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Kastell

Die lateinischen Begriffe castellum, castra und castrum wurden in der Antike generell für einen befestigten, militärischen Ort verwendet, sowohl für Marschlager (z.B. C. Iulius Caesar, De bello gallico 7.36) wie für Standlager. In der archäologischen Terminologie bezeichnet man im Allgemeinen als Kastell: 1. kleinere Truppenlager, 2. spätantike Festungsanlagen (auch Castrum + adjektivische Ortsbezeichnung wie C. rauracense = Kaiseraugst). Häufig lagen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Kastelle zivile Siedlungen (Vicus).

Frühe Kaiserzeit

Die Kastelle der frühen Kaiserzeit waren formal ein Abbild der Legionslager mit zentralem Verwaltungsgebäude (principia), rechtwinkligen Strassen, Truppenunterkünften in Langbauten sowie umlaufenden Wällen und Gräben. Anfänglich in Holz, wurden sie im späteren 1. Jahrhundert n.Chr. in gemischter Bauweise oder ganz in Stein umgesetzt. Im Gebiet der heutigen Schweiz sind aus der Eroberungsphase (2. Jahrzehnt des 1. Jh. v.Chr.) die römischen Militärbefestigungen auf dem Basler Münsterhügel und dem Sporn von Windisch sowie kleine Posten wie Stralegg und Biberlikopf am Walensee aufgedeckt worden. Kastelle aus der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. wurden in Kaiseraugst (Augusta Raurica) und Zurzach ergraben; offenbar war die Rheingrenze in dieser Zeit durch Truppendetachemente gesichert (Limes). Militärische Präsenz ist auch entlang der Hauptstrassen durch das Mittelland anzunehmen, Befunde fehlen aber weitgehend. Mit der Verschiebung der Grenze gegen Norden ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n.Chr. wurden die Kastelle aufgehoben, nur das Legionslager Vindonissa blieb bis Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. belegt. In der mittleren Kaiserzeit waren keine Truppen im Gebiet der heutigen Schweiz stationiert.

Spätantike

Die alemannischen Invasionen ab der Mitte des 3. Jahrhunderts n.Chr. erforderten erneut eine militärische Sicherung der Reichsgrenzen. Neben der Wiederbesetzung Vindonissas um 260 wurden mehrere Kastelle entlang des Rheins und des Bodensees errichtet, so zum Beispiel in Basel, Kaiseraugst, Zurzach, Konstanz, Arbon und Bregenz. Das Kastell «Auf Burg» in Stein am Rhein stammt gemäss der Bauinschrift aus der Zeit zwischen 293 und 305, die Analogie dieser Inschrift zu derjenigen von Vitudurum (Gemeinde Winterthur) legt ein Baudatum um 294 nahe. Die Kastelle am Rhein griffen mit befestigten Brückenköpfen jeweils über den Fluss hinüber. Viele Wachtürme zwischen den Kastellen gewährleisteten die Nachrichtenübermittlung und die Grenzkontrolle. Die rückwärtigen Verkehrsachsen waren ebenfalls durch Kastelle gesichert; nachgewiesen sind solche zum Beispiel in Yverdon (dendrodatiert 325/326), Solothurn, Olten, Altenburg und Irgenhausen. Auch in Bellinzona wurde unter dem mittelalterlichen Castel Grande ein spätantikes Kastell entdeckt, das zusammen mit weiteren am Alpensüdfuss gelegenen Befestigungsanlagen Italien vor Barbareneinfällen schützen sollte. Die Grundrisse dieser massiven Festungswerke in Stein variieren stark (viereckig bis polygonal). Die nur bruchstückhaft ergrabenen Innenbauten folgen keinem festgelegten Schema. Neben der militärischen Besatzung lebten auch Teile der Zivilbevölkerung ständig in den Kastellen; daneben suchten aber auch die Bewohner des Umlandes hinter den Mauern Schutz. Die Kastelle wurden als Zentren des spätrömischen Lebens zu Nachfolgern der früheren Städte. In ihnen wurden die ersten christlichen Kirchen mit Baptisterien am Hochrhein errichtet (Kaiseraugst, Zurzach). Das Castrum Rauracense war in der Spätantike auch Bischofssitz.

Die wichtigsten Kastelle im 4. Jahrhundert n.Chr.
Die wichtigsten Kastelle im 4. Jahrhundert n.Chr. […]

Dank des grossräumig konzipierten Verteidigungssystems, für das sich in der neueren Forschung die Bezeichnung «Donau-Iller-Rheinlimes» eingebürgert hat, konnte das Römische Reich dem germanischen Druck während des 4. Jahrhunderts noch widerstehen. Nach dem Abzug der Truppen im frühen 5. Jahrhundert gehörten die Grenzgebiete längs des Rheins zunächst zwar nominell noch zum Reich. Die Kastellstädte, in denen Lebensstandard und Bevölkerungszahl weiter gesunken sein dürften, waren jetzt aber zunehmend auf sich selbst gestellt. Trotzdem überdauerten viele befestigte Siedlungen das Ende des Weströmischen Reiches. Die archäologische Auswertung der Kastellfriedhöfe zeigt, dass die in den Kastellstädten am Hochrhein konzentrierte romanische Restbevölkerung ihre eigenständigen, in der spätrömischen Zeit wurzelnden Traditionen bis mindestens ins 7. Jahrhundert bewahrt hat. Die fränkische Herrschafts- und Verwaltungsträger wählten häufig frühere Kastelle als Sitz (z.B. Burg bei Stein am Rhein).

Quellen und Literatur

  • W. Drack, Die spätröm. Grenzwehr am Hochrhein, 1980
  • Frühgesch. der Region Stein am Rhein, hg. von M. Höneisen, 1993
  • R. Hänggi et al., Die frühen röm. Kastelle und der Kastell-Vicus von Tenedo-Zurzach, 1994
Weblinks

Zitiervorschlag

Katrin Roth-Rubi: "Kastell", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.11.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008603/2014-11-26/, konsultiert am 28.09.2023.