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MendrisioVogtei, Bezirk

Mendrisiotto

Neben der Gemeinde bezeichnete der Ortsname Mendrisio nach der Eroberung der südtessinischen Gebiete durch die eidgenössischen Orte eine der ennetbirgischen Vogteien (um 1522-1798). Seit 1803 ist er auch der Name für den südlichsten Bezirk des Kantons Tessin, auch Mendrisiotto genannt. Dieser grenzt im Süden, Osten und Westen an die Lombardei, im Norden an den Bezirk Lugano, erstreckt sich über 102,3 km2 und ist in vier geografische Regionen mit eigenen demografischen und sozioökonomischen Merkmalen unterteilt: Den Monte Generoso, den Monte San Giorgio mit der Poncione d'Arzo, die Ebene und das Hügelgebiet zwischen Chiasso und dem Luganersee sowie das Muggiotal. 2016 umfasste der in fünf Kreise unterteilte Bezirk elf Gemeinden. 1591 7555 Einwohner; 1643 8300; 1769 11'203; 1801 11'532; 1850 19'684; 1900 27'379; 1950 32'102; 2000 50'195.

Wie die Funde aus dem Neolithikum und der Römerzeit bezeugen, war Mendrisio schon in ur- und frühgeschichtlicher Zeit besiedelt. Der Gerichtsbezirk umfasste im Mittelalter und in der Zeit der Vogteien die gleichnamige Landschaft (heutige Kreise Mendrisio und Stabio) und die Pieve Balerna (heutige Kreise Balerna und Caneggio), während die zur Pieve Riva San Vitale gehörenden Riva San Vitale, Arzo, Besazio, Tremona, Meride und Capolago Teil der Landschaft Lugano waren und erst 1814 dem Bezirk Mendrisio zugeteilt wurden. Das Mendrisiotto, in langobardischer Zeit Sitz eines Arimannen, gehörte 824 grösstenteils zur Grafschaft Seprio; noch 1170 war es ein Teil der Grafschaft. Dann wurde es dem Territorium der Kommune Como angegliedert, 1335 ging es zusammen mit Como an die Visconti, 1337 an die Rusca über, die es 1412 dem Herzogtum Mailand abtraten. Unter dessen Herrschaft hatte das Gebiet zahlreiche Herren (Rusca, Sanseverino und Sforza).

Der Palazzo Rusca, Sitz des Landvogts und des Gerichts. Zeichnung von Hieronymus Holzach, 1774 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler).
Der Palazzo Rusca, Sitz des Landvogts und des Gerichts. Zeichnung von Hieronymus Holzach, 1774 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler). […]

1499 wurde das Mendrisiotto von den Franzosen besetzt, nach 1517 schliesslich durch die Eidgenossen erobert; diese setzten einen Vogt ein, der ab 1522 in Mendrisio residierte und jeweils zwei Jahre im Amt blieb. Er übte die Gerichtsbarkeit aus, selbst in strassenpolizeilichen Angelegenheiten, und stand dem 1573 aufgehobenen Gerichtshof in Balerna vor. Ihm zur Seite standen ein Statthalter, ein Landschreiber, der bis 1741 auch als Dolmetscher wirkte, ein Gerichtskanzler und ein Fiskal, der für das Einziehen der Bussen aus Straffällen und Gebühren aus Zivilprozessen zuständig war. Das Amt des Landschreibers wurde 1666-1798 innerhalb der Familie Beroldingen vererbt. Nach der Abtrennung des Dolmetscheramtes 1741 übernahm der Landschreiber die Aufgaben des Gerichtskanzlers. Der Landschaftsrat, der sich aus den Abgeordneten (Konsuln) der Gemeinden zusammensetzte und einmal pro Jahr in Mendrisio tagte, ernannte zwei Reggenti als Vertretung der Landschaft Mendrisio und zwei Plebani für die Pieve Balerna. Diese Beamten setzten die Anerkennung einer gewissen rechtlichen und wirtschaftlichen Autonomie der Vogtei durch, die sich daher zunehmend auf die Lombardei ausrichtete.

Während der revolutionären Unruhen von 1798 wurde eine Delegation nach Mailand geschickt, um den Anschluss des Mendrisiotto an die Cisalpinische Republik zu beantragen, auf die man einen Eid geschworen hatte. Gleichzeitig wurde in der Verfassung der Helvetischen Republik das Mendrisiotto dem Kanton Lugano zugeschlagen. In einer Volksbefragung entschied sich die Bevölkerung fast einhellig für die Helvetische Republik. An der Spitze der Region stand ein Unterstatthalter. 1803 wurde das Mendrisiotto einer der acht Bezirke des Kantons Tessin. Nach den Spannungen zwischen der Eidgenossenschaft und dem napoleonischen Königreich Italien – das dem Tessin vorwarf, antifranzösischen Kräften, Deserteuren und Schmugglern als Fluchtort zu dienen – und der nachfolgenden Besetzung des Kantons durch die Truppen des Generals Achille Fontanelli wurde 1811 erneut die Angliederung des Bezirks Mendrisio an das Königreich Italien diskutiert; mit der Lösung der Krise wurde die Idee jedoch fallen gelassen.

Quellen und Literatur

  • O. Weiss, Die tessin. Landvogteien der XII Orte im 18. Jh., 1914, (Nachdr. 1984)
  • O. Camponovo, Sulle strade regine del Mendrisiotto, 1958 (19762)
  • Mendrisiotto: sguardi e pensieri, 1986
  • S. Guzzi, Agricoltura e società nel Mendrisiotto del Settecento, 1990

Zitiervorschlag

Stefania Bianchi: "Mendrisio (Vogtei, Bezirk)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.01.2017, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008546/2017-01-18/, konsultiert am 28.03.2024.