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Kunstgeschichte

Die Kunstgeschichte ist heute ebenso Fach- und Sachgebiet wie selbstständige wissenschaftliche Disziplin, deren inhaltliche Abgrenzung sich zeitgebunden veränderte und in der Kunstgeschichtsschreibung ihren Niederschlag fand. Heute beschäftigt sie sich in der Regel mit der Geschichte und den Erscheinungsformen der abendländischen Kunst vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart und schliesst die Architektur, die Malerei (Zeichnung), die Skulptur (Bildhauerei), das Kunstgewerbe (Kunsthandwerk) und die neuen Medien ein. Als wissenschaftliche Disziplin ist sie eng mit anderen Geistes- und Sozialwissenschaften verknüpft und liefert unter Beizug unterschiedlicher Methoden begründete Interpretationen künstlerischer Artefakte. Für die analysierende, vergleichende und interpretierende Arbeit sind Quellen, visuelle und literarische Referenzen in mehrfacher Hinsicht von eminenter Bedeutung. Die Entwicklung der modernen, institutionalisierten Kunstgeschichte setzte erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ein, gründet aber in antiken und namentlich frühneuzeitlichen Vorläufern, die sich beschreibend und wertend den Kunststätten und dem Leben der Künstler widmeten oder sich besonders mit der Architekturtheorie auseinandersetzten.

In der Schweiz entfaltet sich die Kunstgeschichte in unterschiedlichen Zusammenhängen: unter anderem als Kunsthistoriografie, in der Lehre und Forschung an Universitäten, Fachhochschulen und Kunstgewerbeschulen, aber auch im Bereich der Museen, der Kunstvereine, der Inventarisation (Inventare) und der Denkmalpflege. Johann Caspar Füsslis patriotisch motivierte «Geschichte und Abbildung der besten Mahler in der Schweitz» (1755-1757) steht am Anfang der schweizerischen Kunsthistoriografie. Aus derselben Epoche stammen Rudolf Füsslis «Allgemeines Künstlerlexikon» (1763-1777) und eine erste Kunsttopografie von Johannes Müller (1773-1783). Johann Rudolf Rahn, der als Vater der schweizerischen Kunstgeschichte gilt, publizierte 1876 die «Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters», ein stilgeschichtliches Werk, das die Erforschung der Kunst in der Schweiz wesentlich beeinflusste.

Einen Meilenstein in der schweizerischen Kunstgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts stellt die in ihrer Art bis heute unerreichte vierbändige «Kunstgeschichte der Schweiz» von Joseph Gantner und Adolf Reinle dar (1936-1962). Als jüngste Übersicht zur visuellen Kultur der Schweiz erschien 1987-1993 «Ars Helvetica» (13 Bde.). Wichtigste Fachzeitschriften sind der «Anzeiger für schweizerische Altertumskunde» (Alte Folge 1855-1898, Neue Folge 1899-1938), die «Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte» (seit 1939), «Unsere Kunstdenkmäler» (1950-1993, seit 1994 «Kunst + Architektur in der Schweiz») und das «Kunst-Bulletin» (seit 1968). An Lexika sind das «Schweizerische Künstlerlexikon» (1905-1917), das «Künstlerlexikon der Schweiz XX. Jahrhundert» (1958-1967), das «Biografische Lexikon der Schweizer Kunst» (1998) und schliesslich der Lexikoncharakter aufweisende 11. Band des «Inventars der neueren Schweizer Architektur» INSA (2004) sowie das «Architektenlexikon der Schweiz, 19./20. Jahrhundert» (1998) zu nennen.

Die akademische Lehre der Kunstgeschichte setzte mit Jacob Burckhardt ein, der ab 1844 vorerst als Extraordinarius an der Universität Basel neben Geschichte auch Kunstgeschichte lehrte (1855-1858 Polytechnikum Zürich, 1858-1893 Universität Basel). Auch an anderen schweizerischen Universitäten wurde bereits im 19. Jahrhundert Kunstgeschichte unterrichtet, in Bern ab 1857 von Gottlieb Trächsel, in Zürich ab 1869 von Johann Rudolf Rahn, in Freiburg ab 1890 von Wilhelm Effmann. Die westschweizerischen Universitäten dagegen richteten Lehrstühle für Kunstgeschichte erst in den 1960er Jahren ein. Die kunstgeschichtliche Lehre und Forschung in der Schweiz hat seit ihren Anfängen dank herausragender Exponenten auch im internationalen Vergleich bedeutende Beiträge zur Entwicklung und Methodik der Disziplin geliefert. Neben den bereits genannten sind etwa Wilhelm Worringer («Abstraktion und Einfühlung» 1908; 1909-1914 Privatdozent an der Universität Bern) und Heinrich Wölfflin («Kunstgeschichtliche Grundbegriffe» 1915), der 1893-1900 als Professor an der Universität Basel und 1924-1934 an der Universität Zürich lehrte, zu erwähnen. Einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Kunstgeschichte in der Schweiz haben zudem der 1880 gegründete Verein zur Erhaltung vaterländischer Kunstdenkmäler (seit 1934 Gesellschaft für schweizerische Kunstgeschichte) und das 1951 ins Leben gerufene Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft in Zürich. 1976 wurde als Berufsverband die Vereinigung der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in der Schweiz (VKKS) gegründet. Seit 1979 erscheint die «Bibliographie zur schweizerischen Kunst und Denkmalpflege», seit 1994 das international ausgerichtete «Georges-Bloch-Jahrbuch», das einzige in der Schweiz erscheinende kunstwissenschaftliche Jahrbuch.

Quellen und Literatur

  • Kunstwissenschaft an Schweizer Hochschulen, 1976
  • G. Germann, «Kunstlandschaft und Schweizer Kunst», in ZAK 41, 1984, 76-80
  • H. Belting et al., Kunstgeschichte: eine Einführung, 1985 (72008)
  • «Von Füssli bis Ars Helvetica. Kunstgeschichte in der Schweiz», in UKdm 38, 1987, Nr. 3
  • Histoire de l'histoire de l'art, hg. von E. Pommier, 2 Bde., 1995-97
  • U. Kultermann, Gesch. der Kunstgeschichte, 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Nott Caviezel: "Kunstgeschichte", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.02.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008270/2015-02-19/, konsultiert am 19.03.2024.