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Aare

Das Flusssystem der Aare umfasst den flächenmässig grössten Raum (17'617 km²) der schweizerischen Alpennordseite und des Mittellandes. Es nimmt die Zuflüsse aus den Berner Alpen und dem waadtländisch-bernisch-aargauischen Mittelland auf und entwässert auch die meisten Täler der Jurasüdseite. Durch die Vereinigung mit Reuss und Limmat kurz vor der Einmündung der Aare in den Rhein gehören auch die Zentral- und wesentliche Teile der Ostschweiz zum Einzugsgebiet.

Bereits in ur- und frühgeschichtlicher Zeit war vor allem der untere Aareraum ein bevorzugtes Siedlungsgebiet, wobei sich meist eine Kulturgrenze zwischen dem westlichen und östlichen Mittelland abzeichnete. Die römische Provinzialeinteilung folgte den naturräumlichen Vorgaben: Der ungefähre Aareraum entsprach dem helvetischen Teil der Provinz Germania Superior. Aare, Zihl und die drei Jurarandseen bildeten in der Antike das verkehrsmässige Rückgrat des Mittellandes. Sie dienten als direkte Wasserwege zwischen Aventicum und Vindonissa, darüber hinaus als Verbindung von Genf in den oberrheinischen Raum.

In der Übergangszeit zum Frühmittelalter wurde die Aare zum Grenzfluss: Sie bildete zum einen die bis 1828 gültige Grenze zwischen den Bistümern Lausanne und Basel links der Aare und Konstanz rechts der Aare. Sie schied zudem in nachrömischer Zeit in etwa den romanisch-burgundischen Kulturraum im Westen von alemannischen Gebieten im Osten. Der Raum zwischen Aare und Saane wurde im 7. Jahrhundert zur Kontaktzone. Diese Situation hat sich später zur deutsch-französischen Sprachgrenze verfestigt.

In politischer Hinsicht blieb in karolingischer Zeit der Aareraum (ohne Einzugsgebiete von Reuss und Limmat) bis zur Teilung von 843, als die Aare zum Grenzfluss zwischen Mittel- und Ostreich wurde, unter einheitlicher Herrschaft. Das 888 errichtete Königreich Hochburgund dehnte sich zeitweise weit über die Aare hinaus nach Nordosten aus. Vom 10. Jahrhundert an (Ottonen) und vor allem im frühen 11. Jahrhundert (Salier) wurde der Aareraum stärker in das Reich einbezogen, nach 1127 im sogenannten Rektorat Burgund, das die Zähringer mit ihren Städtegründungen zur Landesherrschaft beidseits der Aare zu vereinen suchten. Vom frühen 13. Jahrhundert an war die Aare wieder Grenzfluss zwischen den burgundischen Landgrafschaften, die 1375 unter Kyburg in einer Hand vereint wurden. Erst der Stadt Bern gelang es im 14.-15. Jahrhundert, den gesamten Aareraum vom Oberhasli bis unterhalb von Brugg in ihrem Territorialstaat zusammenzufassen. Von den Aarestädten blieben einzig Solothurn und Olten ausserhalb des bernischen Staatsverbands. Die Helvetik bzw. die Mediation liessen mit dem Kanton Aargau eine neue politische Einheit entstehen. Deren Name sollte an den frühmittelalterlichen Aaregau erinnern, der allerdings auch die bernische Region Oberaargau umfasst hatte.

Als Verkehrsweg begünstigte die Aare die Entstehung von Siedlungen an ihren Ufern. Einige Orte an alten Flussübergängen reichen bis in die römische Zeit zurück, unter anderen Solothurn, Olten und Altenburg bei Brugg. Frühe Flussübergänge bestanden auch in Bargen, bei Wynau und im Raum Windisch. Ins ausgehende 12. und ins 13. Jahrhundert datieren eine Reihe von Stadtgründungen, bei welchen der Flussübergang, Zoll und Sust eine konstitutive Rolle spielten: Unterseen, Thun, Bern und Oltigen am Oberlauf, Aarberg, Büren an der Aare und das benachbarte Nidau an der Zihl, Altreu, Wangen an der Aare, Aarwangen, Fridau, Aarburg, Olten, Aarau, Brugg und Klingnau am Unterlauf. Weitere Siedlungen verdanken ihre Existenz einer Fähre, so Meienried am Zusammenfluss von Aare und Zihl oder Freudenau-Stilli unterhalb der Vereinigung von Aare, Reuss und Limmat.

Die Aare und das Marzili in Bern. Kolorierte Umrissradierung von Johann Niklaus Schiel, 1787 (Burgerbibliothek Bern).
Die Aare und das Marzili in Bern. Kolorierte Umrissradierung von Johann Niklaus Schiel, 1787 (Burgerbibliothek Bern). […]

Der Oberlauf der Aare bis Aarberg diente dem Nord-Süd-Verkehr, der Unterlauf dem West-Ost-Transit. Im obersten Abschnitt war die Aare mit Thuner- und Brienzersee lange Zeit die wichtigste oder gar einzige Verbindung in die Talschaften des Berner Oberlandes, da bis weit ins 19. Jahrhundert Fahrstrassen fehlten. Nur im Bödeli, zwischen den beiden Seen, zwang das Aarewehr des Klosters Interlaken vom 14. Jahrhundert an zum Fuhrverkehr. Von Thun gelangte der Grossteil der Bedarfsgüter Berns (Schlachtvieh, Milchprodukte, Baumaterialen, Brennholz) per Schiff oder Floss bis ins Marzili, direkt unter die Stadt. Die Aare aufwärts wurden Wein und Brotgetreide ins Oberland geführt. Holz aus dem Oberland und aus den Einzugsgebieten von Saane und Emme wurde die Aare abwärts bis nach Basel oder weiter bis in den niederrheinischen Raum geflösst. Für die Strecke Bern-Aarberg waren die stadtbernischen Schiffleute zuständig, ebenfalls für den Personen- und Warenverkehr von Yverdon über Nidau bis nach Brugg oder, über Klingnau, an die Zurzacher Messe.

Weitaus umfangreicher war das Transportvolumen auf der Transversale zwischen Genf und dem Rhonetal im Südwesten und Basel, Zürich und Oberschwaben im Nordosten. Hauptsächlich transportiert wurden Wein, Salz (in beide Richtungen) und Korn. Vom 15. Jahrhundert an verhandelten Bern und Solothurn über die Zollerhebung beim Warentransport auf der Aare; Zollstätten standen in Aarburg, Solothurn und Brugg-Altenburg. Im 17. und 18. Jahrhundert handelten die beiden Städte die strittigen Privilegien ihrer Schiffleutezünfte aus. Zur Optimierung der Wasserstrasse zwischen Genfersee und Rhein wurde 1638 mit dem Bau des Entreroches-Kanals begonnen. Das unfertig gebliebene Werk hätte den Landweg zwischen Morges und Yverdon um zwei Drittel verkürzt; es blieb bis 1829 zwischen Cossonay und Yverdon schiffbar. Nach 1647 verband der Aarberger Kanal für wenige Jahrzehnte die Broye zwischen Murten- und Neuenburgersee mit Aarberg.

Werbeplakat von 1981. Druck der Brügger AG, Meiringen (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Werbeplakat von 1981. Druck der Brügger AG, Meiringen (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Eigentliche Verkehrsknotenpunkte entwickelten sich dort, wo grössere Überlandwege die Aare kreuzten, so in Olten-Aarburg (Unterer Hauenstein am Weg Basel-Gotthard) und Brugg (Bözberg am Weg Basel-Bündner Pässe). Mit der Verbesserung der Landwege, insbesondere dem Chausseenbau von Lausanne über Bern in den Aargau und entlang des Jurasüdfusses zum Oberen Hauenstein, erhielt die Aareschifffahrt allmählich Konkurrenz. Im 19. Jahrhundert brachte zwar der Einsatz von Dampfschiffen eine Verbesserung der Verkehrsleistungen. Die seit den 1850er Jahren entstandenen Eisenbahnlinien bedeuteten jedoch das Ende der Aareschifffahrt. Projekte zur erneuerten Schiffbarmachung im 19.-20. Jahrhundert (Rhone-Rhein-Kanal) wurden 1993 endgültig aufgegeben. Die grossen Gewässerkorrektionen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderten die Flusslandschaft auf fast der gesamten Länge zwischen Meiringen und Koblenz. Am tiefgreifendsten waren die Eingriffe im bernischen Seeland, wo seit den Juragewässerkorrektionen der 1870er und 1880er Jahre der Hagneckkanal das Aarewasser in den Bielersee ableitet, den wiederum der Nidau-Büren-Kanal entwässert.

Seit der Wende zum 20. Jahrhundert wird die Aare intensiv zur Gewinnung von Elektrizität genutzt. Angefangen mit den Kraftwerken Oberhasli produzieren heute nicht weniger als 20 Flusskraftwerke sowie die flussgekühlten Atomkraftwerke Mühleberg, Gösgen und Beznau Strom. Nur ganz wenige, kurze Abschnitte weisen noch heute naturnahe, wenig bearbeitete Flussläufe und Uferlinien auf. Trotzdem dient die Aare manchenorts als Naherholungsgebiet, wobei die Freizeitnutzung nicht selten in Konflikt mit ökologischen Zielsetzungen gerät.

Das Wasserkraftwerk Mühleberg kurz nach der Fertigstellung im Jahr 1920 (Historisches Archiv ABB Schweiz, Baden).
Das Wasserkraftwerk Mühleberg kurz nach der Fertigstellung im Jahr 1920 (Historisches Archiv ABB Schweiz, Baden).

Quellen und Literatur

  • B. Stettler, Stud. zur Gesch. des obern Aareraums im Früh- und HochMA, 1964
  • M. Baumann, Stilli, 1977
  • F. Glauser, «Stadt und Fluss zwischen Rhein und Alpen», in Die Stadt am Fluss, hg. von E. Maschke, J. Sydow, 1978, 62-99
  • P. Kaiser, Die Brückenstädte der Aare am Jurasüdfuss im MA, Liz. Bern, 1987
  • A. Bretscher, «Zur Flussschiffahrt im Alten Bern», in BZGH 61, 1999, 105-147
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Hans von Rütte: "Aare", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.10.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008747/2011-10-06/, konsultiert am 03.11.2024.