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Tote Hand

Amortisationsgesetze

Als tote Hand (lateinisch manus mortua, französisch mainmorte, italienisch manomorta) werden Körperschaften und Stiftungen mit Vermögen bezeichnet, das der Veräusserung und Vererbung entzogen ist. Der Begriff wird vor allem bei geistlichen Körperschaften und Stiftungen (Kirche, Klöster), aber auch bei weltlichen juristischen Personen wie Gemeinden, staatlichen Körperschaften, Spitälern, religiösen Kongregationen usw. verwendet (z.B. Fideikommiss).

Insbesondere der französische Terminus mainmorte bezeichnete auch den Besitzer, der nicht vererben konnte – Vasallen und Leibeigene, die über ihre Güter nicht verfügen durften, und erbunfähige Eigenleute – bzw. die auf dieser Erbunfähigkeit beruhenden Rechte wie Heimfalls- (Lehnswesen) und Erbrecht (Leibeigenschaft, Fall) der Lehns- und Leibherren.

Widerstand gegen die Güterkumulation der Kirche

Der Begriff tote Hand erscheint ab dem 12. Jahrhundert in Zusammenhang mit dem durch Donationen und testamentarische Vergabungen rasch wachsenden kirchlichen Grundbesitz. Dieser war dem freien Liegenschaftsverkehr weitgehend entzogen, da die Kirche Verkäufe erschwerte und Vererbung an Weltliche ausschloss. Die der toten Hand vermachten Grundstücke entgingen nicht nur der weltlichen Verfügung, sondern kraft der Steuerfreiheit der Kirche zumeist auch der weltlichen Steuerpflicht dauernd.

Die städtischen Bürgerschaften setzten sich in der heutigen Schweiz wie im übrigen Europa vom 13. Jahrhundert an gegen die Güterkumulation der Kirche und gegen deren wirtschaftliche Macht zur Wehr. Die Stadtrechte überliefern erste Satzungen, die sich gegen den Gütererwerb der toten Hand wenden. So beschränkte zum Beispiel die Berner Handfeste Vergabungen auf dem Totenbett an die Kirche auf fünf Schilling und machte eine Steuerbefreiung von der Zustimmung der Bürgergemeinde abhängig.

Amortisationsgesetze

Im juristischen Sprachgebrauch hiess Amortisation – im Unterschied zur heutigen Wortbedeutung, welche die Abtragung einer Schuld meint – die Vergabe von Gütern an die tote Hand; Amortisationsgesetze waren weltliche Gesetze, die den freien Gütererwerb der Kirche bzw. die Zunahme des steuerfreien Kirchenguts einschränkten. Sie wurden zuerst von Städten und vom 15. Jahrhundert an auch von den Landesherren als Schutzmassnahme gegen die wirtschaftlichen Folgen der Unveräusserlichkeit des Kirchenguts erlassen.

Die Amortisationsgesetze hatten zwei hauptsächliche Stossrichtungen: die Beschränkung des geistlichen Güter- und Zinserwerbs sowie die Reduktion der kirchlichen Steuerfreiheit. Der Kirche wurde der Gütererwerb in der Regel nicht ganz verboten, dafür aber durch Auflagen erschwert, zum Beispiel durch eine Genehmigungspflicht oder die Auflage, die Güter innert einer bestimmten Frist wieder an Weltliche zu veräussern. Amortisationsgesetze richteten sich gegen Schenkungen (Seelgeräte, Jahrzeitstiftungen) von grundpfandgesicherten Renten an die Kirche. Um der Überschuldung städtischer Liegenschaften zu wehren, erklärten Stadtbehörden im 15. Jahrhundert auch sogenannte ewige, unablösbare Gülten für ablösbar. Die Kirche war gezwungen, sich diese Grundpfandtitel ablösen zu lassen und ihr Kapital ausserhalb der Stadt anzulegen, doch wandten sich auch Landrechte gegen kirchliche Zinslasten. Stadtbehörden suchten die Steuerfreiheit der Kirche zu durchbrechen, indem sie nur dem kirchlichen Dotationsgut Steuerfreiheit zuerkannten, gekaufte oder geschenkte Güter aber wie weltliche besteuerten.

Amortisationsgesetze richteten sich ausschliesslich gegen kirchliche Institutionen; sie nahmen zum Beispiel obrigkeitliche Zinsen von der Ablösungspflicht ausdrücklich aus. Während mit der Glaubensspaltung Kirchengut in reformierten Territorien unter weltliche Verwaltung kam, blieb es in den katholischen Gebieten bei der Kirche und wuchs weiter. Dies führte im 17. Jahrhundert zu einem Ausbau und einer Verschärfung der Amortisationsgesetze. Auch katholische Orte wie Luzern (1626) und selbst geistliche Staaten wie das Fürstbistum Basel (1709) erliessen nun Gütererwerbsverbote für die tote Hand; sie gestatteten zudem weltlichen Personen das Zugrecht, d.h., diese konnten von der toten Hand erworbene Güter zum selben Preis an sich ziehen. Katholische Landesherren erwirkten in den Villmergerkriegen vom Heiligen Stuhl die Erlaubnis, Kirchengut auf freiwilliger Basis zu besteuern.

Im 19. Jahrhundert galten in den Kantonen die vorrevolutionären Amortisationsgesetze weiter. Noch um 1900 sahen die kantonalen Gesetzgebungen mehrheitlich Erwerbsbeschränkungen für die tote Hand vor, sei es bei Kauf, Tausch und/oder Vermächtnis zugunsten der Kirche. Die Steuerpraxis war uneinheitlich, so bestand zum Beispiel Steuerfreiheit in Zug, Steuerpflicht dagegen in Uri und Schwyz. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch verzichtete 1912 auf die Aufnahme eines Amortisationsartikels und überliess die diesbezügliche Gesetzgebung den Kantonen.

Quellen und Literatur

  • M. Meyer, Die Erwerbsbeschränkungen der toten Hand im Luzernerrecht, 1910
  • H. Rennefahrt, Grundzüge der bern. Rechtsgesch. 2, 1931, 105, 139 f.
  • HRG 1, 148-150; 5, 281 f.
  • LexMA 1, 542 f.; 8, 894 f.
  • J.F. Poudret, Coutumes et coutumiers 5, 2006, 247-251
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Tote Hand", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008975/2013-12-18/, konsultiert am 18.04.2024.