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ReichenauGR

Herrschaft, Schloss und Weiler am Zusammenfluss des Vorder- und Hinterrheins in der Gemeinde Tamins GR. Romanisch La Punt. Der Name geht auf das Kloster Reichenau am Bodensee zurück, das im Frühmittelalter hier Herrschaftsrechte erwarb.

Ansicht der Siedlung, bestehend aus Schloss, Raststätte und Zollposten, beim Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein. Zeichnung von Edouard Pingret, um 1824, angefertigt für die 1827 in Paris erschienene Sammlung "Promenade sur le Lac de Walenstadt et dans le Pays des Grisons" in Zusammenarbeit mit dem Maler, Schriftsteller und französischen Staatsrat Alexandre de la Motte Baracé, Vicomte de Sennones (Fundaziun Capauliana, Chur).
Ansicht der Siedlung, bestehend aus Schloss, Raststätte und Zollposten, beim Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein. Zeichnung von Edouard Pingret, um 1824, angefertigt für die 1827 in Paris erschienene Sammlung "Promenade sur le Lac de Walenstadt et dans le Pays des Grisons" in Zusammenarbeit mit dem Maler, Schriftsteller und französischen Staatsrat Alexandre de la Motte Baracé, Vicomte de Sennones (Fundaziun Capauliana, Chur). […]

Zusammen mit Tamins und Trin bildete Reichenau im Mittelalter die Herrschaft Hohentrins mit der Burg Crap Sogn Barcazi als Zentrum. Bis 1428 gehörte die Herrschaft den Grafen von Werdenberg-Heiligenberg, dann den Herren von Hewen. 1568 erwarb sie Johann von Planta von Rhäzüns, 1583 Rudolf von Schauenstein. Nachdem Trin die Feudalrechte ausgekauft hatte, wurde Reichenau 1616 Sitz der verkleinerten Herrschaft, nun Herrschaft Reichenau genannt. Vermutlich entstanden erst mit der Verlegung des Herrschaftssitzes zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Reichenau Herrschaftsgebäude. Nach dem Aussterben der Schauenstein kam Reichenau an die Buol von Schauenstein. Um 1755 wurden die Wirtschafts- und Wohngebäude unter Johann Anton Buol ausgebaut. 1792 verkaufte Johann Rudolf Buol die Herrschaft an ein Konsortium der Familien Bavier, Vieli und Tscharner.

1793 verlegte Johann Baptista von Tscharner seine der Aufklärung verpflichtete Erziehungsanstalt von Jenins nach Schloss Reichenau (Philanthropinum). Die Lehrer Johann Peter Nesemann und Johann Heinrich Zschokke verhalfen der Schule, die bis 1798 Bestand hatte, zu grossem Ansehen. Vorübergehend war auch Louis-Philippe I., der spätere König von Frankreich, unter dem Pseudonym Monsieur Chabos als Lehrer auf Schloss Reichenau tätig. 1803 hob die Mediation die Feudalrechte auf. 1820 gelangte das Schloss wieder an die Familie von Planta, die ihm die heutige Gestalt mit Türmchen über einem Dreieckgiebel gab. Heute gehört Schloss Reichenau einer Erbengemeinschaft der Familie Tscharner. Es gilt als einzige im klassizistischen Stil erbaute Herrenanlage der Region, die auch den Aussenraum mit Garten und Wirtschaftsgebäulichkeiten umfasst. Bemerkenswert sind der um 1820 eingerichtete Speisesaal im Hauptgebäude und ein kleiner Saal im Gartenflügel mit graziösem Rokokostuck an den Wänden.

Der Weiler Reichenau verdankte seine Bedeutung seiner guten Verkehrslage am Zusammenfluss von Hinter- und Vorderrhein. Bis zum Bau zweier Brücken Ende des 14. Jahrhunderts dürfte ein Fährbetrieb existiert haben. 1399 ist erstmals eine Zollbrugg über den Vorderrhein erwähnt. Im 14. Jahrhundert wurde eine Brücke über den vereinigten Rhein vom sogenannten Käppelistutz her bis unmittelbar unterhalb des späteren Schlosses Reichenau errichtet. Um 1570 bestand in Reichenau vermutlich nur ein Zollhaus, das auch als Gaststätte diente und sich wohl an der Stelle des heutigen Gasthofs Adler befand. Die Bedeutung des Brückenkopfs Reichenau stieg durch die Aufgabe der Brücke bei Domat/Ems (sogenannte Punt'Arsa), die bis dahin den Verkehr der Lukmanier-Route aufgenommen hatte. 1755 gelang dem Appenzeller Baumeister Johannes Grubenmann in einer kühnen Konstruktion der Bau einer neuen gedeckten Brücke, die sich an der gleichen Stelle befand wie die heutige. 1799 schlugen die französischen Revolutionstruppen den Landsturm aus der Surselva bei Reichenau vernichtend und setzten die Brücke in Brand. 1819 durch den Allgäuer Johann Stiefenhofer wieder erbaut, brannte die Brücke 1881 erneut ab und wurde durch eine Eisenkonstruktion ersetzt; in derselben Konstruktion wurde 1889 auch die Brücke über den Vorderrhein errichtet. 1896 erfolgte der Bau des Bahnhofs Reichenau-Tamins der Rhätischen Bahn auf dem Territorium von Domat/Ems.

Quellen und Literatur

  • K.A. Bieler, Die Herrschaft Rhäzüns und das Schloss Reichenau, 1916
  • Kdm GR 4, 1942 (19752), 23-26
  • P.E. Müller, Reichenau, 1969
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Zitiervorschlag

Linus Bühler: "Reichenau (GR)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.08.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008079/2010-08-23/, konsultiert am 19.03.2024.