Autorin/Autor:
Martin Illi
Der F. - der Begriff wurde u.a. vom konservativen Historiker Richard Feller geprägt, zeitgenössisch hiess das Ereignis beispielsweise Campagne d'Helvétie - steht für die Besetzung der Schweiz durch franz. Truppen in der 1. Hälfte des Jahres 1798. Der F., der den Auftakt zur Helvetischen Republik bildete, war der Anfang vom Ende der alten Eidgenossenschaft, brachte ihr mit der Aufhebung der Untertänigkeit die neue Gleichheit, jedoch auch einen die föderalist. Traditionen und Landsgemeindedemokratien missachtenden Zentralismus sowie eine mehrjährige Ausbeutung.
Frankreich, das im Laufe der 1790er Jahre immer mehr in eine durch die Französische Revolution ausgelöste Dynamik geriet, etablierte mit der Beendigung des 1. Koalitionskriegs (Frieden von Campoformio, 1797) seine Macht in Norditalien und einigte sich mit Österreich, welches das eidg. Gebiet mit Ausnahme von Graubünden der franz. Interessensphäre überliess und nicht länger zu einer Intervention zugunsten der aristokrat. Schweiz bereit war. Die ab 1792 praktizierte schweiz. Neutralitätspolitik hatte dadurch ihre Basis verloren.
Ab 1797 verfolgte Frankreich gegenüber der Eidgenossenschaft drei vorerst nur schwer erkennbare machtpolit. Ziele: erstens den Zugang nach Norditalien über die Alpenpässe, zweitens die Alimentierung seiner Kriegskassen und drittens die Nutzung des schweiz. Wehrpotentials für eigene Kriegszwecke. Wegen des angespannten sozialpolit. Klimas konnte die Schweiz sich weder mit Frankreich arrangieren noch den Widerstand organisieren. Frankreichs Übergang von der revolutionären zur imperialen Politik und das Ausscheiden des der Eidgenossenschaft freundlich gesinnten François de Barthélemy aus dem franz. Direktorium 1797 führten zu einer für die aristokratische wie auch für die revolutionäre Schweiz ungünstigen Ausgangsposition.
Ereignisse
Autorin/Autor:
Martin Illi
Ende 1797 besetzten franz. Truppen den südlichen, in die eidg. Neutralität eingeschlossenen Teil des Fürstbistums Basel. Nach dem Ausbruch der Helvetischen Revolution in der Waadt und aufgrund eines Hilfegesuches der am 24.1.1798 proklamierten Lemanischen Republik marschierten die Franzosen ein. Die Berner Truppen zogen sich kampflos in die Gegend von Murten und Freiburg zurück. General Alexis Balthasar Henri Antoine von Schauenburg wurde mit der Organisation eines zweiten Korps im Raum des ehemaligen Fürstbistums Basel beauftragt. Das aristokrat. Bern und die mit ihm verbündeten Patriziate von Solothurn und Freiburg sahen sich dadurch von Norden und Süden bedroht. Die Franzosen entfalteten diplomatische und agitatorische Aktivitäten; Berns Weigerung, die sog. Reform- oder Friedenspartei an die Macht zu lassen, bildete den Vorwand für den franz. Hauptangriff.
Die Kämpfe begannen am 1.3.1798; tags darauf kam es zu Gefechten bei Lengnau (BE), Grenchen und im Ruhsel (Wald zwischen Alfermée und Twann), die mit der Kapitulation von Solothurn endeten. Am 4.3.1798 dankte die Berner Regierung ab. Dennoch versuchten die Berner Truppen, den franz. Vorstoss zu stoppen; auf der Nordachse unterlagen sie bei Fraubrunnen und entscheidend beim Grauholz. Am 5.3.1798 wurde Schauenburg die am Vortag von Karl Albrecht von Frisching unterzeichnete Kapitulation überbracht, der als Anführer der Reformpartei der neuen provisor. Regierung vorstand. Nicht mehr kriegsentscheidend war der franz. Vorstoss aus dem Süden, der mit der Einnahme von Murten und Freiburg begonnen hatte und durch die Berner bei Neuenegg gestoppt wurde. Insgesamt verfügte die franz. Streitmacht über 35'000 Soldaten, denen nur etwa 20'000 Berner gegenüber standen. Die 4'100 Mann starke eidg. Hilfstruppe verhielt sich passiv. Die Kämpfe forderten auf Berner Seite rund 700 Tote, die Verluste auf franz. Seite sind nicht bekannt.
Gefecht bei Schindellegi in der Nähe von Einsiedeln im Mai 1798. Aquarell von Heinrich Usteri und Heinrich Füssli dem Jüngeren (Privatsammlung; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives Nicolas Bouvier).
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Im April 1798 lehnten Schwyz, Nidwalden und Uri die helvet. Verfassung ab. Unter Alois Reding konnten sie rund 10'000 Mann aufbieten. Die Kräfte verzettelten sich jedoch auf der langen Verteidigungslinie zwischen Napf und Rapperswil. Reding besetzte Luzern und stiess über den Brünig ins Berner Oberland vor. Doch vom besetzten Zürich aus führte Schauenburg einen Gegenstoss über Zug, Luzern und den Sattel Richtung Schwyz. Zug und Luzern ergaben sich. Nach der Einnahme von Rapperswil und Gefechten bei Wollerau kapitulierten auch die mit Schwyz verbündeten Glarner. Die Schwyzer mussten nach einem Gefecht bei Schindellegi zurückweichen. Hingegen gewannen sie je ein Gefecht bei Rothenthurm und Morgarten. Doch die Lage war hoffnungslos; am 4.5.1798 gab die Schwyzer Landsgemeinde den Kampf auf. Beeindruckt vom Widerstandswillen der Innerschweizer, gewährten die Franzosen ihnen milde Kapitulationsbedingungen und verzichteten auf ihre Entwaffnung. Eine letzte Episode des F.s war der anfänglich erfolgreiche Aufstand der Oberwalliser, der jedoch schon im Mai zusammenbrach.
Am 19.8.1798 wurde die Unterwerfung der Schweiz mit einer Defensiv- und Offensivallianz zwischen Frankreich und der Helvet. Republik formell besiegelt. Während des F.s kam es verschiedentlich zu Plünderungen (u.a. in der Abtei Einsiedeln). Gemeinden und private Haushalte hatten für Verpflegung und Unterkunft der franz. Streitkräfte zu sorgen. Diese Einquartierungen waren unbeliebt und wurden Gegenstand der konservativ-antihelvet. Propaganda. Die franz. Zwangsanleihen und Kontributionen enttäuschten auch die revolutionäre Schweiz. Die Franzosen beschlagnahmten u.a. die Berner und Zürcher Staatskasse und brachten Berns Bären als Trophäe nach Paris. Obwohl die Überführung von Geld- und Sachwerten nach Frankreich für die Zeitgenossen schmerzlich war und den Aufbau der Helvet. Republik behinderte, gefährdete sie die wirtschaftl. Weiterexistenz der betroffenen Staatswesen und Kommunen nicht, da Gemeinde- und Staatsvermögen hauptsächlich aus Grundbesitz bestanden. Auch das Berner Staatsvermögen, das im Ausland angelegt war, konnten die Franzosen nicht verwerten. Gottlieb von Jenner gelang es durch Bestechung, ausländ. Zinsbriefe in der Höhe von 12 Mio. franz. Pfund nach Bern zurückzubringen. Entscheidend für den Aufbau der Schweizer Armee zur Zeit der Restauration war die Alimentierung der eidg. Kriegskasse mit franz. Reparationszahlungen nach dem 2. Pariser Frieden.
Nachleben und Erinnerung
Autorin/Autor:
Martin Illi
Nur in Bern und in der Innerschweiz hat sich ein kollektives Gedächtnis des Widerstandes gegen die Franzosen herausgebildet. Wichtige Wegmarken der Erinnerungspolitik waren 1805 die feierl. Beisetzung des 1799 im Exil verstorbenen Berner Altschultheissen Niklaus Friedrich Steiger, die um 1821 im Berner Münster aufgestellten Namenstafeln für die Gefallenen, 1872 das Historienbild "Redings Abschied" von August Weckesser, der aus einem liberalem Umfeld stammte, und 1886 das auf Veranlassung des Berner Offiziersvereins errichtete Schlachtdenkmal im Grauholz, das mit dem Friedrich Schillers "Wilhelm Tell" entlehnten Sinnspruch "Seid einig" versehen wurde. Die kant. Erinnerungsfeiern von 1898 standen unter dem Eindruck des Nationalstaatsgedankens, obwohl sie von den sogenannten Widerstands- und Revolutionskantonen getrennt begangen wurden.
Dem Berner Landsturm und den wehrhaften Frauen haben Franz Niklaus König und Jeremias Gotthelf ("Elsi, die seltsame Magd") künstlerische Denkmäler geschaffen. In der Volksüberlieferung (z.B. "Fraubrunnenlied" eines Berner Kanoniers) hielt sich die Vorstellung, von der Berner Obrigkeit verraten worden zu sein. Die im Zusammenhang mit den Jubiläumsfeierlichkeiten von 1998 hervorgegangene Geschichtsschreibung betrachtet den F. als Teilereignis eines über fünfzigjährigen Modernisierungsprozesses, der schliesslich zum Bundesstaat von 1848 führte.