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Geografie

Geografie befasst sich im weiten Sinn mit der Erarbeitung und Vermittlung von Beschreibungen und Erklärungen räumlicher Zustände und Prozesse auf der Erde. Zielsetzung der Forschung ist die Darstellung und Erklärung der individuellen Ausprägung der einzelnen räumlichen Einheiten in ihrer strukturellen, funktionalen und dynamischen Gestalt sowie die Erforschung und typologische Ordnung der Bestandteile der geosphärischen Räume, der darin wirkenden Faktoren, der Regeln ihres Zusammenwirkens und ihrer räumlichen Ordnung. Die Analyse der physisch-materiellen Umwelt erfolgt unter einer doppelten Perspektive: als Voraussetzung und Beschränkung des Menschen und seiner soziokulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung einerseits und als Produkt und Ergebnis dieser Prozesse andererseits. Dies erfordert sowohl einen natur- wie einen geisteswissenschaftlichen Zugang. Durch das Zusammenwirken der Physischen Geografie (Physiogeografie) und der Kulturgeografie (Anthropogeografie, Humangeografie) werden in Zusammenarbeit mit benachbarten Fachbereichen Entwürfe umwelt- und sozialverträglicher Nutzungskonzepte für bestimmte Lebensräume (Raumplanung) erarbeitet. Die Regionale Geografie untersucht das Zusammenwirken der Einflussfaktoren innerhalb bestimmter Raumeinheiten im lokalen, regionalen oder globalen Massstab, die Allgemeine Geografie erfasst systematisch analysierend die geografischen Sachkategorien. Die Angewandte Geografie macht die geografischen Erkenntnisse (Fakten und Methoden) für die Umsetzung verfügbar. Die Schulgeografie entwickelt sich zunehmend über die Fachgrenzen hinaus, um den wachsenden Umwelt-, Gesellschafts- und Wirtschaftsproblemen begegnen zu können.

Allegorische Kartusche, welche die vom deutschen Geografen Georg Matthäus Seutter hergestellte Karte von Stadt und Republik Bern ziert. Augsburg, um 1740 (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner).
Allegorische Kartusche, welche die vom deutschen Geografen Georg Matthäus Seutter hergestellte Karte von Stadt und Republik Bern ziert. Augsburg, um 1740 (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner). […]

Geografie als Erdbeschreibung und Erdzeichnung

Geografie geht als Erdbeschreibung wie auch als Erdzeichnung (Kartografie) auf den Griechen Herodot (5. Jh. v.Chr.) zurück. Dieser hat das damalige Weltbild durch das Aufsuchen der Schauplätze der Geschichte bedeutend ausgeweitet. Die hoch entwickelte Kartografie des Römischen Reichs (Tabula Peutingeriana) diente noch im Hochmittelalter als Grundlage für die Entwürfe der ersten Weltkarten. Mit der Erfindung der Druckverfahren wurden sehr bald auch Karten vervielfältigt. Die Geografie setzte in der Schweiz mit den Topografen Conrad Türst, Johannes Stumpf und Aegidius Tschudi ein, die Gesamtkarten der Schweiz entwarfen. Josias Simler schuf 1574 die erste, ausschliesslich den Alpen gewidmete topografische Beschreibung. Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) führte erstmals in den Alpen Messungen durch, um die Naturerscheinungen nach physikalischen Grundsätzen zu erklären. Der Berner Albrecht von Haller (1708-1777) gilt aufgrund seiner genauen Erdbeschreibungen als ausserordentlich bedeutender Geograf des frühen 18. Jahrhunderts. Horace Bénédict de Saussure aus Genf liess als einer der grössten Hochgebirgsforscher seiner Zeit genaue Messinstrumente bauen und erforschte die Landschaft fast im modernen Sinn komplex. Er war ein Vorbild des Deutschen Alexander von Humboldt, dessen Reise- und Länderberichte den Höhepunkt der Geografie als Erdbeschreibung darstellen.

Mitgliederausweis für den 5. Internationalen Kongress der geographischen Wissenschaften, ausgestellt auf den Namen des Berner Regierungsrats Albert Gobat, der diesen Anlass präsidierte. Allegorisches Motiv des Berner Malers und Illustrators Robert Kiener (Mémoires d'Ici, Saint-Imier, Fonds Albert et Marguerite Gobat).
Mitgliederausweis für den 5. Internationalen Kongress der geographischen Wissenschaften, ausgestellt auf den Namen des Berner Regierungsrats Albert Gobat, der diesen Anlass präsidierte. Allegorisches Motiv des Berner Malers und Illustrators Robert Kiener (Mémoires d'Ici, Saint-Imier, Fonds Albert et Marguerite Gobat). […]

Damit war die Geografie im 19. Jahrhundert als naturwissenschaftliche Disziplin entwickelt. In der Schweiz wurden vor allem die Entstehung der Alpen und die Gletscher untersucht, in Bern durch Bernhard Studer, in Neuenburg durch Louis Agassiz, in Basel durch Ludwig Rütimeyer und in Zürich durch Albert Heim. Sie hielten an den Hohen Schulen und Universitäten als Geologen oder Biologen Geografie-Vorlesungen, lange bevor Lehrstühle für Geografie eingerichtet waren. Mit dem Kolonialismus und der Internationalisierung der Wirtschaft im 19. Jahrhundert wurde das Interesse an fremden Ländern, Gesellschaften und Kulturen geweckt, worauf Vorlesungen zur Vergleichenden Geografie der Kontinente, zu den Wirtschaftsverhältnissen und zur Anthropologie angeboten wurden.

Geografie an den Hochschulen

Von der Errichtung der Lehrstühle bis 1945

Die naturwissenschaftliche Ausrichtung der geografischen Forschung im 18. und 19. Jahrhundert hatte zur Folge, dass die Lehrstühle in der ersten Periode an den naturwissenschaftlichen Fakultäten eingerichtet wurden: 1886 an der Universität Bern, 1895 an der Universität Zürich, 1896 an der Universität Freiburg, 1912 an der Universität Basel und 1915 an der ETH Zürich. Diese Einordnung in das bestehende Wissenschaftssystem des 19. Jahrhunderts entsprach jedoch nicht dem Wesen des Faches als natur- und geisteswissenschaftliche Disziplin. In der ersten Phase 1886-1915 dominierte in der Physischen Geografie die Geomorphologie, vor allem die Alpen- und die Eiszeitforschung. Die Anthropologie war Teil der vergleichenden Länderkunde, die vorwiegend der Lehrerausbildung diente. In der zweiten Phase 1915-1945 behielt die Geomorphologie ihre starke Stellung. In der Kulturgeografie wurde die Völkerkunde aufgebaut, die sich später als Ethnologie verselbstständigte. Die Länderkunde konzentrierte sich stark auf die Schweiz. In Zürich wurde die Agrargeografie eingeführt, teilweise praxisorientiert und damit als Grundlage für die Raumplanung, in Genf und Freiburg die Politische Geografie und die Geopolitik.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine starke Spezialisierung ein. In der Physischen Geografie traten neben die Geomorphologie die Hydrologie und die Klimatologie. In der Kulturgeografie wurde die Wirtschaftsgeografie ausgebaut und die traditionelle Länderkunde als Regionalforschung weiterentwickelt. Das 1947 gegründete Institut in Lausanne wurde der geisteswissenschaftlichen Fakultät unterstellt (seit 2003 der Fakultät der Geo- und Umweltwissenschaften). Das in der deutschsprachigen Geografie entwickelte sogenannte Landschaftskonzept war ein Versuch, die Verbindung zwischen Natur und Mensch durch die Interpretation der Landschaften unter Verwendung des ökologischen Ansatzes und der Untersuchung der Systemzusammenhänge zu erkennen.

Ab 1965 erfolgte auch in der Geografie die Einführung quantitativer Methoden, die sich zum Teil zu selbstständigen Teildisziplinen entwickelten (Quantitative Geografie, Fernerkundung, Geografische Informationssysteme). Die Ausbildung von Lehrkräften für Geografie ging stark zurück, und die angewandte Geografie mit Berufsmöglichkeiten in der Verwaltung und in privaten Unternehmen gewann an Bedeutung. In St. Gallen wurde 1972 die Forschungsstelle für Wirtschaftsgeografie und Raumplanung als selbstständiges Institut gegründet, und in Neuenburg öffnete 1974 an der geisteswissenschaftlichen Fakultät ein geografisches Institut seine Tore, nachdem bereits ab 1866 Vorlesungen in Geografie gehalten worden waren.

Seit etwa 1980 gewannen die integrale Umweltforschung sowie die Forschung in Entwicklungsländern zunehmend an Bedeutung. In der Kulturgeografie entwickelte die Sozialgeografie handlungstheoretische Konzepte und führte die qualitativen Methoden der Sozialforschung ein. Die Bodenkunde ergänzte die Physische Geografie, die Teildisziplinen wurden als Landschaftsökologie zusammengefasst und die Umweltprozesse zunehmend mit Hilfe von quantitativen Modellen analysiert.

Entwicklungstendenzen

Die seit den 1960er Jahren vor allem fachintern geführten Diskussionen über die Wissenschaftlichkeit der Geografie als einer sowohl den Naturwissenschaften als auch den Geisteswissenschaften verpflichteten Disziplin führte im Ausland teilweise zur Spaltung des Faches und zur Ablehnung der Regionalen Geografie. Mit der zunehmenden Umweltbelastung auf lokaler bis globaler Ebene und den dadurch bedingten raumwirksamen Massnahmen gewinnt auch die Regionale Geografie unter der Fragestellung des Verhältnisses von Raum und Gesellschaft wieder an Bedeutung. Das Mensch-Umwelt-Verhältnis, das weltweit immer weitere Bereiche tangiert, wird auch als wissenschaftliche Fragestellung immer wichtiger. Dessen Behandlung ist nur noch interdisziplinär möglich. Die Geografie hat besonders gute Voraussetzungen, um natur- und geisteswissenschaftliche Ansätze und Methoden verbindend weiterzuentwickeln.

Geografische Gesellschaften

Die Gründungen der Geografischen und Geografisch-Ethnografischen Gesellschaften erfolgten im 19. Jahrhundert parallel zum wachsenden Interesse an fremden Ländern (1858 Genf, 1872 Bern, 1878 St. Gallen, 1885 Neuenburg, 1899 Zürich, 1923 Basel, 1995 Tessin). 1970 wurde die Schweizerische Geografische Gesellschaft gegründet, die 1989 vom Verband Geografie Schweiz abgelöst wurde, in dem alle Institute, die Regionalgesellschaften und die Fachgesellschaften der Geografielehrer, der Angewandten Geografen, der Kartografen, der Geomorphologen und der Geografiestudierenden vereinigt sind.

Quellen und Literatur

  • Compte rendu du Ve congrès international des sciences géographiques, tenu à Berne du 10 au 14 août 1891, 1892 (Neudr. 1972)
  • Der Schweizer Geograph, 1923-45
  • Geographica Helvetica, 1946-
  • H. Beck, Geographie, 1973
  • Nouvelle géographie de la Suisse et des Suisses, hg. von J.-B. Racine, C. Raffestin, 2 Bde., 1990
  • G. Grosjean, 100 Jahre Geogr. Inst. der Univ. Bern, 1886-1986, 1991
  • GeoAgenda, 1994-
  • B. Werlen, «Landschaft, Raum und Gesellschaft», in Geogr. Rundschau 1995, 47, 513-522
  • E. Ehlers, «Global Change und Geographie», in Geogr. Rundschau 1998, 50, 273-276
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans-Rudolf Egli: "Geografie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.11.2007. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008266/2007-11-29/, konsultiert am 18.04.2024.