
Bezirk des Kantons Tessin, grenzt im Norden und Osten an den Kanton Graubünden, im Westen an den Bezirk Leventina und im Süden an den Bezirk Riviera. Er umfasst das gleichnamige Tal, das auf der Greina beginnt und bis Olivone den Namen Val Camadra trägt, sowie die Hochtäler Santa Maria, Campo und Luzzone im Norden, Carassina und Malvaglia im Osten. Wichtigstes Gewässer ist der Fluss Brenno. Im Norden ist der Bezirk Blenio mit dem Kanton Graubünden durch den seit dem Frühmittelalter bedeutenden Lukmanierpass (1918 m) verbunden. Der Bezirk mit Hauptort Lottigna ist in drei Kreise unterteilt (Olivone, Castro und Malvaglia). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts umfasste er noch 17 Gemeinden, zwischen 2004 und 2012 reduzierte sich deren Zahl durch Fusionen auf drei (Acquarossa, Blenio und Serravalle). 1682 6719 Einwohner; 1808 6194; 1836 8044; 1850 7687; 1900 6363; 1950 5568; 2000 5287.
Im engen Obertal mit steilen Seitenflanken befinden sich Campo Blenio, Ghirone, Olivone, Aquila und Largario. Im mittleren, stark terrassierten Teil liegen Ponto Valentino, Castro, Marolta, Prugiasco (das vom Mittelalter bis 1798 politisch zur Leventina gehörte), Leontica, Corzoneso, Lottigna, Torre und Dongio. Zum unteren, breitesten und ebensten Teil des Tales gehören Ludiano, Semione und Malvaglia (die neben Olivone die grösste Gemeinde des Bezirks war). 1853 trennte sich Ghirone von Aquila; 1927 wurden Grumo und Torre zusammengelegt.
Im Frühmittelalter gehörte Blenio zur Grafschaft Stazzona. Durch die um 948 erfolgte Schenkung des Bischofs Atto von Vercelli (Piemont) gelangte Blenio unter die Gerichtsbarkeit des Mailänder Domkapitels, das bereits die religiöse Herrschaft ausübte. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde Blenio wegen der strategischen Bedeutung des Lukmanierpasses für kurze Zeiten direkt der Herrschaft der deutschen Kaiser unterstellt. 1342 kam das Tal vom Domkapitel zu den Visconti, die es ihrerseits 1356 den Pepoli aus Bologna abtraten. 1402 befreiten sich die Einwohner von der Herrschaft der Pepoli. Die Niederlage der Eidgenossen bei Arbedo (1422) beendete die Vorherrschaft der von Sax, der Nachfolger der Pepoli. Vorübergehend kam Blenio wieder in die Hände der Visconti, darauf unter die Gerichtsbarkeit der Sforza und der Bologneser Familie Bentivoglio (1450). Nach 1402 leiteten die Pepoli eine Schadenersatzklage gegen das Tal ein; der von den Bentivoglio wieder aufgenommene Streit wurde 1457 mit dem Loskauf der Lehensrechte – mit Ausnahme der Herzogsrechte und der Abgabe an das Domkapitel – beigelegt. 1495 band sich Blenio mit einem Treueeid an die Besetzer aus Uri. Seit dem Frieden von Arona (1503) bis 1798 war es gemeine Herrschaft von Uri, Schwyz und Nidwalden (deutscher Name Bollenz), in der Helvetischen Republik war Blenio Teil des Kantons Bellinzona, mit der Mediationsakte (1803) wurde es Bezirk des neu gegründeten Kantons Tessin.

Unter der Herrschaft des Domkapitels wie auch der Eidgenossen war Blenio eine gewisse Unabhängigkeit mit nur geringem Steuerdruck gewährt worden. Die Gemeinden konnten ihre rechtliche und organisatorische Selbstständigkeit weitgehend bewahren. Die das Tal betreffenden Angelegenheiten wurden von der Versammlung der Gemeindevorsteher, dem sogenannten parlamento generale, und von den Talräten behandelt. Die Domherren waren durch einen Podestà – auch vicario oder rettore genannt – vertreten. Die drei regierenden Orte entsandten einen Gouverneur oder Landvogt, der im Turnus von der Landsgemeinde einer der drei Orte für zwei Jahre gewählt wurde. Er hatte hauptsächlich verwaltungsmässige und rechtliche Befugnisse. Das Tal war zudem in drei Steuer- und Wahlkreise, die sogenannten fagie, unterteilt, die in etwa den heutigen Kreisen entsprechen, und in sechs Abgabebezirke, die sogenannten rodarie. Blenio gehörte bis 1888 zum Bistum Mailand, nachher zur neu gegründeten Diözese Basel-Lugano; der ambrosianische Ritus wurde bis heute beibehalten.
Eines der Hauptmerkmale des Tales war schon seit dem 15. Jahrhundert die Emigration (als Köche, Schokoladenhersteller, Kastanienröster, Kaffeehausbesitzer, Hotelpersonal) in europäische Länder (bis ins 19. Jh. nach Italien, im 19. und 20. Jh. vor allem nach Frankreich, England und in die anderen Teile der Schweiz). Nach und nach, verstärkt im 19. Jahrhundert, verdrängte die dauerhafte Emigration die periodische Auswanderung. Ackerbau und Viehzucht, während Jahrhunderten zusammen mit den saisonalen Wanderbewegungen die Haupttätigkeiten, beschäftigten noch Ende des 20. Jahrhunderts ca. einen Zehntel der aktiven Bevölkerung. Zahlreiche Einwohner arbeiten in den städtischen Zentren des Tessins, da die Beschäftigungsmöglichkeiten im Tal gering sind; Industriebetriebe gibt es nur wenige und meist kleine. Die Schokoladefabrik Cima-Norma in Torre, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand und als wichtiger Industriebetrieb 1962 noch 330 Beschäftigte hatte, stellte ihre Produktion 1968 ein. Auch der gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Tourismus hat nur bescheidene Ausmasse angenommen. In den 1960er Jahren wurden einige Transportanlagen in Campo Blenio und im Gebiet des Pizzo di Nara in Betrieb genommen; in den 1970er Jahren kam eine Station für nordischen Skisport in Campra in der Lukmaniergegend hinzu. Das 1887 eröffnete Thermalbad von Acquarossa, das grösste Hotel im Tal, wurde 1971 geschlossen. Sehr zahlreich sind die Zweitwohnungen. Die erste Fahrstrasse in der Talsohle von Biasca nach Olivone wurde 1809-1838 erbaut. 1874-1877 folgte der Abschnitt, der zum Lukmanier führt. 1911-1973 war eine Schmalspurbahn von Biasca nach Acquarossa in Betrieb. Die neuen Strassen nach Campo Blenio (mit dem Toiratunnel) und ins Malvagliatal wurden in den 1950er Jahren eröffnet. Beide wurden im Hinblick auf die Stauseeanlagen des Luzzone- und des Malvagliatals erbaut.