Landfrieden heissen die ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von weltlichen Gewalten, d.h. von Königen, Fürsten, Rittern (Sankt Jörgenschild), Stadt- und Landgemeinden (Städtebünde) und ständisch gemischten Bünden (Burgundische Eidgenossenschaft) errichteten, meist befristeten Rechtssatzungen zur Einschränkung der adligen Fehde und der Blutrache sowie zur Sicherung des allgemeinen Friedens. Im schweizerischen Raum kam es im 13. und 14. Jahrhundert zu zahlreichen Initiativen von Fürsten sowie von Stadt- und Landgemeinden zur Errichtung von Landfrieden. Der Bund der Länder Uri, Schwyz und Unterwalden, der im 13. Jahrhundert im Zuge dieser breiten Landfriedensbewegung geschlossen wurde, gilt als Ausgangspunkt des langwierigen, in seinem Ergebnis keineswegs von vornherein bestimmten und unumkehrbaren Prozesses, der zur Ausbildung der Eidgenossenschaft führte. Die Landfrieden der frühen Neuzeit werden im Artikel Landfriedensbünde behandelt.
Allgemeine Bedeutung
Die Landfrieden zwangen die ihnen unterworfenen Personen- und Herrschaftskreise zur Lösung ihrer Konflikte auf den Rechtsweg und stärkten dadurch die Stellung der Gerichte; den Friedbrüchigen drohten sie schwere Strafen (Rädern, Enthaupten, Verstümmelung) an. Teilweise flossen sie aus der Zwangsgewalt und dem Befehl eines Königs oder Herrn. Charakteristisch für die spätmittelalterliche Ständegesellschaft war jedoch, dass die Landfrieden meist als geschworene Einungen organisiert wurden («Friede durch Verschwörung» nach Otto Gerhard Oexle). Mit dem Schwur breiter Personenkreise auf den Landfrieden versuchte man, den Landfrieden auf nachgeordnete Herrschaften auszuweiten und angesichts fehlender berufsmässiger Ordnungstruppen die Strafverfolgung auf eine breite Basis zu stellen.
Lag der Schwerpunkt der landfriedensrichterlichen Tätigkeit ursprünglich beim König, der mit dem Landfrieden an die kirchlichen Gottesfrieden anknüpfte, so verlagerte er sich im 13. Jahrhundert auf die Fürsten und auf die Stadt- und Landgemeinden, die sich unter- und miteinander zu regionalen Landfriedensbündnissen zusammenschlossen. Den Städten, die nicht nur die Regelung des Rechtsverkehrs untereinander, sondern auch die Sicherung der Verkehrswege anstrebten, war die Einbindung des Adels in die Bündnisse ein Anliegen. Landfriedensbünde dienten ausserdem auch dazu, sich gegen die ungewissen Folgen von Herrschaftswechseln abzusichern.
Die Landfriedensbewegung des 11. bis späten 15. Jahrhunderts war ein wichtiger Faktor beim Ausbau der Landesherrschaft. Denn mit ihr erfolgte der Übergang vom überkommenen Bussensystem und der eigenmächtigen Strafverfolgung durch die verletzten Parteien zu einem System der peinlichen Strafgerichtsbarkeit, die von der öffentlichen Gewalt als zentrale Aufgabe und Vorrecht hoheitlicher Gewalt definiert und gehandhabt wurde (Gewaltmonopol). Da die Wege der Staatsbildung in Europa sehr unterschiedlich waren, wurde die Durchsetzung des ewigen, d.h. unbefristet geltenden, allgemeinen territorialen Friedens zu verschiedenen Zeitpunkten erreicht. Im Reich bedeuteten erst der Ewige Reichslandfriede von 1495 und die Errichtung des Reichskammergerichts den Durchbruch zur Unterdrückung der Fehde, die auch noch im 16. Jahrhundert allenthalben praktiziert wurde.
Eidgenossenschaft des Spätmittelalters
Im schweizerischen Raum überlagerten sich im 13. und 14. Jahrhundert mehrere Bündnissysteme, die von unterschiedlichen Herrschaftsträgern initiiert worden waren und den Landfrieden berührten. Im Westen waren ab dem frühen 13. Jahrhundert Städte, Landschaften und Herren in der burgundischen Eidgenossenschaft verbündet. Im Nordosten orientierten sich Zürich und die Städte des Bodenseeraums auf die Städtebünde des südwestdeutschen Raums, waren aber auch in königliche und österreichische Landfriedensbündnisse eingebunden. Zürich hat zur Zeit des Sempacherkriegs und der Appenzellerkriege entscheidend dazu beigetragen, dass die Landfriedenswahrung südlich des Bodensees unter Kontrolle der eidgenössischen Orte gelangte. Eine Führungsrolle bei der Befriedung sowohl der eigenen als auch herrschaftsübergreifender Gebiete übernahmen die Habsburger. Ihre Bemühungen um den Landfrieden setzten in ihren westlichen Herrschaften und im schweizerischen Voralpenraum zu einem Zeitpunkt ein, als ihre landesherrliche Macht stark angewachsen war. Sie sind für die Zeit zwischen 1281 und 1333 belegt und erfassten landesherrliche Städte und Gebiete, aber auch Reichsfürsten, Reichsstädte und Adlige.
Neben den Stadtgemeinden traten seit dem 13. Jahrhundert auch ländliche Gemeinden als organisierende Kräfte des Landfriedens in Erscheinung. Der Bundesbrief der drei Waldstätten von 1291 verfolgte vorrangig das Ziel, die Fehde, die sich in der Innerschweiz im 13. Jahrhundert in Konflikten zwischen Familienverbänden manifestiert hatte, auszuschalten. Mord, Brand, Diebstahl und Pfändungen wurden als Mittel zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen geächtet, an ihre Stelle trat die gerichtliche Konfliktlösung in Streitfragen sowohl zivil- wie strafrechtlichen Charakters. Deswegen behandelte der Bundesbrief auch die Rechtspflege und die Bestellung der Richter und enthielt Bestimmungen zur wechselseitigen Hilfe der Länder. Das «Friedensbündnis» von 1291 (Peter Blickle) galt im Gegensatz zu den übrigen Landfrieden unbefristet. Die gegenseitige Hilfepflicht, die schiedsgerichtliche Beilegung von Streitigkeiten unter den Bündnispartnern und die Friedenssicherung gehörten zum Kernbestand der im 14. Jahrhundert zwischen den Orten geschlossenen Bündnisse und «Verfassungsbriefe» (z.B. Pfaffenbrief, Sempacherbrief). Diese kreisten alle um den Landfrieden und die Ausschaltung eigenmächtiger Gewalt, die durch das Gericht ersetzt wurde. Mit der Bezeichnung eines Bezirks, innerhalb dessen die Bundes- und Eidgenossen zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet waren, wurde der Landfrieden territorialisiert. Die Beilegung von Konflikten zwischen den Orten wurde an Schiedsgerichte verwiesen.
Die Frage, ob der Bundesbrief von 1291 eines von zahlreichen Landfriedensbündnissen seiner Zeit begründete oder Habsburg als politische Gegner abwehren und die Freiheit der Länder bewahren sollte, ist in der schweizerischen Geschichtswissenschaft lange kontrovers beantwortet worden. Heute wird der Bund von 1291 allgemein als Landfrieden betrachtet, wenn ihm auch mit Blick auf den Richterartikel eine begrenzte politische Zielsetzung nicht abgesprochen wird. Unbestritten ist jedoch, dass der Brief von 1291 keine Gründungsakte der Eidgenossenschaft darstellt (Befreiungstradition). Erst allmählich bildete sich das eidgenössische Bündnisgeflecht weiter aus, und es blieb zudem nur eines unter vielen. Die verschiedenen Orte gehörten auch anderen Bündnissystemen an, und es war nicht von vornherein klar, dass sich die frühen Landfriedensbündnisse zwischen den eidgenössischen Orten zu einem dauerhaften politischen Verband entwickeln sollten.
Quellen und Literatur
- B. Meyer, Die Sorge für den Landfrieden im Gebiet der werdenden Eidgenossenschaft, 1250-1350, 1935
- H. Angermeier, Königtum und Landfriede im dt. SpätMA, 1966
- HbSG 1, 161-238
- Peyer, Verfassung, 21-44
- Gesch. der Schweiz und der Schweizer 1, 1982, 161-208
- B. Stettler, «Landfriedenswahrung in schwieriger Zeit», in Aegidius Tschudi, Chronicon Helveticum, 7. Tl., 1988, 11-128
- P. Blickle, «Friede und Verfassung», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 1, 1990, 15-43
- O.G. Oexle, «Friede durch Verschwörung», in Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten MA, hg. von J. Fried, 1996, 115-150
- M. Stercken, «Herrschaftsausübung und Landesausbau», in Landfrieden, hg. von A. Buschmann et. al., 2002, 185-211