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San BernardinoPass

Bündner Alpenübergang auf 2065 m zwischen dem Hinterrheintal und dem Misox; deutsch Bernhardinpass (ungebräuchlich). Für Mesocco am südlichen Passfuss ist für das 5. Jahrtausend v.Chr. eine mittel- oder jungsteinzeitliche Siedlung nachgewiesen. Am Flussübergang bei Hinterrhein Fund aus der Bronzezeit. 10. Jahrhundert Mons Avium, 1277 Vogel, offenbar von gallisch Ouxello (Höhe), was für eine vorrömische Benutzung spricht. Die «Tabula Peutingeriana» aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. zeigt einen Alpenübergang, der zum Langensee ausmündet; es ist ungeklärt, ob es sich dabei um den San Bernardino oder um den Lukmanier handelt.

Ansicht des Hospizes auf dem San Bernardino. Aquatinta, gezeichnet von Johann Jakob Meyer, geätzt von Rudolf Bodmer, veröffentlicht im Reiseführer Die Bergstrassen durch den Canton Graubündten nach dem Langen- und Comersee, erschienen in Zürich, 1826 (Schweizerische Nationalbibliothek).
Ansicht des Hospizes auf dem San Bernardino. Aquatinta, gezeichnet von Johann Jakob Meyer, geätzt von Rudolf Bodmer, veröffentlicht im Reiseführer Die Bergstrassen durch den Canton Graubündten nach dem Langen- und Comersee, erschienen in Zürich, 1826 (Schweizerische Nationalbibliothek). […]

Der erste Saumweg verlief ganz im Osten der breiten Passsenke. St. Peter in oder bei Hinterrhein war Eigenkirche der Sax-Misox, die sie 1219 dem Stift von San Bernardino Vittore schenkten. Über den San Bernardino wanderten nach Mitte des 13. Jahrhunderts Walser Siedler ins Rheinwald ein. Die zwischen 1450 und 1467 im Dorf San Bernardino erbaute Kapelle zu Ehren des heiligen Bernhardin von Siena gab dem Pass den neuen Namen. Der 1467 abgeschlossene Belehnungsvertrag verpflichtete die Inhaber von zwei Hofstätten neben der Kapelle zur Aufnahme von Reisenden, zum Wegunterhalt bis zur Passhöhe und zum Läuten der Glocke. Grosse Bedeutung für den Aufschwung des San Bernardinos hatte der Ausbau der Viamala um 1473. Den Transport der Handelswaren besorgten sogenannte Porten, lokale Genossenschaften von Säumerbauern. In Splügen übernahmen die Leute des inneren Rheinwalds die Güter von den Schamsern und brachten sie bis zum Dorf San Bernardino. Dort standen Säumer aus dem Misox für ihren Abschnitt bis Bellinzona bereit. Einzig die Eilgüter durften mit der sogenannten Strackfuhr direkt transportiert werden. Die Aufnahme von Mesocco und Soazza in den Oberen Bund 1480 erfolgte nicht zuletzt wegen der Bedeutung des San Bernardinos. Im Mittelalter verlief der Saumweg westlich des älteren Pfades.

Der Weg über die 1692 bzw. 1696 bei Hinterrhein erbaute Steinbrücke führte weiterhin durch den Lawinenhang der Dorfalp. Zwar wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein gepflästertes Fahrsträsschen über den San Bernardino gebaut, aber bald zugunsten des Saumverkehrs aufgegeben. Im Winter konnte jeweils mit Schlitten mehr Last pro Tier transportiert werden. Der Durchgangsverkehr bildete einen wichtigen Teil der regionalen Wirtschaft: 1760 lebten in Hinterrhein und Nufenen 23 Familien, die das Rodfuhrwesen betrieben, Warentransport und Landwirtschaft verbanden. Das Verkehrsaufkommen über den benachbarten Splügenpass scheint allerdings meist höher gewesen zu sein. Die erste für Frachtwagen und Kutschen durchgehend befahrbare Strasse wurde gleichzeitig mit dem Splügen 1818-1823 erstellt. Für die Kosten der 120 km von Chur bis Bellinzona kamen vor allem das Königreich Sardinien-Piemont, der Churer Speditionsstand und der Kanton Graubünden auf. Der Tessiner Staatsrat Giulio Pocobelli fungierte als Generalunternehmer. Bei Hinterrhein verlegte er die Rheinbrücke taleinwärts und vermied in den nachfolgenden Serpentinen die Lawinenhänge. 1824-1825 entstand das erste Hospiz auf der Passhöhe. Der Einsturz des Ponte Vittorio Emanuele oberhalb des Dorfs San Bernardino 1864 hatte eine neue Strassenführung zur Folge. Mit der Eröffnung der Fahrstrasse nahm das Frachtaufkommen stark zu. Zum Warentransport trat der Tourismus. Fuhrleute, Wirte, Handwerker und auch die Landwirtschaft profitierten vom Transit. Das Portenwesen der Säumerbauern wurde gegen deren Widerstand 1861 endgültig abgeschafft. Der Höhepunkt des Passverkehrs war Mitte der 1850er Jahre erreicht. Die Alpenbahnen über den Brenner (1867) und durch den Mont Cenis (1872) schmälerten den Anteil des San Bernardinos am Alpentransit. Die Eröffnung der Gotthardbahn brachte den Verkehr über die Bündner Pässe schliesslich fast zum Erliegen. Pläne für eine Bernhardinbahn kamen nie zur Ausführung; es blieb bei der Schmalspurbahn von Bellinzona nach Mesocco (1907 eröffnet, 1972 stillgelegt). Der San Bernardino ist seit dem Zweiten Weltkrieg im Winter geschlossen. Ganzjährig offen ist der 1967 eröffnete, 6,6 km lange Tunnel der A13 zwischen dem Dorf San Bernardino und Hinterrhein. Seither ist das Misox wieder ganzjährig mit dem Rest des Kantons verbunden. Der Anteil des San Bernardinos am internationalen Transit hat nach der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels wieder abgenommen.

Quellen und Literatur

  • J. Simonett, Verkehrserneuerung und Verkehrsverlagerung in Graubünden, 1986
  • P. Mantovani, La strada commerciale del San Bernardino, 1988
  • A. Planta, Verkehrswege im alten Rätien 4, 1990, 11-33
  • IVS Dok. GR 19
Weblinks
Weitere Links
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Systematik
Verkehr / Pass

Zitiervorschlag

Jürg Simonett: "San Bernardino (Pass)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.01.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008810/2011-01-10/, konsultiert am 19.03.2024.