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Ungarneinfälle

Das ugrofinnische Reitervolk der Magyaren oder Ungarn (in den Quellen oft irrig als Hunnen bezeichnet) drang im 9. Jahrhundert aus Asien in das Donaubecken ein. Zur Zeit seiner Landnahme wurde es durch seine Einfälle für Jahrzehnte (neben den Sarazenen und mit diesen oft verwechselt) zum Schrecken Mittel- und Westeuropas. Von 899 an und besonders zwischen 909 und 933 stiessen plündernde ungarische Verbände bis nach Dänemark, Frankreich, der Provence und Apulien vor. Die Ungarn suchten auch das Hoch- und Oberrheingebiet heim. Im Sommer 910 fiel Abt Gozpert von Rheinau im Kampf gegen sie. 917 wurde Basel geplündert, wobei vermutlich Bischof Rudolf II. umkam (20. Juli). 926 überfielen die Ungarn St. Gallen, Rheinau und Säckingen und belagerten Konstanz. Das Galluskloster wurde verbrannt; doch dank der Vision der Reklusin Wiborada, die beim Einfall am 1. Mai 926 erschlagen wurde, konnten die Mönche unter der Führung von Abt Engilbert die Bibliothek auf die Reichenau und sich selbst in die sogenannte Waldburg, ein Refugium an der Sitter (Gemeinde Häggenschwil), retten. Dieser Einfall fand in der St. Galler Geschichtsschreibung einen breiten Niederschlag (Ekkehard I., "Vita sanctae Wiboradae"; Ekkehard IV., "Casus sancti Galli"). Das Ausmass der von den Ungarn angerichteten Schäden ist schwer abzuschätzen und scheint in späteren Berichten übertrieben worden zu sein. Da zentrale Abwehrmassnahmen des Reiches noch nicht wirksam waren (Burgenordnung Heinrichs I. von 926), lagen Abwehr und Schutz der Bevölkerung in den Händen lokaler Herren, die Fluchtburgen anlegen oder alte Refugien instandsetzen liessen (z.B. Chastel bei Lostorf). Die Raubzüge der Ungarn nach Westen endeten durch die Niederlagen gegen Heinrich I. (Riade 933) und Otto den Grossen (Lechfeld 955). Um 974 taufte der von Otto entsandte Missionsbischof Brun (Prunwart), ein ehemaliger Mönch von St. Gallen, den Grossfürsten Geza (970/972-997), den Vater König Stephans (997-1038), wodurch die Hinwendung Ungarns zum christlich-lateinischen Europa eingeleitet wurde.

Quellen und Literatur

  • J. Duft, Die Ungarn in St. Gallen, 1992
  • M.G. Kellner, Die Ungarneinfälle im Bild der Qu. bis 1150, 1997
  • E. Tremp, «Heribald von St. Gallen und die Ungarn», in Scripturus vitam, hg. von D. Walz, 2002, 435-441
  • M. Schulze-Dörrlamm, «Ungarneinfälle in die Schweiz im Spiegel archäolog. Funde», in HA 41, 2010, 13-29
Weblinks

Zitiervorschlag

Ernst Tremp: "Ungarneinfälle", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008722/2013-01-25/, konsultiert am 23.09.2023.