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Theologie

Als Rede von Gott ist die Theologie die mit wissenschaftlichen Methoden betriebene theoretische Auseinandersetzung mit den Grundlagen, Inhalten und der Geschichte des Glaubens. In der Antike als philosophische Reflexion über den Wahrheitsgehalt metaphysischer Gegenstände entstanden, kann sich Theologie prinzipiell auf jede Glaubensform beziehen. Im christlichen Mittelalter (Christentum) war sie die Lehre von Gottes Wesen, Existenz und Trinität. Im Lauf der Neuzeit differenzierte sich die christliche Theologie in die Fächer Bibelwissenschaft, historische Theologie (v.a. Kirchen-, Theologie- und Religionsgeschichte), systematische Theologie (Dogmatik, Ethik und Fundamentaltheologie) sowie praktische Theologie (Pastoraltheologie, Kirchenrecht, Liturgiewissenschaft und Religionspädagogik) aus.

In der Schweiz haben seit dem Mittelalter ausschliesslich die drei christlichen Konfessionen, Katholizismus, Protestantismus und Christkatholizismus, Theologie betrieben. Andere christliche und nichtchristliche Glaubensgemeinschaften wie die orthodoxen Kirchen, das Judentum oder der Islam haben hier als Einwanderer- oder Randgemeinschaften kein eigenständiges theologisches Denken ausgebildet. Themen anderer Glaubensgemeinschaften wurden aber zum Teil im universitären Fach der Religionswissenschaft behandelt.

Mittelalterliche Theologie

In den ersten Jahrhunderten des Frühmittelalters wurde die theologische Reflexion in Verbindung mit der lectio divina, d.h. der meditativen Auslegung der Heiligen Schrift im Sinne der monastischen Theologie gepflegt, exemplarisch etwa im Werk des Benediktiners Anselm von Canterbury. Die Abtei St. Gallen, wo unter anderem Notker der Deutsche die ersten deutschen Aristotelesübersetzungen anfertigte, verwirklichte im 9. und 10. Jahrhundert das Ideal derartiger Gelehrsamkeit, die im 12. Jahrhundert in cluniazensischen und zisterziensischen Klöstern in erneuerter Form weiterlebte. Als eigenständige wissenschaftliche Disziplin entwickelte sich die Theologie im lateinischen Westen erst im 12. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Ausbau der Kathedralschulen vor allem in Laon und Paris. Die wichtigsten Impulse kamen dabei unter anderem von der Schule der Abtei Saint-Viktor in Paris, der frühen Scholastik, der literarischen Gattung der Summa sowie den von Petrus Lombardus zusammengestellten vier Büchern der Sententiae, die aus einer Sammlung von Auszügen vor allem patristischer Texte bestehen.

Mit der Gründung der Universitäten zu Beginn des 13. Jahrhunderts (v.a. Paris, Oxford und Cambridge) veränderten sich Lehrbetrieb, Methoden und Inhalt theologischer Reflexion. Die streng reglementierte Ausbildung an den theologischen Fakultäten, die ein abgeschlossenes Studium an der Artes-Fakultät voraussetzte, beruhte auf dem Kommentar (einerseits des Sentenzenbuchs, andererseits der Bibel) sowie der Disputation, d.h. einer nach präzisen Vorschriften durchgeführten Diskussion, in der die grundlegenden Themen des christlichen Glaubens verhandelt wurden. Die neu gegründeten Bettelorden spielten im universitären Lehrbetrieb des 13.-15. Jahrhunderts eine hervorragende Rolle: Albertus Magnus und Thomas von Aquin waren die wichtigsten Theologen der dominikanischen Richtung, während Bonaventura, Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham die franziskanische Theologie vertraten. Daneben prägten auch Auseinandersetzungen aufgrund inhaltlich bedingter Schulrichtungen wie des Realismus (via antiqua) oder des Nominalismus (via moderna) das intellektuelle Leben des Spätmittelalters. Besonders wichtig war die bereits im 13. Jahrhundert einsetzende und bis ans Ende des Mittealters anhaltende Diskussion zum wissenschaftstheoretischen Status der Theologie. Die Bestände einiger Schweizer Bibliotheken, namentlich in Basel, bestätigen, dass trotz der relativ späten Gründung einer Universität 1459/1460 (Universität Basel) das theologische Denken in manchen Klöstern durchaus gepflegt wurde (Mönchtum). Bekannte scholastische Denker aus dem Gebiet der Schweiz waren Jacobus von Lausanne und Johannes Hiltalingen (1392) von Basel.

Die Intensität und der Abstraktionsgrad der scholastischen Debatten provozierten zum Teil heftige Reaktionen. Dazu zählten etwa die sogenannte Deutsche Mystik von Meister Eckhart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler, deren seelsorgerische Tätigkeit sich auch auf die Frauenklöster des Schweizer Raums erstreckte, später die Kritik des Erasmus von Rotterdam, der für die Begründung christlichen Lebens und Denkens die Notwendigkeit des Rückgriffs auf den Originaltext der Schrift betonte und die Zuverlässigkeit von Text und Übersetzung einforderte (Bibel).

Reformierte Theologie

In der Methode brach die reformierte Theologie mit dem scholastischen Modell, denn sie verstand theologische Arbeit vor allem als Kommentar zur Heiligen Schrift. Im eigentlich theologischen Bereich setzte sie der mittelalterlichen Aufwertung des Verdiensts und der Werke die Gnade und die Rechtfertigung durch den Glauben entgegen. Doch stellt die reformierte Theologie, wie sie sich ab 1520 in der Schweiz ausprägte, keinen homogenen Block dar.

Als Wiege des Zwinglianismus und des Calvinismus spielte die Schweiz eine massgebliche Rolle bei der Herausbildung der reformierten Theologie in Europa; dies vor allem dank des an den Akademien erteilten Unterrichts, der schon bald von Schülern aus allen Himmelsrichtungen besucht wurde. Anfänglich war die reformierte Theologie vor allem durch das Werk Huldrych Zwinglis geprägt, der in der Abendmahlsfrage im Gegensatz zu Martin Luther stand. In Basel war Johannes Oekolampad sowohl gegenüber dem Lutheranismus wie dem Humanismus offener. In der französischen Schweiz stand zunächst die Kontroverstheologie Guillaume Farels im Vordergrund. Ab 1541 übte Johannes Calvin sowohl durch seine dogmatische Summe wie durch seinen Einsatz für die Kirchenverfassung einen beherrschenden Einfluss aus, und dies trotz des geistigen Formats von Gestalten wie Pierre Viret. 1549 unterzeichnete Calvin mit Heinrich Bullinger den Consensus tigurinus, der 1566 durch die Annahme des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses gestärkt wurde.

Mit der Institutionalisierung der Reformation und der sich abzeichnenden Gegenreformation sowie der tridentischen Reform (Katholische Reform) verwandelte sich die reformierte Theologie zunehmend in eine Scholastik, deren erste Vertreter Theodor Beza, Lambert Daneau und Petrus Martyr Vermigli waren. Sie stand unter dem Einfluss des Aristotelismus, nahm aber auch, etwa im Werk von Amandus Polanus von Polansdorf und Johannes Wolleb, Impulse der Philosophie von Petrus Ramus auf. In der Lehre beherrschte die Orthodoxie der Dordrechter Synode das ganze 17. Jahrhundert in der Schweiz. Sie erreichte ihren Höhepunkt mit der Formula Consensus von 1675 (Protestantische Orthodoxie).

Titelseite der Abhandlung von Jean-Frédéric Ostervald, 1700 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Titelseite der Abhandlung von Jean-Frédéric Ostervald, 1700 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Mit der behutsamen Einführung des cartesianischen Rationalismus vor allem an der Genfer Akademie, dem Niedergang des Augustinismus und dem Auftauchen neuer Gegenströmungen wie dem Pietismus sowie dem Deismus Ende des 17. Jahrhunderts verabschiedete sich die reformierte Theologie von den dogmatischen Synthesen und richtete sich stärker apologetisch und moraltheologisch aus. Sie erneuerte sich unter dem Einfluss eher irenäisch gefärbter Positionen, so im Werk von Jean-Alphonse Turrettini, Samuel Werenfels und Jean-Frédéric Ostervald. Im Lauf des 18. Jahrhunderts wird deren Erbe im Dialog mit der Aufklärung durch Autoren wie Johann Jakob Wettstein, Jacob Vernet oder Johann Jakob Zimmermann sowohl vertieft wie umgestaltet.

Im 19. Jahrhundert ging eine starke Wirkung vom Denken des Berliner Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und von dem sich in seiner Nachfolge entwickelnden theologischen Liberalismus aus, dem das Werk Alexander Schweizers und Alois Emanuel Biedermanns verpflichtet war. In der französischen Schweiz errang Alexandre Vinet eine beherrschende Stellung, obgleich die theologische Debatte durch den wachsenden Gegensatz zwischen Anhängern des Liberalismus und der Erweckungsbewegungen geprägt war, der zu zahlreichen Abspaltungen innerhalb der reformierten Kirchen führte (Evangelische Freikirchen).

Im 20. Jahrhundert wurde der Fortbestand des theologischen Liberalismus einerseits durch das Wirken von Theologen wie Hermann Kutter und Leonhard Ragaz, die sich dem politischen Engagement verschrieben, andererseits vor allem durch die Ausstrahlung Karls Barths und der dialektischen Theologie in Frage gestellt. Einer ihrer bedeutenden Vertreter war auch Emil Brunner in Zürich. Ab den 1940er Jahren setzte sich die Barth'sche Richtung in der universitären Lehre vor allem in der französischen Schweiz durch. Die Wirkung des Deutschen Rudolf Bultmann, in seinen frühen Jahren ebenfalls ein Vertreter der dialektischen Theologie, ist nicht zu unterschätzen, auch wenn seine Rezeption in der Schweiz erst etwa ab 1950 einsetzte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste auch die heraufkommende Ökumene das theologische Denken, während die Erneuerung der monastischen Theologie im reformierten Gewand eine tiefe Wirkung auf einige Schweizer Denker ausübte (Grandchamp, Taizé). Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist eine gewisse Zersplitterung in der reformierten Theologie festzustellen: Neben dem Dialog mit verschiedenen philosophischen Strömungen wie dem Existentialismus und der philosophischen Hermeneutik steht die Beschäftigung mit der Religionswissenschaft.

Katholische Theologie

Mit der Reformation verlor die altgläubige Richtung eine Reihe von Klosterschulen und Ausbildungsstätten. 1529 ging auch Basel mit der einzigen Universität auf schweizerischem Boden zur Reformation über. Bestrebungen, die um 1600 in Luzern eingeführten höheren Studien der Philosophie und Theologie in eine Akademie mit Promotionsrecht zu überführen, schlugen fehl. Entsprechend kamen die Impulse katholischer Theologie von der katholischen Reform bis zum 18. Jahrhundert weitgehend von aussen und beschränkten sich auf einen kleinen Kreis Eingeweihter. Die Ausbildung von Klerikern fand in internen Klosterschulen und den erst spät errichteten Priesterseminarien statt, die höhere theologische Bildung an den Hochschulen der Nachbarländer, dem Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom, dem Collegium Helveticum in Mailand sowie an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Ingolstadt und Dillingen, ab dem 19. Jahrhundert an den Universitäten von Landshut, Tübingen und Innsbruck.

Die sogenannte katholische Aufklärung entfaltete in der katholischen Eidgenossenschaft nur punktuell Wirkung. Die Studienreform, die das Jesuitenkolleg in Luzern 1771 einführte, überdauerte die Aufhebung der Jesuiten 1773. Weltgeistliche traten als Theologielehrer die Nachfolge der Jesuiten an. Insbesondere die beiden Schüler Johann Michael Sailers, Joseph Widmer und Alois Gügler, entwickelten ein eigenes Profil romantisch ultramontaner Ausrichtung. Danach beeinflussten die politischen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen Wahl und Abwahl der Professoren in Luzern: Josef Burkard Leu lehrte Dogmatik und Apologetik im Geist der Tübinger Schule, Anton Tanner vertrat einen gemässigt liberalen Kurs. Mit der Gründung der Universität Freiburg 1889 gewann der konservative Flügel der Schweizer Katholiken vermehrt Einfluss auf die katholische Theologie. Die Übertragung des Unterrichts in Philosophie und Theologie an den Dominikanerorden lenkte die Freiburger Fakultät in die Bahnen des Neuthomismus (Thomismus). Neue Akzente setzten nach dem Zweiten Weltkrieg die Bibelwissenschafter Ceslas Spicq für das Neue und Jean-Dominique Barthélemy für das Alte Testament.

Die Modernismusdebatte blieb in der Schweiz auf einen engen Kreis von Klerikern und katholischen Intellektuellen beschränkt (Modernismus). 1957 durchstiess der von den Churer Professoren Franz Böckle, Johannes Feiner und Josef Trütsch herausgegebene Sammelband «Fragen der Theologie heute» scholastische Strukturen und lockerte antimodernistische Grundhaltungen. Aus dieser Neuorientierung heraus wuchs das von Feiner und Magnus Löhrer verfasste Werk «Mysterium Salutis» (1965-1981), das im Ausgang von der Heilsgeschichte die Beschlüsse des Zweiten Vatikanums (Vatikanische Konzile) zusammenfasste. Wegbereiter konziliarer Öffnung waren auch Otto Karrer und Hans Urs von Balthasar – beide Theologen ohne Lehrstuhl. Letzterer wirkte mit seinem vielschichtigen Werk weltweit. Der Kirchenrechtler Eugenio Corecco, der als Bischof von Lugano 1992-1993 auch die theologische Fakultät von Lugano gründete, beeinflusste massgeblich die Revision des Corpus Juris Canonici. In der Pastoraltheologie eröffnete Franz Xaver von Hornstein die Zusammenarbeit mit den Humanwissenschaften. Im kirchlichen Leben der Westschweiz übte der Freiburger Seminarprofessor und spätere Kardinal Charles Journet sowohl als spekulativer Theologe wie als praktischer Vermittler grossen Einfluss aus.

Christkatholische Theologie

Dekret des Grossen Rats des Kantons Bern über die Errichtung der Christkatholisch-theologischen Fakultät an der Universität Bern vom 29. Juli 1874 (Staatsarchiv Bern).
Dekret des Grossen Rats des Kantons Bern über die Errichtung der Christkatholisch-theologischen Fakultät an der Universität Bern vom 29. Juli 1874 (Staatsarchiv Bern). […]

1874 entstand an der Universität Bern eine christkatholische Fakultät, noch bevor die Organisation der aus dem Kulturkampf hervorgegangenen christkatholischen Kirche abgeschlossen war. 2001 fusionierte sie mit der evangelisch-theologischen Fakultät und ist seit 2008 ein Departement der theologischen Fakultät. Die Lehre in den klassischen theologischen Fächern, aber auch die Forschung behandelten immer wieder Fragen der Struktur der kirchlichen Gemeinschaft und des Verhältnisses von Freiheit und Autorität im Horizont der christlichen Tradition. Dazu arbeitete die erste Generation der Professoren mit historischen Mitteln einzelne Elemente aus der früheren Geschichte der Kirche heraus und stellte sie apologetisch-polemisch Entwicklungen in der katholischen Kirche entgegen bzw. präsentierte sie als Rechtfertigung von eigenen Reformschritten und als Übereinstimmung vorab mit orthodoxer und anglikanischer Theologie und damit als Basis einer künftigen Kirchengemeinschaft. Eine spätere Generation trieb, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Theologie von Barth und in Auseinandersetzung mit ihr, die Problematisierung der Voraussetzungen der Tradition voran und erzwang so einen differenzierteren Umgang mit ihr. In jüngster Zeit wurde versucht, Ansätze des altkirchlichen Denkens mehr in einem systematischen Zusammenhang für heutige Fragestellungen wie auch für die Liturgie und Seelsorge fruchtbar zu machen und diese in die theologische Grundfrage, die Frage nach Gott und damit nach der Sinngebung menschlichen Lebens, zu integrieren.

Quellen und Literatur

Mittelalter
  • G.R. Evans, Old Arts and New Theology, 1980
  • C.H. Lohr, Aristotelica Helvetica, 1994
  • Storia della teologia nel Medioevo, hg. von G. D'Onofrio, 3 Bde., 1996
  • La servante et la consolatrice, hg. von J.-L. Solère et al., 2002
Protestantische Theologie
  • P. Wernle, Der schweiz. Protestantismus im XVIII. Jh., 3 Bde., 1923-25
  • Gegen die Gottvergessenheit, hg. von S. Leimgruber, M. Schoch, 1990
  • K. Blaser, La théologie au XXe siècle, 1995
  • Die Reformation verstehen, 2005 (franz. 2005)
Katholische Theologie
  • P. Schmid, Kirchentreue und christl. Pragmatismus, 1987
  • TRE 21, 630-634
  • Theol. Profile: Schweizer Theologen und Theologinnen im 19. und 20. Jh., hg. von B. Bürki, S. Leimgruber, 1998
  • Die Rezeption des II. Vaticanums durch Schweizer Theologen, hg. von G. Bedouelle, M. Delgado, 2011
Christkatholische Theologie
  • K. Stalder, «Die christkath.-theol. Fakultät», in Hochschulgesch. Berns 1528-1984, 1984, 189-200
  • U. von Arx, «Ein Porträt der christkath. Lehranstalt der Univ. Bern», in Zwischen Freiheit und Gebundenheit, hg. von G. Esser, M. Ring, 2002, 209-237
Weblinks

Zitiervorschlag

Ruedi Imbach; Pierre-Olivier Léchot; Victor Conzemius; Urs von Arx: "Theologie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008293/2013-12-18/, konsultiert am 18.04.2024.