de fr it

Splügenpass

Alpenübergang (2113 m) an der Landesgrenze zwischen dem Rheinwald im Hinterrheintal und dem italienischen Val San Giacomo (St. Jakobstal). Das um 840 als cella in speluca erwähnte Dorf Splügen am nördlichen Ausgangspunkt gab dem Pass den Namen. Italienisch Passo dello Spluga, romanisch Pass dal Spleia. Im Mittelalter finden sich für den Splügenpass auch die Bezeichnungen Colmen d'Orso und Urschler.

Der Fund eines Eisenbarrens in unmittelbarer Nähe der Passhöhe weist darauf hin, dass der Splügenpass schon in frühgeschichtlicher Zeit begangen worden ist. Zwei römische Strassenkarten belegen die Benutzung des Splügenpasses: Das "Itinerarium Antonini" (um 300 n.Chr.) nennt an der Splügenroute zwischen Chur und Chiavenna die Station Tarvesede, die wohl im Val San Giacomo zu suchen ist. Die "Tabula Peutingeriana" aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. zeigt Lapidaria im Schams, Cunuaureu (eventuell am Splügenpass) und Tarvessedo. Im Gegensatz zum Julier- und Septimerpass scheint der Splügenpass in römischer Zeit nicht befahrbar gewesen zu sein. Während die Strecke von Splügen zur Passhöhe topografisch wenig anspruchsvoll ist, gestaltet sich der Abstieg im steilen Gelände nach der Ebene von Monte Spluga äusserst schwierig. Bis ins 19. Jahrhundert existierten dort immer zwei Wegvarianten: Der Saumweg "di sotto" führte dem Liro entlang durch die Cardinell-Schlucht nach Isola; der Saumweg "di sopra" über den Andossi-Rücken via Madesimo oder Pianazzo nach Campodolcino, wo die Routen wieder zusammentrafen.

Mit der Dauerbesiedlung des oberen Val San Giacomo im 13. Jahrhundert verstärkten sich auch im regionalen Bereich die Kontakte über den Alpenkamm, die zwischen den Bistümern Chur und Como seit jeher bestanden hatten. Ein zentraler Punkt des Friedensvertrags von 1219 zwischen Schams (mit dem vorderen Rheinwald) und Chiavenna war die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit auf der Splügenroute. Alle Personen von Chiavenna und den angrenzenden Ortschaften sollten sich mit ihren Gütern und Handelswaren im ganzen Schamsertal von der Viamala usque ad Spelugam (bis nach Splügen bzw. dem Splügenpass) sicher und frei bewegen dürfen. Dies galt auch für die auf der Alpennordseite gepachteten Alpen der Gemeinde Chiavenna. Möglich ist eine zeitweilige Konkurrenzierung des Splügenpasses durch den Pass da Niemet (2295 m), der von Innerferrera nach Madesimo führt. Chiavenna wollte 1226 einen Fahrweg für einachsige Karren von Campodolcino nach Madesimo bauen lassen. Von dort ist eine Fortsetzung zum Splügenpass ebenso möglich wie zur Alp Niemet, die ab 1204 von Chiavenna gepachtet war.

Wichtigster Bündner Alpenübergang im Mittelalter war der vom Churer Bischof geförderte Septimer an der sogenannten Oberen Strasse. Die Grafen von Werdenberg-Sargans versuchten im Spätmittelalter, den einträglichen Transitverkehr auf die Untere Strasse, über den Splügenpass oder den San Bernardino zu lenken. Ein Machtspruch Kaiser Karls IV. fiel aber zugunsten des Septimers aus, der nach 1387 mit einem Fahrsträsschen versehen wurde. Trotzdem sind 1396 für den Splügner Zoll beträchtliche Einnahmen bezeugt. Zentrale Bedeutung für den Aufschwung des Splügenpasses hatte der Ausbau der Viamala-Schlucht, des bedeutendsten Hindernisses auf der Alpennordseite. Nicht nur die unmittelbaren Anwohner beteiligten sich daran, sondern auch die Bürger von Rheinwald und des Val San Giacomo. Den Frachtverkehr besorgten die im Viamala-Brief von 1473 bereits erwähnten Porten. Dabei handelte es sich um lokale Genossenschaften von Säumerbauern, die die Handelsware in ihrem Talabschnitt mit Saumpferden von Sust zu Sust führten. In Splügen übernahmen die Säumer des äusseren Rheinwalds die Güter von den Schamsern und brachten sie bis zum Hospiz in Monte Spluga. Dort standen die Leute aus dem Val San Giacomo für ihren Abschnitt bis Chiavenna bereit. Dieses Transportmonopol der ansässigen Bürger, die Rodfuhr, führte dazu, dass von Chur bis Chiavenna oder umgekehrt fünfmal umgeladen wurde. Einzig die Expressgüter durften mit der sogenannten Strackfuhr direkt transportiert werden.

Die strategische Lage des Val San Giacomo am Südfuss des Splügenpasses ist eine Erklärung für dessen Abhängigkeit vom Freistaat der Drei Bünde. Innerhalb der Bündner Untertanenlande (1512-1797) genoss es dabei verschiedene Privilegien; so war die Port des Val San Giacomo denjenigen auf der Alpennordseite gleichgestellt. Der Transitverkehr bildete einen wichtigen Teil der regionalen Wirtschaft; in Splügen etwa lebten 1809 vierzig Rodfuhrleute, die Landwirtschaft und Warentransport miteinander verbanden. Sieben Stracksäumer arbeiteten ohne landwirtschaftlichen Rückhalt und waren dementsprechend abhängig vom stark schwankenden Frachtaufkommen. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts kamen über den Splügenpass in aller Regel Saumpferde zum Einsatz. Der Einsatz zweirädriger Wagen scheint die grosse Ausnahme gewesen zu sein. Der österreichische Feldmarschall Heinrich Joseph Johann von Bellegarde schreibt 1798, der Weg sei "mit spitzigen Steinen und schlechtem Pflaster belegt." Weiter heisst es: "Über diesen Pass geht der grösste Warenzug aus dem Mailändischen nach Deutschland, aber meistens auf Pferden und Maultieren."

Kartenausschnitte mit dem Splügenpass (links), dem östlich von Ponte di Legno gelegenen Tonalpass (oben rechts) und der Verschanzung von Pieve di Bono in den Valli Giudicárie (unten rechts, beide Trentino). Gezeichnet und graviert von Ambroise Tardieu für die 19-bändige Publikation Précis des événements militaires ou Essais historiques sur les campagnes de 1799 à 1814, die General Mathieu Dumas zwischen 1817 und 1826 in Paris bei Treuttel et Würtz herausgegeben hat (Fundaziun Capauliana, Chur).
Kartenausschnitte mit dem Splügenpass (links), dem östlich von Ponte di Legno gelegenen Tonalpass (oben rechts) und der Verschanzung von Pieve di Bono in den Valli Giudicárie (unten rechts, beide Trentino). Gezeichnet und graviert von Ambroise Tardieu für die 19-bändige Publikation Précis des événements militaires ou Essais historiques sur les campagnes de 1799 à 1814, die General Mathieu Dumas zwischen 1817 und 1826 in Paris bei Treuttel et Würtz herausgegeben hat (Fundaziun Capauliana, Chur). […]

Das Hospiz befand sich am Rande der Hochebene von Monte Spluga auf 1901 m. Der Weg durch die gefährliche Cardinell-Schlucht wurde vor allem um 1643 und nach 1709 saniert und in den Felspartien zum Teil neu angelegt. Verbesserungen erfuhren aber auch die Linienführungen über Madesimo und Pianazzo. Der französische General Etienne Jacques Macdonald soll im Dezember 1800 bei der Überquerung des Splügenpasses einige hundert Mann verloren haben. Nach dem Abfall des Veltlins von den Drei Bünden 1797 markierte die Höhe des Splügenpasses auch die Landesgrenze.

Gleichzeitig mit dem San Bernardino wurde 1818-1823 die erste für Frachtwagen und Kutschen durchgehend befahrbare Strasse erstellt. Nach dem Simplon und noch vor dem Gotthard war die Untere Strasse somit die zweite schweizerische "Kunststrasse" über die Alpen. Für die Strecke von Chur über den San Bernardino nach Bellinzona kam neben dem Kanton Graubünden zu einem guten Teil das Königreich Sardinien-Piemont auf. Das Lombardo-Venezianische Königreich sah dadurch das Verkehrsaufkommen über den Splügenpass gefährdet und liess im Gegenzug auf eigene Kosten eine Fahrstrasse über die Landesgrenze hinaus bis zum Dorf Splügen erbauen. Diese Strasse entsprach im Wesentlichen der zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch befahrenen Route. Auf der Nordseite führte die Strasse, den Plänen von Ingenieur Carlo Donegani entsprechend, nicht mehr durch den Lawinenhang des Altbergs. Auf der Südseite wählte man unterhalb von Monte Spluga bis nach Campodolcino eine fast durchgehend neue Linienführung, bei der die Cardinell-Schlucht umfahren wurde. Vor allem auf die Südseite kamen viele Galerien und in regelmässigen Abständen Zufluchtshäuser zu stehen. Nach den verheerenden Hochwasserschäden von 1834 wurde die Strasse an manchen Stellen neu angelegt. 1841 entstand auf der Nordseite das erste Berghaus mit der Zollstation (2022 m).

Nach der Eröffnung der Fahrstrasse nahm das Frachtaufkommen in Kürze um ein Mehrfaches zu. Während der folgenden Jahrzehnte gehörte der Splügenpass zu den Alpenübergängen mit den höchsten Frequenzen. Neben den Warentransport trat nach und nach der touristische Reiseverkehr. Fuhrleute, Wirte, Handwerker und auch die Landwirtschaft profitierten vom Transit. Finanzkräftige Speditoren und Fuhrunternehmer vor allem in Chur und Chiavenna, in deren Diensten nun die lohnabhängigen Fuhrleute standen, ersetzten das genossenschaftliche Portenwesen der Säumerbauern gegen den Widerstand der Durchgangstäler. Der Höhepunkt des Transitverkehrs über den Splügenpass war Mitte der 1850er Jahre erreicht. Die Eröffnung der Alpenbahn über den Brenner 1867 und durch den Mont Cenis 1872 schmälerten den Anteil des Verkehrs über den Splügenpass. Die Eröffnung der Gotthardbahn 1882 brachte den Bündner Transitverkehr fast völlig zum Erliegen. Die jahrzehntelangen Anstrengungen für eine Splügenbahn blieben erfolglos. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Splügenstrasse im Winter geschlossen.

Quellen und Literatur

  • G. Mützenberg, «Splügenpass: L'histoire contre la géographie ou le col le plus court mais le plus négligé des Alpes suisses», in Revue de géographie alpine 61, 1973, 268-284
  • J. Simonett, Verkehrserneuerung und Verkehrsverlagerung in Graubünden, 1986
  • A. Planta, Verkehrswege im alten Rätien 4, 1990, 35-152
  • IVS Dok. GR 17
  • K. Wanner, Via Spluga, 42011
Weblinks
Weitere Links
e-LIR
Normdateien
GND
Systematik
Verkehr / Pass

Zitiervorschlag

Jürg Simonett: "Splügenpass", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008823/2013-01-10/, konsultiert am 19.03.2024.