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Rechtsaltertümer

Rechtsaltertümer sind Örtlichkeiten, Gegenstände und Geräte des Rechtslebens, der Rechtssetzung und Rechtsanwendung. Mit ihnen befasst sich die Rechtsarchäologie.

Für die Schweiz enthalten Bilderchroniken vom 14. Jahrhundert an Bezüge zu Rechtsaltertümern. Die historische Rechtsschule und Jakob Grimms «Deutsche Rechtsaltertümer» (1828) weckten das Interesse an Rechtsaltertümern, wie die Werke von Johann Jakob Blumer, Johann Caspar Bluntschli, Philipp Anton von Segesser und Eduard Osenbrüggen zeigen. Im 20. Jahrhundert haben unter anderen Hans Fehr, Karl Siegfried Bader, Theodor Bühler und Ferdinand Elsener sowie seit 1978 die Reihe «Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtliche Volkskunde» die Erforschung von Rechtsaltertümern in der Schweiz gefördert. Museen sammelten Rechtsaltertümer. Viel Material über Rechtsaltertümer enthält die «Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen».

Dreiecksgalgen des Hochgerichts der Grafschaft Baden in Dättwil. Ausschnitt aus einer grau lavierten Zeichnung von Felix Meyer, um 1700 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Dreiecksgalgen des Hochgerichts der Grafschaft Baden in Dättwil. Ausschnitt aus einer grau lavierten Zeichnung von Felix Meyer, um 1700 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).

Zu den Rechtsaltertümern zählen Orte unter freiem Himmel oder in Gebäuden, an denen regelmässig rechtliche Handlungen und Versammlungen stattfanden wie Ding-, Markt- und Landsgemeinde-Plätze. Versammlungsorte waren und sind auch Gilden-, Zunft-, Rats- und Bruderschaftsstuben sowie Behördensitze wie Gerichts- und Rathäuser, die auch Gerechtigkeitsdarstellungen (Iustitia, Urteil Salomons) verwahren. Die Strafvollzugsorte unterschieden sich je nach Straftat: Der Pranger, erhalten noch auf Schloss Kyburg, in Sursee und Raron, wurde in verschiedenen Formen (Halseisen, Geige, Trülle, Lasterstein, Schandmaske) für Ehrenstrafen genutzt. In Gefängnissen vollzog man Freiheitsstrafen, auf Richtstätten die Todesstrafe. Zum Teil erhalten sind Galgen in Ernen, Jörgenberg, bei Olten, Susch, Vicosoprano, Zuoz und Ursern. Matthaeus Merian bringt in seiner «Topographia Helvetiae» (1642) Galgen bei Altdorf (UR), Appenzell, Chur, Freiburg, Neuenburg, Schwyz und Stans. Auch Zoll- und Henkerhäuser (z.B. in Freiburg) sind Rechtsaltertümer.

Gebrauchsgegenstände des Rechtslebens dienten und dienen zum Abstimmen, zum Beispiel Wahlurnen in Gemeinden und anderen Körperschaften (Wahlurne des Domkapitels Sitten bis 18. Jh.), zum Bekanntmachen, zum Beispiel Glocken, oder zum Archivieren, wozu manchmal kunstvoll geschnitzte und mit mehreren Schlössern versehene Schränke und Truhen verwendet wurden. Im Prozess brauchte man Ladungszeichen, Eidtafeln, Reliquiare und Folterwerkzeuge (z.B. in den Museen von Appenzell, Bern, Chur, Lenzburg), wozu die Bilderchroniken anschauliche Illustrationen liefern, sowie Strafvollzugsgeräte. Erhalten sind zum Beispiel sechs Richtschwerter aus Luzern (15. Jh.), mehrere aus Basel (13., 16. und 17. Jh.), je eines in der Abtei Saint-Maurice (15. Jh.) und in Schaffhausen (17. Jh.). Dazu kommen Richträder (Appenzell), Beile usw. Für die Brandmarkung verwendete man Brandstempel, für Freiheitsstrafen Fesseln, Fusskugeln, Leibringe und Strafjoche. Rechtsaltertümer des Rechtsverkehrs sind Münzen, Masse und Gewichte, Auktionshämmer und Kerbhölzer. Zunftaltertümer sind insbesondere Truhen, Laden, Büchsen, Handwerkstafeln, Becher und Kannen.

Gegenstände des rechtsrituellen Handelns, Zeichen und Symbole, begleiten und versinnbildlichen die Institute und Rechtshandlungen. Dazu gehören Standes- und Amtstrachten (z.B. Weibelmäntel und -schilder) sowie Uniformen, Insignien und Amtszeichen, wie zum Beispiel die Landsgemeindeschwerter aus dem 16. Jahrhundert in Uri, Schwyz, Obwalden, Glarus, Engelberg, Gersau und Ursern (1460/1480), die Zeremonialschwerter der Bischöfe von Sitten (um 1400) und Chur (16. Jh.) und der Stab als Landes-, Schultheissen-, Richter-, Weibel-, Bischofs- und Abtstab (ältestes Beispiel: Germanus-Stab in Delsberg zwischen 640 und 675) sowie Universitätsszepter (Basel 1460/1461, Bern 1913, Freiburg 1961, Genf 1959, Lausanne 1949). In Uri sind auch der durchschossene Reichsapfel und der «Stier von Uri» (Harsthörner), in Obwalden das Juliusbanner (1512) und der Schnorpf'sche Silberbecher Hoheitszeichen.

Wappen sind wie Fahnen zu Hoheitszeichen geworden, aber auch wie Siegel-Stempel und Notarssignete zu Personenzeichen. Zu den Sachenzeichen zählen Hausmarken, Warenmarken, Eigenschafts- (amtliche Beschau- und Prüfzeichen), Herkunfts- und Urheberzeichen wie Buchdrucker-, Glockengiesser-, Goldschmied-, Münzmeister-, Papier-, Schmiede-, Steinmetz- und Zinngiessermarken. Steine und Säulen erscheinen als Grenz-, Marktkreuze als Friedens-, Meilensteine als Entfernungszeichen, Steinkreuze als Sühnezeichen am Tatort oder an einem Verkehrsweg.

Quellen und Literatur

  • L. Carlen, «Rechtsarchäologie in der Schweiz», in Fs. H. Baltl zum 60. Geburtstag, hg. von K. Ebert, 1978, 89-106, (mit Bibl.)
  • Forsch. zur Rechtsarchäologie und Rechtl. Volkskunde, hg. von L. Carlen, 1-, 1978-
  • L. Carlen, Sinnenfälliges Recht: Aufs. zur Rechtsarchäologie und rechtl. Volkskunde, 1995
  • H. Bischofberger, Rechtsarchäologie und rechtl. Volkskunde des eidg. Standes Appenzell Innerrhoden, 1999
Weblinks

Zitiervorschlag

Louis Carlen: "Rechtsaltertümer", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008936/2013-01-29/, konsultiert am 11.10.2024.