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Agrarwissenschaften

Agronomie

Die Agrarwissenschaften als Lehre von der Landwirtschaft umfassen die Bereiche Pflanzen-, Nutztier- und Lebensmittelwissenschaften sowie die wissenschaftliche Agrarwirtschaft. Sie haben eine natur- und eine wirtschaftswissenschaftliche Wurzel: Der wichtigste frühe naturwissenschaftliche Förderer der europäischen Landwirtschaft war Albrecht Thaer (1752-1828). Er gründete landwirtschaftliche Akademien und Schulen, die Erkenntnisse über Düngung, Pflanzenbau und Viehfütterung erarbeiteten und verbreiteten. Thaer hatte einen grossen Einfluss auf den Beginn der agrarwissenschaftlichen Forschung und Ausbildung in der Schweiz (Physiokratie, Ökonomische Gesellschaften). Philipp Emanuel von Fellenberg (1771-1844) gründete die ersten landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten im Kanton Bern (Hofwil), denen weitere in anderen Kantonen folgten (Landwirtschaftliche Schulen).

Ihre wirtschaftswissenschaftliche Wurzel haben die Agrarwissenschaften in den Werken der frühen Klassiker Adam Smith und David Ricardo, aber auch in Thaer und dessen Schüler Johann Heinrich von Thünen (1783-1850). Mit seinem Konzept der Thünenschen Kreise begründete Letzterer zugleich die agrarökonomische und die regionalwissenschaftliche Forschung. Diese Lehrmeinungen kamen mit Professor Adolf Kraemer an die 1871 gegründete Abteilung Landwirtschaft des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich, die den Unterricht mit drei Professoren und fünf Studenten aufnahm. Auf Kraemer folgte Ernst Laur, der sich politisch und wissenschaftlich in den Dienst des schweizerischen Agrarprotektionismus stellte. Er entwickelte Buchhaltungs- und Kalkulationssysteme, die weltweite Verbreitung fanden. Ab 1900 wies das Studienfach die Teilgebiete Betriebslehre, Tierproduktion, Pflanzen- und Ackerbau, Agrikulturchemie und landwirtschaftliche Technologie sowie landwirtschaftliche Bakteriologie auf. Nach 1960 erfuhr die Abteilung Agrar- und Lebensmittelwissenschaften der ETH Zürich eine starke Erweiterung um moderne Forschungs- und Lehrgebiete wie Mikrobiologie, Milchwissenschaften, Lebensmittelwissenschaften, Bodenkunde, Ernährungs- und Züchtungsbiologie, Populationsgenetik, volkswirtschaftliche Fragen des Agrarsektors, Agrarmärkte und Entwicklungsökonomie und in den letzten Jahren Bio- und Gentechnologie.

Eine analoge Entwicklung vollzog sich an den Eidgenössischen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten: Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Pflanzenbau in Changins entstand 1953 aus dem 1884 gegründeten Institut agricole vaudois, der 1886 gegründeten Station viticole cantonale vaudoise, der Station fédérale de chimie agricole (1897) und den später angegliederten Versuchsstationen in Cadenazzo und Fougères. Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil nahm 1890 ihren Anfang mit einer Versuchsstation und einer Schule eines Konkordats von 14 Kantonen. Der Bund übernahm 1902 die Forschungsanstalt. Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau in Zürich-Reckenholz geht zurück auf eine 1875 gegründete und 1878 vom Bund übernommene Samenkontrollstation. Als Schweizerische agrikulturchemische Untersuchungsstation wurde diese führend auf den Gebieten der Kontrolle landwirtschaftlicher Hilfsstoffe, des Futterbaus, der Getreidezüchtung, der Saatgutvermehrung und des Pflanzenschutzes, insbesondere bei den Kartoffeln. 1959 wurde die Dünge- und Futtermittelkontrolle an die damalige Agrikulturchemische Anstalt Liebefeld-Bern abgetreten. Diese geht auf 1897 zurück, als der Bund die Berner kantonale agrikulturchemische Anstalt übernahm. Als Institut für Umweltschutz und Landwirtschaft ist sie seit 1995 in die Forschungsanstalt Zürich-Reckenholz eingegliedert. Ebenfalls kantonale Wurzeln hat die 1901 gegründete Eidgenössische Forschungsanstalt für Milchwirtschaft in Liebefeld-Bern. Sie entstand aus dem zunehmenden Bedürfnis, mehr über das Wesen der Milch, die Technik, Mikrobiologie, Physiologie und Chemie der Butter- und Käseherstellung zu wissen. Seit 1970 werden an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Nutztiere in Posieux (heute Gemeinde Hauterive FR) vielfältige Versuche mit allen landwirtschaftlichen Nutztieren (ausser Geflügel) durchgeführt. Auch die Futtermittelkontrolle und die Futtermittelbewilligung ist dort eingegliedert. 1969 hat die Eidgenössische Forschungsanstalt für Agrarwirtschaft und Landtechnik in Tänikon ihre Arbeit begonnen. Ihre Gründung ist auf den landwirtschaftlichen Rationalisierungsdruck in den 1960er Jahren zurückzuführen. Hauptbereiche sind die zentrale Auswertung von Buchhaltungserhebungen, die Bereitstellung agrarpolitischer Grundlagen, die Überprüfung von landtechnischen Entwicklungen, Stalleinrichtungen und landwirtschaftlichen Maschinen.

Die an der ETH und an den Forschungsanstalten erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse fanden ihren Niederschlag auf den Feldern und in den Ställen der Schweizer Bauern. Die naturwissenschaftliche Entwicklung und die Anwendung von Düngern und Pflanzenschutzmitteln zur Ertragssicherung und Ertragssteigerung führten zu landwirtschaftlichen Betrieben mit unterschiedlichen Nährstoffkreisläufen. Daneben begannen Anhänger biologischer Anbauverfahren, "chemielose" Pflanzenschutz- und Düngetechniken zu entwickeln. Zu diesem Zweck gründeten sie 1973 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Oberwil (BL), das 1997 nach Frick wechselte. Es erhält zunehmend staatliche Mittel. Zurzeit sind die schweizerischen Agrarwissenschaften auf eine wirtschaftliche und ökologisch nachhaltige Kulturlandschaft-Bewirtschaftung und hohe Ernährungsqualität ausgerichtet.

Quellen und Literatur

  • S. von Frauendorfer, Ideengesch. der Agrarwirtschaft und der Agrarpolitik im dt. Sprachgebiet, 1963
  • ETH Zürich: Studienführer zur Hundertjahrfeier der Abt. Landwirtschaft, 1971
  • M. Rochaix, R. Bovey, «Le domaine de Changins propriété de la Confédération», in RHV, 1977, 103-110
  • J.-F. Bergier, H.W. Tobler, ETH Zürich 1855-1980, Fs. zum 125jährigen Bestehen, 1980
  • W. Baumann, Bauernstand und Bürgerblock, 1994
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Rieder: "Agrarwissenschaften", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 28.08.2007. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008250/2007-08-28/, konsultiert am 29.03.2024.