dachkonstruktionen im Befund zu erkennen sind.
Teilweise lagen die Siedlungen in Sichtdistanz nur wenige Kilometer auseinander am Ufer. Neben dem eigentlichen Dorf gehörten wohl auch Teile von See und Hinterland, die eine zentrale Rolle bei der Ressourcenbeschaffung (Jagd, Fischerei, Sammel-, Holz-,Vieh- und Landwirtschaft) spielten, zu einem Dorfterritorium. Der älteste gut bekannte Dorfgrundriss aus der Schweiz, jener von Egolzwil 3 im Wauwilermoos, datiert kurz nach 4300 v.Chr. Die Häuser sind dort eng in Reihen angeordnet; viele von ihnen sind wegen der Herdstellen im Hausinneren als Wohnhäuser zu deuten (Wohnen). Neben Siedlungen mit mehreren, mehr oder weniger streng ausgerichteten Häuserzeilen sind auch einreihige Dorfgrundrisse dokumentiert. Verschiedene Siedlungen wurden ganz oder teilweise von Palisaden oder Zäunen umgeben. Die Dörfer waren zwischen 1000 und 5000 m2 gross und bestanden aus etwa 10 bis 50 teils verschieden geräumigen Häusern, wobei grössere Bauten von etwa 60-100 m2 Grundfläche (später auch bescheidenere zwischen 20-40 m2) oft als Wohnhäuser und kleinere Grundrisse als Ökonomiebauten interpretiert werden. Bei einer potenziellen Haushaltsgrösse von fünf Personen kann von einer Siedlungsbevölkerung von 50 bis 250 Menschen ausgegangen werden.
Fotografie der archäologischen Grabungen in Egolzwil 4 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).[…]
Die meisten Siedlungen bestanden gemäss den Schlagdaten der für den Hausbau verwendeten Bäume nur wenige Jahrzehnte. Nach der Siedlungsgründung und der Errichtung der ersten Häuser wurden die Dörfer oft noch um zahlreiche Gebäude erweitert, die teilweise auf jahrelang freigehaltenen Parzellen entstanden – dies deutet auf einen geplanten und organisierten Siedlungsbau hin.
Viele Häuser wurden regelmässig unter Verwendung frisch geschlagener Hölzer repariert. Mit wenigen Ausnahmen waren sie zweischiffig. Die Flechtwände zwischen den Pfählen des Grundgerüsts waren mit Lehm verputzt, die Dächer mit Holzschindeln oder Schilf gedeckt. Östlich von Zürich sind Prügel- und Bretterböden mit einem Lehmestrich, westlich von Zürich bis fast zum Bielersee solche ohne Lehmestrich (z.B. Seedorf - Lobsigensee, Lobsigen) belegt. Aus den Gebieten um den bzw. westlich des Bielersees sind keine Prügel- und Bretterböden mehr bekannt, sondern nur noch Lehmlinsen unter den Herdstellen. Auch in der Siedlung Seedorf - Lobsigensee fand Lehm für die Substruktion der Feuerstelle Verwendung.
Von Siedlungsplätzen auf trockenen Böden sind dagegen – ähnlich wie in der Zeit vor 4300 v.Chr. – nur spärliche Überreste zu finden, meist in Form von im Untergrund erkennbaren Pfostengruben, Fragmenten von Lehmwänden und Feuerstellen. Verschiedene Funde lassen aber vermuten, dass während gewisser Perioden Siedlungen an und abseits der Seeufer parallel bestanden. Dass Letztere bisher oft weitgehend unbekannt geblieben sind, liegt neben der schlechteren Konservierung auch an Forschungslücken. Aufgrund der 2021 publizierten Ergebnisse der Untersuchung von Otelfingen - Harbernbach ist anzunehmen, dass die Siedlungen in trockenen Zonen nicht wesentlich anders gebaut und organisiert waren als die gut untersuchten Ufersiedlungen. Der einzige bekannte Dorfgrundriss aus der Glockenbecherzeit um 2300 v.Chr. stammt aus Cortaillod - Sur les Rochettes Est. Die Siedlung in trockener Zone umfasste fünf Häuser, die in lockerem Abstand von rund 10 m zueinander errichtet waren. Ob das lockere Dorfbild typisch für diese Zeit war, lässt sich ohne Vergleichsmöglichkeiten nicht sagen.
Alltagsleben und Wirtschaft
Ernährung und Wirtschaftsweise
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Der Übergang vom Wildbeutertum zur Nahrungsmittelproduktion vollzog sich zuerst im Vorderen Orient; das dort entwickelte Wissen wurde dann nach Europa und in die Schweiz vermittelt (Ernährung). Der Ackerbau trat im Gebiet der heutigen Schweiz ab etwa 6500 v.Chr. und damit vor der Viehzucht (Viehwirtschaft) und der Keramik auf. Saatgut und Tiere müssen eingeführt worden sein, weil die angebauten Pflanzenarten wie Getreide (Getreidebau), Lein (Leinwand), Erbsen und Linsen (Hülsenfrüchte) und einige der Haustierarten wie etwa Schaf und Ziege nicht in Mitteleuropa heimisch waren. Auch wenn Ackerbau und Viehzucht zu einer starken Veränderung der Lebensweise gegenüber dem Wildbeutertum führten, war diese Umstellung für die damaligen Menschen wohl kaum spürbar, da die Entwicklung sehr langsam verlief. Der Ackerbau wurde nach Ausweis der Pollenanalyse und der Untersuchungen der botanischen Grossreste nur sehr langsam intensiviert. Im präkeramischen Neolithikum ist nach der archäologischen Überlieferung weiterhin eine nomadische Lebensweise anzunehmen, da keine Häuser nachgewiesen sind. Erst im frühen keramischen Neolithikum bzw. im Alt-/Frühneolithikum belegen Steinbeil und Häuser eine gewisse Sesshaftigkeit. Ab etwa 3500 v.Chr. ist mit grösseren Feldern mit kurzer Brache zu rechnen, auf denen auch das Vieh weiden konnte. Die ersten Haustiere sind im frühen keramischen Neolithikum bzw. Mittelneolithikum um 4800 v.Chr. (Sitten - Place de la Planta) nachgewiesen. Ob solche nicht bereits gegen Ende des präkeramischen Neolithikums vorkamen, ist wegen der schlechten Fundüberlieferung für diese Epoche nicht zu eruieren. Zur Bearbeitung der Felder wurden Werkzeuge wie Hacken aus Hirschgeweih oder Holz verwendet. Das Aufkommen von Zugtieren sowie Joch und Pflug um etwa 3200 v.Chr. sind technologische Neuerungen, die auf eine Intensivierung der Landwirtschaft hinweisen. Dass vorher Ackerbau und Viehzucht noch nicht von zentraler Bedeutung waren, zeigt die Reaktion der Bevölkerung im Mittelland auf die Klimakrise 3650-3600 v.Chr., während der die Jagd um ein Mehrfaches gesteigert worden ist. Weniger deutlich lässt sich die Intensivierung der Sammeltätigkeit nachzeichnen. Die natürlichen Nahrungsressourcen waren also damals längst nicht ausgeschöpft. Weiter wird wohl auch Salz ein wichtiger Bestandteil der Nahrung und zur Konservierung von Lebensmitteln gewesen sein; dieser Rohstoff lässt sich archäologisch jedoch nicht nachweisen. Die nächstgelegenen Salzquellen, die schon im Neolithikum genutzt wurden, lagen im französischen Jura.
Erst ab dem keramischen Neolithikum ist die Handmühle mit grossem Unterlagstein und kleinem Läufer bezeugt. Da in der Schweiz keine Mörser bekannt sind, bleibt die Art derGetreideverarbeitung im präkeramischen Neolithikum unbestimmt.
Regionale Unterschiede zwischen West- und Nordostschweiz bestanden bei der Auswahl der angebauten Getreidearten und der Zusammensetzung des Viehbestands, auch wenn die Unterschiede anhand des Knochenmaterials oder botanischer Reste nicht so detailliert zu fassen sind wie etwa anhand der Keramik. So hielt man in der Westschweiz und im Wallis generell mehr Schafe und Ziegen als in der Nordostschweiz und in Graubünden. In der Ostschweiz wurde mehr Emmer als in der Westschweiz angebaut.
Technik
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Zentrale Rohstoffe im Neolithikum waren Silex (in alpinen Gebieten ersatzweise Bergkristall), Stein, tierische Produkte (Knochen, Geweih, Fell/Leder, Sehnen, Wolle), Holz sowie weitere Bestandteile von Pflanzen (Rinde, Bast, Fasern, Harz/Teer), Lehm/Ton und Kupfer. Viele dieser hierzulande vorkommenden Rohstoffe wurden bereits früher verwendet; wichtige Innovationen des keramischen Neolithikums stellen die Fertigungsverfahren von geschliffenen Steinartefakten, Gefässkeramik sowie Textilien dar. Ab 4000 v.Chr. kam die Verarbeitung von Kupfer auf (Kupferzeit). Die Bedeutung des Kupfers ist wegen der Wiederverwendbarkeit schwierig abschätzbar, jedenfalls konnte es während des Neolithikums Geräte aus Stein und Knochen nicht verdrängen.
Bei Cham - Eslen 1996 gefundene Lochaxt mit einem Griff aus Eschenholz, um 4200 v.Chr., und Nachbildung des Holms, der spiralförmig mit Birkenrinde umwickelt und mit Birkenteer geklebt wurde(Amt für Denkmalpflege und Archäologie Zug; Fotografie Res Eichenberger, Zeichnung Sabina Nüssli Bouzid).
Die neue sesshaft-bäuerliche Lebensweise zog zahlreiche Veränderungen in Arbeits- und Herstellungstechnik nach sich (Bauern). Für den Hausbau und die Holzbearbeitung bildeten Fällbeil und Dechsel wichtige technologische Fortschritte (Holzwirtschaft). Dafür wurden Klingen aus Felsgestein grob zurechtgeschlagen oder -gesägt (mit Sandsteinplättchen), in Form gebracht (picken/schleifen), geschärft und in hölzerne Holme geschäftet. In der Westschweiz waren Flügel- und Stangenholme typisch, bei denen als technische Weiterentwicklung ab 3800 v.Chr. immer häufiger Hirschgeweihfassungen als Stossdämpfer zwischen Holm und Klinge eingefügt wurden. Auch im zentralen und östlichen Mittelland kommen Flügel- und Stangenholme vor, allerdings meist ohne Hirschgeweihfassungen. Eine nordostschweizerische Erscheinung ist der (mitteleuropäische) Knieholm und ab etwa 3000 v.Chr. wurden die gegabelten Fassungen mit Hirschgeweihfuttern ergänzt. Während des Auvernier-Cordé um 2700 v.Chr. kamen Knieholme auch in der Westschweiz auf und blieben bis in die nachfolgende Bronzezeit typisch. Ab 3800/3700 v.Chr. trat das Kupfer- neben das Steinbeil, zumindest im nordöstlichen und zentralen Mittelland. Die Kupfertechnologie war aber wohl noch nicht derart entwickelt, dass sie eine Spezialisierung verlangt hätte, was die weiträumige Verteilung von Gusstiegeln in verschiedenen Siedlungen zeigt (Zürich - Mozartstrasse Schicht 4, Meilen - Schellen, Wetzikon - Robenhausen).
Neben Beilen und Dechseln wurden im Neolithikum, wenn auch deutlich seltener, Lochäxte aus Stein oder Geweih hergestellt. Die Steinklingen wurden mit einer Hohlbohrung (Holunderzweig und Sand) gelocht, um sie auf dem Holzholm zu befestigen. Werkzeuge wie Meissel, Hämmer, Bohrer aus Stein oder Knochen ergänzten das Gerätespektrum zur Holzbearbeitung.
Weiter gewannen Geräte zur Ernte, Verarbeitung und Aufbewahrung pflanzlicher Nahrungsmittel und Rohstoffe an Bedeutung wie Sicheln und Messer aus in Holz geschäfteten Silexklingen sowie Körbe, Taschen, Tragegestelle, Gefässe und Siebe aus Flechtwerk, Leder, Rinde, Holz und Keramik. Zur Verarbeitung von Getreide wurden flache Mahlsteine und walzenförmige Läufer aus grobkörnigem abriebfesten Felsgestein wie Verrucano-Schiefer (Zürichsee), Gneis oder Granit (Westschweiz) verwendet (Schiefer, Steinindustrie). Zermahlenes Getreide wurde gekocht oder gebacken, wozu Gefässe aus Keramik oder Platten aus Stein dienten. Das bislang älteste Brot Europas stammt aus einer Siedlung um 3600 v.Chr. in Twann; es bestand aus einem Sauerteig aus Weizenmehl. Neben Keramik benutzten die Menschen auch zahlreiche Geräte (Schöpfer, Quirle, Löffel usw.) und Gefässe aus Holz zum Kochen und Essen.
Für die Jagd, Schlachtung und anschliessende Verarbeitung von Fleisch und tierischen Rohmaterialien (Felle, Sehnen, Leder, Knochen, Geweih) wurden zahlreiche Werkzeuge (Messer, Klingen, Schaber, Kratzer, Spitzen und Bohrer) aus Silex, Knochen und Geweih verwendet. Schon im präkeramischen Neolithikum war die Pfeilspitze entwickelt worden, die dann in symmetrisch dreieckiger Form im keramischen Neolithikum der Schweiz vorherrschte, während die querschneidige Pfeilspitze hierzulande keine Rolle spielte. Pfeil und Bogen lösten damit für die Jagd die mesolithische Speerschleuder ab und dienten auch im Kampf als Waffe. Im Gegensatz zu den Steinbeilklingen, an deren Stelle Ende des Neolithikums Kupfer- und in der Bronzezeit Bronzeklingen traten, bestanden Pfeilspitzen auch in diesen Perioden weiterhin aus Silex. Fische wurden mit Netzen, Harpunen, Stabangeln und Haken aus Geweih oder Knochen gefangen (Fischerei). Kleine Geweihsprossenabschnitte auf Holzpfeilen (Vogelpfeilkopf) weisen auf die Vogeljagd.
Gewebe aus Pflanzenfasern und Webgewicht aus gebranntem Ton (Höhe 12 cm, Gewicht 1,081 kg) von der neolithischen Fundstelle Wetzikon - Robenhausen (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, A-548 und A-496; Fotografien Donat Stuppan, 2013 und 2015).
Der Leinanbau und die Schafhaltung erweiterten im Neolithikum die Rohstoffpalette zur Textilherstellung. Geflechte und Gewebe in Form von Körben, Mänteln, Hüten, Taschen, Netzen, Schnüren, Stoffen und Matten sind in Seeufersiedlungen vielfach nachgewiesen. Auch Sandalen aus Bast waren häufig. Die Funde sind immer aus pflanzlichen Rohstoffen wie Eichen- und Lindenbast und Lein, weil Wolle sich in den Feuchtbodensiedlungen nicht konservierte. Die Menschen stellten wahrscheinlich bereits im präkeramischen Neolithikum Textilien her (Fund eines Leinsamens aus dem 7. Jahrtausend v.Chr.), Geflechte aus Eichen- und Lindenbast vielleicht noch früher. Auch Spinnwirtel und Webgewichte bezeugen die Verarbeitung vonFasern und die Herstellung von Geweben. Webstühle mit schweren kegelförmigen Webgewichten, die sich für die Leinverarbeitung eignen, waren im Gebiet der heutigen Schweiz ab etwa 4000 v.Chr. in Gebrauch. Leichtere runde Webgewichte für die Herstellung von Wolltüchern sind ab etwa 3400 v.Chr. (Arbon - Bleiche 3) zu fassen. Etwa ab dieser Zeit dürfte der Schafwolle eine grössere Bedeutung als Rohstoff für Textilien zukommen. Wie in den früheren Epochen blieben Leder und Fell für Kleidung und Ausrüstung in Verwendung, ebenso (Birken-)Rinde, was zum Beispiel die Funde vom Schnidejoch belegen.
Als Transportmittel zur Überquerung von Seen und Flüssen dienten Einbäume (Moosseedorf, Männedorf, Hauterive - Champréveyres), wie sie wohl bereits seit dem Mesolithikum genutzt wurden. Um 3200 v.Chr. kamen die ersten Wagen auf. Der wichtigste Fund sind die drei Räder und eine Achse von Zürich - Pressehaus aus der Schnurkeramik, wahrscheinlich Reste eines einzigen vierrädrigen Wagens. Für solche mussten die Wege ausgebaut werden. Der älteste bis anhin entdeckte Zugangsweg zu einer Ufersiedlung, derjenige von Marin - Les Piécettes, datiert 3500-3400 v.Chr.
Handel und Austausch
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Dass Beziehungen über grössere Distanzen hinweg zwischen den in verschiedenen Gruppen lebenden Menschen zur Auffrischung des Genpools oder zum Austausch von Gütern und Techniken schon vor dem Neolithikum bestanden haben dürften, lassen Funde von baltischem Bernstein aus magdalénienzeitlichem Zusammenhang in Hauterive - Champréveyres und Moosseedorf - Moosbühl vermuten. Direkte Belege für Mobilität liefern ancient DNA- oder Isotopenanalysen einzelner Individuen. So sind beispielsweise im Kollektivgrab von Spreitenbach (um 2500 v.Chr.) Frauen aus anderen Regionen und in der glockenbecherzeitlichen Nekropole von Sitten - Le Petit-Chasseur Bestattungen von zugezogenen Personen nachgewiesen (Körperbau). Da aber nur wenige neolithische Bestattungen archäologisch fassbar sind und die im Skelett konservierten chemischen Zeiger lediglich einen kleinen Teil aller potenziellen Ortsverschiebungen des jeweiligen Individuums indizieren, vermitteln auch sie nur ein bruchstückhaftes Bild.
Ergänzend wird das Fundmaterial aus Ufersiedlungen als Quelle hinzugezogen. Das meiste verwendete Rohmaterial stammte aus der lokalen oder regionalen Umgebung der Siedlungen und war innert Stunden oder Tagen beschaffbar. Mangels lokaler Vorkommen dominierte beispielsweise in den Siedlungen zwischen Murtensee und Wauwilermoos Silex aus der Region Olten und am Zürich- und Zugersee solcher von Otelfingen - Lägern. Silex wurde entweder im Untertagebau (Olten - Chalchofen und Pleigne - Löwenburg) oder in Gruben (Alle - Pré-au-Prince, Otelfingen - Lägern und Lampenberg - Stälzler) abgebaut.
In zahlreichen Siedlungen findet sich aber auch hochwertiger Silex aus entfernten Regionen, der eventuell über mehrere Stationen bzw. Hunderte von Kilometern hertransportiert wurde. Ebenso belegen Beilklingen aus Schwarzgestein («Aphanit») aus den Vogesen, Bergkristall aus den Alpen, Klingen aus Jadeitit aus Oberitalien, Kupfer aus dem Osten und später Südfrankreich sowie ab dem Spätneolithikum Bernstein weitläufige Austausch- und Kontaktnetze in alle Himmelsrichtungen.
Dass ein Wissenstransfer zwischen Menschen verschiedener Siedlungsgemeinschaften auch über das unmittelbare Gebiet der Gemeinschaften hinaus erfolgte, zeigt sich an der Ausbildung von technologisch und stilistisch unterschiedlicher Keramikgruppen und Werkzeuge, die sich über Jahrhunderte kontinuierlich ähnlich entwickelten. Zudem verweist die Verwendung von lokal nicht typischen Techniken, Stilen und Materialien und die Kombination lokaler und importierter Herstellungspraktiken auf einen – zumindest temporären – Zuzug von Menschen und deren Austausch mit der am Fundort ansässigen Gemeinschaft (Translokalität). Besonders viel Keramik in nichtregionaltypischer Herstellungsweise bzw. verschiedenartige Kombinationen von Keramik in den Stilen Cortaillod und Néolithique moyen bourguignonkamen in zwei Siedlungen von Concise - Sous-Colachoz (E2, E4a, Corcelles-près-Concise - Stations de Concise) zum Vorschein, die aus der Zeit um 3700 und 3650 v.Chr. stammen. Um 3400 v.Chr. kombinierten die Töpfernden in Arbon - Bleiche 3 Elemente der regionaltypischen Gefässe im Stil Pfyn mit Charakteristika der Boleráz Keramik aus Ungarn. Sonst sind Gefässe mehrerer Keramikstile zwar in zahlreichen Ufersiedlungen anzutreffen, aber nicht regionale Herstellungsweise kommt meist in kleinen Mengen vor und wirkte wenig nachhaltig auf die Keramikherstellung der Siedlungsgemeinschaften. Solche Fundkonstellationen könnten auf kleine Gruppen von Zuzügern und/oder deren kurze Aufenthaltsdauer deuten.
Bestattungen und Bestattungssitten
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Anthropomorpher Menhir von Bevaix - Treytel am Neuenburgersee (Laténium, Hauterive).[…]
Anders als in jüngeren Perioden sind Gräber aus dem Neolithikum selten, die Beigaben (z.B. Schmuck oder Alltagsgegenstände wie Silexpfeilspitzen, Stein- und Knochenwerkzeuge oder Gefässe) wenig spektakulär. Es wurden vor allem Körper-, sporadisch auch Brandgräber (unter Grabhügeln) entdeckt; andere Bestattungsformen sind denkbar, aber bisher nicht archäologisch erkennbar. Die Siedlungen zu den Bestattungen sind meist unbekannt. Häufig sind nur die Steinkistengräber des 5. und 4. Jahrtausends v.Chr. in der Westschweiz, im Wallis und in der Zentralschweiz. Die Toten wurden in Hockerstellung beigesetzt. Im Wallis wurde um 4500 v.Chr. nur ein Verstorbener pro Grab bestattet, später auch mehrere. Im Genferseegebiet waren es bis zu sieben Tote, in Lenzburg bis zu 17 und im Dolmen von Oberbipp rund 30. Im 3. Jahrtausend v.Chr. kamen Dolmen von etwa 2 x 3 m Grösse auf, in denen 47 (Aesch) oder etwa 90 Menschen (Sitten - Le Petit-Chasseur 3) bestattet waren (Nekropolen). In der Ostschweiz sind nur sehr wenige Bestattungen nachgewiesen, Kollektivgräber fehlen ganz. In die erste Hälfte des 4. Jahrtausends v.Chr. fallen Gräber aus dem Kanton Schaffhausen, in denen die Toten in gestreckter Rückenlage bestattet wurden. Um 3000/2500 v.Chr. datieren die Steinkisten von Opfikon und Rapperswil (SG). In beiden lagen die Toten ebenfalls in gestreckter Rückenlage. Von dieser vielleicht für die Ostschweiz typischen Bestattungsart vor der Schnurkeramik weichen nur die beiden Steinkisten von Erlenbach - Gehren aus dem 4. Jahrtausend v.Chr. mit wahrscheinlicher Hockerbestattung ab. Aus der Zeit der Schnurkeramik sind in Schöfflisdorf und Sarmenstorf Brandgräber unter Grabhügeln dokumentiert. Eine Ausnahme bildete das kollektive Hockergrab (12 Tote) von Spreitenbach, das an Westschweizer Tradition anknüpfte. Gräber der Glockenbecherzeit wurden in Allschwil und Riehen entdeckt, in denen die Toten einzeln in Hockerstellung bestattet waren, sowie in Sitten - Le Petit-Chasseur.
Ritual- und Kult(orte)
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Neben den Gräbern deuten vor allem Stelen, Felszeichnungen, Menhire, in der Westschweiz auch ganze Menhirgruppen auf Ritual- oder Kultorte, darunter Sitten - Le Petit-Chasseur, Lutry - La Possession und Yverdon-les-Bains - Promenade des Anglaises (Baie de Clendy). Hinweise auf eigentliche rituelle Handlungen sind – abgesehen von Bestattungen – hingegen sehr selten.
Bei vielen Menhiren kann anhand der Form oder der Verzierung auf Menschendarstellung geschlossen werden. Sie stammen aus dem 4. und 3. Jahrtausend v.Chr. Unter den Felszeichnungen sind diejenigen aus Saint-Léonard - Crête des Barmeshervorzuheben, die wohl alle ins Neolithikum gehören. Es fallen insbesondere Adorantendarstellungen auf. Auch die Nekropole von Sitten - Le Petit-Chasseur, wo Dolmen über lange Zeit genutzt, dafür ausgeräumt sowie neu befüllt oder Stelen errichtet, überarbeitet und wiederverwendet wurden, diente als Ritual- und Kultort.
Kultische Vorstellungen oder rituelle Praktiken stehen wohl auch hinter den Keramikgefässen mit Frauenbrüsten aus der Cortaillodkultur und hinter den weiblichen Brüsten als Verzierung der Hauswände von Thayngen - Weier oder Ludwigshafen am Bodensee. Das fast vollständige Skelett eines Mutterschweins unter einer Herdstelle aus der Zeit um 3100 v.Chr. von Twann - Bahnhof ist vielleicht als Bauopfer zu interpretieren. In Flüssen wie der Limmat geborgene Steinbeile und Lochäxte könnten dem Gewässer geopfert worden sein.
Soziale Organisation
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Für die lange Zeit des Neolithikums – über 4000 Jahre – muss man eine Entwicklung der Gesellschaftsstrukturen annehmen. Die ersten Menschengruppen, die um 6500 v.Chr. in der Schweiz Getreide anbauten (Getreidebau), lebten vermutlich noch vollständig in mesolithischer Tradition (Mesolithikum) als Wildbeuter, sodass am ehesten eine egalitäre Struktur mit sehr schwacher Führung unter einem Alphamannzu vermuten ist. Nach ethnologischen Parallelen wären kleine territoriale Gruppen von etwa 50 bis 100 Personen zu erwarten. Es wäre wichtig zu wissen, wie viele Leute sich maximal im bewaldeten Mittelland mit Sammeln und Jagen ernähren konnten (Sammelwirtschaft, Jagd); das gäbe einen Ausgangspunkt für die weitere demografische Entwicklung, nur sind solche Schätzungen bisher nicht gemacht worden. Das Mittelland umfasst etwa 10'000 km2 und wenn man für 6500 v.Chr. von etwa 5000 Personen ausgeht (0,5 pro km2), dann hätten etwa 50 bis 100 Gruppen dort gelebt. Sehr langsam entwickelte sich aus einer Ranggesellschaft eine stratifizierte Gesellschaft, da Ackerbau und Viehwirtschaft die Akkumulation von Vorräten und Vermögen ermöglichten. Verstärkt wurde diese Tendenz sicher durch das Aufkommen und den Besitz von bzw. den Handel mit Kupfer um 4000 v.Chr., auch wenn in dieser Periode wahrscheinlich noch grosse Teile der Bevölkerung Zugang zum neuen Metall hatten. Auf Bemühungen von Einzelpersonen oder kleineren Gruppen, mehr Macht und institutionalisiertere Kompetenzen zu erlangen, verweisen zwei Funde von ca. 4300 v.Chr. Die grösste Steinkiste aus dem Gräberfeld in Lenzburg hatte als einzige einen Plattenboden; in ihr lag nur ein einzelner Mann, der auch körperlich der grösste war und am meisten Beigaben hatte. Daneben ist die Lochaxt von Cham - Eslen mit dem überlangen, mit gemusterter Birkenrinde umwickelten Schaft als Statussymbol zu betrachten.
Hinweise anhand von Bestattungen
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Die Gräber geben wenig Auskunft über die soziale Gliederung: Da man meistens nicht weiss, wie lange ein Friedhof benutzt wurde, lässt sich kaum abschätzen, wie viele Leute einer Gemeinschaft ein archäologisch fassbares Grab erhielten. Interessant ist aber, dass aus der Zeit zwischen 4500-3500 v.Chr. etwa doppelt so viele Gräber pro Jahr bekannt sind wie vom Ende des Neolithikums zwischen 3000 und 2200 v.Chr. Setzt man eine allmähliche Zunahme der Bevölkerung im Laufe des Neolithikums voraus, die ja durch die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion möglich geworden war, so liegt die Vermutung nahe, dass Ende des Neolithikums nur noch ein kleiner, hochgestellter Teil der Bevölkerung ein Grab erhielt, wie dies auch für die Bronze- und Eisenzeit (Hallstattzeit, Latènezeit) in der Schweiz gilt.
Steinkistengräber aus der neolithischen Nekropole von Pully - Chamblandes, links mit Skelett in Hockerstellung. Fotografien von Rodolphe-Archibald Reiss, 1901 (Musée Historique Lausanne, P.1.G.01.05.001 et .002).
Ein spezielles Phänomen ist das Kollektivgrab – meist in Steinkisten oder Dolmen –, das in der Westschweiz, in der Zentralschweiz bis zur Limmat (Spreitenbach) und in der Nordschweiz bis zur geografischen Länge von Basel (Laufen, Aesch) vorkam. Man vermutet aufgrund von Analogien, dass in solchen Gräbern Familiengruppen bestattet wurden.
Hinweise anhand von Siedlungen
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
In bandkeramischen Dörfern wie im Kanton Schaffhausen waren Langhäuser in lockerer Streuung üblich (Bandkeramikkultur). Eine lockere Streuung von Häusern/Gehöften ist auch für die gleichzeitige Siedlung auf dem Castel Grande in Bellinzona zu vermuten. Es ist schwierig, für diese Siedlungsstruktur eine adäquate Gesellschaftsstruktur zu belegen (Wohnen). Diese muss sich aber von derjenigen des mittleren keramischen Neolithikums bzw. Jungneolithikums (ab 4300 v.Chr.) mit den eng aufgereihten kleinen Häusern unterschieden haben. Diese Häuser haben alle eine ähnliche Grösse und liefern per se keine Hinweise auf eine Stratifizierung der Gesellschaft; die planmässige Anlage der Siedlungen weist hingegen auf eine geführte Gemeinschaft hin. Ab 3850 v.Chr. sind dank der dendrochronologischen Auswertung mehrere Dörfer bekannt (Datierung), bei denen ein allmähliches Wachstum der Siedlung aus einem Kern von einem oder wenigen Häusern erfolgte. Diese Siedlungen wurden wohl von einem benachbarten Standort aus gegründet. Rund um den Bielersee sind über die nachgewiesenen Dorfstandorte zwischen 3850 und 2400 v.Chr. etwa neun Dorfterritorien anzunehmen, die sich in Abständen von 2-3 km erstreckten. Auffällig ist, dass in der Zeit um 2800 v.Chr. am Bieler- wie am Neuenburgersee gemäss dendrochronologischen Analysen mehrere Dörfer auf demselben erschlossenen Territorium gleichzeitig existierten. Das ist einerseits ein Hinweis auf die vermutete Bevölkerungszunahme, spricht andererseits aber auch für eine komplexere Gesellschaftsstruktur. Ausgehend von den erschlossenen neun Dorfterritorien am Bielersee kann man auch die Grösse einer solchen Gemarkung grob veranschlagen und damit die Gesamtbevölkerung im Mittelland schätzen. Bei einem Dorfterritorium von durchschnittlich 50 km2 käme man auf 200 Siedlungen im Mittelland, was bei durchschnittlich 100 Personen pro Dorfgebiet schon etwa 20'000 Bewohner ergäbe. Diese Hypothese erscheint für das 4. bis 3. Jahrtausend v.Chr. plausibel.
Hinweise aufgrund von Austausch
Autorin/Autor:
Werner E. Stöckli, Regine Stapfer
Bei einer Betrachtung des langen Prozesses, in dem sich die territorialen Wildbeutergemeinschaften zu den territorialen, komplexer strukturierten Dorfgemeinschaften des 3. Jahrtausend v.Chr. wandelten, ist zu berücksichtigen, dass über den Dorfgemeinschaften grössere Einheiten wie beispielsweise Heirats- oder Sprachgemeinschaften oder Netzwerke zur Rohmaterialbeschaffung bestanden. Solche könnten in dem einen oder anderen Fall den keramischen Regionalstilen, also den archäologischen Kulturen, entsprechen. Mit der Zunahme der Funde bzw. gut datierter Fundkomplexe scheint es heute, dass im Mittelland mehr Regionalstile definiert werden können, als die Forschung dies mit der vereinfachenden Unterteilung in westliches, zentrales und nordöstliches Mittellandbis anhingetan hat. In jedem der drei Gebiete sind mindestens je zwei verschiedene Regionalstile zu unterscheiden. Die nachweisbare Zunahme des mitteleuropäischen Einflusses ab etwa 3800 v.Chr.(erstmals im Gebiet von Zürich- und Zugersee erkennbar), die Entstehung der Mischkultur des Auvernier-Cordé in der Dreiseenregion ca. 2700-2400 v.Chr. und auchdie fast vollständige Überprägung der gesamten Schweiz (mit Ausnahme Graubündens) durch die Glockenbecherkultur ab 2400 v.Chr. stellen Phänomene dar, die sicher von Umwälzungen der Gesellschaft begleitet waren, auch wenn diese nicht im Einzelnen nachvollziehbar sind.
Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (Hg.): Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter. Vom Neandertaler bis zu Karl dem Grossen, Bd. 2, 1995.
Werner E. Stöckli; Regine Stapfer: "Neolithikum", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.06.2025. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008012/2025-06-12/, konsultiert am 13.07.2025.