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Kommunikationswissenschaften

Unter dem Begriff Kommunikationswissenschaften werden verschiedene wissenschaftliche Ansätze mit unterschiedlichen Bezeichnungen zusammengefasst. Im deutschsprachigen Raum lassen sich mit Blick auf die letzten Jahre zwei Richtungen festmachen, die sich auf Grund ihrer Forschungsinteressen unterscheiden. Die Publizistik- oder Kommunikationswissenschaft befasst sich in erster Linie mit dem Informationsaspekt der Kommunikation (was wird kommuniziert), wobei sie sich dabei auf die Massenmedien konzentriert. Die Medienwissenschaft dagegen legt ihren Schwerpunkt auf den Mitteilungsaspekt der Kommunikation (wie wird kommuniziert, in Rückgriff auf welches Kommunikationsmedium, unter welchen medial konditionierenden Bedingungen). Beide Ansätze gehen auf den linguistic turn um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück und berufen sich einerseits auf die Theorie des Pragmatismus des amerikanischen Philosophen Charles Sanders Peirce, Begründers der modernen Semiotik, andererseits auf die Semiologie des Genfer Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure. Diese europäische Variante des linguistic turn beeinflusste vor allem die Medienwissenschaft. Gemeinsam ist den Zugängen die Abkehr von der – vorwiegend europäischen – geisteswissenschaftlichen Tradition mit ihren bewusstseinsphilosophischen Grundbegriffen, die neu sprachtheoretisch bzw. semiotisch begründet werden. Die Analyse «objektivierbarer», «äusserlicher» und in diesem Sinne «empirisch» zugänglicher «Objekte» rückt nun in den Vordergrund. Der Fokus richtet sich auf sprachliche Ausdrücke und beobachtbares Verhalten, die mit Hilfe von Ansätzen gedeutet werden, die von der Semiotik und der analytischen Sprachphilosophie über den Sozialbehaviorismus und die Verhaltenspsychologie bis hin zur Sozialpsychologie und der empirischen Sozialforschung reichen.

Titelblatt aus dem Erstdruck von Giovanni Pierio Valeriano Bolzanios Hieroglyphica, erschienen in der Offizin Michael Isengrins in Basel, 1556 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara, Y 41).
Titelblatt aus dem Erstdruck von Giovanni Pierio Valeriano Bolzanios Hieroglyphica, erschienen in der Offizin Michael Isengrins in Basel, 1556 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara, Y 41). […]
Seite aus dem Erstdruck von Giovanni Pierio Valeriano Bolzanios Hieroglyphica, erschienen in der Offizin Michael Isengrins in Basel, 1556 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara, Y 41).
Seite aus dem Erstdruck von Giovanni Pierio Valeriano Bolzanios Hieroglyphica, erschienen in der Offizin Michael Isengrins in Basel, 1556 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara, Y 41). […]

Anders als im deutschsprachigen Raum etablierte sich an den Universitäten in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz (hier seit der Gründung der Universität Lugano 1996) eine medienwissenschaftliche, semiotisch-semiologisch und linguistisch geprägte Auffassung der Kommunikationswissenschaften. Entsprechend verweisen die Begriffe sciences des médias oder sciences de la communication gleichermassen, und meist auch kombiniert verwendet, auf medien- und publizistikwissenschaftliche Zugänge. Im italienischen Sprachraum spricht man in etwas missverständlicher Weise von der sociologia dei media oder sociologia della comunicazione, die an die angelsächsische communications research anknüpft und eher der Publizistikwissenschaft und weniger einer gesellschaftstheoretisch interessierten Medien- oder Kommunikationssoziologie entspricht. Als Oberbegriff für die Kommunikationswissenschaften dient hier der Begriff scienze della comunicazione, oft in Kombination mit scienze dei media.

Der heutigen Publizistikwissenschaft ging in der Deutschschweiz die wissenschaftliche Zeitungskunde bzw. Journalistik voran (Presse), die sich an den Geisteswissenschaften orientierte und eine mehr oder weniger kontinuierliche Behandlung der öffentlichen Kommunikation, verstanden als Öffentlichkeit im Sinne der Aufklärung, unter staatsrechtlichen, politikwissenschaftlichen und historischen Aspekten etablierte (Öffentlichkeit). Sie war praxisnah und wurde meistens von Journalisten im Nebenamt gelehrt, etwa von Oskar Wettstein, der als Chefredaktor der «Züricher Post» ab 1903 an der Universität Zürich dozierte, oder von Michael Bühler, der als Chefredaktor des «Bunds» ebenfalls ab 1903 an der Universität Bern wirkte. Ab den 1960er Jahren setzte sich in der Deutschschweiz, vor allem an der Universität Zürich, dann eine Publizistikwissenschaft durch, die an die ab den 1920er Jahren betriebene amerikanische communications research mit deren Orientierung an der Experimental- und Sozialpsychologie sowie empirischer Sozialforschung anschloss.

Die einst starke publizistikwissenschaftliche Ausrichtung der deutschschweizerischen Institute löste sich in den letzten Jahren zugunsten medienwissenschaftlicher und mediensoziologischer Ansätze auf. Für diese neueste Entwicklung spielen vor allem jene angelsächsischen Theorien und Methoden aus den 1950er und 1960er Jahren eine wichtige Rolle, die als media impact approach, als Schule von Toronto oder umfassender als Paradigma Kommunikation und Medien bezeichnet werden. Ferner beziehen sich mediensoziologische Ansätze auf gesellschaftstheoretisch begründete Medientheorien, wobei Kommunikation inzwischen zu einem Basisbegriff der neueren Gesellschaftstheorie geworden ist.

Quellen und Literatur

  • U. Saxer, «Kommunikations-, Publizistik- und Medienwissenschaft nach helvet. Manier», in Das Publikum als Programm, hg. von R. Oppenheim et al., 2002, 93-116
  • Medienwiss. Schweiz 13, H. 1, 2003
  • P. Meier, R. Blum, «"Im schweiz. Erdreich verwurzelte Wissenschaft"», in Die Spirale des Schweigens, hg. von W. Duchkowitsch et al., 22004
Weblinks

Zitiervorschlag

Gaetano Romano: "Kommunikationswissenschaften", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.11.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008290/2012-11-09/, konsultiert am 29.03.2024.