Mit dem Namen Lugano werden seit dem 9. Jahrhundert neben der Stadt Lugano und dem See verschiedene geografische und verwaltungsmässige Einheiten bezeichnet: ab dem Mittelalter eine Pieve, nach der Eroberung des Tessins durch die Eidgenossen eine der ennetbirgischen Vogteien (1512-1798), 1798-1803 der helvetische Kanton und seit der Schaffung des Kantons Tessin 1803 ein Bezirk. Die einzelnen Verwaltungseinheiten umfassten unterschiedlich grosse Gebiete.
Pieve
Die Quellenlage erlaubt es nicht, die Entstehung der Pieve genau zu datieren. Die ursprüngliche Zugehörigkeit zur Pieve Agno ist nur eine Annahme, während die Zuständigkeit von Como als sicher gilt. Als Mutterkirche der Pieve wird San Lorenzo 818 erstmals erwähnt, das Patrozinium ist ab 875 belegt. Kapitel, Erzpriester und Pfarramt tauchen in den Urkunden ab 1078 auf. Die Zahl der Chorherren veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte. So waren es im 13. Jahrhundert vielleicht sieben, im 14. Jahrhundert zwölf und im 15. Jahrhundert vier. Ende des 16. Jahrhunderts und in den folgenden Jahrhunderten bestand das Kapitel aus einem Erzpriester und neun Chorherren. Für den Klerus der Pieve sind keine Formen von Gemeinschaftsleben bezeugt. Das Kapitel, dessen Satzungen auf 1364 und 1486 zurückgehen, verdankt seine wirtschaftliche Selbstständigkeit dem Besitz von Gütern (ab dem 11. Jh.) und dem Zehntrecht im ganzen Gebiet von Lugano. Weitere Zehntrechte erwarb das Kapitel im 12. Jahrhundert oder verpachtete sie an Private (13. Jh.). Die Pieve umfasste die Gebiete nördlich des Luganersees, im Norden grenzte sie an die Capriasca, im Osten ans Valsolda und im Westen an das Malcantone. Seelsorge und Sakramentenspendung fielen bis zur Errichtung neuer Pfarreien in die Kompetenz der Mutterkirche der Pieve. Die Organisation der Pieve veränderte sich vom Beginn des 15. Jahrhunderts an durch die ganze Neuzeit, weil sich viele Pfarreien abtrennten und die ländlichen Gemeinden nach grösserer Autonomie strebten. Auch wenn sich die Pieve im Lauf der Zeit wandelte, wurde sie als Institution nicht aufgelöst.
Vogtei
Die Gebiete der Talgemeinschaft Lugano bildeten schon im Mittelalter eine politisch-administrative Einheit mit dem Städtchen Lugano als Zentrum. 1512 fiel die Talgemeinschaft als ennetbirgische Vogtei unter die gemeinsame Herrschaft der zwölf eidgenössischen Orte, die abwechslungsweise einen Landvogt nach Lugano entsandten. Dieser blieb zwei Jahre im Amt und übte administrative, richterliche und polizeiliche Funktionen aus. Im Kriegsfall war er auch Kommandant aller ennetbirgischen Vogteien. In seiner Regierungstätigkeit unterstützten ihn ein von ihm selbst ernannter Untervogt, ein Landschreiber, zwei Fiskale und zwei Kanzler, die alle Einheimische waren. In Lugano hatte auch der Scharfrichter für alle vier Vogteien der zwölf Orte seinen Sitz. Die Vogtei umfasste die Magnifica Comunità von Lugano, die in vier Magnifiche Pievi unterteilt war. Letztere hatten sich schon im Mittelalter gebildet, wobei sich administrative Funktionen mit der ursprünglich religiösen Rolle überlappten. Die Pieve Lugano bestand aus 36 Gemeinden, Agno aus 37 Gemeinden, Capriasca aus 11 Gemeinden und Riva San Vitale aus 13 Gemeinden. Dazu kamen die abgesonderten Gemeinden (terre separate oder privilegiate) von Carabietta, Monteggio, Carona, Morcote, Ponte Capriasca, Ponte Tresa, Sonvico, Vico Morcote, Vezia, sowie das Lehen Magliaso, ab 1668 im Besitz der Familie Beroldingen. Die Pieven waren im Generalkongress der Landschaft vertreten, der mindestens einmal pro Jahr tagte und unter anderem über die Finanzen, die Steuern, die öffentlichen Arbeiten und die Salzversorgung entschied. Die laufende Verwaltung lag in den Händen des Landschaftsrats, der sich aus einer veränderlichen Zahl von Mitgliedern zusammensetzte. Ab 1693 gehörten ihm sieben Vertreter an: zwei aus dem Städtchen Lugano, zwei aus der Pieve Agno, je einer aus den restlichen Pieven. Die abgesonderten Gemeinden verwalteten sich selbstständig und trugen nur im Fall von Pest oder Krieg zu den Ausgaben der Landschaft bei. Jedes Jahr versammelten sich die Gesandten der zwölf Orte in Lugano zum Syndikat, das die Amtsführung des Landvogts kontrollierte, die Rekurse gegen dessen Entscheide prüfte und als Berufungsgericht fungierte.
Die Hungersnöte, die das Luganese an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert heimsuchten, hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung: um 1590 zählte die Pieve rund 26'000 Einwohner, um 1680 rund 29'000 und 1783 rund 29'700. Infolge der Pestepidemien im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts, 1629-1630 und 1636-1637 sank die Einwohnerzahl, während gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben und die Steuern anstiegen. In den ländlichen Gebieten dominierten Landwirtschaft und Viehzucht, im Städtchen Lugano Handel und Handwerk. Im 17. und 18. Jahrhundert hatte die Seidenraupenzucht eine grosse Bedeutung. Wirtschaftliche Schwierigkeiten und lokale Eigeninteressen führten zu häufigen Zwistigkeiten zwischen den Pieven und dem Städtchen Lugano, die sich gewöhnlich um die Ausgabenaufteilung und die Wahl der Vertreter in den Landschaftsrat drehten.
Bezirk
Gebietsmässig deckt sich der Bezirk Lugano mit der ehemaligen Landvogtei, mit Ausnahme von Riva San Vitale, das 1814 dem Bezirk Mendrisio zugeteilt wurde. Die Schaffung des Bezirks geht auf die Mediationsakte von 1803 zurück, die ihrerseits das Ende des kurzlebigen Kantons Lugano besiegelte, der während der Helvetischen Republik 1798-1803 bestanden hatte. Der Bezirk, der im Kanton flächenmässig an fünfter, einwohnermässig aber an erster Stelle steht (2000 128'581 Einwohner bei einer Gesamtbevölkerung von 306'846 Einwohnern) bildet eine Verwaltungs- und Gerichtseinheit von 70 Gemeinden (2005), unterteilt in zwölf Kreise (Lugano West, Lugano Ost, Ceresio, Carona, Magliasina, Agno, Sessa, Sonvico, Vezia, Breno, Taverne, Capriasca). Hauptort des Bezirks ist Lugano, wo auch das Bezirksgericht und zahlreiche kantonale Justizorgane (darunter das Appellations- und Strafgericht) ihren Sitz haben. Im Bezirk Lugano befinden sich auch die kantonale Strafanstalt La Stampa (Cadro), verschiedene höhere Lehranstalten (u.a. Gymnasien in Lugano und Savosa, Schulzentrum in Trevano, Universität der italienischen Schweiz in Lugano, Fachhochschulen in Manno und Trevano, Konservatorium der italienischen Schweiz in Lugano), das Regionalspital von Lugano (mit zwei Standorten, dem Bürgerspital und dem italienischen Spital), das Radiostudio in Lugano und das Fernsehstudio der italienischen Schweiz in Comano, zahlreiche Vereine, Sozietäten und Presseorgane. Der Bezirk Lugano verfügt über ein ausgedehntes Netz von Eisenbahnlinien, Autobahnen und Strassen, und seit 1980 über den Flugplatz Lugano-Agno. Wirtschaftlich bedeutend ist der Finanzsektor, aber auch der Tourismus. Im 2. Sektor, der sich ab 1950 entwickelte, herrschen vor allem Pharma- und Maschinenindustrie vor.
Quellen und Literatur
- BiA Lugano
- StadtA Lugano
- O. Weiss, Die tessin. Landvogteien der XII Orte im 18. Jh., 1914 (Nachdr. 1984)
- Schaefer, Sottocenere
- HS II/1, 28, 121-134
- Il vescovo, il clero, il popolo, hg. von S. Bianconi, B. Schwarz, 1991
- D. Tarilli, Notizie dal Cinquecento, hg. von D. und T. Petrini, 1993
- Storia della Svizzera Italiana dal Cinquecento al Settecento, hg. von R. Ceschi, 2000
- G. Negro, Un borgo prealpino in età moderna, 2006