Grafschaft, Amt sowie Schlossanlage in der Gem. Lenzburg AG. Kyburg. und habsburg. Amt bis 1415, bern. Oberamt bis 1798, helvet. Distrikt bis 1803, seither Bez. des Kt. Aargau. Das südlich der Aare gelegene Bezirksgebiet umfasst die nördl. Teile des See- und des Bünztals und grenzt an die aarg. Bez. Aarau, Brugg, Baden, Bremgarten sowie Kulm. Die reich gegliederte Landschaft weist mit dem Lenzburger Schlossberg und dem Staufberg nur zwei dominierende Hügelzüge auf.
Die fruchtbare, offene und leicht zugängl. Landschaft ermöglichte schon früh eine menschl. Besiedlung. Der röm. Vicus in L. bestand vom 1. bis nach der Mitte des 3. nachchristl. Jahrhunderts; aufgrund der Grösse des szen. Theaters (ca. 4'000 Sitzplätze) ist zu vermuten, dass er für einen grösseren Umkreis zentralörtl. Funktionen erfüllte. Auf den Anhöhen seitlich des Seetals lagen röm. Gutshöfe. Die alemann. Einwanderung erfolgte spätestens im 7. Jh. Die Ortsnamen, meist alemann. Ursprungs, werden zwischen dem 9. und dem Ende des 13. Jh. erstmals in Urkunden erwähnt. Viele Dörfer gehörten zu dem grossen Sprengel der Pfarrei auf dem Staufberg, andere Pfarreien sind spätere Gründungen.
Unmittelbar nach der Übernahme der Grafschaft im Aargau dürften die Gf. von L. um 1030 das Amt L. mit der 1077 erstmals genannten Burg als Herrschaftsmittelpunkt geschaffen haben. Danach blieb das Amt ein als Pertinenz zur Festung L. gehörender landesherrlicher und bis ins 13. Jh. auch allodialer Verwaltungsbezirk mit sämtlichen hohen und zahlreichen niederen Gerichtsrechten. Über die Ausdehnung gibt nach der Übernahme durch die Gf. von Kyburg 1250/56 das kyburg. Urbar erstmals Auskunft. Das Amt reichte von Aarau bis Mellingen und von Aare und Kestenberg bis zum Baldeggersee. 1273 ging der kyburg. Machtkomplex mit dem Amt L. an die Habsburger über. Diese verselbstständigten die Städte Aarau und Mellingen und trennten das Gebiet um Richensee ab, das zusammen mit Hochdorf zum Amt Richensee vereinigt wurde. 1273 gelangte auch die Grafschaft im Aargau zusammen mit den kyburg. Besitzungen an Habsburg. Im Habsburger Urbar sind als grundherrl. Zentren L., Suhr, Gränichen, Villmergen und Reinach genannt. Dazu kamen Vogteirechte, Steuern sowie Zehnten aus versch. Kirchensätzen. Über die Verwaltung des Amtes in lenzburg. und kyburg. Zeit ist nichts bekannt. 1281 wurden die habsburg. Rechte und Besitzungen vom Aarauer Schultheissen verwaltet. Mit der Verleihung des Stadtrechtes an L. 1306 versah der Schultheiss von L. dieses Amt, der dem habsburg. Landvogt in Baden unterstellt war.
Nach der Eroberung des Aargaus 1415 fiel der grössere Teil des Amtes unter bernische, ein geringerer unter luzern. Herrschaft. Der luzern. Ostteil wurde später mit einigen weiteren Gem. zum Niederamt, einem Teil der Gemeinen Herrschaft Freie Ämter. Der grössere Westteil wurde zur bern. Landvogtei L., in der Bern eine straff gegliederte Herrschaft errichtete. Ein bern. Landvogt residierte 1444-1798 auf Schloss L. Bern garantierte den Untertanen alle bestehenden lokalen Satzungen und Privilegien, sodass eine generelle Rechtsvereinheitlichung bis 1798 nicht stattfand. Es liess auch den verschiedenen geistl. und weltl. Herrschaften Twing und Bann; einzelne Twingherrschaften fielen im Laufe der Zeit in den Besitz bern. Patrizierfamilien und erfreuten sich eines gewissen Eigenlebens. Die unter eigener Verwaltung stehenden Dorfschaften wurden in mehreren Niedergerichten zusammengefasst. Als Folge der 1528 durch Bern eingeführten Reformation fielen alle Besitzungen und Rechte des Klosters Königsfelden in L. an Bern.
In den ersten drei Jahrhunderten der Berner Herrschaft wurde hauptsächlich Getreide-, teilweise auch Rebbau, betrieben. Vom MA an nahm die Bevölkerung ständig zu und verdoppelte sich jeweils in ungefähr 100 Jahren. Dies führte beim Mangel an wirtschaftl. Möglichkeiten zur Verarmung der Bewohner. Die Baumwollverarbeitung in Heimarbeit, die um 1720 von Zürich her zunächst im Seetal eingeführt wurde, schuf neue Verdienstquellen. Verlagszentrum war L., während sich die Heimarbeiter aus dem ganzen Amt rekrutierten. Ungefähr gleichzeitig nahmen auch die ersten Indiennedruckereien im Manufakturbetrieb in der Region die Produktion auf; der Bezirk zählte zum Kerngebiet der aarg. Baumwollindustrie.
Die franz. Invasion von 1798 und die nachfolgende helvet. Republik wurden von der mehrheitlich berntreu und konservativ gesinnten Bevölkerung nicht begrüsst. Der neue aarg. Bezirk L. umfasste ursprünglich 19, nach der 1840 erfolgten Angliederung von Brunegg 20 Gemeinden. Die Twingherrschaften verschwanden, ebenso alle Vorrechte und Privilegien einzelner Gemeinden. Der Anbruch des Maschinenzeitalters in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. brachte eine Schwerpunktverlegung der Textilindustrie an die grossen Flüsse; das Aussterben der Heimarbeit im Laufe des 19. Jh. führte zum Niedergang der Baumwollindustrie. In einzelnen, nahe dem Freiamt gelegenen Gem. fasste für einige Jahrzehnte die Strohflechterei Fuss. Aber der grosse Teil der Gem. verlor zunächst jede Verbindung mit der Industrie, der Bez. L. wurde wieder ein vorwiegend landwirtschaftlich orientiertes Gebiet. Entgegen dem gesamtaarg. Trend war das Interesse für landwirtschaftl. Fragen in der 1. Hälfte des 19. Jh. im Bez. L. sehr rege. Neue Impulse und Modernisierungsvorschläge vermittelte die 1815 gegr. Kulturgesellschaft des Bez. L. (Hagel- und Viehversicherung, Verbesserung des Weinbaus, Schädlingsbekämpfung, Anbau neuer Futter- und Nährpflanzen). Die grosse Ost-West-Eisenbahntransversale (1858 Betriebseröffnung der Linie Brugg-Aarau) berührte den Bez. L. nur am Rand; gut erschlossen wurde Letzterer aber durch die Südbahnlinie von Rupperswil nach Rotkreuz (1874-81), die Nationalbahnlinie von Winterthur nach Zofingen (1877) und die Seetalbahn (1883), die L. mit Emmenbrücke verbindet. Im letzten Viertel des 19. Jh. setzte im Bez. L. die Industrialisierung ein. Damit fand die seit dem MA ziemlich einheitl. Entwicklung des Gebiets ein Ende: Einige verkehrsgünstig gelegene Gem. erlebten infolge der Ansiedlung industrieller Betriebe einen starken Aufschwung, während andere landwirtschaftlich geprägt blieben und bis zum 2. Weltkrieg sinkende Bevölkerungszahlen auswiesen.
Vom wirtschaftl. und demograf. Umbruch in der 2. Hälfte des 20. Jh. war auch der Bez. L. stark betroffen. In der Landwirtschaft (Kartoffeln, Zuckerrüben, Freilandgemüse) sank die Zahl der Betriebe zwischen 1965 und 1990 um 46%, mehr als in allen anderen aarg. Bezirken (Kanton total 39%). Auch im 2. Sektor war zwischen 1970 und 1990 in fast allen Gem. ein Beschäftigungsrückgang festzustellen, der durch Rationalisierung und Automatisierung bedingt war. Im 3. Sektor verzeichneten sämtl. Gemeinden eine erhebl. Beschäftigungszunahme, wobei aber der Detailhandel durch die grossen Einkaufszentren ausserhalb des Bez. L. Umsatzeinbussen erlitt, die auch Geschäftsschliessungen nach sich zogen. Die A1 (1966-71, drei Auffahrten) und die Heitersberglinie der SBB (1975) erleichterten vielen Pendlern aus dem Bez. L. den Arbeitsweg im Grossraum Zürich. Dank der vorzügl. Verkehrserschliessung, genügender Baulandreserven und relativ günstiger Bodenpreise expandierte in den Landgemeinden der Wohnungsbau. 1950-2000 wuchs die Bevölkerung des Bez. L. von 26'592 auf 46'398 Personen an. Gleichzeitig fand auch eine starke konfessionelle Durchmischung statt; waren 1950 noch 87% der Bevölkerung ref. und 12% kath., so lagen die entsprechenden Anteile 2000 bei 52% und bei 28%.
Das Schloss L. zählt zu den grössten Höhenburgen der Schweiz. Die Anlage besteht aus verschiedenen locker aneinandergefügten Bauten im Osten und einer von einem einheitl. Mauerring umgebenen Gartenanlage im Westen. Als ältester Baubestand gelten der südl. Bergfried, der an diesen angebaute Palas sowie der nördl. Bergfried. Aus vorbern. Zeit stammen das Ritterhaus, Teile des Torhauses und angrenzende Bauten sowie Teile des Berings; der übrige Baukörper - darunter auch das um 1600 errichtete Stapferhaus, heute Sitz der gleichnamigen Begegnungsstätte - entstand unter Berner Herrschaft. Der Kt. Aargau, der das Schloss 1804 übernommen hatte, überliess es dem Pädagogen Johann Karl Christian Lippe für die Gründung einer Erziehungsanstalt. Nach langer Zeit in Privatbesitz gelangte das Schloss in den 1950er Jahren wieder an den Kanton und beherbergt seitdem das Hist. Museum Aargau.