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CentovalliRegion

Das Centovalli im Tessiner Bezirk Locarno erstreckt sich von der italienischen Grenze bei Camedo bis zum Zusammenfluss von Melezza und Isorno in der Nähe von Intragna. Der Talfluss, die Melezza, entspringt oberhalb von Santa Maria Maggiore (I) und ergiesst sich nach Ponte Brolla in die Maggia; sein Oberlauf durchfliesst das zu Italien gehörende Val Vigezzo, das die natürliche Fortsetzung des Centovalli darstellt. Das Centovalli bildet den östlichen Teil eines offenen Talsystems mit doppelter Neigung, das parallel zur Alpenkette und quer zu den Tälern der Flüsse Tessin und Toce liegt. Das tief eingeschnittene Tal ist von mächtigen, sich gegen Osten rasch absenkenden Bergketten umgeben, die im Süden mit dem Gridone (2188 m) und im Norden mit dem Pizzo Ruscada (2004 m) ihren höchsten Punkt erreichen. Ausser Intragna und dem auf der Talsohle gelegenen Golino wurden alle Dörfer auf Terrassen zwischen 600 und 900 m Höhe errichtet. Weiter oben befinden sich die Maiensässe (monti) mit Weiden und Wäldern, noch höher die Alpen. Bis zum 19. Jahrhundert benützten die Ortschaften des Centovalli auch einige Alpen im Onsernonetal.

Die Einwohner von Borgnone, Palagnedra und Rasa bildeten die im 13. Jahrhundert erstmals erwähnte Talgemeinde Centovalli (1185 Centum valles). Sie wurde 1838 aufgelöst und in die Gemeinden Borgnone und Palagnedra aufgeteilt. 1864 erhielt auch Rasa den Status einer Gemeinde (ab 1972 Fraktion von Intragna). Intragna bildete mit Verdasio und Golino eine weitere alte Gemeinde des Tales. Beide Talgemeinden gehörten zur Pieve von San Vittore und zur Landschaft Locarno und Ascona. 1531 lehnten die zwölf eidgenössischen Orte ein Begehren des Centovalli, des Val Onsernone und Asconas nach Trennung von Locarno ab. Bis sich im 17. Jahrhundert Borgnone, Verdasio und Rasa lösten und eigene Pfarreien wurden, war die Pfarrkirche San Michele in Palagnedra das kirchliche Zentrum des Tales. Intragna wurde 1653, nach der Trennung von Golino, selbstständige Pfarrei. 2009 schlossen sich Borgnone, Palagnedra und Intragna zur neuen Gemeinde Centovalli zusammen.

Die Kantonsstrasse und die Eisenbahnstrecke Locarno–Domodossola in der Nähe von Intragna, 1923 (Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona, Fondo Ernesto e Max Büchi).
Die Kantonsstrasse und die Eisenbahnstrecke Locarno–Domodossola in der Nähe von Intragna, 1923 (Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona, Fondo Ernesto e Max Büchi).

Der alte Saumpfad von Locarno und Losone über Golino überquerte die Melezza auf der Höhe von Intragna und führte von da an auf der linken Talseite bis zur italienischen Grenze; die heutige Fahrstrasse verläuft mehrheitlich auf dem gleichen Trasse. Längs des Tals existierte ein weiterer Weg, der die Melezza zuerst bei Intragna (Brücke von Remagliasco) überquerte und danach in Richtung Rasa und Bordei verlief und unterhalb von Palagnedra auf die andere Talseite wechselte. Schliesslich führte er bergauf nach Borgnone und bei Camedo über die Grenze nach Italien. Die stark rutschgefährdete Fahrstrasse wurde zwischen 1846 und 1907 etappenweise erstellt und ans italienische Strassennetz angeschlossen. Die Schmalspurbahn Locarno-Domodossola, welche die Gotthard- mit der Simplonlinie verbindet, wurde zwischen 1912 und 1923 erbaut. Seit 1958 wird Rasa, das keine Strassenverbindung hat, durch eine Seilbahn von Verdasio aus erreicht. Zusammen mit den Einkünften aus der seit dem 16. Jahrhundert belegten temporären oder nur saisonalen Auswanderung (v.a. Kaminbauer und Kaminfeger, Träger und Garköche besonders nach Italien) bildeten Land-, Weide- und Waldwirtschaft die Haupteinnahmequellen für die Bevölkerung. Die Auswanderung ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts merklich zurück, doch folgte ihr in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Abwanderung, die sich nach 1950 noch verstärkte. Den grössten demografischen Aufschwung erlebte das Centovalli am Ende des 16. Jahrhunderts, auf den ein langdauernder, im 19. Jahrhundert zeitweise gestoppter Rückgang folgte. Die Eröffnung von Kleiderfabriken in Camedo (1964), die vor allem Grenzgänger beschäftigen, hat die Abwanderung aus Borgnone und Palagnedra nicht aufhalten können. Nur Intragna als Sitz der meisten öffentlichen Infrastrukturen hat seit 1970 einen kleinen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, wobei es auch von der Nähe der städtischen Agglomeration Locarno profitiert. Seit 1950 geht der 1. Sektor immer mehr zurück; der Weinbau, früher nebenbei betrieben, hat den Feldbau immer mehr verdrängt. 1950-1952 wurde in der Nähe von Palagnedra ein Staudamm für die Gewinnung von Wasserenergie erbaut.

Quellen und Literatur

  • G.M. Wähli, Centovalli und Pedemonte, 1967
  • A. Albé, La ferrovia Locarno-Domodossola, 1988
  • Centovalli e terre di Pedemonte, 1988
  • P.G. Pisoni, R. Broggini, «Statuti volgari e latini della comunità di Centovalli», in Verbanus 14, 1993, 59-109
Von der Redaktion ergänzt
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Zitiervorschlag

Rodolfo Huber: "Centovalli (Region)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.01.2017, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008301/2017-01-11/, konsultiert am 28.03.2024.