Vor dem erstmaligen Einsatz des Schiesspulvers in der Waffentechnik wurden unter Artillerie Belagerungsmaschinen jeglicher Art verstanden, später bezeichnete der Begriff ausschliesslich Feuergeschütze. Schwarzpulver als Antriebskraft für Geschosse kam erstmals 1326 in Florenz zur Anwendung. Belegt ist der Einsatz der neuen Technik in der Schlacht bei Crécy 1346, in der Schweiz 1361 in Basel. Auch Bern besass vor 1377 Feuergeschütze.
Technische Entwicklung
Die ersten Exemplare waren aus Eisen geschmiedet und mit Eisenbändern umschnürt, nach 1450 wurden sie gegossen, die kleineren Kaliber in Eisen, die grösseren in Bronze. Die Geschütze ruhten zuerst auf Tragen, von 1470 an auf Radlafetten. Von 1460 an erleichterten Schildzapfen die Höhenverstellung. Um 1500 lösten gusseiserne Geschosse die steinernen ab. Die Reichweite eines grossen Geschützes betrug damals 1'000 m und erhöhte sich kaum bis ins 18. Jahrhundert; die Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse bewegte sich um die 300 m/s.
Die Entwicklung stagnierte bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Von da an häuften sich die Neuerungen: neue Geschosse mit stabilerer Flugbahn (ab 1850), von der preussischen Armee entwickelte Hinterlader aus Bronze als Feldgeschütze (seit 1866) sowie gezogene Rohre aus Gusseisen (ab 1873), rauchloses Pulver (ab 1885), hydraulische Bremsen, um den Rückstoss aufzufangen und die Lafette zu entlasten (seit 1890 allgemein verbreitet), Schnellfeuerkanonen mit 20-30 Schüssen pro Minute. Nach 1918 ergänzten Artillerie-Waffen wie Infanterie-Minenwerfer, Fliegerabwehr- und Panzerkanonen das Arsenal anderer Waffengattungen (Waffen).
Einsatz
Die ersten Kanonen des Mittealters verbreiteten vor allem Schrecken. Erst später waren sie in der Lage, Stadtmauern und Burgen zu zerstören. Obwohl sie nach 1500 auch zur Bekämpfung der gegnerischen Infanterie eingesetzt wurde, spielte die Artillerie in den Schlachten eine Nebenrolle. Von den Burgunderkriegen an gewann sie auf Kosten der Bogen- und Armbrustschützen allmählich an Bedeutung, doch genossen Artillerie-Offiziere bis Ende des 17. Jahrhunderts wenig Ansehen bei ihren Kameraden der Infanterie und Kavallerie. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts diente die Artillerie vor allem der Verteidigung, bereitete aber auch Angriffe vor und begleitete zuweilen die Infanterie, um ihr den Weg zu öffnen. Napoleon I. löste die Artillerie aus ihrer Abhängigkeit als reiner Hilfswaffe der Infanterie. Da sie nur im direkten Schuss feuerte, wurde sie in beherrschender Position auf den Flanken oder im Zentrum aufgestellt. Bei der Bekämpfung der gegnerischen Artillerie wirkte sie nur in Ausnahmefällen mit.
Ende des 19. Jahrhunderts zwangen die Verlängerung der Reichweite und die Entwicklung des Schnellfeuers die Artillerie zur Deckung. Nach dem russisch-japanischen Krieg 1905 wurde der indirekte Schuss für Kanonen und Haubitzen allmählich zur Regel. Die Artilleriefeuer des Ersten Weltkriegs hatten die Zerstreuung der kämpfenden Verbände zur Folge, was ein engeres Zusammenwirken der Waffengattungen notwendig machte. Die Artillerie wurde zur Unterstützungswaffe schlechthin, sowohl in der Angriffs- wie auch in der Verteidigungsphase. Als Konterbatterie wurde sie immer wichtiger. Im 20. Jahrhundert veränderten sich die Aufgaben der Artillerie kaum. Die Entwicklung der Luftwaffe und der taktischen Atomwaffen, das Zusammenwirken von Panzer und Flugzeug sowie der immer raschere Ablauf der Operationen zwangen sie aber, beweglicher zu werden.
Die Artillerie in der Schweiz
Im 15. Jahrhundert besassen die Schweizer Städte einige Geschütze von teilweise beträchtlicher Grösse: 1445 bedurfte es eines Gespanns von 60 Pferden, um eine der Basler Kanonen zu bewegen. In den Burgunderkriegen führten die Eidgenossen Artillerie mit. Nach 1477 verfügten sie über etwa 1000 Geschütze, viele von ihnen waren Beutestücke. Ihr militärischer Ruf aber gründete vor allem auf der Schlagkraft ihrer Fusstruppen (Militärwesen). 1647 bestimmte das Wiler Defensionale, dass die von den eidgenössischen Orten zu stellenden Kampftruppen 36'000 Mann und 147 Geschütze umfassen sollten. Der Geschützgiesser Johannes Maritz entwickelte 1704 eine Maschine, die eine zentrale Bohrung erlaubte und damit die Zielgenauigkeit erheblich verbesserte. Unter dem Einfluss des Systems Gribeauval besassen ab 1750 die Artillerie-Geschütze aller eidgenössischen Orte dasselbe Kaliber, doch blieb ihre Ausrüstung weiterhin uneinheitlich. Ihre geringe Bedeutung im 17. und 18. Jahrhundert zeigt sich darin, dass in dieser Zeit nur drei Reglemente (zwei bernische und ein zürcherisches) die Artillerie betrafen. 1817 umfasste der Sollbestand der eidgenössischen Kontingente 67'516 Mann und 120 Kanonen.
Dank der neuen Kompetenzen des Bundes auf militärischem Gebiet erfuhr die Artillerie zwischen 1850 und 1860 einige Veränderungen (Rüstung): Gebirgsbatterien wurden gebildet, 72 gezogene Vorderlader aus Bronze erworben. 1863 zählte die Bundes-Artillerie 210 Geschütze, davon ein Drittel mit gezogenen Rohren. 1871 wurde die Giesserei Rüetschi in Aarau beauftragt, 378 gezogene Vorderlader zu ebensovielen Hinterladern (Kaliber 8,4 cm) umzugiessen. Hingegen zögerten die Bundesbehörden, Stahlgeschütze zu erwerben; sie waren teurer und konnten nicht in der Schweiz hergestellt werden. 1876-1918 war die deutsche Stahlfirma Krupp ständiger Lieferant der schweizerischen Artillerie, die 1889 über 440 8,4-cm-Kanonen mit Ringrohren verfügte. 1904 erhielt die Armee die Schnellfeuerkanone mit Rohrrücklauf (72 Batterien zu vier Geschützen ersetzten 56 Batterien zu sechs 8,4-cm-Geschützen). 1912 wurden 12-cm-Haubitzen, 1916 solche mit Kaliber 15 cm erworben. Von 1870 an wurde nach einem Vorschlag des Waadtländer Hauptmanns Charles Dapples, der auch die Einführung des Metermasses postuliert hatte, der Aufsatzwinkel in Promille gemessen.
Der mit alten Geschützen aus den Beständen der Feld-Artillerie bestückten, wenig beweglichen Positions-Artillerie war die Verteidigung der nichtständigen Festungen (Murten, Hauenstein) aufgetragen. Von 1885 an wurden an den Achsen ständige Festungswerke (Befestigungen) errichtet, um diese bei einem europäischen Konflikt vor dem Zugriff feindlicher Streitkräfte zu schützen. Auch die Artillerie dieser Festungswerke verfügte über alte Geschütze der Feld-Artillerie. Von 1891 an entwickelte Oberst Julius Meyer für die Festungen gepanzerte Kasematten, deren Geschütze auf Decauville-Gleisen aus ihren Unterständen gefahren werden konnten, um das Glacis mit ihrem Feuer zu bestreichen.
Zwischen 1916 und 1935 wurde kein neues Material für die schweizerische Artillerie beschafft. Dann wurde in Lizenz mit dem Bau der von der schwedischen Firma Bofors entwickelten 10,5-cm-Feldkanonen begonnen (1939 214 Rohre). Die Ausrüstung mit 10,5-cm- und 15-cm-Haubitzen war 1945 abgeschlossen. Die bis anhin hippomobile Feld-Artillerie wurde vollständig motorisiert. Das Rüstungsprogramm 1968 brachte mit dem Erwerb amerikanischer Panzerhaubitzen M-109 (Kaliber 15,5 cm) eine wichtige Verbesserung: Neben der grösseren Beweglichkeit bieten sie durch ihre Panzerung der Bedienungsmannschaft, den zentralen Schiessposten und der Feuerleitung besseren Schutz, auch gegen die Wirkungen von atomaren und chemischen Waffen.
1995 verfügten die Gebirgstruppen über motorgezogene Artillerie, während die Feldstreitkräfte (Infanterie und mechanisierte Verbände) von 400 Panzerhaubitzen unterstützt werden, die mehrfach modernisiert wurden und eine Reichweite von 25 km besitzen. Seit 1986 wurde die Festungs-Artillerie durch Zwillingsminenwerfer (Kaliber 12 cm) und den Bau von Festungswerken aus Betonmonoblöcken, bestückt mit modernen 15,5-cm-Geschützen, verstärkt. Elektronik und Informatik beschleunigen heute die Feuereröffnung. Auf der Ebene von Armee und Armeekorps fehlt jedoch noch immer operative Artillerie mit einer Reichweite von 100 km (Mehrfachraketenwerfer, Raketen).
Quellen und Literatur
- Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bde. 8-10, 1977-84
- J. de Montet, Les bouches à feu de l'artillerie suisse, 1980
- J. Jobé et al., Histoire illustrée de l'artillerie, 1981
- J. Rebold, Baugesch. der eidg. Befestigungswerke, Erstellungsjahre 1831-1860 und 1885-1921, 1982
- J. de Montet, Die Anfänge der Positionsartillerie, 1984
- J. de Montet, Die Bewaffnung der schweiz. Festungsartillerie 1885-1939, 1984 (dt.-franz. Paralleltext)
- H. Schneider, Schweizer Geschützgiesser, 1985